In den Fängen der Seehexe

Die Welt der 1000 Abenteuer

Cover: In den Fängen der Seehexe

“Die Welt der 1000 Abenteuer” ist die mittlerweile 4te Spielbuchreihe im Sortiment des Mantikoreverlages. Wie auch die “Abenteuer Weltgeschichte”-Reihe richtet sich die aktuelle Reihe dabei eher an eine jüngere Zielgruppe. Dies wird bereits am bunten, wenn auch nicht gerade zimperlichen Titelbild und dem Motto “DU entscheidest” deutlich. Überhaupt fällt das Format etwas aus den anderen Mantikoreprodukten heraus, was sich wohl aus der Übernahme der Reihe aus dem Schneiderbuchverlag und der Platzierung im Jugenbuchsortiment erklärt.

Dass das Buch auf den ersten Blick handlicher und jugendlicher daherkommt bedeutet jedoch nicht dass es keines Blickes wert wäre oder gar von geringerer Qualität wäre. Selbstredend wurden die hohen Produktionsstandards des Verlages beibehalten und ergeben ein äußerst ansehnliches Endprodukt. Aber letztendlich kommt es natürlich eh auf den Inhalt an…

Die Spielbuchreihe

Jens Schumacher ist im Jugendbuchbereich kein unbekannter. Er hat zahlreiche Jugend- und Erwachsenenromane verfasst die sich oft der Phantastik verschrieben haben und eine Routine mit sich bringen die man dem Buch in positiver Weise anmerkt. Auch die Welt der 1000 Abenteuer hat bereits 8 Bände hervorgebracht, die jedoch nicht strikt aufeinander aufbauen. Die Reihe richtet sich gerade auch an Spielbuchunerfahrene Leser und nimmt diese mit einem kleinen Vorwort an die Hand. Dass das “DU” auf diesen Seiten etwas marktschreierisch großgeschrieben wird und die Spielfreiheit etwas überbetont wird, sollte dabei nicht über den Ansatz der Reihe hinwegtäuschen. Diese orientiert sich nämlich eher an der Fighting Fantasy Reihe als an jugendgerechter Schonkost. So ist es fast irritierend, dass der Autor nach einer freundlichen Einführung ganz offen darauf hinweist dass es nur einen richtigen Weg für das Buch gibt und der Spaß eben darin bestünde diesen Weg nach einigen Fehlversuchen und Neustarts zu finden. Ganz so streng spielt sich das Buch dann doch nicht, das ein oder andere unangekündigte tote Ende wird einem dennoch entgegenkommen.

Hintergrund und Handlung

Die Welt der 1000 Abenteuer ist eine generische Fantasywelt die so gestaltet wurde das möglichst viel und unterschiedliches Abenteuerpotential besteht. Auch wenn nicht viel über “Monravia” gesagt wird, erinnert die Welt etwas an eine Patchworkfantasy, die sich eben genau für Abenteuerspielbücher anbietet. Inhaltlich orientiert sich die Welt an Highfantasy wie man sie gerade von Spielbüchern oder manchen Oldschoolrollenspielen kennt, da man hinter jeder Ecke auf mystische Sagengestalten treffen kann und Magie zu größten Wundern fähig ist und auch den Alltag begleitet.

“In den Fängen der Seehexe” spielt vor einem vermutlich auch für die Reihe außergewöhnlichen Hintergrund. Wir stolpern als relativ anonymer (männlicher) Held in die Inselwelt Corallia, wo wir schnell erfahren, dass die Prinzessin von einer abscheulichen Seehexe entführt wurde und als Geisel gehalten wird. Etwas erzwungen sieht König Chaldur in uns die große Hoffnung für eine Befreiung und macht uns mit seinem Hofmagier vertraut. Dieser stellt uns einen magischen Trank vor der uns die Möglichkeit gibt eine längere Zeit auf dem Meeresgrund zu überleben indem der Trank uns Kiemen entwickeln lässt und befähigt dem Wasserdruck standzuhalten. Folgerichtig beginnt das eigentliche Abenteuer mehrere hundert Meter unter der Wasseroberfläche.

Die Unterwasserwelt ist etwas märchenhaft und nimmt viele Klischees auf. Wir bekommen es so beispielsweise mit Fischschwärmen, Riesenmuscheln, Hummermenschen, untergegangenen Dörfern und seltsamen Meeresbewohnern zu tun. Diese Welt wird dabei in sich stimmig und relativ glaubwürdig beschrieben. Der Autor schafft es uns durch geschickte Anmerkungen immer wieder daran zu erinnern das wir unter Wasser sind, obwohl der Meeresgrund letztlich an eine überflutete Oberwelt erinnert und einige Skurrilitäten beherbergt. Die Welt wird durch phantastische Bezeichnungen für die Bewohner und stimmige Anpassungen bekannter Klischees (z.B. Algentee und als Alakudatrolle bezeichnete Unterwassertrolle) lebendig gemacht, wenngleich mich das Thema nicht ganz überzeugen konnte

Obwohl die Welt sehr phantastisch ist und in einigen Details sogar deutlich an Märchenstoff erinnert sind die Tuschezeichnungen erstaunlich düster und fast bösartig. Die Fülle an Illustrationen und die maritimen Füllzeichnungen zwischen einigen Abschnitten werten das Buch zwar auf, der Stil erinnert aber eher an den Einsamen Wolf als an eine Jugendreihe, was teilweise im Widerspruch zu harmlosen oder lustigen Begegnungen steht.

Regeln

Die Spielbuchreihe nutzt ein eigenes und sehr minimales Regelsystem. So wird auf Lebenspunkte, verschiedene Waffen und aufwendige Fertigkeitenlisten verzichtet. Bei der Charaktererschaffung wird lediglich eins von fünf Talenten ausgewählt was direkt auf dem Abenteuerblatt angekreuzt werden kann. Der Rest der Seite ist frei für Besitztümer (wobei kein Tragemaximum besteht) und wichtige Hinweise. Das System kommt daher auch ohne jedes Rechnen aus und verwendet ein zahlenloses “Proben-” und Kampfsystem. Grundsätzlich ist das vorgehen dabei anderen Spielbüchern verwandt, aber geht doch etwas anders vor.

Zumeist wird im Text lediglich das passende Talent abgefragt. Kommt es zu Proben wird auf eine Runenliste verwiesen die sich am Anfang des Buches (leider nicht auf der Innenseite des Covers) befindet und einige durcheinandergewürfelten Runensteine zeigt auf die zufällig getippt werden soll. Die Abschnitte fragen dann ab ob eine von mehreren Runentypen getroffen wurde, was thematisch passend ist und sich als weniger manipulierbar herausstellt als eine Zufallszahlenliste, aber auch etwas umständlicher zu handhaben ist.

Auch das Kampfsystem geht einen interessanten Weg. Zuerst spielt die gewählte Waffe nur in Sonderfällen eine Rolle, es ist lediglich relevant das überhaupt eine Waffe besessen wird um einen Kampf beginnen zu dürfen. Der anschließende Kampf kommt ebenfalls ohne Werte aus. Stattdessen werden für jeden Kampf individuell 4 Zeilen mit je 5 Koordinatenangaben genannt (A1-E8) die sich auf eine Kampftabelle beziehen die jedem so bestimmten Kästchen ein Symbol für Sieg, Niederlage oder Unentschieden zuweisen. Zuerst muss im Kampf eine Koordinate aus Zeile 1 gewählt werden.Verweist diese auf ein Unentschieden muss eine Koordinate aus Zeile 2 gewählt werden und so weiter… Dies ermöglicht eine gute Steuerung der Gegner, da die Verteilung von Sieges- und Niederlagenfeldern unmittelbar bestimmt werden kann und so auch ein definitives Ende gesetzt werden kann indem der letzten Reihe nur eindeutige Ereignisse (Sieg/Niederlage) zugewiesen wurden. Gleichzeitig bleibt das System durch lediglich 3 Zustände sehr grob und man ist dazu geneigt sich die richtigen Kästchen bei einem Neustart zu merken.

Grundsätzlich funktioniert dieses System gut, spielt sich aber etwas grob. Ressourcenmanagement oder ausgefeilte Kampfabläufe finden keinen Platz. Erfrischend ist dafür der kreative Umgang mit Hinweisen und Gegenständen die Optionen freischalten sowie die Möglichkeit eine Gefährtin zu finden. Letzteres ist besonders gut gelöst, indem einige Absatznummern einfach invers geschrieben wurden und zu diesen einfach 10 addiert wird um den passenden Abschnitt für die Begleitung zu finden. Das funktioniert in dem Buch außerordentlich gut und führt zu einer Begleiterin die nicht nur ab und an auftaucht sondern fest eingebaut wurde.

Fazit

Die Welt der 1000 Abenteuer ist ein vollwertiges Spielbuch das trotz der Jugendorientierung auch für ältere Spielbuchfans taugt. Die Abschnittführung ist gelungen und entgegen den Anspruch, dass es nur einen richtigen Weg gibt spielt sich das Buch relativ frei und weist nur wenige (aber trotzdem ärgerliche) unangekündigte toten Enden auf.

Die Regeln sind dem Spielbuchformat angemessen und meines Erachtens sogar passender als ein komplexeres System das kaum genutzt wird. Der Hintergrund ist etwas eigen, unterscheidet sich aber nicht sonderlich stark von anderen Vertretern der Spielbuchgattung. Auch die Legenden von Harkuna haben starke märchenhafte Züge und lediglich einige etwas lockere Gespräche erinnern einen daran ein Jugendbuch vor sich zu haben. Dafür merkt man dem Schreibstil positiv an, dass hier ein Routinier am Werk ist der sein Handwerk versteht

Für den recht niedrigen Preis von etwa 10€ macht sich die Welt der 1000 Abenteuer als ein gutes Geschenk für zukünftige Spielbuchfans und auch ältere Spielbuchfans werden nicht enttäuscht werden.

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