Die Turmkartendeuter Golarions

Pathfinder Handbuch

Bislang war das Thema Turmkarten ein eher kurioser Teil der Pathfinderwelt gewesen. Es gab dieses kleine, haptische Gimmik, mit dem man sowohl eine Wahrsagerunde durchführen konnte (oder was man auch immer mit Tarot-Ähnlichen Karten so anstellt), als auch ein sehr grob gehaltenes Abenteuer, das mich aufgrund seiner westentaschendimensionierten Identität zwar als Idee reizt, mir aber bis Heute immer noch zu eingeschrängt ist.
Mit dem Handbuch „Die Turmkartendeuter Golarions“ bekommen diese beiden losen, seltsamen Enden jetzt endlich so etwas wie Fundament, auf dem der Rest aufbauen kann.
Kurz gesagt: Turmkartendeutung wird hierbei als eine spezielle Kunst beschrieben, für die man die besondere Gabe innerhalb des fahrenden Volkes Golarions haben muss. Da allerdings die entsprechenden Sippen nur einen beschränkten Bedarf an solchen Turmkartendeutern haben, gibt es einen Überschuss, der sich gezwungen sieht mit der entsprechenden Gabe in die weite Welt hinauszuziehen und dort sein Glück als Abenteurer zu suchen.
Auf insgesamt 36 Seiten beschreibt dieses PDF jetzt entsprechende den möglichen Hintergrund, wobei eine möglichst umfassende Position gewählt wird, anstelle einer auf einen Verwendungszweck spezifischen. Das heißt, das neben den bereits genannten Hintergründen der Turmkartendeuter selbst auch noch spezielle Karten aus der Geschichte der Turmkarten selbst vorgestellt werden, die über die Zeit aus den Kartensätzen verschwunden sind und auf mystische Weise teilweise gegen anderen Gegenstände ausgetauscht werden.
Darüber hinaus gibt es Vorschläge, wie man entsprechend die Karten für die Charaktergenerierung verwenden kann. (Kurz gesagt: Es gibt besondere Regelmöglichkeiten, die einem dabei helfen können, herauszufinden, welche Beweggründe der entsprechende Charakter hatte, um sich ins Abenteuerleben zu stürzen.) Das wird dabei natürlich so unkonkret wie nur eben möglich gehalten. Sinn und Zweck ist es eben nicht zwingend einen fertigen „Abreißcharakter“ zu schaffen, sondern aufzuzeigen, dass dieser eine besondere Vergangenheit hat, bestimmte Antriebsfedern besitzt und besondere Ziele verfolgen kann. Dies wird dabei anhand der Kombination aus Turmkarten und dem Gesinnungssystem von Pathfinder zusammengesetzt. (Zur Erklärung: Die Turmkarten sind in spezielle Gruppen zusammengefasst, welche selbst bestimmten Gesinnungstypen auf den beiden Skalen zwischen Gut bis Böse und Rechtschaffen bis Chaotisch angesiedelt sind.) Wenn man die Karten einsetzt kann man Anhand spezieller Tabellen feststellen, welche Motive den damit neu erschaffenen Charakter vom Hintergrund her ausmachen könnten. (Das Ganze diehnt also rein zur Inspiration.)

Dazu werden dann noch „neue“ Glücksspiele vorgestellt, welche man mit den Turmkarten spielen kann und auf die Möglichkeit hingewiesen, die Turmkarten als magische Foki für bestimmte Zwecke einzusetzen. Auch neue Legeformen für die übliche Sitzung mit dem Turmkarten zum Zweck der Weissagung werden aufgezeigt.

Da diese Zwecke allerdings stärker auf den Fokus gesetzt ist, den man eher dem Ambiente-Spielern zurechnet, beginnt der „crunchige“ Part des Bandes erst mit der zweiten Hälfte des Bande in Form der „Der Turm der …“-Kapitel. Hier wird sehr chronologisch nach den entsprechenden Themen der jeweiligen Kartenfamilien innerhalb der Turmkarten vorgegangen und diverse neue Archetypen der einzelnen Charakterklassen vorgestellt, welche jeweils ein eigenes Thema im Umgang mit den jeweiligen Turmkarten entwickelt haben und daraus noch zusätzliche, gesonderte Fähigkeiten für den Kampf entwickelten. Ich werde jetzt nicht bis ins letzte Detail aufzählen was es gibt, aber so viel sei gesagt: Für meinen Blick scheint die Liste recht vollständig zu sein, um auf möglichst vielen Wegen zu durchleuchten, wie vereinzelte Individuen (oder sogar ganze Abenteurergruppen) ihren jeweiligen Weg durch Golarion finden können und dabei auf das doch sehr esoterische Muster von einem vorhersehbaren Schicksal aufbauen. (Es gibt hierbei sowohl Motive der Ehre, wie der Macht oder auch der Bußeführung. Letzten Endes sind es jeweils spezielle Auslegungen, die dazu führen, welche Rolle die Turmkarten im entsprechenden Fokus der jeweiligen Charakterklasse haben könnten.) Das Ganze wird dadurch abgerundet, dass zu jedem Turm eine kurze Geschichte eingestreut wird, welche eine jeweils besonders markante Karte aus dem jeweiligen Bereich zu erzählen hat. (Es handelt sich dabei jeweils um ein mehr oder weniger gelungenes Märchen, das auf seine spezielle Weise den besonderen Charakter der Turmkarten noch einmal Wiederspiegeln soll.)

Als Abschluss kommt dann noch das Kapitel Rund um die Turmkartendeuterausrüstung hinzu. Hier werden diverse, teils nützliche, teils kuriose, Gegenstände vorgestellt, die alle irgendwo entfernt etwas mit dem Thema der Turmkarten zu tun haben, und sich auf unterschiedliche Weise (auch aufgrund ihrer magischen Natur) jeweils gesondert ins Spiel einfügen lassen.

Hinzufüge muss man noch ein paar Worte zur Optik des Ganzen: Grundsätzlich ist dieses Buch erschreckend Schlicht gehalten, was Pathfinder-Verhältnisse angeht. (Oder ich bin in letzter Zeit zu sehr davon verwöhnt worden.) Das Basis-Layout erinnert ein wenig an angefressenes Papier, das auf rotem Karton aufgeklebt wurde, um es zu verstärken. Dazu kommen die für Pathfinder typischen Illustrationen hinzu. Jedoch muss ich sagen, dass mich von denen – bis auf das sehr stimmungsvoll Bild, dass das Vorwort ziehrt und einen Magier mit vor sich levitierenden Turmkarten in einem dunklen Wald zeigt, der von einer violett-leuchtenden Aura umgeben damit beginnt, einen Kampf gegen Goblins zu führen, keines wirklich anspricht. Viel mehr stören mich die meisten in diesem Fall, weil sie fast zu klinisch in ihrer Machart wirken. Ich habe zumindest optisch das Gefühl, auf gemahltes Plastik zu schauen, das Menschen nachzuarmen versucht. (Und dabei sehr glossy vom Material ist.) Insgesamt also eigentlich weniger gelungen.

Fazit

Was wir mit „Die Turmkartendeuter Golarions“ bekommen ist wieder einmal einer dieser speziellen Bände, der viele Personen spalten wird. Sehr gut ist, dass hier sehr viel Hintergrund für einen sehr speziellen, wenn sehr spannenden Fokus mitgeliefert wird. Die Hintergrundmöglichkeiten für SCs dürften dadurch einen Hauch bunter werden. Man muss sich dabei allerdings im Klaren sein, das auf diesem Weg ein sehr esoterischer Aspekt ins Spiel kommt, der mehr davon lebt, dass man einiges in „Ambiente-Spiel“ steckt. Sprich: Egal ob man jetzt den Scharlatan-Weg beschreitet, oder „The real stuff“ bei der ganzen Turmkarten-Geschichte ist: Letzten Endes wird der Umgang mit den Karten sehr wichtig werden, um ein Gefühl dafür zu kommen, was das Ganze im Spiel sein kann. Und das wiederum setzt eine Menge Zeit an Charakterspiel auf reiner Ebene aus. (Sprich: Wenn man bislang darüber rätselte, ob Frauen am Spieltisch gerne extrem lange Shopping-Orgien ausspielen würden, wird es für einen Spieler, dessen Charakter einen Turmkarten-Hintergrund hat, vermutlich essentiell sein, auf der einen oder anderen Weise mit den Karten herumzuhantieren.
Wie bleibt letzten Endes dem jeweiligen Spieler selbst überlassen. Letzten Endes gibt es einige Möglichkeiten in der realen Welt, bei denen man sich aus dem Tarotlegen inspirieren lassen kann. Oder auf dem nächsten Tavernen-Abend wird mit den entsprechenden Karten mal rumhantiert.
Aber, und das sollte jedem bewusst sein: Damit es sich nach „Etwas“ anfühlt, sollte man wirklich einen Satz Turmkarten im eigenen Besitz haben. Dafür gibt es immerhin zwei Wege. Zum einen das verlinkte Orakel der Türme, zum anderen die „Kopiervorlagen“ im Buchdeckel des PDFs. Was man letzten Endes nutzt, bleibt einem selbst überlassen, aber: Diese Form von Handout gehört letzten Endes wirklich dazu.

Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

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