Von Rache und Regen: Regentänzer

Ein Roman von Annette Juretzki

Irgendwann hatte es Riagh satt, sich von den Imperialen im Kampf gegen die Verfluchten verheizen zu lassen. Er hatte genug Freunde verloren und will nichts mehr als zu Anryn und damit auch in seine Heimat zurückzukehren. Aufgrund einer Soldatennarbe gestaltet sich die Rückreise äußerst schwer, ist er doch überall als Verräter zu erkennen. Und dann ist da noch das Gewissen, weshalb er exzessiver Gewalt gegen seine Feinde nicht stillschweigend ertragen kann. Daraus entwickelt sich eine überraschende Reise in eine Fantasywelt abseits gängiger Klischees…

Die Welt

Ich trinke mit dir in der letzten Nacht
(Cartharisches Totengedenken)

Bereits in ihrer Sternenbrand Duologie (1, 2) konnte Juretzki mit ihrem Worldbuilding überzeugen. Es sollte also nicht groß verwundern, dass die Autorin auch für die Reihe Von Rache und Regen eine andere Welt wählt als eine voller klassischer Elfen, Zwerge und Orks. Genau genommen zeigt das Buch, dass es gar keine innovativen Fantasywesen geben muss, um faszinierende Fantasywelten zu schaffen: Die Welt ist – abgesehen vom Tierreich – ausschließlich von Menschen besiedelt. Phantastisch sind lediglich die Kulturen und eine Prise Magie. Die erwischt Riagh, unseren Hauptcharakter, dafür schon nach wenigen Zeilen. Denn Carthal ist von Verfluchten heimgesucht worden. Wiederauferstandene Tote, die jede und jeden infizieren, den sie beißen. Gegen eine solche Gefahr setzt sich das Imperium mit aller Macht zur Wehr und findet dabei gleich noch einen Vorwand, um sich vormals unabhängige Stämme noch etwas brutaler einzuverleiben. Als Urheber allen Übels sind schnell die  Ash’Bahar ausfindig gemacht worden. Seltsame Fremde, die offenbar aus purer Bosheit Leid und Elend über die Welt bringen. Und ganz so einfach ist alles dann natürlich doch wieder nicht.

Diese Grundparameter sollen hier nicht allzu detailliert vorweggenommen werden, denn ein großer Teil der Faszination des Buches besteht eben darin, Riagh zu folgen, wie er die große weite Welt entdeckt und sich tief in deren Verstrickungen verliert. Durch geschickt platzierte Detailverliebtheit gelingt es Juretzki, die Welt bis hin zum kratzenden Kragen der imperialen Rüstungen mit Leben zu füllen. Mit beeindruckender imaginativer Kraft werden die Alltagskultur, Weltbilder, Religionen, Magieverständnisse und Moralvorstellungen der drei großen Kulturen gezeichnet, die sich weniger durch krasse Übersteigerungen als durch die kleinen Details von unserer Welt abheben. Am prägnantesten wäre noch der Unterschied zwischen einer Schöpfung aus Feuer der Ash’Bahar auf der einen und der Vergötterung des Wassers auf der anderen – cartharischen – Seite, was natürlich große Konsequenzen für das Verständnis von Magie, aber auch die jeweiligen Bestattungspraktiken hat. Die Imperialen hingegen erinnern deutlich an die antiken Römer, legen aber beispielsweise das ius talionis  ein kleines bisschen anders aus als ihre historischen Vorbilder und kommen so zu einem deutlich anderen Rechtsverständnis. Und auch die eigene Sprache gehört seit Tolkien zum festen Repertoire, wobei es wiederum die kleinen Details sind, die überzeugen: So wählen die Ash’Bahar ganz ohne großes Aufsehen das generische Femininum, während die Cartharer sechs Worte für Regen kennen. Das angefügte Glossar enthält dann sowohl die nativen Begriffe als auch die imperialen Abwandlungen, da Sprache bekanntlich ein nicht zu unterschätzendes Herrschaftsinstrument ist.

Die Handlung

Alle Magie beginnt mit einem Kuss
(Ash’Baharische Poesie)

Obwohl die Parameter für sich betrachtet keine großen Überraschungen beinhalten – spätrömischer Größenwahn trifft auf widerständige Garlitier und das exotisch-arabisierte Fremde – kann die Mischung überzeugen. Das nicht zuletzt dadurch, dass die mitgetragenen Klischees immer wieder gebrochen sind. Denn unser als Deserteur von der Front zurückgekommene imperiale Soldat Riagh muss nämlich schnell lernen, dass die Rechnung des Imperiums eben so wenig aufgeht wie die Fundamentalopposition der Rebellen. Dementsprechend wird die Angst vor dem Fremden aufgebrochen und gibt es im Regentänzer kein klares „Gut“ und „Böse“. Stilistisch höchst passend spiegelt sich das auch in je zwei kontrastierenden Zitaten nieder, die jedem der 16 Kapitel vorangestellt sind.

Solcher Komplexität gegenüber ist die Handlung selber deutlich simpler gefasst. Das hängt nicht zuletzt mit der charakterzentrierten Erzählweise zusammen. Wir folgen in allen Kapiteln ausschließlich Riagh, der schnell um eine ominöse Begleitung ergänzt wird. Das sorgt für hohes Identifikationspotential, es ist dann aber auch schnell klar, dass Riagh an allen entscheidenden Situationen irgendwie präsent sein wird. Auch kreuzen sich seine Wege immer wieder mit den wenigen vollwertig ausgearbeiteten Charakteren, weshalb die nächsten Schritte manchmal etwas absehbar sind und den Charakteren dann doch etwas mehr Glück widerfährt als plausibel erscheint.

Weitere Besonderheit ist der Umgang mit Liebe und Sexualität. Wer Juretzki oder den Traumtänzer Verlag kennt, weiß, dass es hier etwas expliziter zugehen kann. Und ja, (homosexuelle) Liebesbeziehungen und damit einhergehende gesellschaftliche Ächtung sind präsentes Thema, bestimmen die Handlung jedoch nicht primär. Sie sind einfach Teil der Normalität. Was Sexualität angeht, ist Von Rache und Regen im Vergleich zur Sternenbrand-Duologie nachgerade züchtig. Stattdessen entwickelt sich eine etwas absehbare, dafür aber gefühlvoll entstehende Romanze. So wird dann höchstens auf den „Schwanz des Sturmfürsten“ geflucht; dass Bewohner einer Fantasywelt auch einmal explizit fluchen ist aber nur plausibel. Damit ist Regentänzer ein angenehmes Gegengewicht zur prüden oder übersexualisierten Fantasy und präsentiert trotz ausschließlich männlicher Hauptcharaktere ein reflektiertes Geschlechterbild und einen begrüßenswerten Umgang mit Sexualität, die hier weit komplexer vorkommt, denn als Machtdrohung oder Voyeurismus.

Fazit

Das wichtigste vorweg. Von Rache und Regen liest sich äußerst gut und weiß, wie man Leserinnen und Leser in eine Welt zieht. Obwohl die Handlung stellenweise etwas absehbar ausfällt, bieten die Charaktere und die detaillierte Welt durchweg genug Identifikationspotential, um das Interesse am Buch lebendig zu halten. Kurz und subjektiv: Selten habe ich ein Buch so schnell durchgelesen.

Zwar sollte man keine Scheu vor etwas Romantik haben und die charakterzentrierte Erzählweise mögen, dann wird aber schnell klar, dass hier eine im besten Sinne ungewöhnliche Fantasy vorliegt. Weltenbau und Charakterentwicklung geschehen auf hohem Reflexionsniveau und kommen zu erfrischend neuen Konzepten ohne in Extreme zu verfallen. Dass sich dabei auch gesellschaftskritische Aspekte nahtlos in die Handlung einfügen und nicht erzwungen wirken, ist dem Buch hoch anzurechnen. Wer Fantasy mit Charakteren aus Fleisch und Blut sucht und Abwechslung vom klassischen Völkerkanon schätzt, wird sich hier wohlfühlen. Zu einem rundum gelungenen Lesevergnügen fehlt dann eigentlich nur noch der zweite und abschließende Band. Noch etwas, was Rache und Regen den zahlreichen Legenden, Chroniken, Sagen und Liedern der Fantasyreihen voraus hat…

PS. Von Rache und Regen. Buch 1: Regentänzer ist im Traumtänzer verlag erschienen, hat 562 Druckseiten und gibt es außer als Taschenbuch in den gängigen e-Book Formaten. Meiner  Besprechung lag die epub-Version zu Grunde.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen