Das Leben eines Gezeichneten – Teil 90

Rohals Versprechen - Teil 12

Ich starrte auf die Überreste der Hexe vor mir und dann auf den gerade verbundenen Odius und Leowulf. Warum nur muss ich immer alle retten? Wenn ich nicht so auf sie angewiesen wäre! Aber vielleicht hat die Gute hier ja etwas das ich gerne hätte.
Mit diesen Gedanken drehte ich die Leiche um, so dass sie mit der Brust und dem selbst im Tod recht hübsch anmutenden Gesicht – sofern man die eindeutige Zeichnung von starken Schmerzen ignorierte – nach oben auf dem kalten Steinfußboden zu liegen kam.
„Leowulf? Kannst du einen der Geweihten suchen und fragen ob er ihm helfen kann?“ wandte ich mich an Leowulf ohne meinen Blick von der Frau zu nehmen und sie darauf hin mit den Finger um den Hals abzutasten. Verdammt irgendwo hier hat sie bestimmt eines dieser Amulette!
„Ja…ja ich mach ich auf den Weg.“ Leowulf hob sein Schwert auf und trat misstrauisch der wiedereingekehrten Stille des Klosters entgegen.
Nach einigen Minuten des Herumirrens – und einem Nichtfinden meinerseits – in den Schlafräumen kehrte Leowulf wieder zurück. „Hier oben ist keiner mehr.“
Er setzte sich auf sein Bett und starrte einen Moment lang die wunderschöne aber tote Frau an. „Connar… warum wolltest du unbedingt die geweihte Halle verlassen vorhin?“
Ich hatte keine Schwierigkeiten gehabt das Kleid der Frau vernünftig zu öffnen um nachzusehen ob die Kette weiter darunter lag und bei Rückkehr Leowulfs mit dem absurden Herumfummeln aufgehört und starrte diesen nun an, als er auf seinem Bett schräg rechts von mir Platz nahm und nun von mir nur mit einer weiteren Drehung meines Körpers auch im Blickfeld zu behalten war.
„Hmm? Welche geweihte Halle? Wir waren gerade doch gar nicht in der Halle in der die Frau saß.“ Und ich möchte nicht wissen, wie es DA aussieht…
„Bevor wir zum Schlafen hoch gingen… du hast gedrängt, erinnerst du dich?“
Leowulf schien wie beiläufig sein Schwert mit der Bettdecke zu reinigen. Einmal leckte er sich ganz in Gedanken den blutigen Finger ab.
„Ehrlich gesagt nein, ich erinnere mich nicht. Soweit ich weiß wollten wir alle nach oben um uns schlafen zu legen. Wer ist auch schon gerne mit Boroni alleine, hmm? Du hast ja selbst… nicht wirklich hier reingehen wollen,“ antwortete ich und fügte dann mehr zu mir selbst hinzu, „Und ich frage mich warum der Vogel so gedrängt hat… ob es vielleicht einfach der Wegweiser in die Falle sein sollte?“
„Oder ein Hinweis. Immerhin waren diese… diese verlorenen Seelen hier.“
Leowulf legte den Kopf etwas schief und starrte mich wortlos an.
„Was? Achso… ja, vielleicht.“ Ich wirkte ein wenig aus den Gedanken gerissen. „Aber sie waren wohl noch nicht hier, als wir hier hingekommen sind, oder?“ Hmm… sehr erfolgreich das Gespräch abgelenkt.
„Der Vogel der zu ihnen gehört schon. Also wird der Rest nicht weit gewesen sein.“
Mit dem selben Starren wie schon zuvor fuhr Leowulf fort. „Hast du einen Pakt Connar?“
Hätte ich gerade gegessen, so hätte ich mich mit Sicherheit jetzt verschluckt. Ich starrte Leowulf aus fast ebenso ausdruckslosen Augen an, wie dieser immer vorzuweisen hatte. Wobei das bei einem Edelstein kaum eine Änderung ist.
„Wie.. äh kommst du jetzt bitte darauf?“
„Nun, ich frage mich wem du dich verschrieben hast. Du betonst immer wieder dass die Götter nicht genug eingreifen und andere Mächte genau das tun. Liegt es da fern dass du nicht davon profitieren willst? Immerhin ziehst du gegen einen der beinahe göttliche Macht besitzen soll.“
Ich erhob mich aus meiner noch immer über der Frau gebeugten Haltung und trat ebenfalls ins Gästezimmer ein. Im Dunkel des Gebäudes und von den Fackeln draußen auf dem Gang nur unzureichend erhellt, erschien mein linkes Auge wie ein großes schwarzes Loch.
„So.. tu ich das? Warst nicht vielmehr du derjenige der noch vor ein paar Stunden darüber lamentierte, dass Boron uns schon.. abgeschrieben hätte? Und mit Sicherheit greifen jene mehr ein, ja. Aber auf der falschen Seite. Warum wohl stehe ich hier? Und liege nicht wie sie, „ich zeigte auf die Frau,“ tot von dir geschlachtet am Boden?“
Odius – der vor einer Weile aufgewacht sein musste – robbte zu einer Wand und lehnte sich mit seinem Oberkörper dagegen.
„Ich glaube nicht das die Götter uns schon abgeschrieben haben.“ antwortete er mit schmerzverzerrter Stimme „Wieso sonst machen wir uns die Mühe und suchen die Zeit Borbarads um ihn zurückzuschicken? Das würde doch alles keinen Sinn ergeben.“
Er hielt sich die Hand auf seine Seite und bei genauerem hinsehen, konnte man deutlich die Schmerzen spüren, die ihm ins Gesicht geschrieben standen.
Nachdenklich und schwer atmend ließ er den Kopf nach vorne fallen und starrte auf den Boden.
Ich warf noch einen nichtssagenden Blick auf Leowulf und drehte mich dann seitlich um, so dass ich dem offensichtlich noch immer Schwerverletzten ins Gesicht blicken konnte.
„So.. du bist also der Meinung wir machen diesen ganzen Unsinn hier, weil die Götter es so wollen, hmm? Ist es nicht viel mehr so, dass wir unsere Interessen, welcher Art sie auch immer sein mögen, durchsetzen wollen? Was interessiert die Götter wer auf unserer Welt regiert, solange sie selber noch Einfluss besitzen? Gläubige.
„Zumal ich nicht Götter, sondern Boron sagte… und auch Leowulf damit wohl eher unsere Zukunft meinte.“
Odius hob seinen Kopf etwas um mich besser anzusehen.
„Ich glaube nicht daran das dies alles Unsinn ist. Weder Boron noch sonst jemand hat uns Abgeschrieben. Den Zwölfen sind wir nicht egal. Sollte unsere Aufgabe scheitern, so wird es bald keine Gäubigen mehr geben.“ Er atmete tief durch und schaufte „Wieso sonst sollten sie uns diese Zeichen, mit uralten Kräften geschickt haben.“
Hilfsuchend schielte er zu Leowulf, in der Hoffnung das ein Geweihter ihn in dieser theologischen Disskusion beiseite stand.
Leowulf war nachdenklich geworden und wartete erst einmal das Gegenfeuer nach seiner Anschuldigung ab… das glücklicherweise nicht allzusehr eskalierte. „Ich glaube die Götter biegen und drehen ihren Handlungsspielraum, der in den Mysterien von Kha festgeschrieben ist. Für uns. Für unsere Mission.“
Er blickte entschuldigend zu Odius. „Diese Zeichen stammen nicht aus göttlicher Hand. Zumindest nicht aus denen unserer Götter. Sie sind der Beweis dafür dass die Völker auch ohne Götter in der Lage sind Macht zu handhaben.“ Sein Blick wandert wieder zu mir, so freundschaftlich wie sein mittlerweile starres Gesicht es zuließ. „Aber ohne Führung… ohne Glauben an etwas zerfrisst sie auch die letzte Seele.“ Beinahe mitleidig betrachtete Leowulf nun die Leiche der Frau.
Ich macht einen abwehrende Handbewegung zu Leowulf, wollte sagen, dass ich mich später um seine Aussage kümmern würde und mich erst dem am Boden liegenden wieder zuwandte, nachdem der Geweihte geendet hatte.
„Aber du warst überhaupt nicht dabei auf Altaia. Und es ging Leowulf bei dieser Aussage wohl auch kaum darum zu sagen, dass wir nun… nicht mehr in den Augen der Götter zählen würden.“
Ich legte meine rechte Hand ans Kinn: „Nein vielmehr denke ich, dass er der Ansicht ist, dass ein von den Göttern beschlossener Tod nicht gerade ehernhaft und selbstbestimmend sein kann, aber letzlich musst du das mit ihm selber klären.“
Dann drehte ich mich zu Leowulf um.
„Bist du wirklich der Meinung der menschliche Geist sei zu schwach für sich zu entscheiden was richtig und was falsch ist?“
„Wie vielen hast du mit deiner Magie schon gezeigt wie schwach ihr Geist ist Connar? Es gibt Entscheidungen… und für dich scheint es nur solche zu geben. Und es gibt Versuchungen oder auch Angebote.“ Leowulf fragte sich wohl wie er es am Besten beschreiben kann. „Man muss beide Seiten kennen bevor man sagen kann was richtig und was falsch ist. Wer sich nicht mit beidem auseinandersetzt, ist schwach weil er die eine Seite nicht anerkennt und beachtet. Leider… sind nur die wenigsten Menschen in der Lage das Wissen um beides zu behalten ohne den Verstand zu verlieren.“
„Nur weil ich mich über den Geist eines anderen hinwegsetzten kann,“ und das leider auch nicht in allen Fällen, “ soll er nichts wert sein? Der Geist ist für sich in der Lage zu wählen was gut oder schlecht ist – für ihn sebst. Das ist das einzige was zählen kann, ja darf. Warum soll diese Freiheit eingeschränkt werden durch Gebote selbstkreierter Überwesen?“
Ich hielt einen kurzen Moment inne und sprach dann weiter, noch immer ruhig:“
Und was bitte ist für dich die andere Seite?“
Leowulf schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich will damit nicht sagen dass ein übermannter Geist nichts wert sei. Nur dass es genug Wesenheiten, Dämonen und den Namenlosen gibt, die ihren Anhängern kaum mehr die Möglichkeit zur Wahl lassen wenn sie sie einmal im Netz haben.“
„Da magst du wohl recht haben, aber mit Sicherheit kann das niemand sagen. Wenn du es nicht erlebt hast, weißt du es nicht, und sollte es so sein, wie du behauptest, dann können jene ja ebenfalls nicht korrekt antworten.“
Ich lehnte mich gegen die rückwärtige Wand.
„Aber ich bezweifele das, denn was nutzt einem jemand der nicht mehr denken kann?“
„Wer?“ Leowulf schien dem Gespräch grade nicht wirklich folgen zu können.
„Nicht mehr denken passt doch zu blind dienenden Attentätern, oder?“ Leowulfs Fußkrallen stießen die tote Frau am Arm an.
„Wie wer?“ Auch ich blickte jetzt wieder auf die Frau.
„Sie?“
„Und es besteht ein großer Unterschied in dienen und nicht mehr denken. Das müsstest du als Geweihter ja wohl am besten wissen, oder?“
„Sie? Äh nein sondern jene… Hm lassen wir das. Und, du hast recht… Connar, was denkst du über die verlorenen Seelen die im letzten Augenblick bereuen für was sie sich entschieden haben?“
„Oh das wiederum kommt ganz darauf an warum sie das tun. Ich schätze die meisten werden wohl einfach Angst vor den Folgen ihrer Entscheidung haben und nicht den Mut auch den letzten Schritt zu tun.“
Ich runzelte die Stirn.
„Ehrlich gesagt kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass es einen anderen Grund geben könnte.“
„Einsicht? Ein letzter makaberer Funken Wahrheit der ihnen zuteil wird? Das Zusammenbrechen eines Lügengespinnstes in ihrem Inneren?“
Leowulf schien aus Erfahrung zu sprechen.
„Aber warum? Warum sollte es das besser machen?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Wenn man einmal eine Entscheidung gefällt hat, muss man dazu stehen. Und war sie noch so unüberlegt – was man natürlich von vorneherein nicht machen sollte.“
Dem Gespräch von Connar und Leowulf schon lange nicht mehr folgend, zog sich Odius die Wand hoch „Ich muss mich hinlegen“ Erschöpft torkelte er Richtung Bett und ließ sich in ein freies fallen. Dort lag er auf dem Rücken und wirkte immer noch sehr nachdenklich.
„So seltsam sich das wohl aus dem Munde eines Geweihten anhört, jeder sollte seine Entscheidungen hinterfragen wenn er zu ihnen steht. Manchmal ändert sich halt etwas… und dann muss man reagieren. Auch wenn das bedeutet eine neue Entscheidung zu fällen die der alten widerspricht.“
Leowulf fragte sich ein wenig ob es gerade um Entscheidungen oder Rechtfertigung ging.
Ich nickte und mein Blick folgte beiläufig dem Weg des Diebes in sein Bett.
„Natürlich können sich Begebenheiten ändern. Aber was soll sich im Moment des Todes für einen Paktiere noch ändern?“
„Nun, vielleicht den letzten klaren Augenblick vor der Seelenmühle oder den Klauen ihrer Herren…“
Leowulf massierte sich leicht die Schläfen. „Ich hätte dieses Herz nicht essen sollen…“
Nach einem kurzen Augeblick der Ruhe fuhr er fort. „Der Grund warum …viele… Geweihte Paktierer nicht sofort umbringen sondern retten wollen ist, dass es diese wenigen die bereuen gibt.“
„Aber sie haben rein gar nichts davon.. außer auch noch gezeigte Schwäche.
antwortete ich und trat wieder auf den Gang hinaus um mich ein wenig umzusehen.

Dann trat die Schwester des Mädchens um die Ecke und sah entsetzte auf das tote Mädchen, fing sich aber schnell wieder, wie es wohl Boronis schon früh lernen müssen. Sie versorgte unsere Wunden und verschwand dann um den anderen zu helfen. Wir legten uns hin hielten aber jeweils zu zweit Wache.

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