Ironsworn

Ungeleitet durch die Eisenlande

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Der System Matters-Verlag ist dafür bekannt, kleinere und insbesondere innovative Spiele für den deutschen Markt zu lokalisieren. Mit einem recht klassischen Cover und generischem Setting fällt Ironsworn nicht sofort in diese Kategorie. Das Spiel im “Wikinger”-Setting verspricht aber, ohne Spielleitung charaktergesteuerte Abenteuer zu erleben und kann sogar alleine gespielt werden. Unter dem Eis des kargen Landes verbirgt sich eine kreative Überraschung …

Die Welt

Die Eisenlande. Raue, karge Winter, finstere Wälder, schlammige Sumpflandschaften und Völker aller Menschen Länder. Mittendrin: Wir! Tapfere Helden und Heldinnen die sich eiserne Schwüre schwören und auf Queste ausziehen und das karge Land zu entdecken.

Zugegeben, der Hintergrund von Ironsworn könnte kaum generischer ausfallen. Eigentlich sind es nur zwei Twists, die die ansonsten recht gewöhnliche “Wikinger”-Welt dieses Ausnahmespiels auszeichnen: Zum einen haben wir es bei den Eisenlanden mit einer Neubesiedlung zu tun und zum zweiten gibt es im wahrsten Sinne des Wortes eisernen Bande:

Eisenlande

Die Eisenlande sind ein erst seit zwei Generationen kolonialisierter Kontinent, auf dem zwar einige ältere Völker hausen können, sich aber die im Spiel zentralen menschlichen Zivilisationen erst neu gefunden haben. Das ist kein allzu neuer Twist, kennen wir ähnliches doch etwa von Symbaroum, hilft aber um einen Kontinent (bzw. eine Halbinsel) zu präsentieren, die wir wirklich neu erschließen können und ganz nebenbei den unterschiedlichsten Völkern und Kulturen Platz gibt. So ermöglicht uns Ironsworn ohne Zwang eine erstaunlich diverse “Wikinger”-Welt, was auch durch die Illustrationen und gelegentliche Erwähnungen in den recht knappen Hintergrundtexten gestärkt wird. Schwertkämpferinnen sind hier ebenso normal wie nicht-weiße Helden, so dass unserer Phantasie nur wenige Grenzen gesetzt sind.

Eisenbande

Zum zweiten ist da die Sache mit dem Eisen. Eisen wohnt in Ironsworn eine mystische Kraft inne oder ihm wird zumindest eine bindende Eigenschaft zugesprochen. So ist Eisen nicht nur ein Attribut (das quasi der klassischen Stärke und Durchhaltevermögen entspricht), sondern es wird auch auf Eisen geschworen. Einmal mit einem metallenen Objekt in der hand geschworen, verpflichten wir uns unseren Schwur auch bei härtesten Entbehrungen zu erfüllen, was dem Spiel seinen eigenen Drall und Antrieb verleiht …

PbtA?

Die Hintergrundwelt ist durch diese zwei Faktoren gut mit dem Spiel verwoben, sonst aber bewusst als flexibler Sandkasten gestaltet. Tatsächlich hilft uns eine kleine Checkliste unsere eigenen Antworten auf Grundparadigma der Welt zu liefern. Ist Eisen wirklich magisch? Ist es nur eine bindende Religion, oder steckt noch mehr dahinter? Was ist mit den Erstgeborenen geschehen? Spielen sie noch eine Rolle? Wenn ja, welche?

Und da wären wir schon mitten in der Spielphilosophie. Ironsworn ist ein sogenanntes PbtA-Spiel, also ein Spiel das “Powered by the Apocalypse” ist, da es auf die Kernphilosophie von “Apocalypse World” aufbaut. Eines der Kernelemente ist dabei die Idee, das wir spielen um herauszufinden was passiert. Die Spielwelt ist also nicht vor dem Spiel festgelegt und etwa durch Quellenbücher oder Abenteuer erschlossen, sondern reichert sich durch das Spiel selber an. Die Spielerinnen und Spieler selber legen dynamisch Eigenschaften der Welt fest und müssen sich dabei nur an einen groben Rahmen halten und konsistent bleiben. Das erklärt auch bereits die recht knapp gehaltenen Stichpunkte zur Spielwelt. Welche Religionen es gibt, wie Magie genau funktioniert, welche Machtstrukturen existieren: Das alles ergibt sich erst im Spiel und wird eben erst dann festgelegt, wenn es relevant wird.

Unterstützt wird das durch einen ganz individuellen Erzählansatz. Statt das wir klassische Proben durchführen um Hindernisse zu überwinden, gibt uns Ironsworn, wie alle PbtA-Spiele, eine Reihe an Spielzügen an die Hand. Wir haben es also mit konkreten Aufgaben und Zielen zu tun, statt mit Fertigkeitssets. So verfügen wir nicht über Fertigkeiten wie Wildniskunde oder Heilen, sondern “Schlagen ein Lager auf”, “Unternehmen einer Reise” oder “Trotzen Gefahren”. Jeder der insgesamt 35 Spielzüge wird durch bestimmte Situationen ausgelöst und gibt uns dann relativ klar definierte Anweisungen, was im Falle eines Erfolges, Fehlschlages oder Teilerfolges passieren wird. Zum einen verändern sich so unsere Ressourcen, indem wir etwa Schaden erleiden, Ausrüstung verbrauchen oder an Momentum gewinnen. Zum anderen werden aber auch narrative Effekte ausgelöst. Und hier beginnt sich Ironsworn deutlich von anderen PbtA Spielen zu unterscheiden …

PbtA+!

Sind “klassische” PbtA-Spiele bereits deutlich Spielerfokussiert und ermuntern dazu, die narrativen Erklärungen der Regelkonsequenzen gemeinsam oder selber als Spielerin oder Spieler zu definieren, führt Ironsworn das Prinzip auf die Spitze. Durch eine enge Verzahnung der Spielzüge und ein Orakel – eine Reihe an Zufallstabellen – bildet sich eine Geschichte aus, die gänzlich ohne Spielleitung entsteht und bespielt werden kann. Hier sind die geschworenen Eide tragend, indem sie Quests ergeben, die sich die Charaktere selber setzen und ausgestalten. Zwar kann eine Spielleitung das Erlebnis verbessern, innovativer sind aber der kooperative, spielleitungslose Spielmodus oder gar das Solo-Spiel. Die Möglichkeit eine Spielrunde ohne Leitung und Vorbereitung spielen zu können, dürfte auch das entscheidende Kaufargument sein und war zumindest meine Motivation mir Ironsworn näher anzuschauen.

Zusätzlich zu den Spielzügen wird hier viel mit abstrakten Fortschritten gearbeitet. Unsere Schwüre aber auch Kämpfe, Reisen oder ähnliches werden durch eine Fortschrittsleiste abgedeckt, die wir mittels Spielzügen auffüllen. Als besonderer Dreh dürfen wir uns jederzeit entscheiden, eine solche Entwicklung abzuschließen. Wir füllen also die Leiste nicht notwendigerweise komplett aus, sondern entscheiden uns irgendwann, dass wir weit genug fortgeschritten sind und würfeln dann gegen unseren erreichten Fortschritt.

Das funktioniert übrigens auf eine auf den ersten Blick komplizierte Weise, die dafür fast immer zur Anwendung kommt. Wir vergleichen einen Aktionswert: Entweder die Fortschrittsleiste oder ein um ein Attribut und andere Aspekte modifizierter W6-Würfelwurf, mit zwei zehnseitigen Würfeln. Bleibt einer der Zehnseiter unter unserem Aktionswert gibt es den narrativ spannenden Teilerfolg. Sind beide drunter, ist es ein voller Erfolg, liegen beide drüber schlägt unsere Handlung fehl. Ein Pasch legt zudem eine dramatische Wendung nahe. Das war es auch schon und geht nach ein paar Würfen erstaunlich flott von der Hand.

Praxistest

Wir haben Ironsworn online über ein Konferenzsystem mit Gelegenheitsrollenspieler*innen gespielt. Also ohne Unterstützung durch D20 oder andere Plattformen. Große Teile der Charaktererschaffung haben wir vorgelagert und ich habe im Spiel eine Art Semi-Spielleitungsfunktion eingenommen. So habe ich etwa die Regeln vorgestellt, verwaltet und die Prozesse moderiert, aber keinerlei Storyvorbereitung vorgenommen. Da wir alle offen für ein etwas andere Abenteuer waren, gelang es tatsächlich in etwa einer Stunde den Charakterbau abzuschließen und die ersten Details zur Welt zu finden. Danach blieb noch genügend Zeit für eine erste kleine Quest.

Auf in die Quest

Anhand einer Questanregung aus dem Regelwerk fanden wir heraus, dass eine Tyrannin unser Dorf bedroht, den Bruder eines Charakters wider Willen ehelichen will und das Dorf daher gewaltsam unter Druck setzt. Es gelang uns in einem dynamischen Kampf den Bruder zu retten, nur um herauszufinden, dass er und die anderen Geschwister offenbar mit der Tyrannin zusammengearbeitet haben. Nun gilt es das Geheimnis weiter zu lüften, die Tyrannin zu stellen uns unser Dorf zu verteidigen.
Der so entstandene kurze Plot ist sicherlich kein Innovationswunder, ich habe aber schon deutlich schlechtere Abenteuer gespielt, wenn nicht gar gekauft. Durch Orakel und Spielzüge, die immer neue Komplikationen mit sich brachten, ist eine dynamische und charakterbezogene Story entstanden, die uns wirklich involviert hat und auch ohne Spielleitung überraschen konnte. Für mich erfüllt es meine Hoffnungen daher voll und ganz. Ist die Gruppe bereit für ein kreatives Abenteuer, liefert uns Ironsworn ohne Storyvorbereitung vollwertige und spannende Geschichten ab dem ersten Abend.

Mit Hindernissen

Allerdings gibt es doch ein paar Einschränkungen. Zum Ersten braucht eine Runde Ironsworn genau diese Bereitschaft aller, sich kreativ an der Handlungs- und Weltgestaltung zu beteiligen. Im besten Fall sind alle am Tisch Spielleitungen die mit den Grundideen des Spiels und den Spielzügen vertraut sind und sich dennoch zurücknehmen können.

Zum zweiten wechseln wir die Perspektive. Wir bespielen weniger als Charaktere eine Welt, als gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Sind also eben gleichzeitig Charaktere und Spielleitung, wodurch die Metabene immer mitschwingt und etwas von der Immersion nehmen kann.

Zum dritten ist das Spiel alles andere als vorbereitungsfrei. Der PbtA-Ansatz muss sich erst einmal erarbeitet werden und setzt dann etwas Übung voraus. Ohne Rollenspielerfahrung wären wir sicherlich öfter in Sackgassen gelandet und überfordert gewesen. Auch braucht es Übung um Spielsituationen auf Spielzüge herunterzubrechen und ein Gleichgewicht zwischen Regeln und Erzählung zu finden. Hier liefert uns das Buch zwar einige Hilfestellungen, ich hab aber viel aus meiner Erfahrung schöpfen müssen. So habe ich etwa viel auf die Überlegungen aus Scherbenfresser[1] [2] und Abenteuer gestalten zurückgegriffen um produktive Fragen zu stellen und mit diesen Questen auszugestalten. Hier könnte uns der Band noch etwas mehr Hilfestellungen zur Moderation und fragengeleitetem Rollenspiel bieten.

Lokalisierung Matters

Bis zum 7. März läuft noch die Vorbestellaktion der deutschen Ausgabe bei System Matters. Die dieser Besprechung zugrunde liegende digitale Vorabversion konnte mich dabei durchweg überzeugen. Zwar ist die englische Originalversion völlig umsonst erhältlich, die Übersetzungsleistung von Stefan Droste und Lukas Feinweber ist aber äußerst beeindruckend. An keiner Stelle hatte ich den Eindruck “nur” eine Übersetzung zu lesen, sondern immer das Gefühl hier ein originär deutschsprachiges Produkt in der Hand zu halten. Obwohl ich durchaus gerne zum englischen Original greife, hätten wir Ironsworn in dieser Konstellation sicher nicht auf Englisch gespielt. Zum anderen empfinde ich englischsprachige Regelbegriffe in einer ansonsten deutschsprachigen Rollenspielrunde als immersionsstörend. Das gilt gerade für PbtA-Spiele, bei denen Spielzüge so benannt wurden, dass sie sich gut in Erzählungen einbetten lassen. Insofern kann ich zwar einen Blick ins englische Original empfehlen, würde aber deutschsprachigen Gruppen zur Lokalisierung des sympathischen Verlages raten, zumal die Buchqualität gewohnt großartig ausfallen dürfe.

Fazit

Ironsworn überzeugt nicht durch sein Setting, sondern durch einen ungewöhnlichen, Spielergetriebenen Rollenspielansatz. Sind die Regeln einmal verinnerlicht lässt sich Ironsworn ohne jede Vorbereitung und Spielleitung auf den Tisch bringen und kann dadurch gerade für zeitknappe Spielanleitungen eine echte Alternative sein. Für mich hat Ironsworn wieder etwas die Begeisterung für Rollenspiel entfacht und bietet eine echte Alternative zu Spielen mit zeitintensiver und verantwortungsvoller Spielleitung. Aber natürlich ist Ironsworn kein Wunderheilmittel. Es ist ein mitunter dorniger Weg bis Spielzüge und Geschichtenstruktur sitzen. Ich freue mich diesen Weg weiter zu gehen und die Eisenlande zu entdecken und kann mir gut vorstellen, es auch in Zukunft öfter auf den Tisch zu bringen und vielleicht sogar den ein oder anderen “Hack” zu schreiben. Symbaroum bietet sich doch eigentlich an, oder …?

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