Das Leben eines Gezeichneten – Teil 16

Altraum ohne Ende - Teil 4

29 Ingerimm
Am Morgen saß ich noch immer in der Mitte des Raumes – ein riesiger Berg Decken über mir. Greifwin war ebenfalls wach und er wollte weiterziehen. Ich erhob mich schwerfällig und versuchte das leichte Schwindelgefühl in meinem Kopf ob des plötzlichen Höhenunterschiedes zu ignorieren. Als ich jedoch der Treppe schmerzhaft bewusst wurde, die zwischen dem Schlafsaal und einem Frühstück lag, versuchte ich zurück an meinen als sicher gekennzeichneten Ort zu gelangen. Greifwin unterband dies indem er mich schlichtweg so lange zog und zerrte, bis ich am unteren Ende der Treppe angelangt war. Manches mal verfluche ich meine geringe Körperkraft und wünschte es würde mir leichter fallen sich gegen solche
tätlichen Übergriffe zur Wehr zu setzten.
Ich drohte ihm damit ihn ebenfalls anzuzünden, aber er ignorierte mich. Wieder festen Boden unter den Fußen und keinen Abgrund in der Nähe, ließ ich mich einfach fallen. Vor den etwas erstaunt dreinblickenden Latu, der eben zur Tür herein getreten war und der darauf hin fragte, wessenthalben ich auf dem Boden Platz genommen hatte. Ich erwähnte am Rande diesen Traum meinerseits und glücklicherweise sprangen Greifwin und Latu direkt darauf an, dass vorherige
Nacht Greifwin ebenfalls einen Traum gehabt hatte. Weit spektakulärer als einfach zu fallen. Greifwin wollte alles und jeden töten. Hatte ich auch schon mal, ist jetzt nicht so das Besondere, aber für ihn wohl sehr verstörend, da er auch körperliche Folgen in Form blutiger Fingernägel erhalten hatte. Wir mussten trotz allem weiterziehen, aber ich konnte mich nicht überwinden auf meinem kleinen Nachtsturm zu reiten. Es erschien mir einfach… zu hoch. Wunderbar. So
langsam hoffte ich, dass das alles nur ein Traum wäre.
Wir führten also unsere Pferde am Zügel die Straße entlang, kamen jedoch nicht weit. Der nahe Fluss, in einer Tiefe, die ich lieber nicht begutachten mochte, wurde von einer stolzen Steinbrücke überspannt, die jetzt nur noch eine nutzlose Ansammlung von Steinen war und in der Mitte durchgebrochen. Mutwillig. Sicherlich durch den Magier und seine Gruppe, die ihre Verfolger bemerkt hatten. Wie nun weiter?
Greifwin und Latu entschieden sich die Brücke behelfsmäßig mit den Baumstämmen der Umgebung wieder aufzubauen, und ich ließ mich dankbar neben dem Wegesrand nieder. Ich hatte ihnen in meinem Zustand sicherlich eh nicht helfen können. Nachtsturm ließ sich neben mir nieder und ich lehnte mich dankbar an die warme Flanke des Pferdes.
Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich meinen Blick wieder hob, leuchteten die Berghänge schon in einem satten Rotton, den die untergehende Praiosscheibe auf sie warf.
Die Brücke war fertig gestellt und wir konnten sie mit unseren Pferden überqueren. Es zeigte sich wieder, dass ich bei Nachtsturm eine gute Wahl getroffen hatte, er bot sich als Leittier der Gruppe an und animierte die anderen Pferde und mich ebenfalls, den Abgrund mit der leicht wackeligen
Konstruktion zu passieren.
Auf der anderen Seite beschlich mich ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht und die hereinbrechende Dunkelheit unterstützte das Gefühl noch ansehnlich. Die Straße führte in sanften, noch gerade zuträglichen Hügeln auf und ab und wir führten unsere Pferde dahin, als plötzlich ein Mann aus den Bäumen brach und versuchte die Straße zu erreichen. Es war jener KGIA Mann, der in Baliho Gehilfen gesucht hatte, und dessen Ring wir vermutlich bei uns
trugen.
Greifwin eilte zu ihm hin um ihm zu helfen, aber wir wurden durch einen Überfall des Magiers an einem weiterkommen und an einer weiteren Untersuchung des Mannes gehindert. Den Magier begleiteten vier Untote und der Rest der Gruppe des Inquisitors. Latu zog eine Armbrust heraus und stürmte in Richtung der Schützen am Waldrand, während Leowulf und Greifwin in Richtung Untote rannte. Da hatten wir es schon wieder. Dieses sinnlose dahin rennen ohne vorher eine gewisse Planung zu haben. Zumindest vom Rondrageweihten hatte ich mehr erwartet, aber sein Urteilsvermögen schien getrübt beim Anblick der wandelnden Toten.
Ich trat einige Schritt näher heran und warf ein Pandaemonium auf den Magier, das sein Pferd – ebenfalls untot und tatsächlich grün leuchtend, und kein Nachtmahr, wie Greifwin und Latu dachten – packte, aber ihn leider nicht erwischte, da er vor uns einfach in der Luft verschwand um in einiger Entfernung wieder aufzutauchen und wüste Beschimpfungen in unsere Richtung
zu brüllen, die ich nicht verstand.
Der Inquisitor war schlimm zugerichtet und schien dem Tode näher als dem Leben. Ich versuchte ihn einigermaßen zusammen zu flicken und auch Latu sprach einen Segen um für seine Heilung zu sorgen, obwohl er selbst eine Verletzung mit sich herumtrug, die ich behandeln musste. Was sollte ich auch in der Wildnis hier ohne jemanden, der sich darin zurecht findet, machen?
Wir nahmen den Praioten mit uns und zogen noch ein Stück die Straße entlang. Wenige hundert Schritt entfernt entdeckten wir den Bauzug der Leute, welche die Straße ausbauen wollten, abgeschlachtet und in der Gegend verstreut. Da wir schlecht für alle Gräber schaufeln konnten, legten wir die Toten zusammen und verbrannten sie. Wir reisten weiter um uns dann kurz neben dem Weg nieder zu lassen.
Wir entzündeten ein kleines Feuer, aber jeder war mit seinen Gedanken woanders. War diese Magier derjenige der hier für die Störungen der Kraftlinie verantwortlich war? Und warum kämpften die anderen mit ihm? Ob er Beherrschungsmagier war, der einige schwarzmagische Sprüche aufgeschnappt hatte? Falls es jener Koroban war, dann hatte er seine astrale Energie zurückgewonnen, oder zauberte mit seiner Lebenskraft, wie auch ich in Notsituationen schon
vollführt hatte. Während dieser Grübelei schlief ich ein.
Greifwin weckte mich. Er saß aufgelöst vor mir und murmelte, dass Latu tot wäre. Warum sollte er plötzlich tot umfallen? So schwer war seine Wunde nicht gewesen, und vergiftet schien sie ebenfalls nicht. Ich erhob mich und trat an das Lager Latus, der tatsächlich still da lag. Kein Herzschlag mehr. Menschen fallen nicht einfach tot um, außer man wirkt gewisse Zauber oder Flüche. Es war bestimmt wieder einer dieser unheiligen Träume.
Ich versuchte mit einem Traumwandeln in seinen Traum vorzudringen um nachsehen zu gehen, ob er noch am Leben war. Ich stand in der Gor – mal wieder. Der rote Staub wühlte um meine Füße und drang in meine Stiefel ein. Vor mir lagen jede Menge Tote und auch Latu. Und noch ein Latu. Zwei? Warum dies?
Ich untersuchte erst den einen Latu, der definitiv nicht zu retten war, dann den anderen, der noch einen Funken Lebenskraft besaß, die ich wieder entfachen konnte. Gleichzeitig erhob sich auch der Doppelgänger von den Toten, und beide begann wie wild aufeinander einzuschlagen. Ich erschuf eine Trennmauer zwischen ihnen um sie so voneinander fernzuhalten, aber es nutzte nichts. Meine Kraft war nicht groß genug um dem Traum lange stand zu halten, und bald fielen sie wieder übereinander her.
Ich hatte wohl keine Wahl, als mich für eine der beiden Latus zu entscheiden. Ich wählte, wie immer wenn ich zwischen zwei Objekten im Raum entscheiden musste, den linken Latu und tötete den rechten, bevor ich mich aus dem Traum erschöpft zurückzog.
Latu zeigte Lebenszeichen, ich hatte erreicht was ich wollte, war dabei aber sehr erschöpft und schlief sogleich wieder ein.

30 Ingerimm
Am nächsten Morgen, wir waren alle irgendwie gerädert, hatte sich die Landschaft verändert.
Die Bäume schienen in eine andere Richtung gewachsen zu sein, die Vögel ungewöhnlich still. Die gepflasterte Straße zog sich weiter über die Hügel nach Nordosten. Die Bäume wurden zusehends merkwürdiger und auch die Tiere schienen vor dieser Art der Umwandlung Unbehagen, ja sogar Furcht zu empfinden. Auch unsere Pferde wollten nicht mehr weiter gehen in dieses innerlich zerstörte Land, so dass ich Nachtsturm zurückschickte in der Hoffnung, dass er den Weg alleine finden würde.
Etwas weiter den Weg entlang saßen einige Harpyien auf einem der krankhaft veränderten Bäume und kreischten uns an. Mitten auf dem Weg quasi. Schon ein wirklich ungewöhnlicher Anblick.
Ihre Anführerin, falls sie so etwas haben, kannte Greifwin und dieser ging mutig auf sie zu. Sie erzählte viele Sachen, dass sie sich mit ihm gepaart hatte, was er heftig abstritt, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass das physisch sehr wohl möglich ist, und man ja nie wissen kann, wo die Liebe hinfällt. Sie verfolgten uns mit ihren gekreischten Sprüchen über unseren baldigen Tod, ließen uns körperlich jedoch unversehrt, bis letztlich Leowulf eine deutlich Geste des Angriffs machte, die sie verscheuchte.
Unvermittelt endete die Straße und ging in einen hässlichen Weg über, der kaum mehr als ein ausgetretener Trampelpfad war. Die Bäume hatten ein Stadium des Zerfalls erreicht, der mich wundern ließ, weshalb sie in ihrer geordnet verdrehten Struktur noch wachsen konnten, als wir auf einen Abzweig nach Süden trafen, der nicht auf meiner Karte verzeichnet war. Da Dragenfeld im Norden lag, blieb uns kaum eine Wegwahl und wir errichteten kurze Zeit später ein Lager,
beschlossen aber einhellig, dass wir nur wenige Stunden ruhen wurden, da diese seltsame Veränderung des Landes auch auf uns überzugreifen schien. Haarwuchs war stark beschleunigt und meine Kleidung begann ein seltsames Geräusch von sich zu geben, als hätte ich sie Jahre lang nicht ausgezogen.
Ich nickte am kleinen Feuer ein und träumte wieder, undefinierbar, aber lebensentziehend. Ich konnte – wollte nicht erwachen, aber als ich die Augen aufschlug sah ich in Latus Gesicht und stellte erschrocken fest, dass es von grauen Haaren umrahmt wurde. Ebenso wie meines. Wir alterten! Schneller als normal. Viel schneller. Wir hatten wirklich keine Zeit mehr übrig, nur
die Möglichkeit diesen Magier mit seinem seltsamen Sinn für Theatralik aufzutreiben und zu hoffen, dass mit seinem Tod alles normal werden würde. Ich fühlte mich zerschlagen und gleichzeitig seltsam aufgewühlt, als hätte ich einen Tatendrang den es zu erfüllen galt, aber nicht wüsste was es war oder wo ich danach suchen sollte.
Wir machten uns schnell wieder auf den Weg. Ich verschwieg den anderen, wie schlecht es mir nach diesem Traum ging. Der Wald war zu einer grauen Masse verkommen aus dem knorrige Äste ragten und kein einziger Laut drang. Unsere Kleidung verbleichte in ein ebenso farbloses Grau, dass uns allen vor Augen führte wie schlimm die Lage tatsächlich war.
Das einzige Tier das wir zu Gesicht bekamen, war ein zweiköpfiges Schwein. Zwei Köpfe und es rannte, war also lebensfähig. Zu anderer Zeit hatte ich es gerne untersucht, aber angesichts unserer gräulichen Strähnen verschob ich es auf später.
Wir erreichten ein Lager nach zwei Stunden, in dem die Bevölkerung von Dragenfeld Zuflucht gesucht hatte. Ein Lager voller Menschen, die eine Tsageweihte verbrannt hatten. Und bestimmt jenen Magier gesehen hatten. Ich ließ also Latu und Greifwin vorausgehen um eventuellen Fehlentscheidungen in den Köpfen der Dorfbewohner vorzubeugen, aber es war nicht nötig. Das Dorf bestand nur noch auch sabbernden Irren und alten Greisen. Sie mussten sich länger in
dieser verändernden Umgebung aufgehalten haben, als gut war. Eine gerechte Strafe, vermute ich.
Latu fragte den Sprecher der Gruppe, warum sie vor einigen Tagen ihre Tsageweihte verbrannt hatten, und er berichtete, dass vor einiger Zeit jene Tsageweihte alte Echsenmagie benutzt hatte um die Umgebung um das Dorf fruchtbarer zu gestalten. Jenem Ereignis war der Besuch eines Magiers vorausgegangen, der in die alte Burg des Dorfes eingezogen war. Nicht Koroban,
zumindest die Beschreibung stimmte nicht mit jenem Magier überein, den wir gesehen hatten.
Die Fruchtbarkeit des Landes stellte sich jedoch als trügerisch heraus, denn in letzter Zeit waren immer mehr Missgeburten aufgetreten, und die Dörfler machten ihre Geweihte dafür verantwortlich, so dass sie einzig in ihrem Feuertod eine Lösung sahen. Doch jetzt war alles nur noch viel schlimmer und sie hatten sich entschlossen das Dorf zu verlassen, bevor alle denkenden Menschen tot waren. Ich schüttelte nur ungläubig den Kopf. Echsenmagie? So weit im Norden?
Doch wir mussten weiter, wenn wir noch etwas erreichen wollten. Mutter Linai entschloss sich bei den Dörflern, die sie wohl vor einigen Tagen noch gerne verprügelt hätte, zu bleiben und mit ihnen nach Baliho zu ziehen. Der wahre Grund war vermutlich, dass sie sonst spätestens in einem Tag tot wäre, und hier wollte niemand sterben. Wir ließen auch den noch immer bewusstlosen Inquisitor bei ihnen, denn er würde uns nur eine Ballast im kommenden Ereignis, wie auch immer es aussehen würde, sein.
Auf dem Weg nur wenige Schritt vom Lager entfernt trat ein Goblin in unseren Weg und von den Seiten traten noch mehr von ihnen unter das Licht des Madamals. Sie wollten nicht kämpfen, nur reden und ebenfalls fliehen. Sie schienen uns jedoch zuerst nicht zu glauben, dass wir nicht mit dem Magier im Bunde waren. Sie wollte einen Beweis und ich ließ sie an meinen Gedanken zu diesem Thema teilhaben. Dann sprach sie einen Segen über unsere Gruppe und ließ uns ziehen, nicht ohne, dass wir ihr ein Versprechen abgerungen hatten die Dorfbewohner zu
begleiten.
Kurz darauf erreichten wir eine Hügelkuppe und vor uns erstreckte sich die Stadt, wohl eher das Dorf, Dragenfeld in sanftes graues Licht getaucht, wie alles grau war, was wir sahen und mit uns trugen. Die Häuser waren zerstört und eingefallen, das Wasser brackig und schal. Der Tsatempel in der Dorfmitte jedoch strahlte sanfte Farben aus, die im Einheitsgrau seltsam fremd und ungewöhnlich fehl am Platz wirkten. Greifwin rannte auf den so sicher erscheinenden Hafen zu
und wir anderen folgten kurz darauf. Auf dem nahen Hügel erhob sich die Burg mit einem kleinen Turm wie ein Fingerzeig auf den noch farbigen Himmel.
In der Mitte des Dorfes wurde die Zerstörung erst richtig deutlich. Das Altern dieses Teiles der Welt, und ich hoffte bei allem was mir teuer war, dass es nicht auf ganz Aventurien übergreifen würde, hatte das Dorf zu einer Ruine vermodern lassen. Einige Türstützen und halbe Dächer standen noch, die Kadaver von Tieren lagen überall im Dorf herum. Tote Hunde, Katzen und Kleintiere, deren Lebenserwartung nur wenige Jahre beträgt, und die sich nicht auf den Weg gemacht hatten, dem Unheil zu entkommen, weil ihre Besitzer die schleichende Veränderung
nicht bemerkt hatten.
Der Tsatempel jedoch leuchtete in einem schwachen unrealistischen Regenbogen, und die Tür gab nach wenigen versuchen nach, so dass wir nach innen dringen konnten. Es fühlte sich … besser an, obschon man auch hier den Verfall sehen konnte, der langsamer aber unaufhaltsam voranschritt.
Wir machten uns an eine Bestandsaufnahme des Tempels und ich entdeckte drei Phiolen mit blauer Flüssigkeit, und drei Heiltränke, von denen ich zwei einnahm, um die Schmerzen der letzten Nacht vergessen zu machen.
Greifwin fand vier Bücher, von denen eines die Chronik der Geweihten war, die anderen Magierbücher mit Eintragungen die mir seltsam bekannt vorkamen. Richtig! Ich hatte schon einmal solche Eintragungen gesehen. In den Büchern, die wir aus meinem Turm genommen hatten. Aber was machten Eintragungen von Liscom in Büchern in einem so kleinen Dorf so weit im Norden?
Die Chronik berichtete von der Ankunft des Magiers und von den Versuchen der Tsageweihten das Dorf zu unterstützen. Letztlich endete es aber bevor irgendwelche validierenden Informationen zu Tage treten konnten.
Wir entschlossen uns ein wenig hier im Tempel zu ruhen und dann den Aufstieg zur Burg zu wagen.

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