Lovecrafter #5

Lovecraft und Algernon Blackwood

Wenn sich aus den Fenstern eines Archäologie-Museums gigantische Tentakel recken, weiß man, dass etwas Großes ins Haus steht. In Herne brach zwar nicht Cthulhu persönlich aus den alten Relikten R’lyehs, aber im Rahmen der langen Nacht der Industriekultur haben einige Phantasten und Lovecraft-Begeisterte das archäologische Museum zu einem Spiel- und Gruselort verwandelt. Neben Lovecraft-Lesungen war natürlich auch die Deutsche Lovecraft Gesellschaft (DLG) präsent, die seit längerem am Einfluss der großen Alten auf Herne beteiligt ist. So gab sich die Möglichkeit für ausgiebigen Plausch mit dem Verein und man konnte mit etwas Merchandise seine Faszination fürs Grauen aus Innsmouth (oder Herne) ausdrücken. Und als ob die Sterne richtig stünden, kam dann auch noch die fünfte Ausgabe des Lovecrafters pünktlich aus der Druckerpresse.

Das Vereinsmagazin der DLG begeistert mich schon seit der Nullausgabe und verspricht etwa halbjährlich hochqualitative Neuigkeiten aus der Cthulhu-Szene und nicht zuletzt auch Rollenspielmaterial…

Vereinsleben

Als Vereinsmagazin setzt jeder Lovecrafter mit ein paar Worten vom Vorstand inklusive einem Vor- und Rückblick auf die Vereinsaktivitäten ein. In diesem Fall verkündet der Schatzmeister Christian Heissler gebührlich seinen Abschied und es werden insbesondere die nahenden Veranstaltungen angekündigt. Auf einer extra Seite stellt Steffen Waschul dann die Aktivitäten in Herne vor, also eben jene bereits angerissenen tentakeligen Angelegenheiten in Herne. Aber natürlich ist der Lovecrafter mehr als ‚nur‘ ein Vereinsmagazin.

Schwerpunkt: Blackwood

Im Mittelpunkt des Lovecrafters steht erwartungsgemäß Lovecraft selber: Kein Artikel der nicht irgendwie mit dem Meister – oder zumindest Gründungsvater – des kosmischen Horrors zusammenhängt. Als Schwerpunkt hat man sich jedoch bei den meisten Ausgaben auf Einflüsse auf Lovecraft konzentriert. In dem Fall wurde der nicht allzu bekannte Algernon Blackwood gewählt, der von Lovecraft immerhin einmal als „der größte lebende unheimliche Phantast“ bezeichnet wurde. Auch wenn das Urteil etwas komplexer ausfällt, sind Blackwoods Weiden und der Wendigo zweifelsohne große Klassiker des Genres und insbesondere die Weiden sind ein wundervolles Beispiel für unbestimmten Horror und gelten gewissermaßen als Vorläufer des kosmischen Horrors.

Die Klassiker finden auch im fünften Lovecrafter ihren Platz, den Einstieg macht aber Nils Gampert mit einem Blick auf die populären aber nur mäßig cthuloiden okkulten Detektivgeschichten um John Silence. Dazu greift er direkt auf die Geschichte und Genese des Genres zurück und vermag es, diese in den Kontext ihrer Zeit zu stellen. Die umfangreiche Abhandlung bietet eine wunderbare Einordnung und einen umfassenden Überblick über das unerwartet verschachtelte Genre. Ein gelungener Einblick der vielleicht auch für okkultes Investigationsrollenspiel inspiriert.

Statt einer umfangreichen Bio- oder Bibliographie zu Blackwood, wurde sich diesmal für ein Kamingespräch entschieden. Niels-Gerrit Horz und Max D. Becker sprechen mit Blackwood-Übersetzer Achim Hildebrand über Herausforderungen des übersetzens und drei nicht ganz bekannte Blackwood Geschichten. Das Format ist interessant und liest sich weitgehend gut, ein echtes Gespräch will aber nicht aufkommen. Vielmehr sind es längere Monologe der Gesprächspartner die nur am Rande aufeinander eingehen. Auch die Spekulationen über die „russische Seele“ wirken wenig zeitgemäß. Nichts desto trotz ist das Format eine gute Möglichkeit um Übersetzung, Biographie und mehrere Geschichten zu besprechen. Ich habe mir danach jedenfalls direkt „Valley of the Beast“ geschnappt, allerdings rechtzeitig das Interview beiseitegelegt, da die Diskussion nicht ohne Kurzzusammenfassungen (also Spoiler) der Geschichten auskommt.

Da die Weiden eine Pflichtlektüre sind, wurde die Geschichte noch einmal separat seziert. Niels den wir bereits aus früheren Ausgaben und dem Kamingespräch kennen, geht wiederum nicht ohne Spoiler auf die Geschichte ein, geht aber auch auf Blackwoods eigene Erfahrungen auf dessen Donaufahrt ein. So wird der Kontext und Hintergrund der Erzählung beleuchtet und wir werden zum (erneuten) lesen motiviert.

Der Schwerpunkt ist also etwas anders aufgebaut als bisher. Eine Bibliographie oder lange Biographie vermissen wir, der Fokus auf einige – auch unbekanntere – Geschichten gelingt aber ebenfalls gut und wird dem umfassenden Oeuvre Blackwoods vielleicht sogar gerechter. Besonders die theoretische Auseinandersetzung um den okkulten Detektivroman kann überzeugen und greift über Blackwood als Einzelphänomen hinaus.

Aus dem Komplex Blackwood führt auch die Besprechung von Liane Kaiser zu Sherlock Holmes and the Shadwell Shadows. Mit einiger Sachkenntnis diskutiert sie sowohl Holmes als auch Lovecraft und die Verbindung von beiden Ansätzen und Stilen. Das Fazit hätte etwas entschiedener ausfallen können, aber so gewinnen wir eine gute Idee davon, was wir vom Buch erwarten dürfen.

Für Spielerinnen

Der „Cthulhu Play“ Bereich hat für Rollenspielerinnen diesmal eine besondere Überraschung parat. Für das hauseigene und Call of Cthulhu kompatible Fhtagn-System wurde der ebenso vergriffene wie begehrte Klassiker Ultima Ratio von Carsten Pohl überarbeitet und neu abgedruckt. Im etwa einstündigen (!) One-Shot für exakt 3 Charaktere, spielen wir Passagiere der Hindenburg, die… Nein! Bei einer so kondensierten Handlung wäre jedes Wort ein Spoiler zu viel.

Das Abenteuer dürfte dank vorbereiteter und gut integrierter Charaktere äußerst con-tauglich sein und kommt neben Handouts auch mit Tipps für eine Freeform-Umsetzung und Ideen zur Nutzung von Requisiten daher. Ungewohnt ist sicher auch, dass wir diesmal mitten im Nationalsozialismus (1937) spielen und das Layout mit Fraktur und sattem schwarz, rot und weiß voll in diese Kerbe schlägt. Ultima Ratio selber fällt aber nicht pulpig aus und läuft nicht Gefahr das Thema zu klischeehaft in den Mittelpunkt zu stellen. Eher wird das Thema umschifft. So etwa wenn die zentralen Grünfelds ein florierendes Geschäft betreiben, aber in die USA auswandern wollen. Dass es sich hier höchstwahrscheinlich um eine jüdische Familie handelt, legen nur der Name und die Hebräischkenntnisse von Luisa Grünfeld nahe. Für weltanschauliche Fragen ist hier kein Platz, Fokus sind unsere Charaktere die auf engstem Raum unter Zeitdruck stehen.

Die Operation Neuauflage ist dementsprechend gelungen und der Hinweis das auch andere vergriffene Abenteuer so neu aufgelegt werden könnten, macht einige Hoffnung.

Rollenspielerinnen dürfen sich außerdem über eine Besprechung des ungewöhnlichen Ein-Spieler Rollenspiels Quill aus dem Hause System Matters freuen. Mit einem simplen Probensystem und viel Schreibarbeit beschreiben wir in einem Lovecraftmodul unsere einsame Konfrontation mit dem Grauen. André ‚Seanchui‘ Frenzer gibt eine Vorstellung von der Grundidee und diskutiert insbesondere wie so ein Solo-Rollenspiel aussehen kann. Um es ganz zu verstehen, hilft aber wohl nur, es selber zu spielen.

Isabel und Ulrich Thomas Führen uns wie gewohnt in Brett- und Kartenspiele um große Alte. Diesmal geht es ganz um Kartenspiele, die wiederum in einem recht narrativen Stil knapp vorgestellt werden. Die Auswahl ist gut getroffen und weist auch unbekanntere Perlen auf, am meisten habe ich aber aus der persönlichen Empfehlung in der abschließenden Infobox gezogen.

Fazit

Bisher konnte mich noch jeder Lovecrafter vollends überzeugen. Auch die Nummer Fünf macht da keine Ausnahme. Das Layout ist umwerfend professionell und sorgt schon allein optisch für große Freude. Auch wenn Einblicke in die gegenwärtige Lovecraft-Landschaft diesmal etwas fehlen, ist der Fokus auf Blackwood toll gewählt. Für Rollenspielerinnen ist die Neuauflage bekannter Klassiker eine tolle Idee die noch viel verspricht. Tolle Lektüre!

Alle bisher erschienenen Ausgaben des Lovecrafters können exklusiv über den Cthulhu-Webshop bezogen werden.

[EDIT: Vielen Dank für die Hinweise, zwei Fehler wurden korrigiert]

3 Kommentare zu Lovecrafter #5

  1. Kleine Korrektur: Es handelt sich bei dem FHTAGN-Szenario um Ultima Ratio.

  2. Hey,

    danke für Dein ausführliches Feedback!

    Ganz kurz dazu: mit Christian hat sich der Schatzmeister, nicht der Vorsitzende verabschiedet. Und das wiederaufgelegte FHTAGN-Abenteuer heißt “Ultima Ratio” und stammt ursprünglich aus “Cthulhus Ruf”. Tempus Fugit ist aus dem Deutschlandband/box von Pegasus.

  3. Vielen lieben Dank für die Kommentare. Tatsächlich hatte ich da wohl noch die Deutschland-Box im Kopf und mich da beim Schreiben zu sehr auf mein Gefühl verlassen. Peinlich aber das habe ich natürlich umgehend korrigiert.

    Christian wird ganz oben auf der Vereinsseite als 1. Vorsitzender genannt, da ist aber glaub ich einfach der Titelzusatz (also die Klammer) stehen geblieben. Mir wirkte das auch etwas zu unaufgeregt für einen Vorstandswechsel ;)

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