Rasputin muss sterben

Winterkönigin Teil 5

Wir sind jetzt beim vorletzten Part des Abenteuerpfades rund um die Hexenkönigin Baba Jaga angekommen und wer sich meine bisherigen Vergleiche bezüglich der britischen Fernsehserie Doctor Who angetan hat… naja, okay, wirklich verglichen habe ich nicht, wohl aber die stilistischen Mittel als durchaus ähnlich erkannt … kann sich jetzt mittlerweile denken, dass ich mit einem gewissen schelmischen Grinsen vor dem Rechner hocke. Warum… tja… ich zitiere einfach mal die Disco-Gruppe Boney M.: „Ra Ra Rasputin, lover of the russian queen.“
Okay, ich seh schon, das sorgt jetzt vermutlich auch nur für verwirrte Blicke vor den Bildschirmen.
Also, kurz gesagt: Die Runde verschlägt es auf den dritten Planeten eines Zwergsterns im äußeren Drittel der Milchstraße. Um genau zu sein ins Sibirien des Jahres 1918, wo in Europa gerade der erste Weltkrieg wütet und ein gewisser Mönch seinen Zorn über das Zurückgewiesensein von seiner Mutter geradezu auslebt. Ah… da scheppert gerade etwas. Entschuldigt mich bitte eben, ich muss den Groschen aufheben, der da gefallen ist. ;)

Also, nachdem ich hoffentlich zur genüge meine Begeisterung zur Meta-Struktur hinter diesem speziellen Abenteuerpfad aufgestellt habe, ein wenig ernstere Details:
Aufhänger hier ist mit Russland und Sibirien, sowie der Wahl einer speziellen, historischen Figur natürlich folgendes: Das Szenario spielt mit der alten Idee, dass es auch in unserer Welt einmal Magie gab, die sich aber mittlerweile in andere Gefilde hin verflüchtigt hat. Zweiter Punkt bei diesem Gedankenexperiment ist natürlich, dass es trotzdem immer noch Personen gibt, die einen gewissen Funken in sich tragen, der aber durch die fehlende Energie, die sie aus der Umgebung saugen müssen, eher leicht verkümmert, aber noch lange nicht abgestorben ist. Somit ist gerade die Figur des Rasputins und seiner angeblich wunder-heilenden Fähigkeiten in diesem Szenario dadurch erklärt, dass der irre Mönch niemand anderes als der verstoßene Sohn der Hexenkönigin Baba Jaga ist, der sich aus Rachegelüsten mit seiner Halbschwester im fernen Golarion zusammengetan hat, um diesen alles entscheidenden Funken, den er in sich trägt, wieder zum Leuchten zu bringen.
Die zentrale Pointe dabei ist: Das Szenario ist so gestaltet, dass keine alternative Historie im Vergleich zu unserer Welt entstehen muss/soll/darf. Dieses Ereignis könnte in den unbekannten Lücken der Geschichtsschreibung eventuell tatsächlich so passiert sein, wie die Spieler es ihre Charaktere durchleben lassen.

Wenn wir uns also auf den Spaß, den dieses reine Gedankenexperiment darstellt einlassen, dann kämpfen sich die SC letzten Endes durch ein ehemaliges Strafgefangenenlager, in dem Rasputin einiges an russischem Militär und Wesen slavischer Mythologie bereitgestellt hat, das den Spielern Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Inklusive dem einen oder anderem Pulp-Element, dass an die eher esoterischen Ideen von Nikola Tesla angelehnt ist.

Zusätzlich wird dabei allerdings auch ein neues Regelelement eingeführt, um den Kampf mit größeren Gruppierungen, wie es gerade „moderne“ Militäreinheiten zur Zeit von 1918 sind, besser zu managen.

Und es sollte wirklich jedem Klar sein: Am Ende dieses Abenteuerbandes ist man dem endgültigen Ziel letzten Endes so nah entfernt, wie man auch wirklich endgültig genügend Alternativen zum Lösen des Abenteuers hat. Wie diese dann aber am Ende eventuell aussehen könnten, muss sich erst noch zeigen.

Jenseits des Ganzen mystifizierten Historiengedöns im ersten Weltkrieg erhält man natürlich wie üblich die Werte der wichtigsten NSCs (Rasputin als menschlichen Mystiker und einen seiner Getreuen, untoten Soldaten) und eine ganze Menge Kleinkram, der direkt aus dem ersten Weltkrieg stammt wie Gasmasken, Maschinengewehre und dergleichen. Wer also im Falle einer langfristigen Kampagne nach Möglichkeiten sucht, etwas wirklich abgedrehtes zu verbrechen: Hier habt ihr das Equipment um Golarion mit wirklich einmaligen Gegenständen, die keine Sau einzuordnen weiß, dem Erdboden gleich zu machen.

Das Kapitel „Feuerwaffen, Geister und Revolutionäre“ ist dabei, wie immer ein gesondertes Hintergrundkapitel. Es wird mehr als kurz umrissen, wie die russische Geschichte im ersten Weltkrieg verlaufen war, ehe man eine ganze Reihe neuer Regeln für moderne Feuerwaffen, sowie irdische Mystiker einführt. (Diese ergänzen letzten Endes die Regeln für Mystiker aus dem Band der Expertenregeln.)

Im Kapitel „Szuriel“ wird die gleichnamige Reiterin der Apokalypse, als Personifizierung des Krieges vorgestellt, sowie entsprechende Details zu ihrer Herkunft, wirken und Werk im Auftrag von Abbadon. Was man hier erwarten kann sollte somit jedem klar sein: Letzten Endes eine weitere, spezielle Religion für Daimonen-Anbeter.

Der fünfte Teil aus der Geschichte der Knochenmehl-Puppen trägt den Titel „Das Netz der Geheimnisse“. (Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, werde ich dabei nicht ins Detail gehen. Diese Geschichten sind und bleiben etwas für Komplettisten, die Spaß an dieser Form von Kurzgeschichten haben.)

Das „Bestiarium“ kokettiert schließlich mit der ersten Weltkriegsthematik. So fährt ein „Belebter Panzer“ über das Schlachtfeld und spuckt scheinbar selbstständig seine Geschütze in die Reihen der Feinde, mit dem Genthodaimon hat anscheinend die verkommene Seele des Schlachtfeld selbst eine Personifikation bekommen, Fexte sind untote Offiziere, welche in ihren Militäruniformen für Beunruhigung unter den Soldaten sorgen und, last but not least, sorgt der „Grabennebel“ dafür, dass Soldaten auf dem Schlachtfeld sich wieder zu bewegen beginnen, sobald dieses senffarbige Gas sich um ihre Körper schlingt.

Wie immer stellt der Abschluss dieses 100 Seiten umfassenden PDFs dann eine Aneinanderreihung von einzelnen Bodenplänen dar, die Gebäude beschreiben, welche im Abenteuer erkundet werden könnten.

Fazit

Dieser Abenteuerpfad hatte von Anfang an einige sehr schöne Dinge vorzuweisen gehabt: Sehr konkret wurde hier von Anfang an mit der eher russischen Thematik gespielt, soweit es die losen Assoziationsmöglichkeiten innerhalb eines Fantasy-Settings überhaupt zuließen. Das dieses spezielle Spiel dann gegen Ende darauf hinaus lief, dass wir im Hier und „Vorvorgestern“ landen würden, ist dann doch eher eine besondere Überraschung, die den ziemlich verqueren Köpfen bei Paizo wirklich gut gelungen ist. Die Idee eine Horde Fantasy-Krieger mit ihrer Magie und ihren archaischen Waffen auf die moderne Feuerkraft einer industrialisierten Armee treffen zu lassen ist in mehrerer Hinsicht verdammt gut. (Und sei es nur, um noch einmal am Spieltisch auf pädagogisch weniger wertvolle Weise darauf hinzuweisen, warum hierzulande seit Erfindung des Schwarzpulvers das Ritterregiment ausgedient hatte… spätestens.)
Ich mag die ganze überzogene Verrücktheit, welche bis jetzt die Winterkönigin ausgezeichnet hatte und finde sie an dieser Stelle einfach erneut bestätigt. Man kann eigentlich nur hoffen, dass eventuell ein paar etwas mutigere Gruppen dann und wann mal mit den ganzen Regeln hier auch anderweitig spielen. Golarion würde sicherlich irgendwann ganz anders aussehen, falls man als SL eine Horde bekloppter Spieler sich einmal mit solch einem Kram ausrüsten lässt.
Doch genug der bis hierhin lobenden Worte für einen derartigen Mindfuck. Kritisch dürften wohl gerade Puristen reiner Fantasy ein solches Szenarion sehen, in dem mit einem mal ihr Fantelalter von den tödlichen Erzeugnissen der modernen Industrialisierung heimgesucht wird.
Dementsprechend wird gerade die Winterkönigin zu einer echten Herausforderung sämtlicher Geschmacksrichtungen. Das wäre es dann aber auch schon.
Prinzipiell ist nämlich vom handwerklichen her an diesem Abenteuerband nichts auszusetzen. Die Illustrationen sind sehr gut. Man hat sich wieder einmal verstärkt auf malerische Stile eingelassen, wobei die verwendeten Zeichner in ihren jeweiligen Stilen gut miteinander harmonieren und damit auch optisch kein Bruch in der ganzen Geschichte entsteht.
Insofern würde ich Rasputins muss sterben eigentlich sogar direkt Leuten wie mir empfehlen, die mit der Standard-Fatasy, wie sie für Pathfinder dann doch eher typisch ist, eigentlich weniger anfangen können. Aber: Soeben wurde die Erde im Pathfinder-Multiversum erschlossen.

Und, um einen letzten Gassenhauer noch zu bringen: Vielleicht ist Elvis doch nicht tot, sondern tourt nur durch Golarion.

Okay, das war jetzt aber genug. Ich glaube man sollte bemerkt haben, dass ich von diesem Band hier vollends begeistert bin.

Mit freundlicher Unterstützung in Form eines Rezensionsexemplars von der Ulisses-Spiele GmbH und dem F-Shop.

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