SLA Industries
Ein Überblick
SLA Industries hat mich vor einigen Jahren gepackt und gehört seitdem zu meinen Lieblingsrollenspielen. Als Infernal Teddy daher nach mehr zum Spiel fragte musste ich mich einfach an einen Überblick machen…
Überblick
SLA Industries wird häufig als Cyberpunkspiel beschrieben, es selbst sieht sich jedoch als als „Game of Futuristic Urban Horror“. Das Genre ist dabei nicht eindeutig, da es sich aus vielen Sparten bedient aber vielleicht wirklich am stärksten bei Cyberpunk. Zuerst einmal spielen wir exzentrische Individualisiten die einen großen Teil ihrer Konflikte mit Gewalt lösen und das zu uhrem Job gemacht haben. Damit erfüllen sie durchaus das Klischee eines Cyberpunks, im Gegensatz zum klassischen Cyberpunk stehen sie dabei aber auf der anderen Seite. Statt im Untergrund zu leben und gegen das System zu kämpfen hat SLA – der einzige und alles bestimmende Großkonzern – die Welt so stark ins einem Griff das selbst die Individualisten in seinem Dienst stehen. Als Teilfreiberufliche Operatives übernehmen wir die Drecksarbeit von SLA indem wir bedrohliche Entwicklungen auf Mort – der Name der Hauptstadt und des Planeten auf dem wir spielen – untersuchen und häufig genug kleinschiessen. Darüber hinaus sind wir aber im Kern Profitorientiert, wir nehmen nicht nur die Credits von SLA gerne, sondern auch die Credits von offiziellen TV-Sendern und Werbepartnern. Als Operative tut man nämlich gut daran sich einer oder mehrerer Werbesponsoren anzubiedern und seine blutigen Aktionen Filmen und Live senden zu lassen. Diese Turns machen SLA zu einem sehr eigenen Setting mit ungewohnten moralischen Entscheidungen obwohl es in einigen Parametern dem Cyberpunkt verhaftet bleibt.
Ein weiterer Unterschied besteht außerdem im intergalaktischen Maßstab. Auch wenn wir fast alle Spielzeit in der fast klischeehaften, ständig verregneten Cyberpunkstadt Mort verbringen, liegt diese auf einem Fremden Planeten und wird neben Menschen durch extraterrestrische Völker besiedelt. Diese kommen dabei mit einem ausgeklügelten Hintergrund daher der mit der Geschichte des Konzerns verwoben ist und die vor allen Dingen mit anderen Spielweisen verbunden sind. SLA Industries überzeugt durch eigene und wirklich andersartige Alienrassen die ihresgleichen suchen und so einige Klischees vermeiden. dafür bleibt die Anzahl der spielbaren Alienvölker auch überschaubar egring. Ähnliches gilt für „Ebb“, die „Magie“ SLA-Industries die recht bodenständig daherkommt und sich unter anderem dadurch auszeichnet das sie gelungen mit technischen Aspekten vermischt wird wird und sich durch die Alienrassen und den Metaplot erklärt. Mit „Ebb“ wird eine passende Magie eingeführt die nicht zu fantasylastig ist und eher als eine mysteriöse Psikraft beschrieben werden kann. Das erweitert die Spielmöglichkeiten um eine magische Dimension, bleibt aber konsistent.
Neben diesem noch hoffnungsloseren Zukunftsblick, der exzessiven Dreckigkeit und den manchmal bis an die Schmerzgrenze gehenden Grausamkeiten zeichnet sich SLA vor allem durch den Metaplot aus. Dieser ist wiederum sehr eigen. Zum ersten wäre das die lange Vorgeschichte von Mort die durch persönliche Fehden, Verrat und Machtkämpfe von unsterblichen Einzelpersonen mit klingenden Namen wie Thrasher, Intruder oder Slayer, geprägt ist. Dies kommt natürlich nicht unmittelbar am Spieltisch an, äußert sich aber in verschiedenen Unterbereichen der gigantischen SLA-Bürokratie und darin das ein dominanter Teil des Spiels darin besteht die Hintergründe von SLA zu beleuchten. Dies äußert sich dann auch wirklich am Spieltisch da die Aufträge (Blueprint News/BPN genannt) klassifiziert sind und an einen bestimmten Security Level (SCL) gebunden sind der hart erarbeitet werden muss um sensiblere Aufträge ausführen zu dürfen. Dabei kann man dank eines Rollenspielleaks auch den Meta-Metaplot erforschen der gewöhnungsbedürftig ist, aber das unmittelbare Spiel nicht betrifft (wer sich einen teil des Spielspaßes vermiesen möchte sucht im Internet – das es auf Mort übrigens nicht gibt – nach der „Truth“).
Elemente wie BPNs oder SLCs zeigen eine weitere Stärke von SLA. Der Hintergrund ist deutlich für ein Rollenspiel konzipiert, weshalb viele Aspekte der Welt gut mit dem eigentlichen Spiel zusammengehen. Wir benötigen keine komplizierten Gruppenfindungen oder trickreichen Abenteueraufhänger, sondern können die Charaktere einfach ihren BPN holen lassen. Wir haben einen Metaplot der nur darauf wartet enthüllt zu werden und eine Art In-Game Stufenanstieg der sich im SCL äußert.
Produkte
Die klassischen SLA Industries-Produkte sind überschaubar. Es gibt nur 6 große Bände und einen Kampagnenband wobei alle leider Out of Print sind, sich aber manchmal finden lassen und mittlerweile als pdf erhältlich sind. Die erste Auflage des Grundregelbuches gab es für einige Zeit als umsonstdownload und könnte noch zu finden sein, spannender ist aber vermutlich das alle klassischen SLA Bücher umfassende pdf-Bundle das es für gute 20€ gibt.
Das Grundregelwerk stellt dabei natürlich die erste Anlaufstelle dar, aber auch die weiteren Bände wissen zu überzeugen. Herausragender ist meines Erachtens der „Mort“-Band der ein umfangreiches Quellenbuch darstellt das meines Erachtens das optisch schönste ist und gerade den Alltagshintergrund gelungen darstellt. Einen anderen Akzent legt „Cannibal Sector 1“ dieses ebenfalls sehr spielnahe und nützliche Buch wirft einen Blick in die Gebiete außerhalb der Megacity Mort. Durch eine Mauer von der Stadt getrennt leben hier die namensgebenden Kannibalen, die jedoch nur die menschlichste der dort anzutreffenden Spezies darstellen. Das Buch bietet eine erfrischend andere Spielumgebung und enthält spannende Gruppierungen und Wendungen im Hintergrund der Welt.
Etwas eigener ist das „Contract Directory“ das auf Sportwettkämpfe in Arenen und die umliegende Szene eingeht sowie „Karma“ das im Stil einer in-game-zeitung gehalten ist und neue Regeln, Technologien und Klassen versammelt. Beide Bände sind nützlich, erreichen aber für mich nicht das Niveau der anderen beiden Bände, was auch daran liegt das sich der Style über die jahre verschoben hat. Gerade Karma erinnert von den Illustrationen (bewusst?) an ein Punkrockmagazin der 90er und ist damit etwas gewöhnungsbedürftig. Zuletzt kommen noch zwei „Abenteuerbände“ hinzu, „The Key of Delhyread“ ist dabei ein (kurzer) Kampagnenband und die „Hunter Sheets“ stellen einen neuen Abenteuertyp dar der flexibel einsetzbar ist. Die Sheets sind auch das neueste Produkt der klassischen Reihe und daher verhältnismäßig einfach zu erhalten. Lässt man den ominösen Spielleiterschirm heraus, hat man damit alle Produkte der ersten Generation beisammen, so das man recht schnell eine komplette Sammlung beisammen hat.
System
Auch dem System von SLA sieht man sein Alter durchaus an. Wir haben es hier mit einem Mittelgewicht zu tun, das auf 2W10 basiert und Listenorientiert arbeitet. Das Grundsystem ist dabei simpel: Im wesentlichen werfen wir 2W10 und addieren zu der Summe eine Reihe an Boni die sich aus Fertigketen, Attributen etc. ergeben. Das System wird in ähnlicher Variante für alle Subsysteme inklusive dem Kampf genutzt, der durch ein detailliertes Initiativsystem und automatischen Kampfschaden komplex aber erträglich komfortabel ist. Die Tiefe und Komplexität kommt im wesentlichen durch diverse Ausrüstungs-, Fertigkeits-, (teils klassentypische) Eigenschafts- und Ebblisten in das Spiel, wobei diese gerne etwas (zu) umfangreich werden. So kommen die 13 Grund-Ebbfertigkeiten Beispielsweise mit je 21 verschiedenen (immerhin kurzen) Ausprägung daher – je eine für jeden Skilllevel – was zwar eine sehr detaillierte Differenz zwischen den verschiedenen Rängen ermöglicht aber eben auch erschlagend wirken kann zumal es nötig sein kann auch auf niedrigere Ausprägungen zurückzugreifen. Solche Listen ermöglichen es das Setting recht detailliert umzusetzen, es bedarf dadurch aber auch einiges an Einarbeitungszeit. Zudem erfordert es von Spieler- und Spielleiter einige Übersicht, da die meisten Effekte durch Beschreibungen statt durch simple Boni und Mali erläutert werden. Schön ist dabei, dass die Fertigkeiten und Eigenschaften nicht bloß abgearbeitet werden, sondern auch grob ‚erklärt‘ werden, also etwas Hintergrund in die Beschreibungen einfließt. Die Spieltischnähe wie sie z.B. Gumshoe vorlegt (ein System in dem sich der für SLA hauptverantwortliche Dave Allsop ebenfalls souverän bewegt), dafür aber den Flair älterer Hintergrundintensiver Systeme vermittelt. Statt schnellen Zugriff am Spieltisch gibt es klare, erklärte und detailliert beschriebene Effekte die genau in diese eine Welt passen. Kurz gesagt: man kann sich das System von SLA Industries als etwas sperrig, und dafür sehr Settinggebunden vorstellen, vielleicht vergleichbar mit regelintensiveren GURPS-Quellenbüchern.
Fanbase
Das System ist sicherlich Geschmacksache und braucht für einige kleinere Macken de ein oder Hausregel. Hier liefert die überhaupt (früher einmal) sehr aktive Fanbase einiges an Support. Mit SLAB entsprang dem Blutschwerter/Aktion-Abenteuer-Forum beispielsweise eine umfanrgeiche (und ausnahmsweise deustchsprachige) Regelüberarbeitung die in guter Nähe zu unzähligen anderen Tipps und Zusatzmaterialien im Forum steht. Wer mit dem Originalystem hingegen garnichts anfangen kann findet sogar eine umfangreiche Savage Worlds Adaption.
Daneben existieren wirklich unzählige Fanprojekte. Von kleineren Artikelreihen und Zeitschriften reicht das Format dabei bis hin zu umfassenden Quellenbüchern. Auch wenn manches in den letzten Jahren zu verschwinden droht, dürfte man mit etwas Suche auf eine unglaubliche Menge an Fanwork stoßen. Aber auch etwas aktuellere Zusatzmaterialien sind – sogar offiziell unterstützt – im Forum zu finden.
SLA Today
Das ganze führt uns in die Gegenwart von SLA Industries. Das System wird noch heute weitergeführt. Nightfallgames arbeiten – wenn auch langsam – an einer ganzen Reihe an Publikationen, inklusiver großer Quellenbücher und sogar einem SLA 2.0. Dies hat auch schon zu konkreten neuen Produkten geführt, die jedoch primär den Weg über pdf und direktvertrieb gefunden haben. Das größte Produkt sind dabei die Hunter Sheets 2. Diese schließen an das letzte Quellenbuch der alten Reihe an und enthalten 20 Schurken die zum Abschuss freigegeben sind. Die teilweise wirklich (psychisch) heftigen Gegner werden dabei mit in-game nutzbaren Sheets vorgestellt und um Zusatzinformationen für den SL bereichert. Dabei wissen die Zusatzinfos zu überzeugen, sie liefern detaillierte Kampftaktiken, Motivationen hinter den Gegnern und oft sogar nützliche neue Gegenstände und Fertigkeiten. Die Sheets erscheinen wie alle anderen neuen Produkte in einem neuen modernen Design. Der Stil geht weg von den alten Tuschezeichnungen und hin zu sehr modernen realistischen Illustrationen die jedoch den groben Stil der alten Reihe modernisiert aufnehmen.
Inhaltlich verlagert sich das Spiel auch. Die bereits erwähnte Truth wird etwas offener aufgegriffen und das Spiel entwickelt sich stärker in eine mystische und investigative Richtung. Wer SLA garnicht kennt, kann bei den neuen Publikationen etwas in straucheln kommen, da die Publikationen doch voraussetzungsreich sind und man vieles nur versteht wenn man mit dem Metaplot von SLA vertraut ist. So oder so kriegt man aber eine Fülle an hochinteressantem und qualitativ umgesetzten Material. Wer es etwas Bodenständiger mag sollte sich beispielsweise Klicks End anschauen um einen Eindruck vom neuen Prouktlayout zu machen ohne von Metaplot und Metaphysik erschlagen zu werden.
Fazit
SLA vermag bis heute durchs einen sehr ungewohnten Hintergrund zu überzeugen. Auch wenn das teilweise heftig brutale Spiel nichts für jeden Geschmack ist, hat es eine Tiefe die man nur selten findet. Auf Grund seines Alters muss man sicher einiges anpassen und kann es in Teilen nur als Retroprodukt betrachten, gerade was den Stil der ersten Bände angeht. Gerade die neuen Produkte weisen dafür eine sehr interessante Wende auf und aktualisieren das Spiel ohne den alten Hintergrund wegzustreichen. SLA hat also nicht zu unrecht seine Liebhaber die auch trotz spärlichem Nachschub an Shivern, Carriern und Slayer festhalten…
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