Escape the Dark Castle
Ein kooperatives Spielbucherlebnis
Das Genre der Spielbücher ist kaum totzukriegen. Beständig kommen neue Titel auf den Markt und auch die klassischen Bände erfreuen sich in Neuauflagen oder antiquarisch weiterhin großer Beliebtheit.
Neuerdings nimmt auch die Brettspiellandschaft immer wieder Motive der klassischen “lese-weiter-bei”-Logik auf. Seien es integrierte Spielbücher wie in “Nah und Fern”, umfangreiche Ereignisbücher wie in ““This War of Mine” oder durchnummerierte Karten, wie in den “T.I.M.E.-Stories”, ohne Spielbücher wären diese Mechaniken wohl kaum denkbar. “Escape the Dark Castle” springt auf eben diesen Zug auf, macht aber einiges anders.
Die Flucht aus dem dunklen Schloss
“After Years of incarcaration in the depths of the dark castle, you finally break free of your cell. In a small stone room adjoining the cellblock stands an old wooden chest. The lock is open…”
So und nicht anders beginnt unsere Flucht aus dem Dunkeln. Wir haben das Glück ein paar Gegenstände aus der Truhe zu retten und werden dann unmissverständlich in die Gewölbe geschickt:
“You must not linger here.” – Das lassen wir uns nicht zweimal sagen!
Was nun folgt kommt in jedem zweiten Spielbuch vor: Eine etwas zufällige Flucht durch dunkle Kerkergewölbe in denen uns Feinde, Fallen und ab und an ein paar Schätze begegnen, gekrönt von einem mächtigen Endgegner der den Weg ins Freie versperrt.
Dabei bemüht sich das “Dunkle Schloss“ um eine deutliche Nähe zu klassischen Spielbüchern. Der Illustrationsstil der Karten ist merklich an Zeichnungen der 90er-Jahre Klassiker angelehnt und wie in den Vorlagen haben wir es thematisch mit einer düsteren Spielumgebung zu tun. Wächter und Räuber bedrohen uns ebenso wie Klingenfallen, Fledermäuse, Selettkrieger und absurdeste Kreaturen. Wäre es ein Spielbuch, es könnte sofort als “Fighting Fantasy”-Band durchgehen.
Bei allen Anlehnungen an vergangene Zeiten ist unsere Flucht jedoch durchaus innovativ umgesetzt worden. Das erste auffällige ist, dass auf alle “Weiterleseanweisungen” verzichtet wurde. Die Karten sind nicht nummeriert oder in fester Reihenfolge angeordnet. Stattdessen werden 15 aus 45 großformatigen Kapitelkarten gemischt und nacheinander durchgespielt. Jede Karte stellt dabei ein Ereignis dar, das bewältigt werden will:
- Ein Skelett mit einem Pergament in der Hand – Wollen wir es stehlen und dabei riskieren das es aufwacht oder gehen wir lieber weiter?
- Wir treffen auf ein Monster. Wollen wir es frontal angreifen oder hinterrücks agieren?
- Etc.
Zwar erlauben uns solche Begegnungen meist mehrere Alternativen, sie schicken uns aber niemals auf einen anderen Pfad, sondern variieren letztlich nur im Risiko. Um es heruntergebrochen zu sagen: Wir absolvieren 15 unabhängige Situationen bevor wir in einen letzten Endkampf geraten. Das erlaubt einen hohen Wiederspielwert ohne große Spielvorbereitung, eine komplexe Geschichte kommt allerdings im Grundspiel nicht auf.
Die Regeln
Das Grundgerüst der Spielmechanik ist äußerst simpel gehalten. Etwa 5 großzügig genutzte Seiten braucht es um loszuspielen. Das gelingt dank Anweisungen auf den Karten und einem fast selbsterklärenden Würfelmechanismus.
Der basiert auf Sonderwürfeln. Jeder der unglücklich dreinschauenden Charaktere (Köchin, Schmied, Müller, Gerberin, Schneiderin und Abt) kommt mit einem eigenen Sonderwürfel daher. Dessen 6 Seiten weisen Symbole der drei Attribute auf: Stärke (Might), Gerissenheit (Cunning) und Weisheit (Wisdom). Dabei kommt ein Hauptattribut auf 3 Seiten vor, ein zweites auf zwei Seiten und das schwächste auf nur einer Seite. Haupt und Zweitattribut gibt es sogar je einmal doppelt und in einem Schild eingefasst. Werden wir angewiesen auf ein Attribut zu testen, würfeln wir also einfach unseren Charakterwürfel und hoffen das passende Symbol zu erhalten.
Das ist nicht nur enorm simpel sondern tatsächlich das Prozedere der meisten Karten: Ein Attribut treffen, ein “Doppel” würfeln, eine Summe an Symbolen sammeln oder kämpfen.
Auch Kämpfe laufen ähnlich ab, bringen aber ein paar leichte Änderungen mit sich.
Hier kommen die 9 Kapitelwürfel zum Einsatz, die jedes der drei Symbole auf zwei Seiten aufweisen. Gegnerkarten zeigen nun ein Spielersymbol und meistes ein paar festgelegte Symbole auf. Für jeden Spieler würfeln wir dann einen dieser schwarzen Kapitelwürfel und drehen weitere Würfel auf die festgelegten Symbole. Je Kampfrunde würfeln wir als Gruppe und entfernen alle Symbole die wir gewürfelt haben. Sind noch Würfel übrig geht es weiter und es gibt auf der Karte vermerkten Schaden sofern wir kein Schild gewürfelt haben.
Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstände das manipulieren der Würfel oder reduzieren von Schaden erlauben und sich Charaktere im Kampf zurückziehen dürfen um zu heilen, war es das tatsächlich auch schon.
Das Würfelsystem ist nicht nur simpler als es klingt sondern sorgt trotz Kampffixiertheit für ausgeglichene Runden. Da wir auch mit Heimlichkeit oder Wissen (Magie?) kämpfen, sind wir nicht nur auf starke Krieger angewiesen sondern leisten alle unseren Beitrag. Zum anderen skaliert das System durch die Zusatzwürfel pro Charakter elegant und bringt mit dem Rückzug ein taktisches Element ins Spiel. Nur an Individualisierbarkeit der Charaktere mangelt es im Grundspiel.
Eine Truppe grimmiger Helden
Spätestens mit der Rückzugsoption wird deutlich, da “Dark Castle” auf Spielergruppen ausgelegt ist. Denn obwohl wir konsequent mit „Du” angesprochen werden, spielen wir die Dunkle Festung üblicherweise zu mehreren durch. Wir entscheiden welcher Spieler die Tür Eintritt – also etwaige Fallen erleidet –, tauschen Gegenstände aus und bestehen die meisten Proben als Gruppe.
Ganz anders als bei der literarischen Vorlage lebt die Flucht aus der finsteren Festung von genau diesem sozialen Miteinander. Die Flucht lässt sich zwar auch alleine bewältigen, baut dann aber eher wenig Spannung und Atmosphäre auf. Zu offenkundig stehen hier die wenigen Ressourcen und der hohe Glücksanteil vor Augen. Das ist jedoch kein großes Problem. Für das Einzelspielererlebnis sind schließlich die Abenteuerspielbücher geschaffen, während “Dark Castle” ja gerade das Solospiel an den gemeinsamen Spieltisch bringen will.
Ausstattung
“Escape the Dark Castle” sieht insgesamt einfach stimmig aus. Nicht nur die Illustrationen passen perfekt zum Thema, sondern auch der Rest der Box kann überzeugen. Die hochwertigen Symbolwürfel sind wie das Cover in sauberem schwarz/weiß gehalten und sogar an vier schwarze Bleistifte und einen Abreißblock um Lebenspunkte zu notieren wurde gedacht. Das alles findet in einem wohldurchdachten Inlay Platz, bei dem jedoch ein zehnter Würfel etwas Klappern verhindert hätte. Ein rundes Produkt.
Das die “Dunkle Festung” so toll aussieht, hängt sicher nicht zuletzt mit der Kickstarter Finanzierung zusammen. Davon profitieren auch die “Retail”-Kunden, übliche Schattenseite sind aber unübersichtliche Bonuselemente und ein fehlender, exklusiver Endgegner. Wer Blut geleckt hat, kann mittlerweile drei Erweiterungen, eine Sammelbox und diverse andere Kickstarter-Boni finden. Die erreichen vermutlich auch den freien Markt und wer weiß, vielleicht gibt es die Flucht irgendwann auch einmal auf Deutsch…
Fazit
“Escape the Dark Castle” ist eine überzeugende Hommage an alte Spielbuch-Kerker obwohl es sich von klassischen Abschnittwechseln deutlich entfernt. Spielgefühl, Artwork und die einzelnen Begegnungen könnten direkt aus einem “Fighting-Fantasy” Buch stammen. Die reduzierten Regeln sind hingegen auf Höhe der Zeit und lassen unnötigen Ballast beiseite. Der Transfer vom Spielbuch auf den Spieltisch gelingt äußerst gut. Ist die Gruppe gewillt ein bisschen Rollenspiel zu betreiben indem die Ereignisse ausgeschmückt werden, bleibt die grobe halbe Stunde Spielspass in bester Erinnerung und kommt sicher auch mehrmals auf den Tisch.
Wer immer schon einmal zusammen ein Spielbuch bestreiten wollte oder einfach nicht genug vom Kerkerkraxeln hat, der sollte sich die Dunkle Festung dringend anschauen.
Das Grundspiel von “Escape the Dark Castle” gibt es zur Zeit nur in Englisch und ist für etwa 35€ im Handel.
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