Roleplayin‘ Down South

Hoodo Blues RPG

Wer sich für die amerikanische Geschichte vor dem Bürgerkrieg interessiert, wird in den letzten Jahren multimedial regelrecht verwöhnt. Während „Lincoln“ das Ende der Sklaverei und die politischen Ursachen für den Umbruch historisch ebenso penibel wie unterhaltsam auf die Leinwand bringt, können die Cineasten auf den anspielungsreichen und pulpigeren „Django“ von Tarantino zurückgreifen. Mit „12 Years a Slave“ das gerade – zumindest gefühlt – in aller Munde ist, tritt ein weiterer großer Pre-Civil-War Film auf die Leinwand. Spannend und schwer ist die Epoche, weil sie mit dem Thema der Sklaverei konfrontiert. Es ist kaum ein Wunder, dass sich das Hollywoodkino den Western als Ausgangsmythos der USA geschnappt hat und nicht die Zeit davor. Im Western kann man Einzelkämpfer in pulpige Konflikte schicken und hat mit Banditen und „Indianern“ Feindgruppen, die man auch heute noch verhältnismäßig unkritisch nutzen kann (wenn auch nicht sollte).

Vor dem Bürgerkrieg muss man zumindest für die halbe USA die Sklaverei mit einbeziehen und die ist dank der Civil Rights Bewegung – bis auf einige Flecken im Süden – doch weitgehend geächtet. Dementsprechend schnappen sich auch alle drei genannten Filme dieses schwere Thema, dass sie mal direkt (12 Years a Slave), mal indirekt (Lincoln) und mal rächend (Django) behandeln. Da ich Filme immer auch unter der Lupe der (Rollen)spieltauglichkeit schaue, stellt sich mir dabei die Frage ob und wie man diese Epoche und diese Thematik bespielen kann…

Rollin‘ down south

Sucht man Rollenspielmaterial zu Sklaverei oder der Pre-Civil-War-Era Epoche kommen mir zuerst zwei Umsetzungen in den Kopf, zum einen „Solomon Kane“ und zum anderen „Colonial Gothic“, wobei ich nur letzteres grob kenne. Colonial Gothic scheint mir etwas die amerikanische Variante einer deutschen Cthulhuinterpretation zu sein. Regeltechnisch sperrig und geschichtlich akkurat wird – Sleepy Hollow lässt Grüßen – ein finsterer Blick auf New England geworfen. Damit kann man sich – sofern ich es richtig überblicke – gut in den okkulten und hoch absurden Elitenkreisen Neuenglands austoben und findet sich in guter (oder schlechter) Gesellschaft zu Lovecraft (über den man sagen kann das er seine Geschichten zu großen Teilen auch im 19. Jahrhundert hätte spielen lassen können) und E. A. Poe. Aristokratische Kreise die in Neuengland eine verstörende Mischung von Tradition und Modernität zelebrieren, können allemal einen spannenden Rollenspielhintergrund abgeben. Mit Ausnahme von vereinzelten mystischen Schreckensgestalten bleibt die bespielte Gesellschaft dabei allerdings rein weiß und umgeht so zwar einige Stolperfallen und Probleme, bleibt damit aber unausgesprochen auf Seiten der Privilegierten (um nicht zu sagen Täter) und bleibt in letztlich gewohnt höfischen Kreisen, die man ähnlich auch im viktorianischen England haben könnte. Will man den Süden der Zeit umsetzen, dann steht man wesentlich einsamer da. Auch wenn Django zeigt wie man für eine Kurzkampagne Savage Worlds spielen könnte, gibt es dazu keine Rollenspielunterstützung und wird man vor der Schwierigkeit stehen, genug plausible „Freemen“ für eine Rollenspielrunde zu finden. Damit steht man außerdem vor dem grundlegenden Problem: Kann – und will – man den Süden dieser Zeit bespielen?

Will man nicht in die Rolle von Sklavenhaltern schlüpfen und vielleicht sogar die Sklaven selber verkörpern hat man neben dem Problem von häufig fehlendem historischen Wissen und diversen Stolperfallen auch noch das banale Problem das Geschichten meist von Subjekten handeln. Selbst die zahlreichen „Slave Narratives“ handeln zumeist von Ausnahmen. Es sind fast immer vereinzelten Sklaven die Lesen und Schreiben können und so am nächsten an die gewohnte Vorstellung von (weißen) Protagonisten herankommen. Frederick Douglass war am Ende seines Lebens in vielen Punkten dem weißen Politiker vermutlich näher als dem schwarzen Feldsklaven und die Abolitionismusbewegung zehrte nicht zufällig vom Theoriefundus der westlichen Klassiker und nicht von afrikanischen Erzählungen. „12 Years a Slave“ illustriert dieses Problem anschaulich. Die verhältnismäßig seltene Situation eines angesehenen „Freeman“ der illegal versklavt wird ermöglicht erst eine Geschichte mit einem Protagonisten. Und selbst hier fühlt sich der Film ganz zu recht über weite Strecken nach Railroading an. Salomon Northup handelt nicht, sondern wird behandelt und kann nur in wenigen Momenten etwas wie Handlungsfreiheit aufbringen und da meist nur in psychischen oder symbolischen Reaktionen und nicht durch freie Handlungen. Es bedürfte schon eines recht seltsamen masochistischen Verständnisses von Rollenspiel, wenn man bereit wäre eine ähnliche Handlung im Rollenspiel durchzumachen.

Darin zeigt sich dann auch eine traurige allgemeine Problematik beim Bezug auf schwarze Geschichte. Eine Kultur die sich unter erbärmlichsten Bedingungen entwickelte und dann auch noch oralen und nicht schriftlichen Traditionen entstammt schreibt kaum Geschichten und wenn dann eher erzählte allegorische Geschichten die als Lebenshilfe dienen sollen. Selbst die vielgepriesene schwarze Musik zeugt davon, da sie im Gegensatz zu weißer Folklore (Country) wesentlich seltener Geschichten erzählt, sondern zumeist textlich über ein Gefühl variiert – Was mal eben dazu führte, dass das ganze Genre der Working Songs und der frühen und Pre- Bluesmusik lange Zeit nicht als „Musik“ betrachtet wurde, da die Richtungen nicht den narrativen Strukturen eines Songs entsprechen.

But I keep on rollin‘

Trotz dieser Schwierigkeiten lässt mich die Frage nicht los ob diese unbespielte Gesellschaft nicht doch Möglichkeiten für den Spieltisch bietet. Nicht nur, dass es eigentlich logisch wäre, Rollenspiel auch mal von schwarzer Perspektive aus zu betreiben, auch bin ich immer auf der Suche nach „neuem“ und habe außerdem ein verstärktes Interesse an afroamerikanischer Geschichte.

Die grundsätzliche Schwierigkeit das man hier einen sensiblen und kulturell doch höchst verschiedenen Themenkreis berührt ist kaum zu umgehen. Einen ernsten Versuch gibt es in der Rollenspiellandschaft aber bereits. Das unbekannte Hoodoo Blues aus dem Hause Vajra Enterprises stellt sich dem Thema auf eine höchst ungewohnte Weise. In gewisser Weise kann das Spiel als ein Schnelldurchlauf durch die schwarze Geschichte des US-amerikanischen Südens beschrieben werden und zwar als einer der fordernd aber durchdacht zugleich ist…

Der Titel verrät schon etwas wohin die Reise geht. Im Mittelpunkt steht Hoodoo, das ist die südstaatliche Variante von Voodoo. Auch hier findet sich wie im Voodoo eine Melange aus traditionellen (west)afrikanischen Kulturen und Christianisierung, es fehlen aber weitgehend die katholischen Einflüsse des karibischen Voodoos wohingegen der etwas nüchternere Protestantismus aufgenommen wird. Hoodoo Blues arbeitet nun verschiedene dieser Vorstellungen heraus und nimmt sie als real an. Wir haben es also mit „Hands“ und „Mojos“ zu tun die in der Spielwelt wirklich wirken.

Als zentrales Element wird dabei die Möglichkeit zur Unsterblichkeit genutzt. In Hoodoo Blues spielen wir unsterbliche Afroamerikaner (mit Option auf diverse „indianische“ Stämme und auch vereinzelte Weiße) die im mehr oder weniger im gegenwärtigen Süden leben. Dabei tragen sie Erinnerungen an frühere Epochen mit sich herum, die durch Flashbacks in das Spiel aufgenommen werden können. Konkret bedeutet dies eine Charaktererschaffung die jenseits von gut und böse ist. Für jede durchlebte Dekade (beim Beispielcharakter sind das mal eben zehn), wird festgelegt was der Charakter grob erlebt hat, was sich dann auf die Charakterwerte niederschlägt. So kann der Charakter in den 10 Jahren beispielsweise jeweils geruht, gelernt oder gearbeitet haben. Hoodoo Blues hilft dabei mit Beschreibungen der Dekaden und möglichen Aktivitäten für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Wie man das ganze aber an den Spieltisch bringen will ist mir fraglich.

Das Buch bemüht sich den spezifischen Flair des Südens einzufangen und dessen Geschichte bis in die Alltagshandlungen, Geschmäcker, Kleidung etc. aufzubereiten. Das führt zu einem großartigen Geschichtsbuch über den (schwarzen) Süden, bei dem akurat gearbeitet wurde und fast jede Stereotypisierung vermieden wird. Diverse christliche Subtypen werden ebenso diskutiert, wie die Waffengesetzgebung, das Einbetten von Codewörtern in Worksongs, der Tagesablauf eines Bürgerkriegssoldaten, verschiedene Indianerstämme und ihre politische Rolle etc. etc. Bei all dem kann das Buch problemlos mit einer historischen Arbeit mithalten. Auch wenn Quellenangeben und fußnoten (zum Glück) fehlen, scheinen die Fakten und Einschätzungen korrekt zu sein und erhält man zudem noch eine auf das Rollenspiel ausgelegte Perspektive….

W20 Years a Slave

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass man es bei „Hoodoo Blues“ mit einem außerordentlich umfangreichen und hochwertig recherchierten Rollenspiel zu tun hat, was schon alleine ein Kaufgrund sein kann (als pdf liegt es bei gerade einmal 3,60€). Die Frage ob es ein spielbares Rollenspiel ist, ist damit aber noch nicht beantwortet.

Zuerst einmal versorgt das Grundbuch (das auch das einzige erschienene ist) eine Spielergruppe mit allem was zum spielen benötigt wird. Neben den unzähligen Fakten gibt es ein Regelsystem das alle Aspekte abdecken sollte. Bis auf die bereits erwähnten Auswirkungen der Charaktergeschichte auf die Charakterwerte ist das System allerdings wenig innovativ und eher umständlich. Zum ersten fallen die vielen Listen mit Fertigkeiten, Zaubern, Vor- und Nachteilen, Gegenständen etc. auf, die immerhin den positiven Nebeneffekt haben Inspirationen zu liefern. Das System selber nutzt dann einen W20 zu- und abzüglich diverser Modifikationen wie dem Attribut, Fertigkeiten, Umständen etc. und vergleicht das Ergebnis mit einer Schwierigkeit. Das System erscheint mir als spielbar aber umständlich und veraltet.

Auch vom eigentlichen Spiel her sollte „Hoodoo Blues“ einige Schwierigkeiten mitbringen. Zum ersten wäre da die Fülle an Informationen die kaum umsetzbar sind. Allein die 20er in Deutschland zu imaginieren ist nicht gerade einfach, sich mehrere Epochen ferner afroamerikanischer Kultur einzuprägen, die nichtmal selbstverständlicher Teil der medialen Repräsentation sind dürfte da fast ein Ding der Unmöglichkeit sein. Dafür versorgt das Buch den SL mit Abenteuerideen, Beispielsorten (insbesondere New Orleans) und mystischen Kreaturen. Zu tun dürfte es allemal genug geben, dafür muss man jedoch erst einmal in den fremden Süden eintauchen…

Insgesamt bleibt also die Schwierigkeit der fremden Kultur, der Aufwand sich verschiedene Epochen vorzustellen, das sensible Thema und das Problem das man – selbst wenn man die Sklaverei ausblendet – als Charakter permanent mit Einschränkungen und Rassismus konfrontiert sein wird. Trotz der wirklich exzellenten Arbeit des Buches wird es schwer sein, eine solche Runde auch nur annähernd ‚authentisch‘ leiten zu können. Dann auch noch eine Gruppe zu finden, die sich in das Thema intensiv einarbeitet, dürfte fast unmöglich sein. Dennoch schafft das Spiel zweierlei. Zum ersten zeigt es einen Weg, wie auch die schwarze Geschichte des Südens an den Spieltisch kommen könnte (eben durch magiebegabte, unsterbliche, Hoodoo Charaktere) und es liefert allemal genug Material um Rollenspielrunden aller Epochen im amerikanischen Süden aufzuwerten.

Wer also einen frischen, wenn auch nicht ganz ungefährlichen Wind in seine Runde bringen will, sollte durchaus einen Blick auf die schwarze Geschichte der amerikanischen (Süd)staaten werfen….

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