Das Reich der Masken & Herren der aufgehenden Sonne

Die Legenden von Harkuna 3

Fabled Lands gehört zweifelsohne zu den ambitioniertesten Projekten der Spielbuchlandschaft. Die Reihe aus den 90ern nahm sich nicht weniger vor, als eine freibegehbare Welt zu schaffen, die der Held frei bereisen kann. Nicht nur das. Statt auf einen fixen Charakter oder wenige Optionen beschränkt zu sein, dürfen wir eine freie Charakter- und Klassenwahl vornehmen und so ein ganz individuelles Abenteuer erleben. Wer Kämpfer statt Dieb ist, dem werden manche Geheimtüren dauerhaft versperrt bleiben. Dafür wird ihm die Möglichkeit offen stehen mit manch anderer ins Haus zu fallen. Fast so wie im richtigen Rollenspielleben also.

Eine Welt voller Welten

Die Buchreihe bietet den Charakteren also eine offene Spielwelt, in der wir uns austoben und aufleveln können. Die ist dabei so riesig, dass sie fast jeder Beschreibung spottet. Auch wenn nur 6 von ursprünglich 12 verbundenen Weltteilen realisiert wurden, dürfen wir uns auf etwa 4.500 Abschnitten ausprobieren. Das sind immerhin etwa 12 Einsame Wolf Bände …

Mantikore hat die verdienstvolle Aufgabe in Angriff genommen, dieses epische Werk zu übersetzen. Nachdem erst eine Einzelbandausgabe umgesetzt wurde, gibt es seit etwa einem Jahr eine Zweitauflage die je zwei Bände unter einem schick designten Cover versammelt. Endlich ist nun der dritte und damit leider auch letzte Band der Reihe erschienen, der die Bände 5 und 6 enthält.

Der erste Teilband umfasst „Das Reich der Masken“. Den Kontinent durchziehen insulanische Motive, ansonsten wird er von klassischen Fantasymotiven geprägt. Im Zentrum steht dabei eine Sozialordnung in der sich der Stand durch getragene Masken erkennen lässt und in der es sich viel um Anerkennung dreht. Wir haben dabei die Möglichkeit uns eben jene zu erarbeiten und selber den Rang eines maskierten Lords einzunehmen. An dieser Stelle kann der Umfang des Projektes besonders deutlich werden. Um uns in der Rangordnung hochzuarbeiten, müssen wir Reputation sammeln. Die erlangen wir durch das Erfüllen von mehreren von etwa zehn verschiedenen Aufgaben, die jeweils ein vollständiges kleines Abenteuer darstellen. Allein das erreichen eines guten Ranges, kann einen guten Spielabend ausmachen -und damit ist lediglich ein Hauptstrang abgearbeitet.

Damit nicht genug, umfasst der Band wie erwähnt ganze zwei Welten. Das Reich der „Herren der aufgehenden Sonne“ könnte unterschiedlicher kaum sein. Hier steht zwar wieder die Sozialordnung im Mittelpunkt, wir haben es aber diesmal mit konkurrierenden Clans zu tun, die nach offensichtlich asiatischem Vorbild gestaltet sind. Die Welt arbeitet durchgehend mit fernöstlichen Motiven und nimmt dabei neben einigen Klischees auch Motive aus dem asiatischen Horror auf. Der etwas sehr stereotype Stil mag nicht mehr zeitgemäß sein, dafür bleibt uns die Gegend im Gedächtnis und sorgt für einige Abwechslung.

Besonders gelungen sind die Verzahnungen zwischen den Bänden. Zum einen wäre da die Tatsache, dass eigentlich jeder Ort den wir sehen können auch zu erreichen ist. So können wir beispielsweise im Reich der Masken eine Burgruine sehen, die wir durch eine Reise nach Band 4 besuchen. Wir können also wirklich durch alle sechs Bände laufen, wobei uns Hafenstädte „Abkürzungen“ erlauben. Auch Codewörter – also entscheidende Ereignisse – und Aufgaben ziehen sich oft durch mehrere Bände. Das gilt auch für manche negative Konsequenzen. Ohne etwas Genaues vorwegzunehmen, kann es uns so passieren, dass wir als Strafe für ein Verbrechen im Land der aufgehenden Sonne versklavt werden. Das leitet uns nicht zu einem Abschnitt in dem unser Sklavenleben bedauert wird und das Buch beendet wird, sondern zu einem eigenen Plot im Reich der Masken. Mit etwas Glück können wir dort mehr oder minder von vorne Anfangen oder unseren vorher erspielten Status einsetzen… Solche Ereignisse machen unser Spielerlebnis wirklich einmalig, manchmal aber auch etwas zu unkontrollierbar…

Oldschool Rollenspiel

Bei aller Faszination darf man nicht vergessen, dass Fabled Lands ein Spiel aus den 90er Jahren ist und eng mit der Oldschooltradition (hier lohnt sich ein Blick in die Oldschoolfibel (pdf)…) verbunden ist. Zum einen ist das beeindruckend. Die Reihe nimmt Motive vorweg, die wir heute von Open World Spielen kennen. Wir können zahllose Dinge sammeln, Abenteuer und Gefahren liegen am Wegesrand und Aufgaben werden im Wesentlichen durch die Reise zwischen zwei oder mehr Orten bewältigt. Es gibt Schatzkarten, Rätsel, lesbare Bücher, Seehandel, erwerbbare Unterkünfte und versteckte Informationen. Das alles zeigt, wie detailverliebt die Welt gestaltet wurde. Ankreuzkästchen und Codewörter erlauben dabei sogar eine fast schon dynamische Spielwelt. Auf der Gegenseite stehen dafür ein gewisser Verwaltungsaufwand, sowie der schon genannte Oldschoolfaktor.

Letzterer zeigt sich daran, dass Fabled Lands eine Herausforderung sein will. Wir werden nicht an die Hand genommen und einfach nur belohnt. Stattdessen gilt es knackige Proben zu bestehen die gerne auch einmal in einem unvermittelten Tod führen. Wer hier nicht mitdenkt, sich überschätzt und gar vergisst Wiederbelebungsverträge abzuschließen verliert schnell die Puste. Auch fehlen uns eine Minimap und Wegpunkte. Wir müssen also wirklich anhand der Karte manövrieren und dabei oft mehrere Zufallstabellen über uns ergehen lassen. Auch gibt es manchmal unplausible Situationen in denen wirklich nur eine einzige Lösung funktioniert und wir zum Scheitern verurteilt sind, wenn wir nicht zufällig ein richtiges Objekt gesammelt haben.

Fazit

Auch die Negativaspekte sollen nicht über die wahnsinnige Faszination der Reihe hinwegtäuschen. Fabled Lands ist in gewisser Weise das monumentalste Spielbuch, dass die Grenzen des Genres in nicht mehr wiederholter Weise ausgelotet hat. Schummelt man etwas, oder nimmt den Herausforderungsaspekt wirklich ernst, kann man darüber hinaus den Frust reduzieren und sich ganz in die Verzwickungen der Welt(en) einlassen.

Mit den drei exzellenten Doppelbänden von Mantikore, kann man die Zauberhaften Welten von Harkuna erstmals ‚vollständig‘ erkunden und sich für vergleichsweise kleines Geld in der Welt verlieren. Sicherlich, mit dem gradlinigen Kampffokus und komfortablen Questoptionen der Destiny-Reihe, oder dem Storytellingtalent von Harders Büchern kann das Kleinod aus den 90ern nicht immer mithalten, der atemberaubende Umfang und die höchst kreative Spielwelt ist aber unerreicht. Wer sich auch  nur etwas für Spielbuchdesign oder Oldschoolphantastik erwärmen kann, sollte unbedingt zugreifen!

 

PS. Wer mehr über die Reihe oder einzelnen Bände erfahren will, kann sich auch meine älteren Besprechungen anschauen. In der Besprechung zu Band 1 gehe ich auch näher auf Regeln und Spielgrammatik ein.

Sammelband 1

Sammelband 2

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