Lovecrafter #4
Lovecraft und Europa
Nicht einmal ein halbes Jahr ist es her, seit die dritte Ausgabe des Lovecrafters erschienen ist und schon hat die vierte die Vereinsmitglieder und andere Lovecraftbegeisterte erreicht. Trotz der relativ kurzen Zeit, ist es dem fleißigen Team gelungen, dass 76-Seiten starke Heft randvoll mit Inhalt zu füllen und gewohnt umwerfend zu gestalten.
Das Drumherum
Auch der vierte bzw. fünfte Lovecrafter, wenn man die Nummer 0 hinzuzählt, ist zuerst einmal das Vereinsmagazin der Deutschen Lovecraft Gesellschaft. Dementsprechend begrüßt uns neben dem Vorwort von Chefredakteuer Axel Weiß eine Vereinsseite. Stilecht an Howard – also Howard Phillips Lovecraft – gerichtet, berichtet die Doppelseite über die Entwicklungen des Vereins, wobei die rollenspielerischen Fortschritte im Mittelpunkt stehen. Die anRUFung 2018 belegt den Fokus auf das cthuloide Rollenspiel ebenso, wie das mittlerweile als Schnellstarter und online zur Verfügung stehende FHTAGN Rollenspiel.
Mit dem Rollenspiel geht es im Lovecrafter selber jedoch nicht los. Zwar nimmt der (Rollen-)Spielbereich mehr als ein Drittel des Heftes ein, der Schwerpunkt wurde aber auf Lovecraft selber gelegt. Den Aufschlag macht hier ein kurzes aber frisches Interview mit der Künstlerin Svenja Ritter, die seit einigen Jahren cthuloide Kunst betreibt, wobei neben Malerei auch Skulpturen zum Repertoire gehören. Kräftig in Szene gesetzt geben 7 Bilder neben dem Coverartwork einen Einblick in das surrealistisch geprägte Werk der Künstlerin. Auch das Interview selber offenbart einige Interessante Verbindungen und diskutiert etwa die Nähe von Surrealismus und dem Mythos. Eine Frage die übrigens schon die Schotten von Pelgrane Press zum Quellenband gemacht haben…
Schwerpunkt: Lovecraft und Europa
Der Schwerpunkt des Heftes liegt diesmal konsequent auf Europa. Nachdem die letzte Ausgabe die deutschsprachige Cthulhu-Rezeption diskutiert hat, wirft die vierte Nummer ihren Blick ins europäische Ausland, namentlich Ungarn, Polen und Frankreich. Dazu konnte die Deutsche Lovecraft Gesellschaft Mitstreiter ausfindig machen die in ausführlichen Interviews über die Lovecraftszene in ihren Heimatländern berichten.
Mit Jószef Tomasics konnte der Chefredakteur des führenden ungarischen Online-Magazins der ungarischen Lovecraft Gesellschaft gewonnen werden. René Porschen steigt etwas umständlich in das Gespräch ein, entwirft aber ein höchst informatives Interview über die ungarische Lage der Lovecraft-Szene. Insbesondere das stilecht in Altpapier gedruckte und mit knalligen Covern versehene Magazin Black Aether rückt dabei in den Mittelpunkt und bebildert das umfangreiche Gespräch. Aber auch die diversen online Formate, zeitgenössische ungarische Weird Fiction und etwas Politik finden Platz im Interview und vermitteln ein plastisches Bild der Landschaft.
Ähnlich ist auch das ebenso umfangreiche Interview mit dem umtriebigen Übersetzer und Online-Redakteuer Mateusz Kopacz gehalten. Nils Gampert entwirft mit seinen Fragen ein Bild der polnischen Community. Kopacz‘ wacher Blick für Rezeptionslinien, die polnische Verlagslandschaft und den Einfluss der politischen Lage ist nicht nur in Hinblick auf die polnische Szene aufschlussreich. Hinweise auf zeitgenössische Autoren und ein historischer Exkurs zur polnischen Weird Ficiton lassen einen außerdem etwas bedauern, wenn man kein polnisch lesen kann.
Etwas anders und ungleich knapper fällt der Ausflug von Nils-Gerrit Horz nach Frankreich aus. Er gibt einen Überblick über die frühe Lovecraftrezeption in Frankreich, wobei er detailliert auf französische Lovecraft-Veröffentlichungen eingeht und ebenso spannende wie bedenkliche pseudo-wissenschaftliche Lovecraftaneignungen auffindet. Bergier und Pauwels nutzten Lovecraft für ihre prä-astronautische Weltsicht, die in Deutschland hauptsächlich durch von Däniken populär wurde. Eine Verbindung die auch nicht jedem bewusst sein dürfte.
Neben dem europäischen Blick auf Lovecraft, wird auch der Lovecraft’sche Blick auf Europa thematisiert. Axel Weiss beschäftigt sich ausgiebig mit Lovecrafts „European Glimpses“, einem etwas anderen Reisebericht, der auf Aufzeichnungen von Lovecrafts Ex-Frau Greene basiert. Recht detailliert fasst Weiss die einzelnen Reiseetappen zusammen, ordnet sie gut recherchiert ein und kommentiert. Stimmig bebildert bekommt man so eine gut strukturierte Übersicht über Lovecrafts Europabild der Reiseberichte, die sich selber eher zäh lesen dürften.
Das Europabild in Lovecrafts Geschichten ist schließlich Thema des Artikels „Von den merkwürdigen Hexenmeistern aus Europa“ in dem der oder die ungenannte AutorIn versucht, Lovecrafts Europabild vornehmlich anhand seiner Geschichten zu rekonstruieren. Lovecrafts Verhältnis zu England als seinem Wahl-Mutterland, sein zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland und seine Abwertung von Irland und Osteuropa werden gut nachvollziehbar dargestellt. Beide Artikel bleiben dabei weitgehend beschreibend. Eine tiefgehende Einordnung von Lovecrafts Bild von Europa bleibt aus, wir bekommen aber die Koordinaten und Textstellen geliefert um das Puzzle zusammenzusetzen.
Und die Politik?
Wiederkehrendes Thema des Heftes ist neben Europa die Politik. Der oft thematisierte Rassismus von Lovecraft ist Gegenstand der beiden großen Interviews und ist natürlich auch in den beiden Europaartikeln präsent. Während sich die Interviews tendenziell für eine Trennung von Werk und politischer Ausrichtung Lovecrafts aussprechen, bleiben die Artikel zum Europabild erstaunlich neutral. Lovecrafts Begeisterung für Hitler wird eben so wenig verschwiegen, wie seine Verachtung für Slawen. Konsequenzen oder eine echte Einordnung werden aber nicht vorgenommen. Lovecrafts Rassismus wird tendenziell unterschätzt und eher re- denn dekonstruiert. Sein Plädoyer für eine völkisch-rassistische Weltanschauung scheint am Ende des Hexenmeisterartikels sogar als Anerkennung der nationalen Differenzen umgedeutet zu werden. Wer etwas naiv an den großen alten Autoren herangeht, dürfte aber etwas erschrocken sein, wenn Lovecrafts Entsetzen über den ersten Weltkrieg darin besteht, dass er die teutonische Rasse zersetze, oder er seine Sympathie für den „Burschen“ Hitler bekundet.
Im harten Kontrast dazu steht die Besprechung von Houellebecq’s einflussreichem Aufsatz „Gegen die Welt, gegen das Leben.“ Steffen Waschul gibt einen kurzen aber pointierten Überblick über die Kernthesen des Aufsatzes und horcht so den literarischen Quellen Lovecrafts nach. Die sieht Houellebecq in einer grundsätzlichen Verachtung Lovecrafts für das Leben, die sich durch seine Erfahrungen in New York zum Rassismus formt. Die mit „Holocaust“ überschriebene These benennt Lovecrafts Rassismus in Waschuls Worten gleichzeitig „als größte Schwäche, als auch als größter Antrieb.“ Mit anderen Worten: Lovecrafts Hass auf die Welt kann dank des Rassismus zu Papier gebracht werden. Eine scharfe These, die der Rezensent jedoch nicht politisch aufnimmt oder kritisiert, sondern lediglich mit Lovecrafts Biographie abgleicht, der er auch positive Weltbezüge zuschreibt. Houellebecq’s These stellt jedenfalls ein bedenkenswertes Gegengewicht zur üblichen, abwehrenden Trennung zwischen Autor und Rassist Lovecraft dar.
Am Spieltisch
Politisch geht es auch im (Rollen-)Spielbereich des Heftes weiter. Mit dem „Bund des Dreizehnten Sterns“ von Marc Thorbrügge wird ein Kult entworfen, der sich im EU-Parlament festgesetzt hat. Dabei vermeidet der Autor reale verschwörungstheoretische Ideen und schafft einen „plausiblen“ Kult der Dekadenz. Beispielskultisten und eine Szenarioidee bieten findigen Spielleiterinnen genug Stoff für einige Abende Spielspaß.
Darüber hinaus versammelt der Lovecrafter zwei Ergebnisse des FHTAGN-Abenteuerwettbewerbs von 2017. „Die Mauer“ von Nadia Quarante und Arne Handt spielt in der deutschen Gegenwart und führt in eine ganz eigene Version der Traumlande. Das recht kurze Abenteuer ist schnell vorbereitet und überzeugt durch ein ungewöhnliches und starkes Setting.
In „Für den König“ von Ingmar Vogelsang wird an die Hannover-Regionalbeschreibung des letzten Heftes angeknüpft. Wir werden in die Geschehnisse des Kapp-Putsches verwickelt. Das etwas klassischer ausgelegte Abenteuer kommt mit einigen schön gestalteten Handouts daher und überzeugt durch seine Einbindung ins historisch-studentische Hannover.
Mit einem innovativen Kult und zwei ausgearbeiteten Abenteuern wird Cthulhu Fans einiger Spielwert geboten. Darüber hinaus wirft Thorsten Panknin einen Blick auf das eher unbekannte erzählrollenspiel „Lovecraftesque“. Hierbei handelt es sich um ein spielleiterloses Rollenspielsystem mit interessanten Überlegungen um einen Mythos im laufenden Spiel zu generieren. Panknins recht detaillierter Überblick verschafft einen schönen Einblick und listet praktischerweise auch Erweiterungen zum Spiel auf.
Für Nicht-Rollenspieler findet sich schließlich ein knapper Artikel zu Cthulhu-Würfelspielen. Isabel und Ulrich Thomas betätigen sich auch diesmal als rasende Reporter der Spielelandschaft und behandeln Henning Poehls „Ratten im Gemäuer“, das Kultistenspiel „IÄÄ! Cthulhu! Fhtagn!“ sowie „Ältere Zeichen“ und das kleine „Cthulhu Dice“. Auf knappen zwei Seiten bleibt es dabei eher bei einer Übersicht, zumal die ungewöhnliche Präsentation recht viel Raum einnimmt. Vermutlich haben die beiden Autoren aber recht damit, dass es bei näherem Interesse bereits genug Rezensionen im Netz gibt. Unterhaltsam sind die Seiten jedenfalls allemal.
Fazit
Eigentlich ist ein Fazit beim Lovecrafter fast unnötig. Jede Ausgabe konnte bisher überzeugen und glänzt durch spannende Inhalte und ein großartiges Layout. Besonders die Orientierung an einem Schwerpunkt gelingt wieder einmal ausgezeichnet. Das Thema Europa bildet den Drehpunkt des Heftes, gibt Struktur und wirkt nirgends aufgezwungen. Sowohl für Literaten als auch Rollenspieler ist jede Menge Material enthalten. Für anspruchsvolle Cthulhu-Spielleiterinnen und Lovecraftianer ist das Heft daher auch diesmal ein Pflichtkauf.
Alle bisher erschienenen Ausgaben des Lovecrafters können exklusiv über den Cthulhu-Webshop bezogen werden.
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