Lovecrafter #6
Cthuloides Allerlei
Nur selten altert ein Heft so nichteuklidisch wie der Lovecrafter. Die eigentlich schon im Dezember letzten Jahres (also 2019) erschienene 6. Ausgabe des luxoriösen Vereinsmagazins hat meinen Lesesessel pandemiebedingt erst sehr verzögert erreicht. Zumindest die ersten Seiten wirken daher wie ein Blick in eine andere Welt. Kein Wort vom König in Gelb oder dem roten Tod, kein Ringen um Worte die dem globalen Horror angemessen wären, sondern einfach nur ein freudiges Vorwort mit den besten Wünschen und Hoffnungen für ein 2020, dass es so bekanntlich niemals geben sollte.
Aber wenn ich nichteuklidisch sage, meine ich damit natürlich, dass es ganz so einfach nicht ist. Außer den wenigen Zeilen zum Ausblick aufs Vereinsleben von Schatzmeister Jamel Amdouni Melki ist natürlich auch der vorliegende Lovecrafter zeitlos und auch ein gutes dreiviertel Jahr nach Erscheinung noch eine Rezension wert.
Den Einstieg macht die umfangreiche Titelstory „Von Sauk City nach Arkham“ in der Niels-Gerrit Horz mit großer Sachkenntnis die Geschichte des Arkham House Verlags beleuchtet. Nach dem Tod des seltsamen Gentlemans aus Providence hat dessen guter Freund August Derleth mit Arkham House einen Weg gefunden um das Werk des verewigten einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und zu konservieren. Aus der Idee eine Sammlung von Lovecraftgeschichten zu veröffentlichen wurden 80 Jahre Verlagsgeschichte, in denen wichtige und qualitativ hochwertige Bände der Urgesteine der Weird Fiction publiziert wurden. Horz zeichnet die Geschichte des Verlags mit Schlaglichtern auf zentrale Veröffentlichungen und Blick auf die von Rechtsstreitigkeiten und Nachfolgefragen geplagte Verlagsentwicklung.
An die Verlagsvorstellung anschließend folgen drei teils umfangreiche Besprechungen. Eine kurze Vorstellung des humoristisch-weirden Ruhrgebietskrimis Der Schrecken im Flöz macht den Einstieg. René Porschen hilft dabei, auszuloten ob der etwas andere Roman den eigenen Geschmack trifft. Deutlich umfangreicher ist Nils Gamperts Besprechung des Reiseführers nach R‘lyeh. Der von Jörg Kleidgen betreute kollaborative Roman wird differenziert und mit Blick auf das eigensinnige Format vorgestellt. Eine Besprechung die deutlich mehr leistet als eine Inhaltsangabe und zum Nachdenken anregt. Chefredakteur Axel Weiß widmet sich schließlich recht kritisch der Anthologie Stadt unter dem Meer. Die Besprechung fällt nach der kontextualisierenden Einleitung allerdings als genau so eine Aufzählung aus. Die 13 Geschichten werden je mit einem kurzen Absatz vorgestellt. Ein starker Einleitungskommentar macht diese Auflistung und das abrupte Ende allerdings wieder wett.
(Rollen)spielerisches
Ziemlich genau die Hälfte des Heftes widmet sich mit Cthulhu Play wie gewohnt der spielerischen Arbeit am Mythos. Einen Großteil macht hier wiederum Rollenspielmaterial aus. John Lentzsch nimmt uns in seinem Abenteuer „Chateu d’Épernay“ mit an die Westfront wo wir als deutsche Soldaten im ersten Weltkrieg auf schlimmeres als den militärischen Feind stoßen. Das Abenteuer ist relativ geradlinig angelegt und läuft in 5 starken Szenen auf ein klares Ende hinaus. Kleine Infoboxen geben nützliche Spielleitungstipps und diskutieren wie pulpig das Abenteuer ausfallen kann. Der Fokus liegt dabei deutlich auf der Stimmung und weniger auf militärische Scharmützel. Garniert ist das recht schnell vorzubereitende Abenteuer mit schicken Handouts und Spielwerten für das DLG-eigene Fhtagn Regelsystem. Wer dem Weltkriegsszenario etwas abgewinnen kann und ein bisschen Cthulhu-Klischee ertragen kann, hat hier ein spannendes Spiel für die Trenchcoattasche.
Deutlich knapper als das Abenteuer fallen die zwei Seiten zum Raben aus. Passend zum 210. Geburtstag Edgar Allan Poes wird dessen bekanntestes Gedicht von André Frenzer als Vorlage für die Mythosgestalt „Nimmermehr“ genutzt. Die zwei Seiten kommen mit einigen Ideen zum Ursprung des Monsters und Spielwerten für Fhtagn daher und lassen sich sicher schnell für das ein oder andere Abenteuer nutzen.
In einem umfangreichen Artikel widmet sich Johannes Pilger dem „digitalen Wahnsinn“ cthuloider Videospiele. Bis 1992 verfolgt er Computer- und Konsolenspiele die mit dem kosmischen Horror arbeiten oder explizit auf Lovecrafts Werk aufbauen. Der informative Artikel bietet eine umfangreiche Übersicht von Spielen die grob vom Autor eingeordnet werden. Hier finden sich einige spannende Titel und viel Spielerfahrung vereint. Die schiere Menge an besprochene Titeln führt aber dazu, dass sich die 8 Seiten des Artikels etwas wie eine Auflistung lesen.
In der Kolumne „Alles ist besser mit Tentakeln, oder?“ beschäftigt sich André Frenzer mit Spielen, die nachträglich ein cthuloides Thema aufgesetzt bekommen haben. Klassiker wie Monopoly oder Lovecraft Letters entpuppen sich dabei als eher klägliche Versuche mit der ungeschützten Marke Cthulhu Geld zu verdienen. Auch Munchkin Cthulhu wird dem Thema nicht gerecht, liefert aber immerhin ein charmantes satirisches Artwork von John Kovalic. Einzig das etwas unbekanntere Zwei-Spieler Draftingspiel Tides of Madness kann den Autor (und auch mich) überzeugen, da es dem pfiffigen Spiel gelingt, dem Thema durch mehr als nur neues Artwork gerecht zu werden. Eine simple Wahnsinns-Regel erweitert das Spiel um eine interessante taktische Komponente, die das cthuloide Thema auch mechanisch einfangen kann. Dass es auch zahlreiche ernsthafte Versuche von cthuloiden Brettspieladaptionen gibt, hatten in den letzten Ausgaben noch Isabel und Ulrich Thomas als rasende Reporter*innen berichtet, die das Zepter jedoch an andere düstere Brettspielfreunde abgeben müssen, weswegen die Redaktion sich sehr über Beiträge zum Thema freut.
Die letzten vier Seiten füllen schließlich eine Besprechung des würfellosen Rollen- oder Erzählspiels Soth durch Thorsten Pankin. Das System dreht ähnlich wie Unaussprechliche Kulte die Rollen der Spieler*innen um, die ungewohnter Weise in die Haut von Kultisten schlüpfen die nach Erleuchtung suchen und ihren großen Alten mittels vier Ritualen beschwören wollen. Auch die abstrakten Regeln und Mechanismen klingen vielversprechend, die Systemvorstellung bleibt allerdings weitgehend deskriptiv und hätte für meinen Geschmack noch etwas Farbe und ein stärkeres Fazit vertragen können.
Bleibt am Ende noch Platz für ein paar Worte zur Aufmachung. Hier kann ich nur wiederholen, was ich schon zu den anderen Ausgaben gesagt habe. Der Lovecrafter spielt optisch ganz weit oben mit. Die meisten Artikel sind aufwändig graphisch aufbereitet und durch erstklassigen Druck optimal in Szene gesetzt. Diesmal fehlt mir etwas ein graphisches Highlight, dennoch macht das Schmökern im Heft wieder einmal echte Freude.
Fazit
Ich mag den Lovecrafter. Das motivierte Team legt Ausgabe für Ausgabe hohe Qualität vor die sich vor keinem (Fan)zine verstecken muss. Die vorliegende Ausgabe bewegt sich auf hohem Standard, kann mich aber nicht ganz abholen. Man merkt, dass der Ausgabe ein verbindendes Titelthema fehlt. Leider fehlt ebenso ein echtes Artikelhighlight. Statt Interviews, einer interessanten Biographie oder spannenden Produktvorstellungen finden wir hier eine Vielzahl an Besprechungen und Sammelvorstellungen die streckenweise an Fleißarbeiten erinnern. Das ist freilich meckern auf sehr hohem Niveau. Für die schon wieder in den Startlöchern stehende 7. Ausgabe würde mich dennoch wieder eine buntere Mischung und ein stärker verbindendes Titelthema freuen. Trotz solcher Detailkritik bleibt der Lovecrafter eine der besten Überblicke über die deutsche Lovecraft-Community die man sich wünschen kann.
Alle bisher erschienenen Ausgaben des Lovecrafters können exklusiv über den Cthulhu-Webshop bezogen werden.
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