Soldierboy

Ein Roman von Joe Haldeman

Und ich fragte mich welche simple Wahrheit ich nicht erkannte, weil ich zu tief drinnen steckte.

Nein, friedlich ist die Welt wirklich nicht in die Julian Class da in Soldierboy geworfen wurde. Und das obwohl der Roman auch unter dem Namen “The Forever Peace” – “Der ewige Friede” veröffentlicht wurde. Im dritten – aber eigenständigen – Teil der Forever War Reihe (Rezensionen zur Gesamtausgabe: 1, 2, 3) ist das Militär zuerst genauso präsent wie im ersten Teil. Der schwarze Hauptcharakter Julian ist zwar Physikdozent aber gleichzeitig Operator im Militärdienst. Auch wenn die Welt in keinem heißen Krieg steht, befindet sich die Allianz (hier primär die USA) mit den Ngumi (im Roman primär in Meso- und Südamerika) in einem asymmetrischen Konflikt der immer wieder nach Militäraktionen ruft. Im 21. Jahrhundert nutzt die Allianz dabei die titelgebenden Soldierboys – quasi ferngesteuerte Kampfroboter – um die Drecksarbeit auszuführen.  Ähnlich wie auch die Kampfanzüge im ersten Teil reichen leichte Muskelanspannungen um die Kampfmaschinen in Bewegung zu setzen, nur das die Operatoren diesmal ein gestöpselt an einem sicheren Ort sind und somit nicht unmittelbar im Konflikt stehen, wenngleich Feedbackwirkungen zu höheren Todesraten als unter den einfachen Soldaten – den Stiefeln – führen. Möglich wird dies durch einen der Hauptkniffe des Buches, der Möglichkeit Gedanken unmittelbar auszulesen und weiterzugeben. Durch eine mit dem Gehirn verbundene Buchse im Hinterkopf eines Operators (und manches Zivilisten) ist es möglich die Maschinen direkt zu steuern. Damit einher geht die noch spannendere Möglichkeit mit dem Rest des Zuges in unmittelbaren telepathischen Kontakt zu stehen. Dies ermöglicht die schnellsten Kommunikationswege führt aber auch zum völligen Aufgeben der Privatsphäre da die Bewusstseins des Zuges miteinander verschmelzen. Damit wird auch ein Thema des ewigen Krieges aufgegriffen, nun aber völlig anders interpretiert…

Die Welt
Das erste Drittel des Buches dient hauptsächlich dazu die neue Welt vorzustellen. Haldeman führt dabei verschiedene hochspannende Änderungen ein, die Welt die nicht einmal 50 Jahre nach dem Veröffentlichungsjahr (1997) angesiedelt ist  fühlt sich aber weitgehend gewohnt an. Wichtige soziale Neuerungen werden durch die sogenannten Nanoschmieden ermöglicht die aus wenigen Grundsubstanzen alle beliebigen Gegenstände erzeugen kann die eine gewisse Größe nicht überschreiten. Dadurch verändert sich die Ökonomie und die Bürger der Allianz müssen bis auf 3 Jahre Staatsdienst keiner Tätigkeit nachgehen, während andere Teile der Welt vom Wohlstand abgeschnitten bleiben. Lediglich für Luxusgüter braucht es für die Allianzbürger – wiederum durch den Staat zugewiesene Rationspunkte – oder meist aus dubiosen Quellen stammendes Echtgeld. Etwas besser haben es da Militärbedienstete die ein höheres Maß an Luxusgütern nutzen können und sich bei alle dem auch noch wichtig fühlen können

Die Auswirkungen dieses Sozialstaats höherer Qualität  kommen im Roman nur am Rande vor, sind aber durchaus plausibel. Immer wieder stößt man auf ähnliche kleinere Details die die Welt lebendig machen. So folgen Teile der Zivilbevölkerung fast fanatisch den (zensierten) Fernsehübertragungen der Soldierboyeinsätze und werden daher als Warboys bezeichnet. Auch die Möglichkeiten eines “Anschlusses” schlagen sich auf eine makabere Erlebniskopfkinoindustrie und die Prostitution nieder und Details wie die relativ üblichen Speedpflaster mit denen man sein Schlafbedürfnis reduzieren kann gliedern sich ebenfalls nahtlos in diese etwas dunkle aber nicht allzu weit entfernte Zukunft ein…

Psy-Fi
All diese Änderungen sind in sich schlüssig aber nicht unbedingt weltbewegend. Davon heben sich lediglich die Anschlüsse ab, die als Thema das ganze Buch durchziehen. Wie erwähnt ermöglichen diese Kontakte die Möglichkeit mehrere Bewusstseins miteinander zu verbinden, wobei dieser Kontakt einseitig oder beidseitig funktionieren kann. Auch ist es möglich ein Bewusstsein so mit Empfindungen zu speisen, was in der Unterhaltungsindustrie eben genannte Jack-Schuppen zur Folge hat, die es ermöglichen alleine oder zu mehreren ein Erlebnis eines anderen Bewusstseins nachzufühlen wobei sich gerade makabere Extremsituationen großer Beliebtheit erfahren. Auch Sex spielt bei all dem eine große Rolle, was für Haldeman nicht verwunderlich ist. Wer es mag kann solche Kinoerlebnisse mit Jack-Prostituierten besuchen und die intensive Erfahrung von angeschlossenem Sex wird ein spannendes Eifersuchtsmotiv für Julians Partnerin werden. Neben der Frage, welche Wirkung die Anschlüsse auf (Liebes)Beziehungen haben geht Haldeman weiter und denkt an, was es für Geschlechterrollen bedeuten kann wenn man gleichzeitig in dem Körper oder gar den Körpern eines anderen Geschlechtes steckt. Haldeman geht diesen Fragen mit vielen Überraschungen und äußerst konsequent nach. Wie auch im Ewigen Krieg ist seine große Stärke die Konsequenz mit der er technische – oder hier eben auch psychologische – Entwicklungen denkt. So machen auch die ersten hundert Seiten viel Spaß in denen man hauptsächlich Julians Privatleben verfolgt und Einblicke in die Welt von 2043 gewinnt.

Die Story
Bei solchen bloßen Beschreibungen und philosophischen Überlegungen bleibt es natürlich nicht. Die eigentliche Story entsteht relativ überraschend und ist in Verbindung mit einem physikalischen Forschungsprojekt. Dessen Ergebnisse scheinen eine wahrhaft kosmische Konsequenz zu entwickeln, doch niemand möchte das wahrhaben. Der Regierung scheint eh alles egal zu sein und das Militär will schon gar nichts davon wissen, während die Mitakademiker sich realistischer Weise nur um Ihre Beschäftigung kümmern. So entwickelt sich ein Physik-Thriller der zum Glück (und Julians Bedauern) ohne Formeln auskommt. Julian gewinnt Einblicke in eine tiefe Verschwörung und wird gezwungen einen Plan zu Entwickeln der die ganze Evolution der Menschheit betreffen wird und an den er sich zeitweise nicht mal erinnern kann…
Die Handlung entfaltet sich plausibel und führt auf persönlicher Ebene zu gravierenden Konsequenzen. Auch wenn manche Agentenszenen etwas altbekannt wirken schafft Haldeman es eine spannende Geschichte zu entwickeln die durchgehend mit den erwähnten technischen Veränderungen arbeitet. Wie kann beispielsweise ein Plan geheim gehalten werden wenn es ein leichtes ist die Kontakte der involvierten Personen anzuzapfen und was passiert wenn Personen eine Art Symbiose eingehen?

Fazit
Soldierboy ist eine herausragende Geschichte die zurecht einzeln publiziert wurde. Wer die anderen Teile der Trilogie nicht kennt wird nichts vermissen und wird in ein spannendes Gedankenexperiment mit gelungener Handlung gezogen. Auch wenn die Charaktere nicht immer die tiefsten sind, bleiben Sie einem in guter Erinnerung und die Idee der Gedankensymbiose sowie der ferngesteuerten Kampfgeräte (Stichwort: Drohnen) sind auch 15 Jahre später noch aktuell.
Wer den ganz klassischen Haldeman mit Vietnamkriegsverarbeitung (die sich immer noch finden lässt) und Zeitdilletation sucht ist mit dem “Ewigen Krieg” (also Teil1 der gleichnamigen “Trilogie”) natürlich besser beraten, aber der Ewige Frieden kann mich auf seine eigene Art fast genauso überzeugen. Für Vielleser kann ich eh nur den Griff zur Eingangs erwähnten Gesamtausgabe zum doppelten Preis empfehlen. Die enthält Soldierboy ebenfalls, wobei der Einzelband ein etwas angenehmeres Layout aufweist, aber leider kein erneutes Lektorat verpasst bekommen hat. Auch wenn die Übersetzung sehr behutsam und gelungen geschehen ist, stören leider einzelne Tipp- und Satzbaufehhler die sich auch in der Neuauflage zeigen. Von diesem kleinen Manko abgesehen, liefert Haldeman großartige Science Fiction Unterhaltung mit Tiefgang die dank Mantikore eine würdige deutsche Ausgaben gefunden hat.

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