Das Leben eines Gezeichneten – Teil 14
Altraum ohne Ende - Teil 2
24 Ingerimm
Trotz unseres frühen Aufbruches erreichten wir das Osttor zu spät. Mutter Linai, mit Reit- und Packpferden und entsprechendem Proviant, wartete schon auf uns. Wir brachen direkt weiter auf, ritten bis zum Mittag weiter und erreichten die Stadt Andrach. Auf dem Marktplatz hielt uns ein weiterer Praiot an und befahl uns mit ihm zu kommen. Da wir nicht wirklich eine andere Wahl hatten folgten wir ihm. Aber als ich sah wohin er uns führte, wünschte ich wir hätten es nicht
getan. Im Norden der Stadt lag ein großes Lager von … Bannstrahlen und Praiosgeweihten. Und er führte uns mit hinein in einen großen Raum, in dem zwei Magier und etliche Praioten standen. Ich musste mich arg konzentrieren um nicht irgendwelche vielleicht albern wirkenden Ohnmachtsanfälle zu erleiden. Der Anführer der Gruppe fragte uns wohin wir reisten, aber wir ließen lieber Mutter Linai für uns sprechen. Mitten im Gespräch betrat ein weiterer Praiot den Raum und mischte sich ein, so dass ein Streit entbrannte. Letztlich befahl man uns quasi im
Nordosten nachsehen zu gehen. Sonst würde man in den umliegenden Dörfer alle Tsageweihten töten, oder so ähnlich. Ich habe zugegebenermaßen nicht richtig zugehört.
Auf Nachfrage erzählte man uns, dass ein Hochgeweihter der Kirche einen Verrat durch die Tsa gesehen hätte und deshalb die Tsageweihten alle unter Verdacht standen… was auch immer mich die Tsageweihten des Mittelreichs angingen. Aber da ich eh in die Richtung ziehen wollte… und ein Widerspruch wohl nicht angenommen werden würde, nickten wir alle freundlich und verließen schnellstmöglich den Ort in weiß-gold.
Warum sollte denn plötzlich Tsa für irgendetwas verantwortlich sein? Und wenn es so wichtig war, warum schickte man nur uns weiter? Das war doch irgendwie alles sehr merkwürdig, was hier ablief. Wir jedenfalls beschlossen den Ort wirklich schnellstmöglich nach Norden zu verlassen.
Gegen Abend, es wurde schon dämmerig, trat aus dem Gebüsch am Wegesrand ein kleiner Junge und verlangte Wegzoll. Greifwin schien Gefallen an ihm zu finden, denn er warf ihm einen Silbertaler zu. Der Kleine fragte uns ob wir bei ihm übernachten wollten und da das besser als draußen war, sagten wir zu.
Er führte uns zu dem Hof seiner Eltern mit denen wir dann unser Essen teilten. Mitten im Essen traf ein weiterer Gast ein. Eine Rondrageweihte. Sie wurde ebenso höflich von den Gutsbesitzern empfangen. Als sie sich vorstellte schien Leowulf ein bisschen blasser um die Nase zu werden und Greifwin versuchte sich an Ehrerbietung. Ich wunderte mich laut über das Verhalten und man wies mich darauf hin, dass die Frau dort vor uns das Schwert der Schwerter sei. Die oberste Rondrageweihte – ich werde hier einfach gar nichts mehr zu sagen. Sie kam direkt aus dem Gebiet in das wir wollten, konnte uns aber nichts Erwähnenswertes berichten, so dass wir uns alle schlafen legten.
Ich wurde durch seltsame Geräusche wach. So als würde man eine Katze erwürgen, und es drang aus dem Raum der Geweihten zu mir. Ich erhob mich und Latu ebenfalls, der wohl auch wach geworden war. Wir gingen gemeinsam zur Tür um diese langsam zu öffnen. Im inneren herrschte Dunkelheit und ich entzündete ein magisches Licht. Die Geweihte lag in ihrem Bett und schien eine große Wunde im Bauch zu besitzen an der sie herumkratzte, und die sich sich gerade selbst zugefügt hatte. Beinahe gleichzeitig stürzten wir auf sie zu um sie festzuhalten
und aufzuwecken. Ersteres gelang, Zweiteres nicht. Bevor ich mich um diese Ungewöhnlichkeit kümmern konnte, versorgte ich die Bauchwunde notdürftig. Inzwischen waren auch die anderen beiden aufgewacht und ich wagte eine magische Untersuchung mittels eines Odems. Eine magische Beeinflussung. Aber welcher Art konnte ich nicht sagen, trotz eines Analys. Leowulf schließlich konnte sie wecken indem er ihr ein Schwert in die Hand drückte. Ein Schwert. Also
wirklich.
Sie schien einen Alptraum gehabt zu haben. Und offensichtlich nicht nur diese Nacht, sonder schon seit geraumer Zeit. Ich riet ihr dringend einen Tempel aufzusuchen. Das schien ungesund zu sein. Und beileibe mit Träumen kannte ich mich aus! Wir entfesselten sie – wir hatten sie gebunden um sie nicht festhalten zu müssen – und legten uns wieder schlafen. Leowulf durfte über die Geweihte wachen. Welch Ehre… vermutlich.
25 Ingerimm
Wir brachen früh auf und zogen weiter in Richtung Norden. Die kleine Stadt Braunsfurt lag an der Wegkreuzung bei der wir nach rechts abbiegen mussten. Die Landschaft um uns herum war geprägt von Viehweiden und sanften Hügeln auf denen Korn wuchs – vermutlich um die Rinder zu ernähren. Etwas weiter zogen wir durch das Städtchen Dreibrücken, ein ebenso verschlafenes Nest. Aber hier, so hatte man uns in Braunsfurt berichtet, sollte ein schwarzer Mann gehängt worden sein. Hinter dem Dorf fanden wir ihn dann. Ein Moha. Ein Moha im Norden? Sehr merkwürdig. Ich trat etwas näher an ihn heran und schaute ihn mir genauer an. Er
war wegen Viehdiebstahl gehängt worden. Der dritte innerhalb einer Woche. Latu hatten einige Problem mit dem Toten und ich winkte mit dem Arm des Toten hinüber zur Straße. Ein schlechter Scherz, ich weiß. Man verliert einfach den Respekt vor Toten, wenn man sie wieder rumlaufen lassen kann.
Gegen Abend erreichten wir den Ort Aelderwald. Ein weiteres beschauliches Dörfchen. Wir mieteten uns Zimmer und aßen zu Abend. Ich übte noch ein wenig mit Nachtsturm, dem das Wetter hier nicht so behagte und legte mich dann schlafen.
Ich träumte. Nicht das das ungewöhnlich wäre, aber was ich träumte schon. Ich war ein Gott, oder zumindest etwas ähnlich Mächtiges. Ich mag es eigentlich ungern aufschreiben, daher lasse ich es. Wer weiß… ich bin lieber vorsichtig. Zumal der eigentlich gut begonnene Traum sich ins gegenteilige verkehrte und mich unausgeschlafen zurückließ.
26 Ingerimm
Ich fühlte mich nicht gut und auch Latu schien es nicht besonders zu gehen. Auf eine Frage Greifwins, antwortete er, dass er schlecht geträumt hätte und berichtete mit seinen Worten meinen Traum. Jetzt hatten wir beide denselben Traum. Das war nun beileibe eine Offensichtlichkeit, die man nicht mehr übersehen konnte. Aber eine Möglichkeit es zu ergründen hatten wir nicht, also machten wir uns auf den weiteren Weg. Immerhin würde ich nicht alleine verrückt werden. Ein gewisser Trost…
Unser Weg führte uns durch eine riesige Klamm über einen grässlich schmalen Pfad und einen reißenden Fluss zu unserer rechten. Ich hielt mich an die linke Wand und ließ Nachtsturm zwischen mir und dem Abgrund laufen, damit ich ihn nicht sehen musste. Es schien ihm ebenso wenig zu behangen.
Dann blieben wir auch noch plötzlich stehen… Greifwin war die Wand hinabgeklettert um ein Reh zu retten… wie wahnsinnig war das denn? Warum sollte man denn sein Leben für ein dummes Tier riskieren? Ich lehnte meine Stirn an Nachtsturm, seufzte und wartete bis es weitergehen konnte.
Mitten in der Klamm lag ein kleines Dorf an der Felswand. Braunklamm oder so ähnlich. Ich konnte die Karten nicht richtig lesen, die wir bekommen hatten. Offensichtlich mindere Qualität. Wir liefen ein Stück auf die Stadt zu, als neben der Mühle am Fluss ein ärgerlicher Zwerg auftauchte und sich beschwerte warum ihm denn niemand helfen würde. Ein Stichwort für die beiden Geweihten. Ich folgte etwas später in die Mühle und der Zwerg erklärte auch mir, dass sich etwas in seinem Mühlrad verfangen hatte und es nicht mehr lief. Latu erklärte sich bereit nachsehen zu gehen. Der Zwerg schien wasserscheu. Greifwin stieg auf ein Zurufen Latus ebenfalls hinab um mitzuhelfen.
Nach einigen Minuten tauchte Greifwin wieder aus der Luke auf und rannte aus der Mühle heraus. Ich folgte etwas verwirrt um nachzufragen was denn jetzt passiert sei. Er war durch irgend etwas entsetzt und war natürlich nass. Ich versetzte ihm eine Ohrfeige, die ihn wieder zur Räson brachte. Unten im Mühlrad steckte ein Toter fest. Und er hatte ihn angeblich festgehalten. Gut, prinzipiell nicht unmöglich. Ich sah mich um, da ich das Geräusch der sich bewegenden Mühle hören konnte. Die Leiche musste also rausgespült worden sein. Sie schwamm in einiger
Entfernung im Fluss. Ich lief los um mir die lange Stange des Müllers zu holen und fischte die Leiche aus dem Wasser um sie zu untersuchen.
Sie hatte Stich und Branndwunden und ein großes Loch in der Stirn, und war vor allem einer der Menschen, die mit dem Praioten aufgebrochen waren um den Magier zu suchen. Ha, das hatte er jetzt davon, dass er nicht uns genommen hatte! Ich hob den Toten etwas hoch um ihn in Richtung Greifwin zu halten, so dass er den Toten identifizieren könnte. Es war der richtige, aber nicht untot. Also konnte er auch nicht nach ihm gegriffen haben.
Leowulf und Latu trugen den Toten zum Tempel um ihn dort abzuliefern und Greifwin und ich machten uns auf im Gasthaus für Essen zu sorgen. Mutter Linai übernachtete lieber in Tempeln, wie es schien. Sie war schon direkt vor der Mühle in Richtung Tempel verschwunden.
Er hat mich gefunden. Jetzt bin ich mir sicher! Ich träumte wieder die Nacht über. Ich stand in der Gor, der dickflüssige Sand umspülte meine Beine und der Horizont war verschwommen wie immer. Neben mir stand mein Turm. Natürlich, dachte ich bei mir. In der Gor ist mein Turm. Aber er war rot, und zwar röter als der Fels aus dem er eigentlich gebaut worden war. Ich befürchtete kurz, dass Adaque ihn vielleicht gefärbt hätte, aber tat das einfach als traumgegebene Unsitte ab. Eigentlich hätte es mir direkt auffallen müssen. Ich dachte im Traum über den Traum nach. Das ist nicht normal. Der Traum zog sich weiter und über mir öffnete sich ein Tor. Ich wurde in den Himmel gezogen, ähnlich dem Traum, den ich in der Gor gehabt hatte, aber weit weniger schmerzvoll, oder besser anders schmerzvoll. Ich war in einer Welt des Graus gefangen. Boden, Himmel und alles war grau. Und es war noch etwas anderes hier. Ich konnte, nein wollte mich
nicht umwenden um nachzusehen. Es reichte alleine die Gewissheit, dass es mich töten würde, wenn es mir zu nahe kam. Ich begann zu laufen. Am Horizont erschien ein grünes Licht auf das ich ohne es zu wollen zulief. Grün! Ein Hinweis. Es hätte mir auffallen müssen, aber mein Kopf arbeitete nicht wie sonst. Immer näher kam das grün und als ich es erreichte spürte ich den metaphorischen Atem meines Verfolgers in meinem – vermutlich ebenso metaphorischen – Nacken. Ich fiel aus größerer Höhe in eine Welt aus grünem Licht. Und der Schatten fiel mit
mir! Ich konnte nicht mehr weiter und der Schatten schlug über mir zusammen, so dass ich aufwachte. In meinem Herbergszimmer. Dachte ich zumindest. Aber der Schatten war noch da und glitt auf mich zu um mich erneut zu umfassen.
Ich erwachte tatsächlich und sah mich angsterfüllt um. Ich erwog ein Licht anzuzünden um unter dem Bett nachzusehen, ob sich ein beweglicher Schatten dort versteckt hätte, entschied mich aber dann dagegen.
Zur Sicherheit überprüfte ich noch die Vorhänge und schloss das Fenster, damit sie nicht so im Wind wehten. Ich legte mich wieder zurück ins Bett – die anderen schienen nichts bemerkt zu haben – und begann zu grübeln und die Fakten zu sammeln. Gor – Himmelsog – Grau – Grün – Schatten – grün – Grün ist die Farbe der Hesinde – und damit natürlich auch die Farbe für Iribaar.
Natürlich. Das wäre eine Erklärung. Immerhin war ich auf recht unhöfliche Weise ihm entrissen worden. Er wird sich eine Seele, die er greifen konnte nicht so ohne weiteres entgehen lassen. Ich musste nochmals aufstehen und meine Überlegungen unterbrechen um hinter dem Schrank nachsehen zu gehen, den ich vorher übersehen hatte.
Träume also – ich weiß nicht was sie bezwecken sollten, aber Erzdämonen sind ebenso undurchschaubar wie Götter. Welche Chance hatte ich schon? Aber so ging das nicht weiter. Immerhin war ich nicht dumm. Irgendwo gab es sicherlich eine Möglichkeit. Ich musste nur so lange überleben, bis ich sie gefunden hatte, und dann…
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