Die zerbrochene Puppe
Ein Roman von Judith und Christian Vogt
Naðan wollte eigentlich nur seine Frau auf einen kongress in Venedig begleiten um neben seiner Unterstützung vielleicht auch noch die eine oder andere Stadtszene zu malen. Doch alles kommt anders. Des nächtens werden die beiden in ihrem Hotelzimmer überfallen und nur Naðan kann sich aus dem Fenster auf den zugefrorenen Kanal retten. Naðan und die geliebte Puppe seiner Frau Ynge. Die hinzugezogene italienische Polizei findet später am Tatort jedoch nur eine Menge Blut und eine Leiche, aber keine Spur von Naðans Frau. Aber immerhin findet sich wenigstens ein Hinweis auf die nächtlichen Angreifer bei denen Naðan vermutet, dass es sich um sogenannte Shellys handeln könnte, also durch elektrische Energie wieder zum Handeln befähigte menschliche Leichen. Und diese könnten sogar der Grund für den Überfall sein, denn Naðans Frau hat eine neuartige Batterie entwickelt, welche viel mehr und vor allem länger Leistung liefert und daher solche Geschöpfe natürlich zu weit mehr befähigen könnte. Eine Plakette führt Naðan nach Aestas, der schwimmenden Stadt, die sich irgendwo im Meer auf einem Eisberg schwimmend befindet und Rohstoffe für das deutsche Kaiserreich abbaut. Und daher ist alleine der Weg nach Aestas nicht ganz einfach und erfordert das letzte Bargeld von Naðan. Mittellos in der Stadt angelangt versucht Naðan nun herauszufinden was die wichtigeren Personen der Insel mit den Shellys und dem vermutlichen Mord an seiner Frau zu tun haben und gerät dabei nicht nur zwischen die Fronten des Gewerkschaftskrieges, bei dem sich die Werksleiter und andere Höhergestellte eine Lösung der sozialen Frage erhoffen, sondern auch in den Kampf der Friesen gegen Aestas und die politischen Verwicklungen um dessen Unabhängigkeit vom Kaiserreich. Und auf seinem Weg wird er immer von Ynge begleitet – jener Puppe die seit dem Vorfall in Venedig nur zu ihm mit der Stimme seiner Frau spricht…
Der Roman spielt in einem alternativen Universum in dem im Mittelalter ein bzw mehrere Vulkanausbrüche zu einer noch immer andauernden verstärkten Eiszeit führten (Eiszeit nennt man es immer dann, wenn mindestens eine Polkappe von Eis bedeckt ist, aber natürlich gibt es deutliche Unterschiede innerhalb dieser Definition – die nennt man dann Warmzeit oder Kaltzeit, je nach Temperaturen. Wir leben also gerade in einer Warmzeit.. okay.. dieser Winter ist ziemlich kalt, aber trotzdem… und im Roman ist es eine Kaltzeit bei der es nur einen kurzen Sommer gibt, der kaum genug wachsen lässt um die Menschen zu versorgen). Dieses veränderte Klima hat auch zu unterschiedlichen technischen Entwicklungen geführt. Die Menschen fliegen hauptsächlich mit Luftschiffen da richtige Schiffe auf dem Meer zu sehr von den Launen der Natur abhängen. Die Elektrizität ist bekannt, aber gerade bei den Armen nicht weit verbreitet. Und natürlich gibt es auch sprachliche, soziale und kulturelle Unterschiede. Wie genau Europa strukturiert ist erfährt man im Roman nicht, aber immerhin, dass es die nordischen Staaten gibt, das deutsche Kaiserreich und Italien und eine unabhängige Region im Norden des Kaiserreiches, welches von den Friesen bewohnt wird, die hauptsächlich als einfache Leute leben und ihr Auskommen mit Überfällen von angrenzenden Ländern bestreiten. Man sieht also, die Welt hier ist für einen Roman, der nur darin handelt relativ gut durchdacht (und sie hat ja auch ein eigenes Rollenspielsetting bekommen: Eis&Dampf).
Die Handlung – aus Sicht von Naðan – ist spannend geschrieben und man lernt quasi mit seinen Reisen die relativ lebendige Welt, deren Kulturen und soziale Probleme kennen. Natürlich ist es dem Leser relativ schnell klar, dass es tatsächlich darum ging die Pläne für eine Superbatterie zu benutzen um dann die toten Körper entweder als Arbeiter oder wenigstens als Aufpasser der Arbeiter zu benutzen – denn die Arbeiter werden auf Aestas schlecht behandelt und haben angefangen zu streiken. Trotzdem gibt es unerwartete Wendungen in der Geschichte und mit der sprechenden Puppe auch ein Rätsel, welches gelöst werden möchte – oder für den Leser einfach ein Trauma nach den Erfahrungen ist – je nach Gemütszustand des Lesenden.
Der Name der belebten Toten ist übrigens recht amüsant. Beim Lesen denkt man nämlich zuerst natürlich an den Autor von Frankenstein, aber der Name kommt vom englischen shell – Hülle.
Fazit
Hier haben wir einen relativ klassischen SteamPunk Roman – zumindest wenn man nach Stablefords Definition geht, bei der SteamPunk eine SF-Geschichte in einer Welt ist, die eine alternative historische Entwicklung genommen hat und bei der einzelne Wissenschaften Wunderwerke hervorgebracht haben. Zwar ist der sozialkritische Aspekt, der ja durchaus eine Rolle in SF spielen sollte, nicht so groß ausgeprägt – das Thema arme Fabrik/Bergwerk-Arbeitnehmer gegen die reichen Konzernchefs – aber dennoch wichtig, da die Shellys für eine Lösung dieses Problem sorgen sollen. Was aber neben der durchaus gut geschriebenen Geschichte noch interessant ist, ist einfach der Weltenbau der hier durchgeführt wurde. Besonder interessant natürlich für Spieler des Fate-Settings, die hier die dort gezeichnete Welt direkt erlesen können.
Kommentar hinterlassen