Cthulhu Libria Neo

Die Natur schlägt zurück!

Goblin Press dürfte Kennern der Horrorliteratur längst ein Begriff sein. Der kleine, spezialisierte Verlag ist die Heimat ausgewählter deutschsprachiger phantastischer Literatur, die oft im Umkreis des Lovecraft Mythos angesiedelt ist. Der Cthulhu-Mythos ist auch Titel- und Tonangebend für das dort erscheinende Cthulhu Libria Neo (CLN) Magazin. Stilecht in schwarz-weiß und ohne echte Titelseite gehalten, lässt das Heft an fast vergessene Fanzine-Zeiten zurückdenken. Auch wenn man ohne Hochglanz, Farbe oder Seitenzahlen auskommt, kann das Heft seinen eigenen Charme entfalten. Die zahlreichen Tuscheillustrationen und düsteren Fotos sind äußerst stimmungsvoll eingebettet und lockern das Heft auf beklemmende Weise auf. Hier steckt einige Arbeit in der Gestaltung, die man vielleicht nur auf den zweiten Blick wahrnimmt.

Der Eindruck eines Fanzines trifft aber nicht nur die Gestaltung. Das Heft selber ist eine Plattform für einschlägige Autoren und Aktive, also Vollblutfans,  der gegenwärtigen deutschsprachigen Horror- bzw. Phantastik-Szene.  Um nur einige zu nennen wären da Jörg Kleudgen als Mitherausgeber des Heftes und Eigner des Goblin-Press Verlages, der sich für die meisten Artikel und Zeichnungen des Heftes verantwortlich zeigt; Autor Uwe Voehl; Nils Gampert von der Deutschen Lovecraft Gesellschaft; Tobias Reckermann vom White Train Verlag, Autor und umtriebiger Rezensent Elmar Huber oder Illustrator David Staege.

Besprechungen

Voehl und Kleudgen geben in der „Horror-Fabrik“ zum Einstieg einen persönlichen Blick auf aktuelle Veränderungen der Horrorlandschaft. Nennenswerte Neuerscheinungen und eingestellte Serien werden ebenso kurz angerissen, wie einem verstorbenen Kollegen (Lothar Sauer) gedacht wird. dabei sind die beiden Texte bewusst subjektiv und involviert geschrieben, womit dem Heft ein passender Einstieg bereitet wird. Denn genau so ein Ein- und Überblick prägt das ganze Heft. So finden wir Besprechungen eines Hörspiels („Der schwarze Mann“ von Daniel Schenkeln), Besprechungen von zwei Romanen und einer Kurzgeschichtensammlung, sowie im Herzen des Heftes eine Zusammenstellung zum Ausgabenthema: „Die Natur schlägt zurück“.

Dieser immerhin 18 Seiten umfassende Titelartikel ist in seiner Form recht ungewöhnlich. Statt eines geschlossenes Artikels, stellen verschiedene Autoren je einen Klassiker der Horrorkunst (Literatur, aber auch ein Film) vor dem Hintergrund des Naturmotivs vor. Mit beachtlicher Kenntnis der Materie, werden bekannte und unbekanntere Werke der Horrorphantastik hervorgehoben und diskutiert. So etwa Blackwoods „Weiden“, Machens indirekter Vorgänger der Buchvorlage zu Hitchcocks „Vögeln“ oder die Vampirpflanzen im Sword & Sorcery Genre von Conan-Schöpfer Howard. Der Sammelartikel ist dabei eine Mischung aus Vorstellung und Diskussion. Manch eine Beschreibung nimmt die Geschichte zu Gunsten einer Deutung ganz vorweg, andere Autoren wollen primär Lust aufs Lesen machen und weisen daher lediglich Querverbindungen auf. Insgesamt fungiert der Artikel als Genrevorstellung anhand der man sich Naturdiskussionen der Horrorliteratur erschießen kann. Es ist fast unmöglich hier seine Leseliste nicht zu erweitern.

Interviews

Auch die zwei Interviews dienen diesem doppelten Zweck: Vorstellen und Einordnen. Recht kurz wird W. H. Pugmire – die Königin des Eldritch Horrors – im Gespräch mit Erik R. Andara vorgestellt und auf deutsche Erstübersetzungen hingewiesen. Dabei wird auch ein Blick auf die Konstitution des Horrors geworfen. Also etwa die Frage, welche Funktion Horrorliteratur einnehmen kann, was hier insbesondere in der persönlichen Biographie Pugmires deutlich wird. Eine einseitige, illustrierte Kurzkurzgeschichte gibt uns schließlich sogar die Möglichkeit eine Kostprobe von Pugmires in Deutschland eher unbekanntem Werk zu bekommen.

Deutlich umfangreicher ist das Interview von Reckermann mit Dr. Rainer Zuch. Hier steht dessen kommende Neuerscheinung bei Goblin Press – „Thronos“ – im Mittelpunkt. Auch sonst gibt es die ein oder andere Literaturempfehlung, der Kunsthistoriker und Phantastikforscher zieht aber hauptsächlich Verbindungen zur Genese und Bedeutung des Horrorgenres. Äußerst spannend diskutiert er etwa die Frage, wieso sich die Phantastik bei der Thematisierung von Kunst fast nie aus einem simplen Realismus hinaus bewegt und dadurch einer der Gundfragen der Phantastik – „Was oder wie ist Wirklichkeit“ – auf kunsttheoretischer Ebene fast schon ausweicht. Abstrakte, avantgardistische Kunst bedient oft ähnliche Fragen wie die Horrorliteratur, bleibt aber in dieser oft außen vor (außer etwa hier). Pickanns Modell ist realistisch, nicht surreal. Überhaupt wird Theorie im Interview groß geschrieben. Egal ob die Frage nach Realitätskonzeption, dem Aufkommen von Esoterik und Faschismus, das naturwissenschaftliche Weltbild, Zuch kommt treffend und pointiert auf die großen Komplexe der Phantastik und Horrorliteratur zu sprechen und Reckermann ergänzt und kontextualisiert. Wer Phantastik nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch durchdringen will, bekommt hier ein äußerst spannendes wie umfangreiches Interview geboten das zeigt, wie lebendige Phantastikforschung aussehen kann und wozu sie gut ist.

Eher untheoretisch ist ein drittes, fast schon verstecktes Interview. Zeichner David Staege stellt sich 5 Fragen, die er in Form von Bilderreihen beantwortet. Eine für den kreativen Künstler äußerst passende und sympathische  Idee.

Sonstiges

Neben Besprechungen und Interviews ist auch Platz für eher ungewöhnliche Formate. In „Der vergessene Bücherschrank“ wimdet sich Jörg Kleudgen seinem persönlichen Eindruck der DDR Science Fiction, insbesondere von Johanna und Günter Braun. Viel wird vorweggenommen um den besonderen Twist dieser sozialistischen (?) Science Fiction darzustellen und ein paar Worte und Zeichnungen von Künstler und Oppositionellem Thomas Franke runden den kurzen Artikel ab.

Etwas klassischer aber thematisch passend fällt die einseitige Kurzkurzgeschichte „Der Magier“ von René Feldvoß aus. Nicht überzeugen konnte mich hingegen Uwe Voehls kurzer Text über den „Genius Loci“ der Externsteine. Die will er als mystischen Ort interpretieren und dessen phantastische Wirkung einfangen. Dabei verfällt er jedoch unkritisch einem Ursprungsmythos und auch die Esoterikszene kommt hier durchgehend positiv weg. Während Mystik und Okkultismus selbstverständlich ein legitimes Sujet der Phantastik sind, scheint mir hier die Grenze zwischen fasziniertem Interesse und Affirmation überschritten worden zu sei, weshalb ich mit dem Artikel wenig anzufangen weiss.

Fazit

Die Cthulhu Libria Neo richtet sich an Fans der dunklen Phantastik. Die Autoren sind Kenner und Aktive der Horrorlandschaft die es wissen, ihre Begeisterung für das Thema zu vermitteln. Reich kann und will mit dem 48 Seiten starken Heftchen niemand werden, stattdessen geht es darum, eine Plattform für die Diskussion neuer und klassischer düsterer phantastischer Literatur zu schaffen.

Durch das Schwerpunktthema und den Besprechungsteil gelingt es einen guten Einblick in die Literaturlandschaft zu geben, der unzählige Leseempfehlungen ausspuckt. Allein, dass das Heft Lust aufs Lesen macht, ist schon Grund genug für einen Blick ins Heft. Die umfangreichen Interviews und Blicke hinter die Kulissen der Phantastiklandschaft bieten zusätzlichen Lesegewinn. Keine leichte Kost, aber mehr als lohnenswert für alle (werdenden) Freunde und Freundinnen der düsteren Literatur.

Die Cthulhu Libria Neo kann beim Herausgeber joerg (ät) the-house-of-usher.de für 6€ inkl. Porto erworben werden.

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