Trail of Cthulhu
Systemvorstellung
Das sich der Cthulhumythos so großer Beliebtheit in der Fantasyszene erfreut, liegt sicher nicht zuletzt an der Beliebtheit des zugehörigen Rollenspiels. Mit der Möglichkeit in verschiedenen historischen Epochen zu spielen und ganz normale Investigatoren statt phantastische Helden zu verkörpern, ist das Rollenspiel vor dem Hintergrund Lovecrafts nicht nur ein willkommene Abwechslung, sondern gilt häufig gar als Inbegriff von ‚tiefem‘ oder ‚erwachsenem‘ Rollenspiel.
Das damit verbundene Rollenspielsystem ist fast immer das auf BRP basierende Call of Cthulhu (CoC).Das ist eines von Deutschlands größten Rollenspielreihen und macht insbesondere durch aufwändig gestaltete und recherchierte Hardcoverbücher auf sich aufmerksam. Außer dieser tonangebenden Reihe gibt es jedoch verschiedene andere Cthulhurollenspiele, von denen Trail of Cthulhu (ToC) der größte Mitstreiter ist.
Die Philosophie
Trail of Cthulhu ist nach Fear Itself das zweite Produkt, das die Gumshoeregeln und -philosophie nutzt. Das System ist ein würfelarmes, narrativ geprägtes System, das sich in einigen Punkten deutlich anders spielt als klassische Rollenspiele. Wie der Name nahelegt – Gumshoe steht umgangssprachlich für einen Privatdetektiv – ist es insbesondere für einen investigativen Ansatz geschrieben worden, wobei es durch zahlreiche andere Hintergründe relativ universal anwendbar ist. Dieser investigative Ansatz passt optimal auf den Cthulhuhintergrund, bei dem ein direkter Kontakt mit dem Mythos eher selten ist. Dementsprechend fokussiert sich das Gumshoeregelsystem auf das auffinden von Hinweisen und gelegentliche dramatische Kampfszenen oder Verfolgungsjagden. Dies zeigt sich nicht nur in den Regeln auf die ich später eingehe, sondern primär in der grundlegenden Philosophie des Spieles.
Zuersst einmal wird ein Abenteuer als eine Reihe von Hinweisen (Clues) verstanden, die auf verschiedene Weisen gefunden werden können. In den Tipps zum Erstellen eines Gumshoeabenteuers oder gekauften Kampagnen und Beispielabenteuern wird daher viel Wert auf eine sehr übersichtliche, aber oftmals etwas trockene Struktur geachtet. Natürlich bleibt Gumshoe ein vollwertiges Rollenspiel, aber nach einer meist relativ knappen und allgemeinen Beschreibung der Szenen oder NPCs liegt der Fokus auf Clues und Wegen, wie diese zu finden sind. Dies ist ein erfrischender, aber sicherlich auch etwas gewöhnungsbedürftiger Ansatz der einen gelungenen Fokus auf den Kern investigativen Rollenspieles legt. Ein Abenteuer definiert sich demnach durch die Grundidee bzw. den zu findenden/lösenden Mythos und einige mögliche Szenen und NPCs, die aber natürlich nicht linear abgearbeitet werden müssen.
Der Umgang mit diesen Clues ist auch theoretisch gut fundiert. Kenneth Hite erläutert verschiedene Typen von Clues und deren Einsatz, was auch außerhalb eines Mythosabenteuers sehr lehrreich und inspirierend sein kann. Eine Besonderheit ist, dass dabei zwischen notwendigen Clues unterschieden wird, die unbedingt gefunden werden müssen um den Plot abzuschließen. Sowie optionalen Hinweisen, die kleinere Erleichterungen, Umwege oder einfach Zusatzinformationen bieten. Das markanteste Merkmal ist nun, dass die Regeln vorsehen, dass die Kernhinweise von den Spielern automatisch gefunden werden sobald diese die betreffende Fertigkeit einsetzen und dabei niemals an Proben gebunden sind. So soll gewährleistet werden, dass ein Abenteuer nicht in einer Sackgasse endet und der Fokus vom Finden der Hinweise hin zum Schlussfolgern geht.
Das System
Die Philosophie vom Gumshoe ist nicht völlig an das System gebunden. So finden sich sogar umfangreiche Hinweise um die Philosophie auch mit Call of Ctulhu anzuwenden und um die Werte der beiden Systeme zu übersetzen. Obwohl die Grundideen und Hinweise zum Abenteuerbau also mit fast jedem System kompatibel sind, tut Trail of Cthulhu einiges dafür, damit das Regelsystem die Spielphilosophie stärkt.
Dies beginnt mit einer Trennung in Investigative und sonstige Fertigkeiten. Während letztere für alle möglichen Aktionen vom Klettern hin zum Kampf genutzt werden, sind erstere hauptsächlich zum Auffinden der Hinweise gedacht. Damit alle möglichen Clues gefunden werden können, wird außerdem bei der Charaktererstellung darauf geachtet, dass alle Investigationsfertigkeiten in der Gruppe vertreten sind. Hinzu tritt die äußerst interessante Komponente der Drives. Auch wenn Trail of Cthulhu hauptsächlich alltägliche Charaktere im Blick hat, die eher zufällig mit dem Mythos in Konatkt kommen, werden diese mit einem Antrieb bzw. Drive versehen, der es plausibel macht das die Charaktere überhaupt in ein Abenteuer gerissen werden. Dies erleichtert die Einführung für die Spielleitung deutlich und entspricht auch den meisten Charakteren in Lovecrafts Werken. Wie übrigens auch bei Berufen und zahlreichen anderen Listen, werden dabei die Antriebe die in den Geschichten des Altmeisters selber vorkommen und besonders pulpige Drives mit einem Icon hervorgehoben, wodurch man den Spielstil etwas steuern kann.
Die Drives sind dabei nicht nur ein bloßer Aufhänger, sondern mit den Regeln für geistige Gesundheit verbunden. So wird ein nicht-befolgen eines Drives durch einen Stabilitätsverlust bestraft und das Befolgen mit Stabilitätswiederherstellung belohnt.
Da Wahnsinn und Verunsicherung einen wichtigen Aspekt des Mythos ausmachen, ist die geistige Gesundheit bei ToC relativ umfangreich geregelt. Zuerst wird zwischen Stability und Sanity unterschieden. Stability bildet dabei die emotionale Stabilität ab, die auch durch mundane Schocks, Stress und andere Verunsicherungen angegriffen werden kann, während Sanity dem Schock durch den Mythos vorbehalten ist. Sanity repräsentiert den Glauben an die Wirklichkeit wie die Charaktere ihn seit ihrer Kindheit vermittelt bekommen haben und wird durch den Kontakt mit realitätswidrigen Kreaturen, Erscheinungen und unser Geschichtsbild in Frage stellende Ereignisse angegriffen. Besonders interessant ist, dass die geistige Stabilität an Quellen gebunden ist wie Familie, gute Freunde oder auch den eigenen Antrieb, also z.B. die Begeisterung für Kunst oder Wissenschaft. Stabilitätsverlust kann sich daher auch durch das Wegbrechen von solchen Quellen darstellen. So kann das Vertrauen in Freunde verloren gehen oder sogar die eigene Familie als nichtig empfunden werden.
Kommt es zu geistigen Erkrankungen bietet ToC einen sehr eigenen Ansatz. Zwar können Geisteskrankheiten auch ganz herkömmlich ausgespielt werden, es werden aber Methoden vorgestellt, mit denen die Gruppe die Wirklichkeitsverzerrung des betroffenen Charakters abbilden soll. So können beispielsweise ohne Wissen des betroffenen Spielers Ereignisse im Lebens des Charakters bestimmt werden, die dem Charakter nicht mehr bewusst sind, bestimmte Codewörter in der Gruppe genutzt werden oder der Spieler selber auf andere Weise verunsichert werden. Das mag je nach Gruppe äußerst gewöhnungsbedürftig sein, ist aber allemal ein interessanter Ansatz.
Das Würfelsystem ist wie erwähnt relativ simpel. Es werden ausschließlich W6 genutzt und davon auch nur einer pro Probe. Solange es sich um Investigationsfertigkeiten handelt, kommt Gumshoe sogar ganz ohne Würfel aus.
Möglich wird das dadurch, dass alle Fertigkeiten als Pools betrachtet werden. So besitzt ein Charakter in jeder Fertigkeit einen Wert, der jedoch nicht als statischer Bonus oder Schwierigkeit fungiert, sondern einen Pool darstellt aus dem Punkte aufgewendet werden. Bei Investigationen können so ein oder zwei Punkte aufgewendet werden um detailliertere oder zusätzliche Hinweise zu erhalten. Bei klassischen Proben wird hingegen ein W6 gegen eine Schwierigkeit (meist 4) gewürfelt und es können im Vorhinein Punkte aufgewendet werden um das Ergebnis um je +1 zu erhöhen. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Spieler nach Möglichkeit immer die aktive Rolle übernehmen und die Proben selber durchführen. NPCs werden bis auf Angriffe oder Magie meist durch Schwellwerte oder Schwierigkeiten repräsentiert, was den Würfelaufwand des SLs reduziert und den Spielern mehr Aktivität gibt.
Das System ist weitgehend schlank und gut durchdacht. Teilweise ist es befreiend einfach geregelt und Fertigkeiten sind nicht nur gut beschrieben sondern haben meist eindeutige Regeleffekte. Bei Zaubern oder manchen Spezialangriffen kann das Spiel dennoch etwas umständlicher werden, wenngleich die Regeln immer einem ähnlichen Prinzip folgen.
Der Mythos und die 30er
Was den Hintergrund angeht, unterscheidet sich Trail of Cthulhu nur minimal von Call of Cthulhu. Es werden in Abenteuern und Quellenbänden verschiedene Epochen bedient, der hauptsächliche Hintergrund liegt aber in den USA und ist im Gegensatz zu CoC statt in den 20ern in den 30er Jahren angesiedelt, was wohl auch der Zeitepoche der Lovecraftgeschichten besser entspricht. Einen wirklich großen Unterschied stellt das kaum dar, wenngleich man sich nun stärker mit dem Einfluss des Nationalsozialismus beschäftigen muss, was sicherlich auch einer der Gründe war, die Epoche beim deutschen Call of Cthulhu auf die 20er zu fixieren. Nichts destotrotz sind die Unterschiede marginal. Die okkultistischen Tendenzen des NS werden so beispielsweise an manchen Stellen angemerkt, aber tendenziell auf Pulp-Abenteuer bezogen.
Hier liegt auch der größte Unterschied. Trail of Cthulhu bietet verschiedene Spielstile an und liefert beim Hintergrund insgesamt eher Anregungen als Faktenwissen. Während die Pegasusquellenbände vor Details und historischen Einbettungen nur so strotzen, kommt ToC im Grundregelwerk mit einer Seite historischer Ereignisse und etwa 20 Seiten Hintergrund aus. Diese Seiten geben einen groben Einblick in die Grundstimmung der 30er Jahre und stellen gleich eine ganze Reihe von Ländern als Schauplätze vor. Der Fokus liegt also eher auf dem Mythos, wobei alles angerissen wird, was man sich nur wünschen kann. Eine Beschreibung der Götter (inklusive Einordnung in verschiedene Rubriken), eine ausführliche Bücherliste mit zugehörigen Effekten, einen Haufen Geheimbünde und Zauber und natürlich ein paar Seiten zum Equipment der 30er. Zusätzlich sind Beispielskampagnenhintergründe und ein Abenteuer enthalten.
Die Darstellung ist jeweils relativ knapp und unmittelbar auf den Spielnutzen bezogen. So sind zu den Geheimbünden Storyhooks angegeben und jede Kreatur bietet einige Beispielshinweise mit denen die Investigatoren ihnen auf die Schliche kommen können. So werden interessante forensische Details, mögliche Erzählungen oder gar subtile Änderungen in der Umgebung dieser Monster erwähnt, wobei die passenden Fertigkeiten nicht fehlen dürfen. Dieser Ansatz entspricht dem insgesamt etwas tabellarischen Stil der die ganze Produktlinie durchzieht.
Am deutlichsten kann das an den großen Alten erkannt werden. Diese werden mit einem kurzen Zitat aus einer Mythosgeschichte eingeleitet und dann mit einer Reihe an (möglichen) Konzepten vorgestellt. So soll der Mythos jedes Mal etwas anders ausfallen und nicht als starrer Bezugsrahmen genutzt werden. Dies bedeutet aber auch, dass der SL zwar schnell mit Ideen versorgt wird aber diese noch deutlich ausgestalten muss.
Fazit
Trail of Cthulhu wählt einen deutlich anderen Hintergrund als sein großer alter Kollege. Die auf die Investigation zurechtgeschrieben Regeln wirken für mich deutlich passender als das oft etwas brüchige und umständliche CoC/BRP. Auch die klare Struktur die den Abenteuern und Hintergründen verpasst wird, sagt mir sehr zu und unterscheidet sich angenehm von den oft ausschweifenden CoC Abenteuern und Quellenbändern. Gleichzeitig verliert ToC genau diesen bibliophilen Charakter, den die aufwändigen und umfangreich gestalteten Werke von CoC ausmachen. Wo CoC so manches Geschichtsbuch ersetzen kann, liefert ToC eine Skizze die am Tisch ausgestaltet werden muss. Wer seinen Umgang mit CoC gefunden hat wird kaum umsteigen müssen, wenngleich der Hintergrund von ToC einige interessante Wendungen erhält und die Abenteuerphilosophie für einige Klarheit sorgen kann. Wem Call of Cthulhu immer etwas zu sperrig wirkte oder wer deswegen sogar einen Bogen um den Mythos gemacht hat, sollte sich Trail of Cthulhu näher anschauen. Hier findet sich ein etwas eigenes aber gut durchdachtes Regelsystem, ein knapper aber mit (spielrelevanten) Informationen prall gefüllter Beschreibungsstil und eine Spielphilosophie die das Rollenspiel deutlich vereinfachen kann.
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