Steinerne Schwingen
Abenteuer 201
Ein Stadtabenteuer sollte es werden. Passend zur neuen und vor einem Jahr erschienenen Box zur Hauptstadt Gareth. Das Abenteuer ist irgendwann nach der Rückkehr des heiligen Lichts, also nach 1036BF anzusiedeln (innerhalb der Spielwelt ist es 1038BF) und ist für erfahrene Helden, die sich schon einen Namen gemacht haben. Die Schwierigkeit für den Spielleiter ist hoch und für die Spieler mittel, es werden Interaktion, Kampf, Talenteinsatz und Zauberei gefordert.
Das Abenteuer selbst ist in sechs einzelne Teile aufgeteilt, die zwar schon irgendwo nacheinander spielen, aber durchaus auch parallel laufen können, wenn die Helden bestimmte Ereignisse triggern. Für viele Aufgaben, die die Abenteuer stellen, werden sowohl für phexisch angehauchte Gruppen, als auch für rechtschaffend gute Vorschläge und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, so dass beide Gruppenarten bedient werden können. Vor dem eigentlichen Beginn des Abenteuers werden zunächst die wichtigsten Akteure vorgestellt – ist Geschmackssache, ob man das vor oder nach den Ereignissen haben möchte – so kennt man aber zumindest schon einmal die Motivation der Handelnden.
Daher ist auch am Anfang jedes Kapitels einmal beschreiben was die NSCs im Verlauf so erledigen, auf das der Spielleiter weiß was neben den Heldenhandlungen so passiert und welche Folgen es hat, wenn die Helden inaktiv bleiben oder zu lange brauchen.
Eine Besonderheit hat dieses Abenteuer noch, und zwar können die Spieler zeitweise optional auch selber Gargylen spielen, welche im Anhang mit Werten abgebildet sind.
Man benötigt übrigens nicht zwangsweise die Gareth Box für das Abenteuer, aber schaden tut sie nicht.
Das marmorne Mädchen
Zunächst wird den Helden ein kleiner Vorgeschmack auf die Nirgendgassen und Schattenpfade in Gareth gegeben, mit denen sie vermutlich ebenso wie die Spieler selbst noch nichts zu tun hatten: Eine seltsame Anhäufung von Scherzartikeln in einer Schule und ein spurlos verschwundener Dieb wollen verfolgt werden.
Doch dann kommt der erste richtige Auftrag um einen solch seltsamen Ort. Eigentlich klingt es recht einfach, die Helden sollen bloß zählen wieviele Stockwerke ein bestimmtes Gebäude hat – oder im Falle einer eher phexischen Gruppe eine Person dort suchen – aber erst einmal vor Ort müssen die Helden feststellen, dass das Gebäude innen größer ist als außen, Treppen scheinbar im Nichts enden und eine Mädchenstatue sie zu beobachten scheint.
Als nächstes fällt einfach so eine Leiche vom Himmel – gut, nicht vom Himmel, sondern von… ja, genau das ist die Frage der die Helden nachgehen sollen: Wie kommt eine Leiche in den Kleiderschrank. Und auch bei diesen Nachforschungen treffen sie sowohl auf einen seltsamen Ort, als auch wieder auf das steinerne Mädchen.
Und dann war da noch das Dämmertor. Wer hier zu einer bestimmten Zeit durch tritt, den vergisst die Welt. Doch die Helden haben hoffentlich keine Lust in der Gemeinschaft der Vergessenen durch die Straßen zu wandern und von allen ständig angerempelt zu werden und suchen dann nach einem Ausweg. Ein Ausweg, der sie zwangsweise zu einem sehr alten Haus führt, welches ihre Fragen beantworten kann – zumindest wenn sie lange genug vor Ort bleiben. Und auch hier zeigt sich wieder die Mädchenstatue, die den Helden Träume über ein seltsames anderes Gareth gibt, ein Feenreich und eine Gefahr, die sie aber selbst nicht recht versteht.
Der Einstieg in das Abenteuer ist locker leicht und flüssig. Auch Spielleiteranfänger werden mit diesem Kapitel wenig Probleme haben, da die jeweiligen Aufgaben der Helden sehr klar umrissen sind. Einzig die Nachforschungen hinter dem Dämmertor könnten schwieriger werden, weil hier auch ein wenig Improvisation seitens der Spieler erwartet wird.
Dem Spielleiter jedenfalls ist aller Hand Zeugs für die einzelnen Abschnitte mitgegeben worden, sowohl was den Ablauf, als auch die Beschreibung betrifft.
Natürlich setzt das ganze Abenteuer hier voraus, dass die Spieler überhaupt Lust haben solche kleinen Aufträge zu erfüllen, aber bei diesen werden wohl eher selten solche Probleme auftreten, da sie recht spannend und mysteriös daher kommen.
Ein wenig.. nein eigentlich sehr! schade ist, dass der Autor nicht erwähnt woher er seine Ideen geklaut hat. Denn damit hätte der Spielleiter noch eine weitere Möglichkeit sich Anregungen zu holen. Wer etwa das Planescape Setting von DnD bzw. einfach Planescape Torment (das Computerspiel) kennt, wird sofort bei der Erwähnung wie man auf die Nirgendgassen und Schattenpfade kommen kann an die Tore der Stadt Sigil denken. Und eine Gasse, die spricht und dabei ihr Gesicht zeigt und gerade Probleme hat ist im Grunde eine Eins zu Eins Übertragung einer Szene aus dem Computerspiel.
Die zweite geklaute Sache ist das Dämmertor. Hier wird sich zu fast 100% bei Neil Gaimans Neverwhere bedient, bei dem ein relativ normaler Bursche durch die Rettung eines schmuddeligen Mädchens in eine Welt unter London gezogen wird und die reale Welt ihn vergisst. Dort in London below gibt es einen Trödelmarkt auf dem sich alle treffen und sogar den Vogelmann, der hier im Abenteuer als NSC beschrieben wird.
Es ist natürlich absolut nicht negativ sich seine Ideen bei großen Größen zu holen, aber eben traurig, dann nicht den Schneid zu haben das auch den Lesern zu sagen – gerade in einem Rollenspielabenteuer in dem man gar nicht alles schreiben kann und eben Anregungen von woanders nochmal doppelt cool sind.
Schleichendes Gift
Die Helden werden von der Hesindekirche gebeten doch einem seltsamen Verbrechen nachzuforschen. Und zwar ist in ihre Archive im Keller eingebrochen worden und keiner weiß, wie der oder die Diebe das gemacht haben, geschweige denn ob etwas entwendet wurde. Begeben sich die Charaktere an den Ort des Geschehens, finden sie neben einem ziemlichen Trümmerhaufen auch ein fehlendes Buch und einen geheimen Gang. Dieser Gang führt über einen Schattenpfad zu einem Teil der fliegenden Festung, der einen Ausläufer des gesplitterten Berges, bildet und von dem Dieb mit einigen fiesen Fallen und Dämonen versehen wurde.
Haben sich die Helden erst einmal durch diese bewegt, können sie eine vor kurzem statt gefundene Beschwörung eines Dämons finden. Doch zu welchem Zweck der Dämon gerufen wurde ist zunächst nicht ersichtlich. Ebenso wenig Hinweise auf dessen Beschwörer. Doch schon bald ist offensichtlich was der Dämon hervorruft und wo er sich aufhält. Er sucht vornehmlich Nirgendgassen und Schattenpfade auf und verursacht dort enorme Schäden auch am realen Gareth, die von den Helden verhindert werden müssen.
Hier haben wir einen hübschen Dungeoncrawl in zwei Teilen. Der erste Teil ist das durchsuchen der Archive, die nun auch schon nicht mehr so harmlos sind, wie sie mal waren, der zweite dann im Labyrinth auf der anderen Seite des Schattenpfads, wo es richtig schwierig werden kann. Allerdings nur für die Helden und Spieler, nicht für den Spielleiter, der hier wieder vom Abenteuer mit allerlei Hintergrundmaterial versorgt wird. Und zwar nicht nur mit Beschreibungen, sondern auch mit Karten und Erklärungen wie was gelöst werden soll und kann.
Im dritten Teil dieses Kapitels dann müssen die Helden dem Dämon nachjagen – werden ihn aber noch nicht finden. Das kann natürlich ja nachdem wie es geleitet wird unbefriedigend sein. Andererseits aber auch anregend, weil sie hier an vielen Baustellen richtig etwas auswirken können. Unter Umständen hat man eine etwas weniger erfreuliche Episode, wenn die Spieler feststellen, dass sie den Magier zwar geschnappt haben, aber nicht töten können. Einfallsreiche Spieler werden hier vielleicht zu einem Problem für den weiteren Verlauf und ein bisschen „Hilfe, meine Spieler haben es doch geschafft“ hätte nicht geschadet, wenn man schon daher geht und einen unsterblichen Gegner präsentiert.
Der Himmel über Gareth
Inzwischen dürften die Helden mitbekommen haben, dass der Dämon, der all diese Schäden verursacht auf der Suche nach etwas sein muss. Und wenn er dieses Etwas gefunden hat, kann das bestimmt nicht gut sein. Das weiß natürlich auch der Auftraggeber der ganzen Sache und so versucht er die Helden mit falschen Informationen in eine Falle zu locken.
Außerdem kommt den Helden dann noch der Zufall zu gute, als sie mit ansehen wie eine junge Frau von einer oder mehreren Gargylen angegriffen wird und schlimmeres verhindern können. Von ihr erfahren sie dann auch endlich den Hintergrund des Ganzen. Und das es zwei Artefakte gibt, welche die Stadt vernichten können. Der Aufenthaltsort von einem der Artefakte ist auf jeden Fall bekannt, unter Umständen kennen die Helden auch weitere.
Auf jeden Fall muss nun der Feind davon abgehalten werden, die restlichen Teile des einen Artefakts oder das zweite an sich zu bringen (oder im schlimmeren Fall das eine Artefakt wiedergewonnen werden, falls die Helden zu langsam waren). Und dann ist da ja auch immer noch dieser Dämon..
Dieser Teil des Abenteuers fordert ein wenig mehr Improvisation vom Spielleiter, da nicht vorher zu sehen ist wie genau die Spieler reagieren werden. Allerdings ist dieser Teil auch extrem offen gehalten, so dass es für den Fortgang des Abenteuers keine Rolle spielt ob die Helden nun das Artefakt haben oder zurückholen müssen oder sogar Teile des anderen Artefakts haben. Es werden Beispiele genannt für die wahrscheinlichsten Szenen – alle kann man einfach nicht nennen – und die müssten bei den meisten Spielrunden ausreichen. Vielleicht wird der eine oder andere Spieler das zufällige Auftauchen der wichtigen Person etwas mockieren, aber wirklich schlimm ist das in diesem Zusammenhang auch nicht.
Der Herr des Schwingen
Nachdem die Helden nun wissen womit sie es zu tun haben, möchten sie, bzw Marmorklaue und Desmona den uralten Wächter der Globule Gagol finden und erwecken auf das er seine Aufgabe wieder annimmt, wenn die Feen aus der Globule ihn lassen.
Dummerweise steht die Statue zu der Gagol geworden ist zwischen einigen anderen unter der Kuppel des Tempels der Sonne… nun bleiben zwei Möglichkeiten. Eine phexische Gruppe kann versuchen die Statue zu stehlen – und wird damit sicher in die Geschichte Gareths eingehen. Die andere Möglichkeit ist, die Statue abzukaufen. Das ist möglich, da die Stadt des Lichts derzeit ausmistet und ihre Statuen gegen bare Münze tauschen möchte. Daher ist eine Auktion geplant auf der die Helden mitbieten können.
Wenn die Helden dann auf die eine oder andere Art und Weise die Statue bekommen haben gilt es noch bei den Feen für Gagol zu sprechen, auf das er seinen alten Posten als Wächter wieder antreten kann. Doch der Weg in die Globule, der mal recht einfach war ist nun durch ein Noionitenkloster versperrt.
Dieser Abschnitt hätte wirklich auch eigentlich zwei Teile sein können, hat doch der erste mit dem Erwerb der Statue nicht viel mit dem zweiten zu tun. Beim ersten Teil ist zunächst Nachforschungsarbeit für die Helden angesagt bis sie wissen wo die Statue steckt. Das kann spannend sein, aber sollte wohl bei vielen Gruppen kurz gehalten werden. Die eigentliche Beschaffung allerdings, gerade wenn man auf Phexens Pfaden wandelt ist da schon eine andere Sache. Hier können entsprechende Charaktere mal so richtig glänzen. Es wird sogar kurz darauf eingegangen was ist, wenn beide Pläne nicht klappen sollten. Denn auch dann haben die Helden die Möglichkeit zur Wiedererweckung – allerdings mit Zeitverzögerung.
Das Noionitenkloster hingegen wird ebenfalls mit Plan und ausführlicher Beschreibung geliefert, aber hier könnte je nach Gruppe dann schon eine Art „och nö.. schon wieder Hindernisse, wir wollen endlich weiter“ eintreten. Da muss der Spielleiter aufpassen, dass die Spieler nicht die Lust verlieren, auch wenn der Abenteuerautor an viele witzige und interessante Gegebenheiten gedacht hat. Man muss die ja nicht auftauchen lassen, sondern kann – wie das in einem guten Abenteuer sein soll.
Das Feenreich in der Westentasche
Nachdem also unsere Helden durch das Tor sind, finden sie sich in einer seltsamen Welt zwischen Erneuerung und Verfall wieder. Der Zweck des Besuches ist ja den Herrscher davon zu überzeugen, doch Gagol wieder als Wächter einzusetzen, aber dazu muss besagter Herrscher erst einmal gefunden werden. Und der möchte das dann auch erst einmal nicht machen, geht aber dann darauf ein, wenn die Helden es schaffen die derzeitigen Bewohner der neun Wachtürme davon zu überzeugen, dass das jetzt wieder Wachtürme sein sollen.
Auf die Helden wartet also eine spannende Reise quer durch eine kleine Globule in der alles möglich ist.
Dies ist der Teil des ganzen Abenteuers bei der die Gruppe am ehesten ins Straucheln geraten könnte. Nicht wegen der zu erledigenden Aufgabe, sondern wegen der Art wie sie diese Lösung sollen und wie sie von A nach B reisen. Dies geht nämlich nur durch sogenannte Inspirationen. Das sind kleine Geschichten, die sich die Spieler ausdenken müssen und dann real werden in der Feenwelt und sie somit etwa ein Stück des Weges schaffen. Das ist aber nun wirklich nicht jedermanns Sache und so kreativ muss man auch erst mal können. Natürlich wird es Spieler geben, die das ganz toll finden und Spielabend um Spielabend Geschichten erfinden, was alles ihren Charakteren passiert, aber die meisten finden das vermutlich auf Dauer nicht so toll. Immerhin müssen mindestens 10 Orte aufgesucht werden auf diese Weise und je nach Wegstrecke eine wirklich große Menge an Geschichten erfunden werden.
Natürlich nimmt das dem Abenteuer ab die alle selbst zu haben und übergibt die Verantwortung dann der jeweiligen Runde… ob das aber so geschickt ist? Eine alternative Möglichkeit (neben einem: „Dann würfelt euch halt hin“) hätte jedenfalls nicht geschadet.
Ansonsten sind die Orte selbst schön plastisch beschrieben und eben mit der richtigen Gruppe auch sicherlich ein toller Schauplatz
Die Schlacht um das Feenreich
Direkt nachdem die Helden zurück im realen Gareth sind, müssen sie feststellen, dass der Feind zum Angriff geblasen hat. An vielen der realen Punkte der neun Türme aus der Globule kämpfen Gargyle mit Gargyle, während der Magier mit seinem (neu beschworenem) Dämon versucht die „Türme“ zu erreichen und so mit langen Armen das Feenreich von allen Seiten zu zerreißen. Den Helden bleibt nur ihre Verbündeten um sich zu sammeln und sich dann selbst zu einem der „Türme“ auf zu machen um diesen vor dem Fallen zu bewahren.
Das große Finale! Die Helden haben es geschafft. Und das Abenteuer zeigt leider mal wieder, dass die Autoren von DSA Abenteuern Finale irgendwie seit längerem nicht können. Denn mal ehrlich, wer möchte nach den Strapazen dann das Ganze an irgendwelche NSC abgeben? Und nein, da hilft es auch nicht, wenn die eine Gruppe die vielleicht gespielten Gargylen sind. Zumal ziemlich wahrscheinlich eben die Heldengruppe nicht da ist wo der Endgegner ist und somit den Erfolg den Endgegner – der übrigens nicht sterben sollte! – besiegt zu haben wohl jemand anderem überlassen ist. Das ist oftmals doch echt enttäuschend.
Leider ist das Setting dieses Kapitels so, dass es auch nur mit größerem Aufwand möglich wäre, es so zu gestalten, dass die Helden mehr als zwei Orte aufsuchen können, da die Abgelaufene Zeit dafür sorgt, dass die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass Gareth zerstört wird. Geregelt wird das übrigens über ein nettes kleines Minisystem bei dem eben nach bestimmten Voraussetzungen die Situationen an den „Türmen“ so oder so sind. Und eben mit der Zeit, die die Helden dann vor Ort brauchen. Das erfordert einiges an Regellei vom Spielleiter um das nachzuhalten.
Im Anhang finden sich dann noch ein paar Angaben zu Gargylen, die aber eher dürftig sind und die Gargylen, welche die Spieler übernehmen können, sowie Karten zu diversen Locations.
Fazit:
Wie immer stellt sich die Frage ob es sich um ein lohnenswertes Abenteuer handelt. Das kann man definitiv bejahen, auch wenn leider mal wieder das Finale irgendwie nicht richtig passt. Natürlich kommt es – wie bei jedem! – Abenteuer darauf an, was genau die Gruppe an Abenteuern mag. Hier wird sie absurde Rätsel, nette Anekdoten, ein bisschen Krimi, ein bisschen Dungeoncrawl und ein Feenreich vorfinden. Eigentlich für jeden etwas dabei. Und auch als Spielleiter hat man bei den meisten Situationen wenig Probleme die meisten Gruppen anhand der Angaben im Abenteuer ordentlich zu führen. Rundum ein durchaus gelungenes Produkt.
Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.
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