Into the Grey
Space and Time
Mit „Into the Grey“ brachten Erdenstern 2009 das sechste Konzeptalbum ihrer Bibliothek der Fantastischen Musik heraus. Diesmal allerdings war das Thema etwas aus den bis dahin fantasynahen Konzeptalben herausgelöst und drehte stark sowohl an der Uhr, wie auch Unmengen Blätter aus dem Kalender gerissen wurden. Kein wunder, diesmal ist das Thema Science Fiction.
Diesem Umstand allein wird das Trio schon in der Covergestaltung gerecht: Handelt es sich diesmal bei dem fast schon archetypischen, zentral sitzenden Logo um einen goldenen Globus, der entweder als solcher, oder wegen seiner zusätzlichen Ausläufer als Solarmodell dienen soll und vor einem Hintergrund thront, dessen Muster die Oberfläche eines Dodekagons andeuten. Das alles weckt zumindest von der bildlichen Gestaltung her bereits Assoziationen (und Erwartungen) an Satellitenschüsseln und damit den Weltraum.
Und dort könnte bereits ein Problem liegen wenn man sich die Titel ansieht. Science Fiction beginnt ja nicht mit dem Verlassen der äußeren Luftschichten, sondern schon auf dem festen Boden unserer Erde. Into the Grey will demnach mit seinen 21 Stücken zwei Abenteuerbereiche abdecken: Die schmutzigen Abgründe in den hoffnungslos verfallenen Städten der nahen Zukunft des Cyberpunks wie auch die Leere und Schwerelosigkeit des Vakuums des Alls. Beide Bereiche sind für sich in der Hinsicht bereits keine leichte Aufgabe, da wir in der Erwartungshaltung jeweils eindeutig unterschiedlich vorgeprägt sind.
Bei direktem Hineinhören in den ersten Track „Interface“ ist man dementsprechend dann auch zuerst einmal etwas irritiert: Beginnt das Stück doch mit dem weniger tragenden Piepsen eines Sputnik-Satelliten (oder etwas, das man in diesen Bereich einordnen möchte) um dann von dem rythmischen Klang noch recht alltäglicher Instrumente abgelöst zu werden. Das ganze geht dann ganz langsam in eine sehr tragende Melodie über, die aber nicht ihren Erdenstern-Charakter verliert. Insofern spielen sich hier noch klassische Erkennungswerte wieder, die man allgemein betrachtet für sich nicht sofort in dieses Genre packen will. Der Unterschied zu den anderen Stücken wird erst bei den nachfolgenden wirklich bewusst, die sich vom Titel her noch auf der Erde abspielen: Langsam kommen stärker abgehackte Klangbilder auf, die ihren elektronischen Hintergrund nicht verbergen und dabei eine bedrückende Stimmung wachrufen.
Insofern versuchen Erdenstern das Album über mit einem Spiel aus verschiedenen Elementen, einigen moderneren Aspekten, sowie stark abgehackt wirkenden Rhythmen dem Ganzen eine entsprechend dystopische Stimmung zu verleihen, was besonders stark beim Titelnehmendem Track „Into the Grey“ schließlich einen gesonderten Höhepunkt findet.
Danach folgt im Klangteppich in sich langsam ein Bruch. Nach wie vor ist die Stimmung in „Downtown Blues“ bedrückend, aber die Klänge verändern sich und bekommen etwas beschwinglicheres, nur um dann zwei Tracks weiter in „Pursuit Race“ endgültig auszubrechen und eine gewisse Leichtigkeit zu erlangen, die man den doch sehr dunklen Klängen so nicht direkt zugetraut hätte.
Mit Mothership kippen die Stimmung endgültig in Richtung des Aufbruchs, die einen zumindest an die letzte Weite, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat erinnert. Sprich: hier ist endgültig der Wechsel in die Richtung, die jeder in erster Linie mit Science Fiction verbindet vollzogen, um dann mit „Capsule“ wieder in eine stark abstrakte, abgehackte, sehr künstlich und beengende Soundkulisse abzugleiten. Auf dieser Ebene verläuft das Ganze danach weiter: Sehr schwere, tragende Klänge oder reine Rhythmik-Gebilde von bedrückender und verängstigender Natur bilden die Hauptelemente der weiteren Tracks, auch wenn diese in ihrer jeweiligen Art nicht ihren eigenen Zauber leugnen können. Insgesamt bleibt aber in so ziemlich allen einzelnen Stücken nicht das Gefühl der großen Mystik, wie es die Space Operas mit ihren zum Teil amerikanisierten Helden anlegen, sondern eher die schweigende, stille Bedrückung, die eher Filmen wie Bladerunner, Alien oder 2001: A Space Odyssey zu eigen ist. Der Sound in seiner Gänze erinnert eher an die großen Dystopien, als die Utopien. Hier treiben eher die Raumfahrer hoffnungslos verloren durch den Raum und die Raumschiffkapitäne ducken sich unter dem feindlichen Feuer, das die Hülle zu zerreißen droht.
Fazit
Ich weiß nicht ob es an der westlichen Mentalität liegt, oder ich einfach nur entsprechende Sichtweisen durch diese Lektüren aufgenommen habe: Die prägendsten Elemente innerhalb der Science Fiction machen diese dunkel, hoffnungslos und dystopisch. Es scheint fast schon ein ehernes Gesetz zu sein, dass man innerhalb eines guten Romans (oder überzeugenden Films) eine Ansammlung von Anti-Helden und skeptischen Zukunftsprognosen wahrnimmt. Aber letzten Endes geben auch die Soundtracks, die in diesen jeweiligen Bereichen angelegt sind immer wieder das entsprechende Klangbild her. Das verbindet „Into the Grey“ mit vielen anderen Größen in diesem Bereich. Und das ist exakt das, was man letzten Endes in diesem Bereich auch stimmungstechnisch erwarten sollte.
Into the Grey erfüllt mit seinem (für Erdenstern-Verhältnisse) experimentalem Soundset von sehr starken Verzerrungen und deutlich künstlichen Klangkulissen, jenseits allen typischen Instrumentaleigenheiten eben diese Erwartung eines pessimistischen Zukunftsbildes, in dem sich die schlimmsten Befürchtungen und größten Zukunftshoffnungen wiederfinden lassen. Man kann mit diesem Album eine Menge unglaublicher Szenen durchaus bespielen (falls sich die Spieler darauf einlassen) jedoch muss man immer im Hinterkopf behalten, wessen Kind die Science Fiction-Abenteuer allgemein immer schon waren und sich daran orientieren. Insofern trifft das Album ziemlich deutlich meinen Geschmack, da ich jemand bin, dessen Herz für die großen der Science Fiction schlägt, die sich irgendwie fast alle immer wieder in den dunklen Weltbildern einer fernen Zukunft wiederfinden. Ob es sich dabei um Realisten oder Pessimisten handelt sei mal dahingestellt. Erdenstern haben hier auf jeden Fall ein wunderschönes Werk hingelegt, das von der musikalischen Untermalung her für einige wunderbare Szenen am Spieltisch sorgen wird. In dieser Hinsicht kann man „Into the Grey“ nur weiterempfehlen und Jedermann wärmstens ans Herz legen, sich das Ganze anzuhören.
Kommentar hinterlassen