Das Leben eines Gezeichneten – Teil 20

Unstillbare Gier - Teil 3

20 Hesinde
Nach mindestens zwei Ewigkeiten trat der Hochgeweihte auf mich zu und vermerkte mit mürrischer Miene, dass ich den Tempel verlassen könnte, aber mir bloß keinen weiteren Fehltritt in seiner Stadt erlauben solle. Ein für ihn wichtiger Mann hatte wohl für meine Freilassung gesorgt, aber ich wollte ihn auf keinen Fall danach fragen, wer und warum das so war, weil er mir vermutlich eh keine
richtige Antwort gegeben hatte.
Ich taumelte mehr aus dem Raum hinaus in Richtung Eingangshalle und traf natürlich genau auf Latu und Leowulf, die dort standen und sobald sie mich sahen, entsetzt auf mich zu kamen und mich stützten. Ich hatte keine Ahnung wie schlimm ich aussah, aber wenn es nur halb so war, wie ich mich fühlte, dann war ich vermutlich ein schrecklicherer Anblick als ein wandelnder Toter.
Draußen vor dem Tempel blieb ich zunächst stehen und entlockte so meinen beiden Begleitern einen weiteren besorgten Ausdruck auf ihren Gesichtern und Fragen nach meinem Befinden, aber ich fühlte mich deutlich wohlgemuter als ich die drei Stufen zum Tempeleingang hinter mir gelassen hatte und ich atmete befreit die kalte Luft des Morgens ein.
Und ich konnte mir auch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als ich endlich wieder jene Stimme vernahm, die mir so oft zustimmte, dass man meinen könnte, sie wäre genau für mich gemacht.
In unserer Herberge wartet schon Greifwin und ich frühstückte zunächst ausgiebig und ließ mir erläutern was die anderen den letzten Tag erlebt hatten. Leowulf hatte bei der Scheune niemanden angetroffen und darauf hin hatten sie beschlossen im Licht der Nachmittagspraiosscheibe einfach einzubrechen und selbst nachzusehen. Das war aber weder Leowulf noch Greifwin so gut bekommen, denn Leowulf war von der Wache in der Scheune erwischt worden, und Greifwin nach
Sonnenuntergang vom Besitzer der Scheune, der unvermittelt hinter ihm auftauchte. Latu und Leowulf hatten die Nacht ebenfalls im Praiostempel verbringen müssen, nur weil sie nach mir gefragt hatten. Das konnte doch nicht so weitergehen…
Heute Nacht jedenfalls war die Nacht in der möglicherweise ein weiterer Mord geschehen konnte, und ich wollte auf jeden Fall bei der Scheune warten und sehen, ob der Besitzer des Schneiderladens dem die Scheune gehörte, der gesuchte Mann war. Ich war aber einfach viel zu müde um zu diesem Zeitpunkt irgendetwas anderes anzustreben als zu schlafen und da ich noch nicht einmal wusste, wie lang die Nacht werden würde, stieg ich die Treppe zu unserem Zimmer hinauf und ließ mich in mein Bett fallen, nachdem ich abgeklärt hatte, dass ich mit Leowulf
zusammen suchen wurde.
Ich schlief zunächst recht ruhig, bis ich in einen Traum glitt in dem ich letztlich von vielen kleinen roten Fleischstücken in einer schneeweißen Landschaft umringt wurde, die sich mehr und mehr zusammen setzten und größer wurden und mich zu erdrücken drohten. Ich erwachte schweißgebadet und setzte mich abrupt auf. Auch Greifwin saß im Bett, er sah aus als hätte er ebenfalls einen nicht besonders guten Traum gehabt und dann stürzte er auf das Fenster zu
und sah hinaus. Rief dann aufgeregt nach Latu, der darauf ebenfalls zum Fenster ging und nach draußen sah, aber den Kopf schüttelte. Greifwin hatte schon wieder etwas draußen gesehen, aber es war nichts zu erspähen, und ich drehte mich wieder um in der Hoffnung wieder einschlafen zu können. Latu verließ den Raum um etwas Zeit außerhalb der Stadt zu verbringen.
Als ich wieder erwachte hatte es gerade zu dämmern begonnen und einige dicke Schneeflocken fielen am Fenster vorbei zu Boden. Ich kleidete mich an und schlurfte zum Schankraum um eine wärmende Mahlzeit einzunehmen. Leowulf und Greifwin setzten sich ebenfalls an den Tisch und aßen, bevor ich mich mit Leowulf, warm eingepackt, auf den Weg zum Schneider machte.
Gerade rechtzeitig gelangten wir zur Scheune um zu sehen, wie ein gut gekleideter Herr einige seiner Kisten aus der Scheune trug, als wögen sie nichts und draußen stapelte. Dann betraten zwei weitere Männer die Szene, die wir von der Gasse, in der wir uns versteckt hielten, sehen konnten. Sie wechselten Geld mit dem Schneider und ließen die Kisten auf einen Wagen laden, hatten aber
wesentlich mehr Mühe dabei. Nachdem sie verschwunden waren, betrat der Schneider wieder die Scheune und verließ kurz darauf das Gebäude durch die Ladentür und wanderte in Richtung Norden.
Wir folgten ihm so gut es uns gelang und bogen schließlich in eine Straße voller Rahjamädchen ein. Es war eine Tortur hindurch zu gelangen ohne den Schneider aus den Augen zu lassen und gleichzeitig nicht all sein Geld zu verlieren. Ich rempelte rücksichtslos durch die Mädchen und bahnte mir so meinen Weg. Leowulf hatte weniger Glück, oder war schlichtweg höflicher.
Der Mann hatte sich eines der Mädchen geangelt und war mit ihm am Ende einer kleinen Treppe in einem Zimmer verschwunden. Ich fügte der Tür ein weiteres Loch hinzu damit ich sehen konnte was der Mann da im Raum tat. Immerhin konnte er die Frauen ja auch in einem Zimmer ermorden. Wer sagte mir denn, dass er es immer auf der Straße machte?
Aber hier zeigte der Mann wenige Ambitionen das Mädchen zu töten, sondern vergnügte sich prächtig. Leowulf war inzwischen hinzugekommen und besah sich das Schauspiel ebenfalls durch das magisch erzeugte Loch. Nach einer guten halben Stunde kleidete sich der Mann wieder an und verließ den Raum in der Richtung aus der er gekommen war. Wir versuchten wieder möglichst unauffällig ihm zu folgen, aber er hatte uns bemerkt und bog in eine leere Seitenstraße ab.
Als wir um die Ecke bogen, konnten wir nur noch den Rest seines Mantels hinter der Mauer auf der anderen Seite sehen. Wir rannten auf die Mauer zu und kletterten mit Hilfe zweier Kisten auch über diese, aber konnten seiner Spur nur bis zur noch immer belebten Hauptstraße folgen.
Wir irrten einige Zeit durch die Straßen, nachdem ich dem Mann nicht mittels Auge folgen konnte und ich verlor schon fast die Hoffnung, dass wir ihn rechtzeitig finden würden, als sich etwas rotes in meinen Augenwinkel schlich und ich den gesuchten Herren aus einer Seitenstraße rennen sah. Ich drückte mich zuerst an die Wand, damit er mich nicht sehen würde und bedeutete auch Leowulf
es mir gleich zu tun, der ihn aber ebenfalls gesehen hatte.
Nachdem er mehrmals seine Umgebung abgesucht hatte, bewegte er sich trotz einiger Behinderungen noch immer geschmeidig über die Straße in eine andere Gasse hinein. Aus seinem Körper schaute ein Pfeil hervor und auch sein Bein war von etwas scharfem getroffen worden. Leowulf rannte los und ich versuchte ihn mit einem Fulminictus zu erwischen, versagte aber, so dass ich ebenfalls hinterher in die Gasse stürmte. Am Ende der Gasse machte der Schneider halt und
drehte sich in vollem Lauf um und rannte zurück auf Leowulf zu.
Leowulf hielt sein Schwert in den Weg und versuchte ihn aufzuhalten. Mit einem ohrenbetäubenden Kreischen glitten der Rondrakamm und der Dolche, den der Schneider hielt, aneinander vorbei und trafen nichts als leere Luft. Ich wirkte einen weiteren Fulminictus und dieses Mal traf ich. Der Mann sackte in sich zusammen und konnte einem Schlag Leowulfs nicht mehr ausweichen.
Dann versuchte er die Gasse entlang außer Reichweite zu fliehen, aber Leowulf holte auf und stoppte ihn durch einen weiteren Schlag. Er fiel im Lauf zu Boden und überschlug sich mehrmals bevor er regungslos liegen blieb. Ich lief weiter auf die beiden zu. Inzwischen waren Latu und Greifwin in der Gasse angekommen, die den Flüchtigen ebenfalls verfolgt hatte, und zusammen näherten wir uns der vermutlichen Leiche, denn er atmete auf den ersten Blick nicht mehr.
Da sich keiner der anderen zu trauen schien untersuchte ich den Körper. Er atmete tatsächlich nicht und zeigte keinen Herzschlag, aber die Wunden in seinem Gesicht und auf seinem Arm schlossen sich langsam. Ich erhob mich wieder und wir überlegten was wir mit dem Körper tun sollten. Nicht in den Praiostempel, soviel war klar. Die Stadtwache würde auch wenig damit anzufangen wissen, also schlug ich den Boronstempel vor. Greifwin wollte zur Stadtwache um diese über den weiteren Mord zu informieren, der sich ereignet und den sie beobachtet hatten.
Wir hoben den Körper des Schneiders hoch und trugen ihn in Richtung Tempel. Auf etwa halben Weg zum Tempel ergriff mich der angeblich Tote mit einer Hand um meinen Arm und ich schrie erschreckt auf. Leowulf schlug ihm kurzerhand den Arm ab und wir gingen weiter.
Der Tote schlug die Augen auf und griff auch mit dem zweiten Arm nach meinem, aber ich bedeutete Leowulf diesen nicht direkt zu entfernen, vielleicht wollte er uns noch irgendetwas sagen. Wir trugen ihn ein Stück weiter und er versuchte mich weiter an sich heranzuziehen, hatte aber kein Glück dabei.
Kurz vor dem Tempelvorplatz stieß er die beiden Geweihten mit den Beinen von sich und stürzte sich auf mich. Er riss mich nicht zu Boden sondern biss mich in den Hals. Verwirrende Gefühle – divergierende beinahe – strömten auf mich ein. Zum einen tat es niederhöllisch weh, zum anderen aber fühlte es sich recht angenehm an, so dass ich stehen blieb und nur verwundert nach vorne starrte anstatt mich, wie ich sollte, gegen den Angreifer zu wehren.
Latu und Leowulf standen nur erstaunt über die plötzliche Aktivität der angeblichen Leiche vor mir und starrten uns an. Ich schloss die Augen und genoss das stärker werdende Gefühl, das der Biss in meinem Körper hervorrief.
Leowulf schlug – nachdem er sich wieder gefangen hatte und ich ein zaghaftes Hilfe von mir gegeben hatte – dem Mann den zweiten Arm ab und riss ihn wieder zu Boden, bevor er ihn mit seinem Schwert durchbohrte. Ich stand noch immer an derselben Stelle auf dem Platz und versuchte in die Wirklichkeit und aus meinen Gefühlen in mir zurückzukommen. Latu besah sich meinen Hals und bot an ihn zu verbinden, wenn ich ein Stück Robe für ihn hatte, welches ich ihm natürlich nicht gab. Aber es blutete auch nicht so schlimm, dass es lebensbedrohlich wäre noch bis zum Tempel zu laufen. Das Gefühl noch immer auf der Zunge lief ich dem Rondrageweihten hinterher auf den Borontempel zu.
Erst nach einigem Klopfen trat ein Boroni aus dem Tempel heraus und fragte nach unserem Begehr. Leowulf trat in den Tempel hinein und legten den Schneider ab, während Latu erklärte was der Mann sei, und was er in dieser Stadt getan hatte. Doch als Leowulf seinen Rondrakamm aus dem Toten ziehen wollte, zerfiel dieser vor unseren Augen zu einem Häufchen Staub, ebenso wie sein Arm, der an meinem Arm hing.
Latu hatte inzwischen Verbandszeug aufgetrieben und verband meinen Hals notdürftig, während er mir erklärte, dass ich jetzt vielleicht auch so werden würde wie der Schneider. Ich blickte ihn entsetzt an, aber er ging nicht weiter darauf ein. Der Boroni erklärte uns kurz was er über Vampire wusste, aber es war kaum hilfreiches dabei. Ich fragte ob ich nicht im Tempel schlafe könnte und man antwortete mir, könne ich, wie die Toten. Also verstehen Boroni durchaus Spaß… hoffentlich hat er das auch so gemeint…

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