Polizei in SLA Industries

Operatives und Cops

Der folgende Artikel ist ein Beitrag zum Karneval der Rollenspielblogs der diesen Monat das Thema “Halt, Polizei!” bearbeitet. Augerichtet wird der Kaneval von Dnalor, und der Artikel stammt von unserem Autor Leronoth.

SLA Industries ist eines der Spiele die mich nicht loslassen. Obwohl ich es noch nie auf den Tisch bekommen habe, halte ich es bis heute für eine der interessantesten Spielewelten. Eine detailliertere Übersicht habe ich anderswo gegeben, daher nur ein paar Worte zum eher unbekannten Spielsystem: Im Kern ist SLA wohl am ehesten mit Cyberpunk zu vergleichen, nimmt aber auch viele andere Dark/Hard Sci-Fi Motive auf. Anders als in vergleichbaren Welten verkörpern wir in SLA Industries keine rebellischen Cyberpunks sondern freiberufliche Söldner im Dienste des einen namensgebenden Konzerns der die Welt beherrscht: SLA Industries. Damit ist ein zynischer Twist verbunden. Der semi-staatlicher Konzern kontrolliert die Welt so lückenlos, dass es im Gegensatz zum klassischen Cyberpunk keine Hoffnung auf Rebellion gibt. Mr. Slayer und sein Konzern durchdringen die World of Progress so tief, dass auch wir uns den Zielen des Konzerns beugen müssen. Im Sinne des Karnevalthemas kann man also festhalten, dass wir faktisch polizeiliche Aufgaben für SLA Industries übernehmen und als Handlanger des staatsförmigen Monopolisten fungieren.

Dabei bleiben uns aber dennoch kleine Freiheiten. Wir müssen als Operatives nicht jeden Auftrag annehmen (wenngleich wir um Aufträge Schlange stehen müssen) und dürfen uns für die uns immer begleitenden Kameradrohnen ganz individualistisch präsentieren und unsere Exekutionen im Staatsdienst medien- und werbewirksam ausführen. Dafür werden aber auch wir überwacht und zwar von Gestalten die nicht so viele Freiheit besitzen wie wir: Den Shivern.

Shiver steht für „Street & Home Investigation, Variable Espionage & Reconaissance“. Ein ziemlich umständlich aufeglöstes Akronym das auf die unangenehme Arbeit der „zitternden“ Polizeitruppen anspielt. Die herkömmlichen Shiver zittern nicht aus Angst, sondern auf Grund ihrer eintönigen Arbeit in den kalten und verregneten Straßen Morts. Ein Bild, das die Stimmung des Spiels gut einfängt aber als Akronym nicht ganz funktioniert. Obwohl Investigation, Spionage und Aufklärung ein ausschließlich polizeiliches Aufgabengebiet suggerieren, umfasst die Shiver Organisation auch die Brandbekämpfung und medizinische Unterstützung; und natürlich taucht auch die gewaltsame Aufstandsbekämpfung nicht im Werbeslogan auf. Nimmt man die Feuerwehr und Paramedics aus, lassen sich die Shiver dann dennoch als „corporate police“ bezeichnen. Shiver sind das Polizeiäquivalent in der World of Progress.

 

Militarisierung

Die in den Cannibal Sectors eingesetzten Shiver sind noch einmal militarisierter.
(c) Nightfall Games

SLA Industries ist ein außergewöhnlich düsteres Spiel. Kein Wunder, dass die Shiver nichts mit dem Bild vom „Freund und Helfer“ gemein haben. In martialischen Rüstungsuniformen gekleidet, dabei fast immer behelmt und dadurch völlig anonym, sind sie die Kampftruppe von SLA Industries. Die einzelnen Divisionen unterscheiden sich daher auch neben ihren Aufgaben primär durch ihre unterschiedliche Bewaffnung. Schon der einfachste Shiver kommt mit Sturmgewehr und Schlagstock daher, Enforcer werden direkt zum Töten ausgebildet, D.A.C. Handler setzen eine Art Kampfhunde ein und selbst die unbewaffnete Feuerwehr nimmt mit ihren Einsatzfahrzeugen keine Rücksicht auf Verluste, wenn es um das erreichen eines Brandes geht. Am markantesten fallen die Dispersal Truppen aus, die mit ausklappbaren Porzellanschild (in SLA ist Porzellan ein allseits beliebtes Waffenmaterial) und Knüppel zur Aufstandszerschlagung eingesetzt werden. Dabei machen sie keine Gefangenen, sondern hinterlassen ein kleingeschlagenes Feld verletzter oder gar toter Protestierender. Ihr militärisch organisiertes Vorgehen macht sie besonders effizient und ist vielleicht sinnbildlich für den Rest der Shiver. Shiver sind im Endeffekt Rädchen in Mr. Slayers Maschine. Etwas was auchin den Verhaltensrichtlinien deutlich wird. Shiver Reden nicht, Shiver setzen durch. Sie sind unnahbare, maskierte Staats- bzw. Konzerndiener*innen die keine Fragen beantworten.

Die Militarisierung lässt sich auch am eingesetzten Kriegsgerät erkennen. Truppentransporter und Kampfflugzeuge erinnern so etwa kaum an klassische Polizeiwagen und die Waffenliste liest sich eher wie ein Militärarsenal. Leider nimmt SLA Industries damit eine erschreckende Entwicklung vorweg. Mittlerweile sind gepanzerte Polizeifahrzeuge bittere Realität und manche Polizeitruppe nicht mehr vom Militär zu unterscheiden. Auch die obligatorischen Schlagstöcke, Schilde und Rauchgranaten erinnern an gegenwärtige Polizeitaktiken, wollen aber nicht ganz passen. Wieso eine so enthemmte Polizei noch auf nonlethale Waffen setzt und auch in der Zukunft der (frisierte) Schlagstock das effektivste Mittel bleiben soll ist nicht sonderlich plausibel. Von Tasern, Tränengas und Pfefferspray ist keine Spur. Der Einsatz von Batons bestätigt aber die konzeptionelle Nähe von Shivern zur Polizei. Nichts sagt schließlich Polizei so gut wie ein Schlagstock.

Eine düstere Truppe

Die Breacher sind für militärische Zwecke in den Cannibal Sectors ausgerüstet. Turmschild und Baton zeigen den polizeilichen Ursprung. Ob der Schlagstock gegen militärische Feinde allzu effektiv ist, darf offen bleiben.
(c) Nightfall Games

Das Bild das SLA Industries von den Shivern zeichnet ist ambivalent. Nichts ungewöhnliches für das Spiel, da die Quellenbücher viel mit ingame Stimmen und vielfältigen Perspektiven arbeiten. Auf den ersten Seiten wird so etwa der mangelnde Respekt gegenüber Shivern von Seiten der Operatives und Zivilisten beklagt und dagegen der wichtige Service der militarisierten Polizeitruppe betont. Shiver stellen sich dem „Abschaum“ („creeps and scum“) und „Punks“ der Straße (vgl Mort S.66). Das stellt sich aber schnell als Innenperspektive bzw. Selbstverständnis heraus. Das beklagte Misstrauen gegenüber Shivern erklärt sich nämlich unter anderem aus der Bestechlichkeit der Truppe und den internen Ränkespielen sowie der überall herrschenden Korruption. Und natürlich dem rücksichtslosen Auftreten der Shiver selber.

Hier merkt man dem Spiel eine durchaus polizeikritische Seite an. Zwar spielt der gerade heißdiskutierte Rassismus polizeilicher organe keine Rolle, Polizeigewalt ist dafür aber ein omnipräsentes Thema. Dadurch das SLA nicht im Ansatz den Anspruch hat eine demokratische Ordnung darzustellen, fehlt es an jeder Form von Checks und Balances aber es ist eben auch klar, dass die Shiver alles andere als auf der „richtigen Seite“ stehen. Shiver sind – wie OPs und alle anderen Bewohner Morts auch – auf ihre Weise „böse“.

Stark werden die Quellentexte, wenn es um die Psyche der Shiver geht. Durch ihren stetigen Kontakt mit Kriminalität und Gewalt entwickeln sie Psychosen und Suchtprobleme. Durch den Einsatz auf den rauen Strassen werden die Shiver so verbittert, dass sie sich von ihren Gegnern nur noch durch ihre Uniform unterscheiden. Das ist noch keine allzu kritische Position, wird die Schuld doch letztlich „den Kriminellen“ zugeschoben. Bei der Beschreibung der einzelnen Truppenteile wird das Buch aber deutlicher. Die Dispersal-Einheiten werden so etwa auch bei anderen Shivern als autoritätssüchtige Personen mit massiven Gewaltproblemen wahrgenommen: „With a job that, to all intents and purposes, entitles them to beat the living hell out of anything that gets in their way, the Dispersals have a tremendous problem controlling their aggression, both on and off duty.“(Mort, S.74)

Shiver im Spiel?

Am Spieltisch repräsentieren die Shiver die anonyme Macht von SLA Industries. Sie sind eine omnipräsente Truppe die Mort in einen ständigen Besatzungszustand versetzt. Der Idee nach halten sie die Operatives in Schach, dienen aber auch ab und an als Dienstboten der Operatives. Hier hat SLA Industries meines Erachtens ein paar inkonsistenzen die freiraum zur Interpretation lassen und sich mit der kommenden zweiten Edition hoffentlich beheben.

Eine Shiver Truppe zu spielen ist ursprünglich nicht vorgesehen. Es dürfte auch abgesehen von Leitungspersonen eine recht eintönige Angelegenheit sein. Shiver sind ja eben recht willenlose Vollstrecker einer fremden Agenda ohne großen Handlungsspielraum. Mit dem Quellenbuch CS 1 wurden jedoch Werte für Shiver mitgeliefert und eine Shiver-Kampagne skizziert. Hier liegt der Fokus aber nicht auf der Polizeilichen sondern der explizit militärischen Seite. Wir spielen Bridgehead Truppen die versuchen die an kriegsgebiet erinnernde Cannibal Sectors zurückzuerobern. Das hat mit Polizeiarbeit wenig zu tun und bietet mehr Freiraum und taktische Herausforderungen als Shivern in den Stadtgrenzen möglich wäre.

Und die Moral von der Geschichte?

SLA Industries spielt in einer gnadenlose Welt. Dementsprechend sind Shiver und Operatives düstere Gestalten die alles andere als ein rosiges Bild staatlicher Ordnung zeigen. Auch wenn SLA mit seinem bewusst überzeichneten Stil keine Zukunftsprognose stellen wollte, können einige fiese Seiten dieser Realität erstaunlich aktuell sein. Unansprechbare Polizisten die gewissenlos Demonstrationen auflösen (zumindest bestimmte) und militärisches Equipment zur Aufstandsbekämpfung sind nicht allzu weit von unserer heutigen Realität entfernt. Und auch die Verrohung von Polizisten durch den ständigen Kontakt mit Abgründen der Menschheit ist eine durchaus belastbare These. Um eine Polizeikampagne zu spielen, bieten zumindest die einfachen städtischen Shiver wenig Potential. Dafür gelingt es SLA Industries die moralischen Dunkelgrautöne einer Welt aufzuzeichen in der es keine Alternative mehr gibt. Auch als klassische Operatives kann das Thema Machtmissbrauch und die Durchsetzung einer illegitimen Ordnung eine zentrale Rolle spielen. Damit bewegt es sich nah an aktuellen Konfliktlinien und ist eine starkes Beispiel dafür, wie realweltliche Konflikte ihren Einzug in Rollenspielwelten finden können.

Anmerkung: Die Darstellung der Shiver entnehme ich im wesentlichen dem Mort Quellenbuch das nicht mehr zum aktuellen Kanon zu rechnen ist. Die bereits veröffentlichten Aktualisierungen beziehen sich auf den Cannibal Sector und beleuchten daher die militärische Seite. Soweit absehbar ist keine große Anpassung der Shiver zu erwarten. Auch in den Sektoren existieren die bekannten Divisionen, allerdings wurden etwa die ausklappbaren Porzellanschilder durch große Turmschilde ersetzt, wie man sie von SWAT-Teams kennt. Die Illustrationen sind alle dem CS 1 Quellenbuch entnommen und spiegeln daher den neuen Ansatz wieder. Vielen Dank für die freundliche Genehmigung durch Nightfall Games.

1 Kommentar zu Polizei in SLA Industries

  1. Danke für deinen Beitrag!

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