Orpheus
Eine Besprechung aus der Welt der Dunkelheit, von Infernal Teddy
Wir probieren gerade mal wieder etwas aus: diese Rezension ist das Ergebnis einer Abstimmung in Teylens Facebook-Gruppe zur Welt der Dunkelheit. Wir werden auch in Zukunft immer mal wieder fünf Bücher zur Abstimmung aufstellen, und schauen was euch, unsere Leser, interessiert.
Orpheus dürfte das Spiel der Welt der Dunkelheit sein, welches von den wenigsten Spielern wahrgenommen wurde – noch weniger als es sogar bei Mummmy: the Ressurrection der Fall war. Es war die letzte Spielreihe der Welt der Dunkelheit, das letzte Buch der Reihe, End Game, war sogar das letzte Buch, das von White Wolf Game Studio für die Welt der Dunkelheit veröffentlicht wurde. Orpheus wird gerne mit Wraith: the Oblivion verglichen, ein Spiel als dessen spiritueller Nachfolger es gilt. Orpheus selbst sieht sich als ein Spiel um Geistergeschichten zu erzählen, losgelöst vom Metaplot der Welt der Dunkelheit, und ohne den Ballast den Wraith angesammelt hat. Wir hatten ja bereits vor zwei Jahren die dazugehörige Anthologie besprochen, Haunting the Dead, jetzt wird es Zeit sich auch mal das Rollenspiel dahinter anzuschauen.
Orpheus gibt es mittlerweile auch als Print on Demand-Produkt auf DrivethruRPG, mir liegt allerdings noch die Originalausgabe vor, ein Hardcover mit 312 Seiten inklusive Charakterbogen und Index. Im Inneren ist das Buch komplett in Schwarz/Weiß, was natürlich sehr gut zum Thema des Buchs passt (ich fände einer erneute Auflage in Farbe beispielsweise zumindest sehr befremdlich), und mit stimmungsvollen Illustrationen. Hier springen mir vor allem die Charaktertypen von Rik Martin und die vielen Arbeiten von Christopher Shy ins Auge, wobei ich zugeben muss das ich bis heute nicht verstehe warum man Shy hat Protraits machen lassen, da sein Stil sich dazu überhaupt nicht eignet. Aber gehen wir vom Visuellen zum Textuellen…
Wie jedes Grundregelwerk von White Wolf seid dem Beginn der letzten Eiszeit so eröffnet auch Orpheus mit einer Kurzgeschichte. Dieser gelingt es tatsächlich, die Stimmung des Spiels einzufangen und aufzuzeigen, was man hier spielen wird. Für uns entscheidender ist allerdings natürlich die Einleitung, welche uns die grundlegenden Prämissen vorstellt. Als erstes wird uns erklärt, was wir denn überhaupt spielen – dieses Mal haben wir nicht irgendwelche übermächtigen Untoten, wahnsinnige Bestien oder unaufhaltsame Magier als Charaktere, sondern einfache Menschen. Allerdings handelt es sich bei den Charakteren um Menschen, welche in der Lage sind, ihren Körper zu verlassen und mit Geister zu interagieren. Auch wichtig ist, das dieses Setting nur wenige Überschneidungspunkte mit dem Rest der Welt der Dunkelheit besitzt. Genauer gesagt, das einzige Spiel, welches wirklich eine (lose) Verbindung besitzt, ist Wraith: the Oblivion. Neben den üblichen Medienempfehlungen, Worterklärungen und so weiter bietet Orpheus aber etwas, das für dieses Spiel einzigartig ist: Orpheus war nämlich die erste Spielreihe, welche von Anfang an limitiert geplant war, und mit einer festen, durchgeplanten Storyline, und das Grundregelwerk deutet hier bereits an, wohin die Reise geht. Wenn man, wie das Buch auch, die Reihe mit einem Film vergleicht, so hat man es mit dem Grundregelwerk mit den „ersten zwanzig Minuten“ zu tun, dem Setup und die Charaktereinführung.
Das erste Kapitel, „World of the Dead“, ist wie üblich das Settingkapitel, und dieses eröffnet mit Auszügen aus einer Zeitung namens „The Scrutinizer“. Im Prinzip ist die Welt der Dunkelheit ja bekanntlich eine etwas düsterere Version unserer Welt, und scheinbar hat vor kurzem die Geisteraktivität in dieser Welt rapide zugenommen. Und seid kurzem bietet die Orpheus Group, welche ursprünglich sich auf Cryonics spezialisiert hatte, dem Einfrieren von Toten, einen einzigartigen Service an – ein Team von Agenten, welche zwischen der Welt der Lebenden und der Toten wechseln kann. Die Aufgaben, welche Orpheus dabei übernehmen kann, ist vielfältig – Nachforschungen und das wiederbeschaffen verschwundener Gegenstände wie eine klassische Detektei, das Vertreiben wütender Geister, und so vieles mehr. Das Kapitel wurde zusammengestellt aus einer Sammlung von In-Game Texten und Quellentext, aber das Bild das hier gezeichnet wird ist mehr als ausreichend um auch ohne Metaplot spielen zu können. Gleichzeitig bekommt man aber auch hier die ersten Hinweise und Andeutungen darauf das sich hinter Orpheus mehr verbirgt als hier verraten wird, und das es in der Vergangenheit von Orpheus einige… ungereimtheiten gibt. Einige wichtige Personen aus dem Konzern werden vorgestellt, und es wird erwähnt das es noch einige Konkurrenzunternehmen im Bereich der Geisterprojektion gibt.
Es stellt sich natürlich die Frage, was man in Orpheus spielen kann. Die Charaktertypen und ihre Kräfte sind das Thema des zweiten Kapitels, und werden auf zwei Achsen unterteilt, Shades und Laments. Laments beschreiben, welche Art von Orpheus-Agent der Charakter ist, während Shade beschreibt, welche Art von Geist man jenseits der Schwelle ist. Es ist vielleicht am einfachsten, wenn wir hier im Gegensatz zum Buch selbst mit den Laments beginnen. Hier haben wir zwei sterbliche Charaktertypen (Skimmer, welche eine natürliche Fähigkeit zur seelischen Projektion besitzen; und Sleepers, Menschen welche Cyrostasis und einen Drogencocktail benötigen um ihren Körper zu verlassen) und zwei Tote (Spirits, die Geister jener, welche in den letzten drei Jahren verstorben sind; und Hues, Menschen welche im Leben die geheimnisvolle Droge Pigment genommen hatten). Die Shades dagegen entsprechen dem, was bei Vampire die Clans oder Changeling die Kiths wären. Jede Shade ist eine bestimmte Art von Geist, welche eigene Kräfte und erscheinungsformen aufweist: Banshees (Stimme als Waffe und Prophetie), Haunters (Gegenstände beleben und Elektroschocks), Poltergeist (Gegenstände als Waffen verwenden und aus Ektoplasma Gegenstände bilden), Skinrider (Menschen besessen und Kraft über die Schwelle projizieren), und Wisps (Andere dazu bringen, ihm zu folgen, und ihren Weg finden im Sturm des jenseits). Die einzelnen Kräfte – hier „Horrors“ genannt – werden natürlich ebenfalls beschrieben. Das darauf folgende Kapitel beschäftigt sich danach mit der Charaktererschaffung und den dazugehörigen Werten. Die Charaktererschaffung entspricht im Großen und Ganzen dem Standard der Welt der Dunkelheit, mit ein paar kleinen Änderungen. Diese sind die Wahl einer „Rolle“, eine Paketes, welche Empfehlungen und Richtlinien für Fertigkeiten und Attributsverteilungen vorgibt; die Tatsache das Wesen und Verhalten bei der Auswahl Einfluss auf bestimmte Charakterwerte habe; und die Tatsache das man generell weniger Punkte zur Verfügung hat als es bei einem Erzmagus oder einen schlurfenden Blutsauger der Fall ist. Ein Beispiel für die Charaktererschaffung findet sich HIER.
Kapitel Vier setzt sich dann mit den Regeln auseinander. Auch hier haben wir es mit dem Storyteller-System Regelgerüst zu tun, welches wir von anderen Spielen der Welt der Dunkelheit kennen, mit der einen oder der anderen Anpassung, um dem Thema des Spiels gerecht zu werden. Es ist wie gehabt ein Poolsystem mit w10, bei dem der Pool sich in der Regel aus Attribut und Fertigkeit zusammensetzt – nichts neues also, wir haben hier auch noch keine Andeutung des kommenden Storytelling-Systems. Wer schon mal ein Spiel der WoD gespielt hat weiß was ihn hier erwartet. Wenden wir uns dem fünften und letzten „regulären“ Kapitel des Buches zu, welches sich an den Spielleiter wendet. Dieses Kapitel ist die übliche Mischung aus allgemeinen Spielleitertipps und spezifischen Tipps, welche sich auf das vorliegende Spiel beziehen. Der Spielleiter bekommt hier auch eine Auswahl an lebenden und toten Antagonisten, einige – aber nicht alle – Antworten auf Fragen, welche das Setting vielleicht aufwirft, und Andeutungen auf Material, welches in kommenden Bänden vorgestellt wird. Als letztes haben wir den Anhang, welches dem geneigten Spielleiter eine ganze Reihe von Missionen im Kurzformat präsentiert, denen die Charaktere im Auftrag von Orpheus nachgehen können. Damit wird Spielern und Spielleitern die Möglichkeit geboten, sich mit dem Setting und den Charakteren vertraut zu machen bevor mit den Folgebänden das Spiel auf den Kopf gestellt wird. Abgerundet wird Orpheus durch den Index und den Charakterbogen.
Fazit:
Orpheus ist definitiv ein schönes Spiel, und eine gelungene Ergänzung der Welt der Dunkelheit, ohne das es dabei von den Vorgängerspielen erschlagen wird. Es greift das Geisterthema auf, welches seid dem Ende von Wraith: the Oblivion brach liegt, präsentiert es aber zum einen als etwas eigenständiges, zum anderen aber auch zugänglicher als es Wraith gewesen ist. Orpheus schafft es vor allem, seine gesamte Prämisse in einem einzigen Band geschlossen zu präsentieren, etwas, das keines seiner Vorgänger wirklich geschafft hat (Zumindest zu meiner persönlichen Zufriedenheit…). Die Folgebänder dieser Minireihe sind gut, keine Frage, aber man braucht diese Bücher nicht, um eine gute und erfolgreiche Kampagne zu spielen – es sei denn, man möchte den Plot der Riehe folgen. Leider ist Orpheus beim Erscheinen fast vollständig untergegangen, ich kann dieses Spiel jedem, der sich mir Geistern in der WoD beschäftigen möchte, ohne dabei vor einem Berg von Büchern zu stehen, nur herzlichst empfehlen.
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