Das Leben eines Gezeichneten – Teil 24
Unstillbare Gier - Teil 7
28 Hesinde
Den Tag über ereignete sich nichts außergewöhnliches, aber gegen Abend erreichten wir einen Gutshof, an dem wir gedachten zu nächtigen. Auf dem Hof begrüßte uns jedoch niemand, und ich fürchtete, dass wir hier wieder nur noch Tote finden würden, wie auf dem Hof in Anderath. Ich stieg aus der Kutsche aus und stolperte fast über die kopflose Leiche vor meinen Füßen. Ziemlich sicher tot. Nach und nach fanden wir noch fünf weitere Tote in den Gebäuden und um den Hof verteilt.
Latu und Leowulf wollten sie verbrennen und so schichteten wir sie in der Mitte des Hofes auf und ich zündete sie an. Dann legte ich mich schlafen um für die zweite Wache wach zu sein. Leowulf weckte mich und ich setzte mich in den Eingang des Wohnhauses und besah mir das noch immer glühende Leichenfeuer. Darüber muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich erwachte erst, als die Praiosscheibe ihre ersten Strahlen zwischen die Bäume warf.
29 Hesinde
Wir frühstückten etwas von dem was noch im Haus war, konnte hier ja eh niemand mehr essen, und fuhren dann weiter in Richtung Westen.
Ein Rumpel unterbrach mich in meinen Gedanken. Es war schon wieder etwas mit der Kutsche. Trotz der Risiken, und meinen Erfahrungen vom letzten Mal sprang ich aus der Kutsche, sah aber vor uns nichts und als ich mich umwandte und meinen Blick langsam die Kutsche hinauf wandern ließ, entdeckte ich oben auf der Kutsche eine etwa einen Schritt große Eule sitzen. Sie starrte erst mich, dann Leowulf, der auf der anderen Seite ausgestiegen war und einen Laut des
Missfallens geäußert hatte, an und blinzelte mit ihren Augen. Dann sprach sie mit einer gurrenden Stimme wie ich sie vielleicht von kleineren Vögeln erwartet hätte, die Körner fressen, aber sicher nicht von einem nächtlichen Jäger, und dann noch einem so eindrucksvollen.
Wir sollten ihr folgen – in den Blautann. Sie war wohl Botschafterin für die Hexe dort und sollte uns hin führen. Nett von ihre eine Wegfinderin zu schicken… sollte es wahr sein. Aber da wir sowieso in den Blautann gehen wollten – nicht im übertragenen Sinn natürlich – entschieden wir uns dafür, ihr zunächst zu folgen.
Wir erreichten etwa drei Stunden später die Waldgrenze an der die Kutsche anhalten musste und wir verließen, mit dem Nötigsten bepackt die Kutsche um der Eule weiter durch den Wald zu folgen. Greifwin wollte bei der Kutsche bleiben und darauf Acht geben. Ich vermute, dass er schlichtweg Angst vor dem Wald hatte und deshalb nicht hineingehen wollte, aber mir sollte das recht sein. Ich konnte auf sein andauerndes Gerede gut verzichten.
Im Wald lag der Schnee nicht so hoch wie draußen auf den Feldern, und wir kamen recht gut voran. Das Gestrüpp, das in den warmen Monaten sicher den Wald fast undurchdringlich hält, stellte jetzt kaum ein Hindernis dar. Tiefer und tiefer führte uns die Eule in den Wald und schließlich erreichten wir einen zugefrorenen Fluss und folgten diesem eine Weile. Ich hatte bald darauf den Anblick von Baumstämmen und Gestrüpp das aus dem Schnee ragte satt und hätte
mich gefreut zur Abwechselung mal das andere ebenso langweilige Bild einer Wand vor mir zu sehen, aber nichts passierte.
Nach weiteren drei Stunden erreichten wir eine kleine Lichtung auf der kein Schnee lag und der Seitenarm des Waldbaches dem wir gefolgt waren plätscherte unter der Steinwand auf der anderen Seite hervor. Gegenüber von uns ragte eine Felswand empor in der ein mit einem Vorhang verhängter Eingang zu sehen war. Über der Felswand kräuselte sich Rauch hervor und wir beeilten uns etwas um zur anderen Seite zu gelangen.
Latu klopfte mit seinem Stab gegen den Vorhang und von innen ertönte eine Einladung die Höhle zu betreten. Der Raum hinter dem Vorhang war über und über mit Dingen voll gestellt, am meisten irritierte mich ein großer Weidenkorb, der in einer Ecke gelagert war. An der gegenüberliegenden Wand war aber ein weiterer Ausgang und ich betrat durch diesen eine gemütliche Wohnküche inklusive Hexe.
Sie bedeute uns, uns auf die Bank beim Ofen zu setzen und ich hatte etwas Zeit mir die Hexe und ihre unmittelbare Umgebung genauer anzusehen. Neben ihr lag ausgestreckt ein großer grau-schwarzer Kater, die Hexe selbst trug in etwa jene Kleidung, die ich erwartet hatte. Viele Bunte stücke Stoff, die aber insgesamt gut zusammen passten und die noch immer gute Figur der Hexe betonten. Ihr Gesicht war fein geschnitten und sehr hübsch anzusehen, aber seit meiner letzten Begegnung hatte ich dafür nicht mehr viel übrig – im Gegenteil, empfand fast etwas wie Abscheu. Hinter ihr hing ein großer Kessel über der Feuerstelle und rechts und links daneben viele verschiedene Kräuter.
Die Hexe sprach mit einer angenehmen Stimme und erklärte uns, dass sie uns schon lange in der Vergangenheit kommen gesehen hat. Wir seien auserwählt um dem großen Übel, dass hier zurzeit seine Arme ausstreckte entgegen zu wirken und sie hätte mit ihren Hexenschwestern eine Möglichkeit erschaffen um diesem Übel besser entgegen treten zu können.
Ohne auf unsere Antwort zu warten, begann sie damit verschiedene Zutaten in ihren großen Kessel zu geben, von denen einige recht seltsam anmuteten.
Nach einiger Zeit drehte sie sich wieder zu uns um und hieß uns aufzustehen und in einer Reihe aufzustellen. Sie wollte testen wer der Auserwählte war und stach jedem von uns dreien in den Finger.
Offensichtlich war Latu der richtige und wir anderen stellten uns etwas abseits, während die Hexe Latu bat sich oben herum zu entkleiden, da sie ihn tätowieren wollte. Ohne Schmerzen versteht sich – wie auch immer.
Latu zog sich aus und die Hexe begann mit ihrer Arbeit und einer nicht gerade angenehm aussehenden Nadel, die sie in den Kessel tauchte. Auf Latus Haut erschien zunächst nichts und ich versuchte die Punkte im Kopf zu verfolgen, konnte aber nicht erkennen was es werden sollte.
Als die Hexe fertig war, strahlte auf einmal eine Feder auf Latus Brust auf. Das also hatte sie gemalt – warum eine Feder?
Die Hexe jedoch hatte kaum Zeit sich über ihren Erfolg zu freuen, denn sie krümmte sich plötzlich schmerzverzerrt auf dem Boden und erklärte unter Stöhnen, dass sie vor einigen Tagen von einem Vampir erwischt worden wäre, und sie jetzt ebenfalls einer werden würde. Wir sollten sie töten so lange sie sich noch zusammenreißen konnte.
Sie bat uns sie zu küssen um sie zu töten, welches ich natürlich ablehnte. Latu kam der Aufforderung nach und sie verging unter seinem Kuss.
Ihr Kater miaute traurig neben ihrer Leiche, während ich ihren letzten Willen vorlas, der uns mitteilte, dass sie verbrannt werden wollte und wir mitnehmen durften, was wir wollten. Ihre Höhle sollte der neuen Anführerin der Hexen der Umgebung zufallen.
Wir sammelten einige der Kräuter ein, verbrannten draußen die Leiche mit ihrem Kater und begaben uns dann zur Ruhe.
30 Hesinde
Ich erwachte auf dem Boden der Höhle der Hexe. Wir sammelten unsere Sachen ein und verließen die leerstehende Wohnstatt. Gerade vor der Tür hörten wir ein Geräusch und sahen drei Hexen, die eben über die Wand geflogen waren und uns zuriefen, dass wir verschwinden sollten. Latu fragte ruhig warum, aber sie landeten und fingen an uns zu beschimpfen. Ich war noch immer leicht gereizt und wollte mich jetzt mit ihnen streiten, also entgegnete ich, dass sie hier nichts zu suchen hätten, wenn sie nicht das neue Oberhaupt wären.
Zugleich baute ich einen Gardianum auf, der den geworfenen Besen einer der drei Hexen aufhielt, während Latu noch immer versuchte sie davon zu überzeugen, dass wir doch eh gerade gehen wollten.
Kurz darauf tauchten noch drei Hexen auf, die schnell dafür sorgten, dass die anderen wieder verschwanden, nicht ohne uns hässliche Worte nachzurufen. Sie waren unrechtmäßiger Weise hier ins Tal gekommen und man dankte uns dafür, dass wir sie abgehalten hatten in die Höhle zu gelangen.
Wir verabschiedeten uns von den netteren Hexen und liefen zurück zur Kutsche, in der wir zunächst meine Tsatag feierten.
Unser Kutscher erklärte uns, dass er eine direkten Weg zurück nach Baliho wüsste, der uns an Nachtschattensturm vorbeiführen würde, so dass wir einen Blick drauf werfen konnten und abschätzen ob es ein lohnendes Ziel ist, oder vielleicht doch der falsche Ort.
Den Rest des Tage erklärte ich Latu und Leowulf die Grundzüge der Magietheorie. Sie hatten beide Interesse geäußert und heute war immerhin ein Feiertag um Wissen anderer zu mehren, auch wenn mich solcherlei Unsinn eigentlich wenig reizt.
Wir verbrachten die Nacht in der Kutsche, Latu in seinem Zelt, ohne das irgendetwas besonders interessantes passierte.
1 Firun
Den Tag über zogen wir weiter durch die verschneite und kalte Landschaft, und ich hing meinen Gedanken nach.
Am Abend mussten wir wieder einmal im Freien übernachten, aber ich konnte mir eine Platz in der Kutsche sichern. Noch während der Fahrt klärte sich die Sicht meiner linken Hälfte und ich konnte den Raum wieder sehen, hell beleuchtet und draußen vor dem Fenster fast weißlich glänzend. Ich konzentrierte mich etwas darauf, konnte aber nicht mehr sehen, egal wie ich es noch so gerne wollte.
Latu wollte, weil es erster Firun war, nach draußen um zu beten, nachdem wir unseren Lagerplatz gefunden hatten und vor allem wollte er das wir ebenfalls mitkommen. Ich zog mich also warm an und folgte ihm ein Stück weit in Richtung des Waldrandes um seinem Gebet zuzusehen, obwohl ich nun wirklich nichts davon halte Prinzipien zu vergöttern.
Es erstaunte mich, dass sich während der Nachtwache das Licht des Schnees vor dem Fenster kaum veränderte, obwohl es hier außerhalb der Kutsche schon so dunkel war, dass man den nahen Wald kaum noch erkennen konnte, und ich fragte mich ob es vielleicht ein Blick in eine andere Ebene wäre, als mich ein Knurren vom Waldrand aufhorchen ließ. Latu war verschwunden um eine heilige Jagd oder so etwas durchzuführen, ich vermute, dass er einfach Zeit für sich haben wollte um über die letzten Tage nachzudenken. Er ist erstaunlich wenig auf seine Tätowierung eingegangen und wenn ich bedenke wie viele endlose Stunden voller
Schmerzen ich ausgestanden habe, empfinde ich es als ungerecht, dass er einfach irgendwo hinläuft und es geschenkt bekommt. Aber vielleicht kann es auch nichts…und ich rege mich umsonst darüber auf, dass andere Dinge in den Schoß geworfen bekommen.
Die Bäume auf die ich während meiner Gedanke starte bewegten sich… mehr als im Wind, und ein leises Knurren drang wieder herüber, dass mich eben schon aufgeschreckt hatte. Ich klopfte laut gegen die Wand der Kutsche um Leowulf und Greifwin aufzuwecken, die darin schliefen.
Sie schauten nach draußen und ich zeigte auf den Waldrand, von dem sich jetzt die Schatten von Wölfen lösten und auf die Kutsche zu jagten. Ich kletterte auf das Kutschendach um einen besseren Überblick zu haben und Leowulf und Greifwin stellten sich den Wölfen zum Kampf. Einer verbiss sich in Leowulfs Bein und ich versetzte ihm einen Fulminictus, der ihn loslassen ließ. Die anderen Wölfe, die nicht vor Leowulf und Greifwin warteten versuchten auf den Kutschbock zu steigen und die Pferde anzuspringen, die sich aber entgegen meiner Erwartungen recht gut zu wehren wussten.
Nachdem Leowulf einen weiteren bewusstlos geschlagen hatte, zogen sie wieder ab und ich kletterte vom Dach hinunter um mir den bewusstlosen Wolf anzusehen. Er hatte die normale Färbung von Wölfen, graubraun mit weißen Absätzen, aber ich hatte noch nie so nah einen gesehen und das Fell war recht flauschig und würde sich sicherlich gut als Besatz an einer Robe machen.
Gerade als ich meine Dolch in die Brust des Wolfes stoßen wollte um mit möglichst wenig Schaden am Fell das Tier endgültig zu töten, als Leowulf hinzutrat und mich davon abhielt. Er wollte das Tier zurück in den Wald bringen und dort liegen lassen, weil Latu das gerne gesehen hätte. Glaubte ich nicht… wir hatten es erlegt, also gehörte es uns und da die anderen offensichtlich keinen Anspruch daran stellten, war es meines. Sehr merkwürdig, diese plötzliche
Tierliebe.
Er brachte den Wolf also zurück, und ich malte mir aus, wie er jetzt vermutlich alleine durch den Wald laufen würde müssen, weil er sicherlich einen gewissen Schaden davongetragen hatte und Wölfe nun mal keine sozialen Tiere in dieser Hinsicht sind, aber das Argument hätte bei Leowulf vermutlich nicht gefruchtet.
Der Rest der Nacht verlief recht ruhig, wenn man davon absah, dass es schwierig ist zu schlafen, wenn es nicht dunkel ist, und man es auch nicht dunkel machen kann.
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