Mage: the Ascension 1st Edition

Eine nostalgische Rollenspielrezension von Infernal Teddy

Nachdem dieses Jahr das 20. Jubiläum des Erscheinens meines absoluten Lieblingsrollenspiels darstellt, und weil wir seid kurzem eine Reihe von Artikeln veröffentlicht haben in denen ein Setting für eben jenes Spiel skizziert werden soll, dachte ich, es wäre an der Zeit dorthin zurückzukehren wo meine Leidenschaft für dieses Spiel begann. Die Rede ist natürlich von Mage: the Ascension von White Wolf, und wir werden uns heute mal über das Grundregelwerk der ersten Edition unterhalten. Irgendwie ist es kaum zu glauben, aber ich habe hier immer noch mein erstes Mage-Regelwerk neben mir auf dem Schreibtisch sitzen. 1993 erschienen war Mage das dritte Rollenspiel (Die ersten beiden waren AD&D 2nd Edition und Rifts) das ich mir gekauft hatte, und es war eine Offenbarung. Ein Spiel um Magier in unserer modernen Welt? Ein Magiesystem welches ohne Spruchlisten auskam, sondern nur durch die Phantasie der Gruppe beschränkt wurde? Was gibt es da denn nicht zu mögen? Und so begann mein unweigerlicher Abstieg in eine Welt der Dunkelheit – später sollten sich Spiele wie Vampire, Wraith oder Werewolf ebenfalls einen Platz in meinem Herzen bahnen, aber der Anfang dieser Obsession liegt hier. Werfen wir mal einen Blick auf das Ganze, und versuchen die Nostalgie ein wenig außen vor zu lassen, ohne sie ganz zu ignorieren.

Tauchen wir ein.

Von der Aufmachung her ist Mage: the Ascension in dieser Auflage noch ein schicker, stabiler Softcover, mit 211 Seiten und einer erstaunlich guten Bindung. Es mutet immer noch etwas erstaunlich an das dieses Buch noch als Softcover erschien, vor allem wenn man bedenkt das erst ein Jahre zuvor, in 1992, die zweite Edition von Vampire: the Masquerade schon als Hardcover veröffentlicht wurde. Allerdings erschienen bis einschließlich Changeling: the Dreaming alle Spiele der classic World of Darkness in ihrer ersten Edition als Softcover, erst mit Vampire: the Dark Ages (1996) setzte man auch für neue Spiele direkt auf Hardcover. Auch Layout und Illustrationen entsprechen dem, was man in der ersten Hälfte der Neunziger von White Wolf erwarten konnte, im Positiven wie im Negativen. Leider bedeutet das auch die üblichen falschen Seitenverweise, die Lektoratsfehler – wie gesagt, frühes White Wolf halt. Was man aber auf jeden Fall sagen kann ist das es dem Artwork fast immer gelingt die gewünschte Stimmung zu transportieren.

Wie alle World of Darkness Rollenspiele eröffnet auch Mage mit einer Kurzgeschichte, und zwar eine welche gleichzeitig einem der späteren Signature Characters vorstellt – Dante, den Virtual Adept – und gleichzeitig nicht mehr ganz zum Spiel passt wie es ab dem zweiten oder dritten Quellenbuch existierte. Heutzutage ignoriere ich ja solche Introfiction fast immer, aber ich kann mich erinnern das ich ziemlich beeindruckt war, schließlich hatte ich so was in dieser Form nicht zu Gesicht bekommen. Nach der Kurzgeschichte folgt direkt… eine Folge der frühen nicht-organisation innerhalb von White Wolf-Büchern. Das Regelbuch ist nämlich in drei „Büchern“ aufgeteilt, aber diese Aufteilung ist nicht im Inhaltsverzeichnis angegeben, und wird auch nirgends erklärt. Effektiv handelt es sich grob um „Setting“, „Regeln“ und „Magie“, auch wenn die Aufteilungen immer wieder stark überlappen. Das erste Kapitel nach der Kurzgeschichte ist jedenfalls die Einleitung, welches versucht dem Leser zu erklären, was er sich da eigentlich für ein Spiel zugelegt hat. Hier werden einige der wichtigsten Grundkonzepte zusammengefasst, welche Mage ausmachen, ebenso die wichtigsten Fraktionen – interessant ist, das hier bereits die Nephandi besonders hervorgehoben werden als die übelsten Gegner die ein Magus haben kann. Abgerundet wird diese Einleitung durch ein ziemlich langes „Lexikon“ in dem mehr oder weniger für das Spiel wichtige Definitionen durchgesprochen werden, zum Teil auch Begriffe welche im Laufe des Buchs nicht mehr erklärt werden, womit dieser Abschnitt sich als ungewohnt wichtig erwies. Im zweiten Kapitel geht es dann an die Welt in der Mage angesiedelt ist. Hier wird dem geneigten Leser sehr bald – mit rückwärtiger Perspektive – klar, das die Welt der Dunkelheit in ihren Anfangsjahren ein wesentlich düsterer Ort war, als sie es später wurde. Die Welt wie sie hier beschrieben wird enthält zwar mehr „Gonzo“-Elemente, ist aber auch zugleich eine Welt die wesentlich düsterer ist als die unsere, während die Revised-Ära eine Welt darstellte, die wie unsere ist, nur mit übernatürlichen Crittern. Jedenfalls ist die Realität zu gleichen Teilen eine Puzzelbox und ein Schlachtfeld – zum einen versuchen die Magi einen Weg zur Erleuchtung zu finden, sowohl für sich selbst als auch für die Menschheit als Ganzes, zum anderen gibt es grob gesagt vier Fraktionen an Magiern, welche um die Kontrolle der Realität kämpfen. Wir haben zum einen die Magier der neun mystischen Traditionen (Die vorgesehenen Spielercharaktere), welche scheinbar dafür eintreten, den Menschen die Magie und damit die Erleuchtung zu ermöglichen; die Technokratie, eine Organisation welche die Realität in einem eisernen Würgegriff halten und mit der Wissenschaft als Deckmantel alles kontrollieren wollen; die Marouders, wahnsinnige und unkontrollierbare Magier welche mit Gewalt die kollektive Realität zerstören wollen; und als letztes die Nephandi, eine Gruppe von Magiern welche sich dem Bösen und der Korruption verschworen haben. Interessant ist, wie sich das Spiel in den folgenden Büchern schon verändern würde – hier ist den Technokraten noch bewusst das dass, was sie tun, Magie ist, etwas das später völlig untergeht. Auch beschrieben wird hier die Gesellschaft der Traditionsmagi, und wie diese strukturiert ist, mit Chantries, Cabals, und mehr. Insgesamt ist das Bild das hier von der Welt der Dunkelheit aus Magiersicht gezeichnet wird ein sehr umfassendes. Das dritte Kapitel, und da sind wir auch schon wieder bei der etwas chaotischen Organisation bei frühen White Wolf-Büchern, behandelt das Spielleiten, oder wie sie es ja gerne nennen, das Storytelling. Hier steht eigentlich nichts weltbewegendes, aber für mich (Ich kam, wie schon gesagt, aus der AD&D Schule des „Da ist ein Loch im Boden mit Gold am Ende“-Spielleitens) war dieses Kapitel eine Offenbarung, und hat definitiv zumindest mich zu einem besseren Spielleiter gemacht.

Das zweite „Buch“ von Mage beginnt mit dem vierten Kapitel, die Spielregeln. Ein kurzes Kapitel, welches die Grundlagen des Storyteller-Systems präsentiert (Die Magieregeln kommen später, und sind wesentlich aufwendiger). Ich denke mal, mittlerweile kennt jeder die Regeln – Attribut wird zu Fertigkeit addiert, und diese Anzahl an Würfel werden mit Schwierigkeit X verglichen um Y Erfolge zu erzielen. Beispiele für Proben werden auch aufgeführt, aber wie schon gesagt, ich denke, unsere Leser kennen das System zu Genüge, und an den Kernregeln ändert auch Mage nichts. Kapitel fünf wendet sich der Charaktererschaffung zu, welche sich auch dem üblichen Schema des Storyteller-Systems unterwirft. Wir haben schon mal einen Charakter für Ascension gebaut, zwar mit dem 2nd Edition Grundregelwerk, aber wer sich anschauen möchte wie das läuft wird HIER fündig. Nach der Charaktererschaffung werden dann die verschiedenen Werte und Attribute die ein Magus haben kann erläutert, angefangen mit den neun mystischen Traditionen. Jeder dieser Traditionen orientiert sich dabei an einen bestimmten Pfad der möglicherweise zur Erleuchtung führt, und hat sich deswegen der Meisterschaft einer bestimmten Sphäre der Magie (Dazu kommen wir noch) verschrieben. Diese Traditionen sind die Akashic Brotehrhood (Fernöstlicher Mystizismus und Kampfsport), Celestial Chorus (Monotheisten), Cult of Ecstasy (Erfahrungen und Erlebnisse als Basis des Bewußtseins), Dreamspeakers (Shamanen und Geisterversteher), Euthanatos (Reinkarnation und indische Philosophie), Hollow Ones (Keine Tradition, sondern Gruftis die in Aleister Crawley etwas entdeckt haben wollen), Order of Hermes (Der klassische Zauberer mit Pentagram), Sons of Ether (Mad SCIENCE!), Verbena (Neopaganes Hexentum) und die Virtual Adepts (Cyberpunk und Hackerethik). Nach den Traditionen folgen die üblichen Beschreibungen der Werte die ein Charakter in Mage so haben kann, Attribute, Fertigkeiten und so weiter. Von besonderer Bedeutung ist ein Wert, „Arete“ (Aus dem alten Griechischem, lässt sich am ehesten mit „Vortrefflichkeit“ umschreiben) – dieser Wert beschreibt wie erleuchtet der Magus ist, also wie sehr er die Wirklichkeit versteht, und beschränkt die Höhe seiner Sphären (Dazu kommen wir noch) und wie viele Würfel er zum Zaubern nutzen kann.

Mit Kapitel Sieben beginnt auch das dritte „Buch“ des Grundregelwerks, und wir wenden uns dem Magiesystem zu, welches den Kern von Mage darstellt. Der Grundgedanke von Mage ist das die Realität etwas anders funktioniert als wir gemeinhin annehmen. In Mage ist es nicht so das Realität die Wahrnehmung formt, sondern die Realität wird durch Überzeugung erst gebildet – wenn also jemand nun fest genug daran glaubt kann er die Realität seinen Wünschen anpassen. Wir alle tun das quasi unterbewusst, die Wirklichkeit ist das Ergebnis dessen, wovon man die Massen überzeugt hat, aber jene die man als Erwacht bezeichnet können die Wirklichkeit ganz bewusst verändern – Magie wirken. Dies geschieht über die neun Sphären, Aspekte der Realität welche der Magus erlernen kann. Laut Mage lässt sich also alles über einer der folgenden Sphären manipulieren: Correspondence (Die Verbindungen und Strecken zwischen allen Dingen), Entropy (Zufall, Chaos und Zerfall), Forces (Energie in allen Formen), Life (Die Manipulation allem Lebendigen), Mind (Die Beeinflussung des Verstandes), Matter (Die anfassbare Welt), Prime (Quais Atomtheorie für Magie), Spirit (Sowohl die Geister der Natur als auch – in einem gewissen Maßstab – die Seelen Verstorbener) und Time (Zeitveränderungen). Um einen Zauber zu wirken beschreibt zunächst der Spieler welchen Effekt er erreichen möchte. Der Spielleiter entscheidet dann, ob der Charakter die entsprechenden Sphären gut genug beherrscht, und der Spieler würfelt dann. Wenn der Zauber Vulgär ist, also nicht versucht wie ein Zufall auszusehen, hat er dafür so viele Würfel wie die höchste am Zauber beteiligte Sphäre, soll der Zauber allerdings wirken als würde er innerhalb der Parameter der Wirklichkeit agieren stehen dem Zaubernden so viele Würfel zur Verfügung wie er Punkte in Arete hat. Die Schwierigkeit wird bestimmt in dem man zum Wert der höchsten daran beteiligten Sphäre drei addiert. Je nachdem ob und wie erfolgreich der Zauber war und ob er Vulgär war bekommt der Zaubernde außerdem Paradox-Punkte. Paradox ist quasi eine Immunreaktion der Wirklichkeit – sollte der Zauberer zu sehr versuchen die Realität zu manipulieren wehrt sich diese mit Paradox-Punkten. Das kann zu vorübergehenden Wahnsinn führen, körperlichen Mutationen, Angriffen von Paradoxgeistern, oder gar zum entfernen des Zaubernden aus der Wirklichkeit. Das Buch hat für den Vorgang des Zauberns sogar ein handliches Flussdiagramm. Nach den Magieregeln folgt eine genauere Beschreibung der neun Sphären, und welche Effekte man mit welcher Stufe erzielen kann, quasi als Beispiele damit die geneigten Spieler ein Gefühl dafür bekommen, was ihre Charaktere können. Außerdem gibt es eine Reihe von Beispielen für kombinierte Effekte. Das achte Kapitel beschäftigt sich mit Themen wie Erfahrungspunkte und Charaktersteigerungen, Paradox und Verletzungen. Das neunte Kapitel trägt den Titel Drama, aber eigentlich geht es darum, das System praktisch anzuwenden, bzw. um die Kampfregeln.

Das Buch endet mit einem Anhang, in diesem Fall ein Sammelsurium von Themen, welches sonst nirgends ins Buch gepasst hätten. Wir haben Ideen für Crossovern mit anderen Spielen der WoD, eine Sammlung verschiedener erwachter und nicht erwachter Antagonisten, Beispiele für Talismane, zwei Kurzbeschreibungen mächtiger Chantries, ein Kurzabenteuer welches als Einleitung zu einer längeren Chronik dienen soll, eine Bibliographie und die letzten Worte des Designers. Am Ende des Bandes folgt noch ein eher weniger brauchbarer Index und das Charakterblatt.

Fazit:
Wie zieht man jetzt ein faires Fazit? Mage: the Ascension ist letztes Jahr zwanzig Jahre alt geworden, und seid zwanzig Jahren sitzt dieses lila Buch auf meinem Regal. Wie eingangs schon geschrieben war Mage 1st Edition für mich eine Offenbarung, aber wie gut steht das Buch heute da? Die Ideen, Ansätze und Philosophien, welches in dem Buch zum Ausdruck kommen, sind heute noch in meinen Augen schwer mit irgend etwas anderem zu vergleichen. Auch das kreative und sehr, sehr freie Magiesystem gehört zu den Besten die mir in 24 Jahren als Rollenspieler untergekommen sind. Allerdings muss man auch ganz klar feststellen, dass man es hier mit einem Rohdiamanten zu tun hat. Zu viel ist hier noch unklar geschrieben, zu viele Konzepte unzureichend erklärt oder ausgearbeitet. Und auch das Magiesystem fährt erst in der Überarbeitung und Verquickung zur Hochform auf, welche es in der 2nd Edition erhalten sollte. Mage 1st Edition sollte man als ein Versprechen ansehen, welches erst später erfüllt wurde.
Als Teil der Welt der Dunkelheit hat Mage eine gewisse Sonderstellung, schließlich ist es das einzige Spiel der Reihe das man tatsächlich als optimistisch ansehen kann. Dazu kommt die Bandbreite des Settings, und die Kernfrage, welche jetzt zum Kickstarter der 20th Anniversary Edition neu und schön knapp formuliert wurde: „If you had the power of a god, what would you do with it… and what would IT do with YOU?“. Ascension wird immer meine erste große Liebe im Rollenspielbereich bleiben, aber einem Neueinsteiger würde ich ganz dringend dazu raten, sich die 2nd Edition zuzulegen – aber ich möchte auf mein Softcover auf keinen Fall verzichten!

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