Die Bibliothek von Majipoor
Robert Silverberg
Unter dem Titel “die Bibliothek von Majipoor” ist der zweite Band der sogenannten Majipoorchroniken bei Mantikore erschienen. Nachdem mit “Lord Valentine” der Einstiegsroman veröffentlicht wurde verspricht die Bibliothek von Majipoor mit 10 Kurzgeschichten einen tieferen Einblick in diese Welt. Diese Kurzgeschichten leiten den leser durch verschiedene Epochen und Regionen des Riesenkontinents Manipoor und beleuchten historisch wichtige Ereignisse und exemplarische Einzelschicksale.
Dieser Sprung durch Epochen und Charaktere wird sehr geschickt umspannt. So folgt der Leser in der Rahmenhandlung Hissune, dem Hauptcharakter aus Band 1. Dieser ist mittlerweile in das “Haus der Aufzeichnungen” versetzt worden – einem gigantischen Archiv das fast alle Dokumente Majipoors vereint. Spannender als die ihm zugewiesene Strafarbeit Steuerberichte aus entlegenen Provinzen zu sammeln erscheint Hissune das dort ansässige Seelenregister – ein Archiv mit Erinnerungslektüren von Bewohnern Majipoors. Mittels dieser kann sich der “Leser” in die Gedankenaufzeichnungen der Personen versetzen und so Ihre Geschichte im wahrsten Sinne nacherleben.
Hissune tut verbotener Weise genau dies und erlebt so die Geschichten nach, die jeweils dadurch gerahmt werden wie sich Hissune Zutritt zu dem gesicherten Archiv verschafft und was er aus den Geschichten lernt. So entsteht eine nette, aber nicht zu aufdringliche Rahmengeschichte.
Die Welt Majipoor
Aber was sind nun Erinnerungslektüren und was ist eigentlich dieses Majipoor? Zugegebenermaßen macht es einem der Band nicht gerade leicht das zu erklären. Wer – wie ich – den ersten Band nicht gelesen hat wird ziemlich unvermittelt in diese sonderbare Welt geworfen. Es gibt keine Weltkarte, keine Einleitung oder andere Hilfe. Daher braucht es Wikipedia oder etwas Phantasie um die Welt zu begreifen. Majipoor ist eine außerordentlich große Fantasywelt die nach der Zerstörung der “alten Erde” von Menschen besiedelt wurde. Neben Menschen gibt es hier mehr oder minder feindselige Eingeborene – Metamorphe bzw. Gestaltwandler – und mehrere Alienvölker – Fremdweltler. Raumschiffe zur Umsiedlung und die Existenz von Außerirdischen weisen schon daraufhin das es sich hier nicht um ganz genuine Fantasy handelt. Vielmehr schlägt Silverbergs Science-Fiction Begeisterung durch, die sich neben genannten Faktoren in der Liebe zu magisch-technischen Apparaten bis hin zu Energiewerfern und dem Interesse für die Andersheit von Völkern ausdrückt. Dabei merkt man durchaus, dass die Reihe den 80ern entstammt. So erinnern die Fremdrassen etwas an insektoide Aliens und wird die Fremdartigkeit der Welt unter anderem durch die Konsequente Verwendung von Phantasienamen unterstrichen. Majipoor wimmelt nur so von mehr oder weniger schlecht aussprechbaren fremdartigen Pflanzen, Gestalten und Namen. Die Eigenständigkeit und Authenzität der Welt wird aber selbstverständlich nicht nur durch die eigenen Sprache dargestellt sondern auch durch eine recht tiefe Mythologie und Geschichte die entweder direkt Gegenstand der Erzählungen sind oder dort anekdotenhaft einfließen. Majipoor fühlt sich dadurch durchdacht und spannend an, ist aber teilweise etwas Klischeehaft. Dieser Eindruck mag aber auch etwas durch den vorliegenden Band geprägt sein. Hier wird nicht nur ein par force Ritt durch die Geschichte Majipoors gewagt, sondern fühlen sich die Geschichten insgesamt etwas wie Abenteuer an die lediglich dazu dienen Flecken und Epochen Majipoors zu beschreiben. Auch wenn die Geschichten – mal mehr, mal weniger – spannend sind und neue Facetten der Welt plastisch machen, fehlt Ihnen für meinen Geschmack Man merkt den geschichten an, dass die Konzentration des Bandes mehr auf dem Entdecken der Geschichte und Welt Majipoors liegt als auf ausgeklügelten Handlungen. Nur allzu oft enden die Geschichten mit einer etwas tristen Rückkehr zur Routine, so zum Beispiel wenn angerissene Moralische Dilemmata mit purer Resignation Enden oder eine bedeutende Reise einfach als gescheitert endet. Auch wenn es natürlich nicht nur gescheiterte Helden gibt, sondern auch das ein oder andere Happy End wirken alle Geschichten etwas abgerissen, etwas wie ein Einzelabenteuer im Rollenspiel das zwar irgendwie interessant war, aber in keine Kampagne eingeflochten wurde.
Thematik
Dennoch behandeln die Geschichten immer wieder spannende Themen. Moralische Fragen wie die Vertreibung der Einheimischen und die Kolonialisierung einer anderen Welt erinnern an eine Verarbeitung der Amerikanischen Kolonialisierung und selbst Aussteigertum und Zivilisationskritik finden ihren Platz. Besonders gelungen ist auch die Thematisierung von interrassischen Relationen und die Schilderung einer Moral die das töten von Menschen nicht kennt.
Spannend ist auch der Einblick in Majipoor selber. Das Staats- und Strafsystem wirkt sehr durchdacht, wird aber nicht systematisch dargestellt, sondern anhand von einzelnen Blickwinkeln erschlossen. Besonders innovativ ist auch die damit verbundene Spiritualität. So gibt es keine oder nur wenig Magie (das meiste „magische“ wird durch Technik erklärt), dafür spielen Träume eine große Rolle. In Form der „Dame“ die eine hohe Stellung im Staatssystem einnimmt können den Bürgern Weisungen vermittelt werden. Auf der anderen Seite steht der „König der Träume“, der Verbrecher mit Alpträumen straft, die nur durch innere Buße bzw. eine Pilgerfahrt abgewehrt werden können. Das ganze wird im Rechtssystem berücksichtigt und führt so zu einer spannenden gerichtslosen Institution der Gerechtigkeit. Viele Verbrechen werden nicht verhandelt, sondern einfach dank telepathischer(?) Kenntnis des Verbrechens durch Alpträume geahnt. In dem Kontext hat sich außerdem die wichtige Schule der Traumdeuterinnen herausgebildet die spirituell einen wichtigen Raum einnimmt und auch eine längere Kurzgeschichte im Band hat.
Bei solchen Aspekten wird Majipoor wirklich überraschen und setzt die guten Ideen in einzelnen Kurzgeschichten konsequent um. Leider hat man immer das Gefühl nur einen kleinen Ausschnitt geboten bekommen zu haben.
Schriftstellerisch liest sich Silverberg in der Übersetzung gut aber nicht herausragend. Sein Stil ist manchmal sogar fast plump. Dies ist besonders bei den – fast in jeder Geschichte vorkommenden erotischen Szene – deutlich, wo er zwischen expliziten Darstellungen und prüden Umschreibungen schwankt, was das ganze eher zu einer peinlichen Szene werden lässt. Zwar ist es löblich das er im Gegensatz zu Tolkien Frauen und Sexualität kennt, so wirklich gelungen kann er den Stoff aber nicht einbauen, zumal man immer wieder das Gefühl hat, dass er recht deutlich auf ein männliches Publikum hin geschrieben hat…
Fazit
Die Bibliothek von Majipoor bietet in der Tat einen guten Einblick in die gleichnamige Welt. Ohne Band 1 macht das Buch es dem oder der Leser_in aber leider etwas schwer. Eine kurze Einleitung in die Welt, ein Zeitstrahl, Register oder auch nur eine Weltkarte findet sich leider nicht. Auch zur Rolle der Majipoorchroniken im Bezug auf die Fantasy/Sci-Fi Literatur findet sich kein Verweis. Das hat Mantikore bei der Ewige Krieg deutlich besser umgesetzt. Die etwas einsam am Anfang des Buch stehende Karten einzelner Schauplätze helfen leider ebenso wenig weiter wie die Rahmenstory.
Obwohl ich den Abstecher in die Oldschool-FantaSci genossen habe und mit dem Gedanken spiele mehr Silverberg zu lesen, kann ich nur bedingt zu dem Buch raten. Wer – wie ich – Kurzgeschichten mag, hat es mit Band 2 sicher einfacher als mit Lord Valentine, die Welt ist aber recht schwer zu erschließen und die geschickte Komposition wie man sie von der amerikanischen Kurzgeschichte seit Poe kennt, findet man leider nicht. Man hat eher eine Sammlung von Reisebeschreibungen vor sich, die für das ein oder andere Rollenspielabenteuer inspirierend sind, aber denen ohne den Rest der Chroniken etwas fehlt…
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