Das Leben eines Gezeichneten – Teil 36
Pforte des Grauens - Teil 3
6 Praios
Als ich am Morgen an Deck trat war die See rau und große Wellen rollten unaufhörlich gegen den Schiffsrumpf. Wir würden etwa zwei oder drei Tage brauchen bis wir Tuzak erreichten, so hatte uns der Kapitän gesagt und es wäre vermutlich schneller gewesen, wenn wir nicht so viel Ladung mitgenommen hätten, wie es das Schiff gerade noch tragen konnte, das war selbst mir, der ich nun
überhaupt keine Ahnung von Schiffen dieser Größe besitze, klar.
Plötzlich schrie der Mann im Ausguck, dass sich ein Schiff nähern würde. Er benutzte seemännische Ausdrücke und zuerst sah ich auf der falschen Seite nach. Es schien sich um ein Schiff der Blockade zu handeln, denn als es näher herankam, begann es auf uns zu schießen.
Es war eindeutig wesentlich schneller als unser Schiff – kein Wunder, den vermutlich trug es fast keine Ladung bei sich und so griff ich auf die einzige Möglichkeit zurück, die mir in den Sinn kam, und ließ die Luft hinter unserem Schiff erstarren, so dass sowohl die Kugeln, als auch das Schiff, sollte es uns weiter verfolgen, dagegen prallen würde.
Kaum hatte ich den Zauber vollendet, als ich in meinem Kopf ein Ziehen verspürte, das schnell zu einem sehr, sehr unangenehmen Gefühl anwuchs und ich eine Stimme in meinem Inneren vernahm, die behauptete sie könne ihn nicht länger aufhalten. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Ich erwachte unter Deck und hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Immerhin schienen wir dem Schiff entgangen zu sein und so ging ich, langsam und vorsichtig, nach oben an Deck um mich zu erkundigen was passiert war. Das andere Schiff war wie geplant gegen die Barriere gesegelt und danach hatten wir es abhängen können. Immerhin.
Ich ließ mich an Deck wieder zu Boden fallen und besah mir die Wellen, die noch immer sehr unruhig gegen die Bordwand klatschten, als sich in der Ferne von Rahja her eine dunkle Wand auf uns zu bewegte. Solche Farben hatte ich schon etwa ein dutzend Mal in meinen jungen Jahren gesehen. Ein Sturm kam auf uns zu, und so wie es aussah ein verdammt heftiger noch dazu.
Ich beeilte mich wieder unter Deck zu kommen, versuchte eine Platz zu finden an dem ich nicht von umhergeworfenen Gegenständen getroffen werden würde und wartete auf das Brausen des Sturmes, dass nicht lange auf sich warten ließ. Ich weiß nicht wie lange ich unter Deck saß und dem Knirschen und Reißen des Holzes um mich herum zuhörte, bis es wieder stiller wurde und ich nach einer Weile der Ruhe wieder an Deck zurückkehrte um mir das Ausmaß der Schäden anzusehen.
Der Hauptmast war abgebrochen und hatte Latu knapp verfehlt, der wohl der Meinung gewesen war, dass es sich angebunden an diesen den Sturm leicht überstehen ließ. Die Reling war an vielen Stellen durchbrochen und nur wenige Männer waren noch an Deck. Schlimmer aber war, dass wir es noch nicht überstanden hatten, denn um uns herum tobte der Sturm in einiger Entfernung. Einzig direkt über uns konnte ich das blau des Himmels erkennen.
Ich beeilte mich wieder nach unten zu gelangen, bevor wir erneut in Kontakt mit dem Sturm geraten würden, und diese Mal war es noch heftiger als vorher. Ich wurde von einigen umherfallenden Gegenständen getroffen und harrte dem Ende des Sturms – oder dem Untergang des Schiffes.
Endlich wurde es wieder ruhig und es ertönte ein seltsam schabendes Geräusch von der Unterseite des Schiffes. Ich eilte an Deck, der Sturm war tatsächlich abgeflaut, und konnte in einiger Entfernung Land sehen. Inzwischen war es Nacht geworden und die Sterne funkelten über uns, erleuchteten aber kaum das fast schwarze Wasser um das Schiff.
Wir würden zum Ufer schwimmen müssen und so band ich mir meinen Stab um den Körper und sprang ins Wasser. Leider behinderte er mich sehr und so musste ich mir von einem der Matrosen an Land helfen lassen, wo ich erschöpft zusammenbrach.
7 Praios
Ich erwachte von einem Kitzeln in der Nase und stellte mit Erstaunen fest, dass es ein Bein zu sein schien, dass meine Nase abtastete, fast als wolle es nachsehen ob ich essbar seien könnte. Das Bein gehörte zu einem schwarzen Tierkörper, der entfernt an eine Ameise gemahnte, aber deutlich größer war. Ich setzte mich auf und schaute mich um. Die Wellen brandeten an den weißen Strand
der Bucht in der wir gelandet waren und in einiger Entfernung trugen zehn der Ameisen eine unserer Vorratskisten fort.
Ich sah noch mal genau hin. Tatsächlich. Sie trugen sie einfach geradewegs in den Dschungel hinein, als wöge sie nichts. Ich schüttelte verwirrt den Kopf, aber das Bild änderte sich nicht im Geringsten. Und, fast noch schlimmer, versuchten sie gerade Greifwin ebenfalls fortzuzerren. Ich lief auf sie zu und sie stoben leichtfüßig mit ihren sechs Beinen auseinander, weckte die anderen und versuchte die Viecher zu erschlagen, bevor sie unsere gesamten Vorräte verschleppt hatten. Wer konnte schon wissen wo wir jetzt gerade gelandet waren und wie lange die Vorräte noch reichen müssten?
Über den Tag erfuhren wir vom Kapitän, dass wir vermutlich etwa 100 Meilen weiter nördlich gelandet waren als geplant, und dass er das Schiff wohl reparieren konnte, dieses Unterfangen aber ungefähr zwei Wochen in Anspruch nehmen würde, da sie mehr als die Hälfte der Mannschaft verloren hatten und diese Zeit hatten wir nicht im Geringsten. Irgendwie spürte ich, dass wir uns
beeilen mussten, welcher meiner ‚treuen Gefährten‘ auch immer mir dies eingab – die Mädchen hatten sich während der Schiffsreise nicht gezeigt und blieben auch jetzt verschwunden.
Die einzige Möglichkeit schnell nach Tuzak zu reisen und zwar mit allen anderen, wäre ein neues Schiff besorgen zu gehen, am besten in Tuzak. Also könnte ich theoretisch nach Tuzak reisen und dort ein Schiff anheuern um die anderen abholen zu lassen. Ich würde morgen einen Versuch wagen und sehen was sich erreichen ließ, bevor wir hier am weißen Strand noch von Riesenschnecken oder ähnlich unbekanntem aufgefressen wurden.
Wir legten uns nahe der Wasserlinie schlafen etwas abseits der Matrosen und ich versuchte bei den mir nur halbvertrauten Geräuschen die dieser Dschungel nachts hervor brachte Schlaf zu finden.
8 Praios
Laute Geräusche weckten mich und als ich aufsah stellte ich fest, dass unser Lager von Einheimischen umstellt war und ihr vermutlicher Anführer mit dem Kapitän redete. Auch die anderen waren Wach geworden und so traten wir langsam auf die Sprechenden zu.
Diese drehten sich zu uns um und erklärten uns, dass es sich um eine der vielen Gruppierungen handele, die gegen die Besatzungsmacht hier auf Maraskan kämpfen würde und das wir sie begleiten sollten. Ohne Waffen versteht sich. Da ich schon ahnte, dass das zu einem Streit führen würde ‚überredete‘ ich sie dazu, uns unsere Waffen zu lassen.
Immerhin hatten wir so vielleicht die Chance, nähere Informationen über den Überfall auf die Karawane zu erhalten.
Wir folgten also der recht großen Gruppe, die kaum Probleme in dieser Umgebung zu habe schien und einem mir nicht ersichtlichen Pfad folgte. Nach mehreren Stunden des in meinem Falles durch-den-Dschungel-Stolperns, erreichten wir eine Lichtung auf der unsere kleine Rebellengruppe halt machte. Schlimmes ahnend blickte ich nach oben und sah Häuser in den Bäumen. Sie wirkten fast natürlich gewachsen und es graute mir vor dem Aufstieg und noch viel mehr vor den dünnen
Stegen.
Der Anführer rief etwas nach oben und bald fiel das Ende einer Leiter hinunter. Wir sollten als erste klettern und es gelang mir einigermaßen die Fassung zu waren. Oben angekommen, führte er uns über einen dünnen Steg, bei dem ich den Ausblick nach oben genoss, zu einem sehr großen Baumhaus in dessen Innerem viele Schlafkojen waren und stellte uns dem wirklichen Führer dieser Rebellengruppe vor.
Ich überließ Latu das Reden und sah mich ein bisschen in der Hütte um. Den Männern und Frauen schien es nicht besonders toll zu gehen, aber auch besser als ich gedacht hatte. Latu fragte nach den beiden bekannten Überfällen – sie wussten dazu nichts, weil es eine andere Gruppe gewesen war – und ob sie uns dann dort hin bringen könnten – ja konnte sie, aber erst morgen.
Sie waren mir ein bisschen zu freundlich für meinen Geschmack. Immerhin hatten sie ja keine Vorteil davon uns quer durch den Dschungel zu schleppen… also musste irgendetwas für sie dabei herausspringen.
Am späten Nachmittag begann es relativ plötzlich zu regnen und wir wurden leicht nass, als wir vom Versamlungshaus in unser Quartier gebracht wurden, in dem mich eine riesengroße Heuschrecke ziemlich in Aufregung versetzte.
Wir begaben uns zu Bett und meine Ruhe wurde nur durch Leowulf gestört, der meinte mich mitten in der Nacht wecken zu müssen – warum auch immer.
9 Praios
Nach dem wir gefrühstückt hatten, erfuhren wir vom Colonell, dass er gar nicht vor hatte uns zu dieser anderen Rebellengruppe zu bringen, sondern uns lediglich den Weg weisen wollte. Zu allem Überfluss hatte Latu auch noch beschlossen einen Selbstfindungstrip in die Wälder zu unternehmen – um eins mit dem Dschungel zu werden, oder ein ähnlicher Unsinn – und wir hatten kaum eine Chance den Wegweisungen des Anführers zu folgen. Er fertigte uns zwar eine Karte an, aber da sah alles nicht im Geringsten aus wie die tatsächliche Landschaft.
Wir nahmen noch etwas Proviant mit und begaben uns auf den Weg um das Dorf in zwei Tagesmärschen auch in zwei Tagen zu erreichen. Der Weg führte uns zunächst etwas unter den doch noch lichte Bäumen der umliegenden Dschungelfelder hervor und in ein großes Sumpfgebiet, bei dem ich bei jedem Schritt fürchtete, dass ich in irgendeinem elendigen Morast versinken würde.
Etwa gegen die Praiosstunde – wir hatten Rast gemacht auf einem der wenigen trockenen Flecken – entdeckte Greifwin ein merkwürdiges Blubbern in einem der Wasserlöcher. Mehr aus Instinkt, denn reiflicher Überlegung, schlug ich feste mit meinem Stab auf die Oberfläche worauf sich in ganzer Schwarm Blutegel aus dem Wasser schleuderte und mich zwei der Tiere zu Boden rissen. Greifwin schien das ganze weniger geheuer und Leowulf versuchte eines der Tiere abzulösen, die sich festgebissen hatten. Mir reichte diese ganze Sache. Den ganzen Tag schon waren wir durch grässlichen Sumpf gelaufen und meine Schuhe inklusive des untersten Stücks meiner Robe sahen aus wie aus Schlamm gemacht. Dann kamen noch diese Tiere hinzu, die sicherlich vor hatte mich einfach aufzufressen, wenn ich nur lange genug hier liegen würde!
Ich wirkte ohne Rücksicht auf Verluste bei Leowulf, der ja noch immer neben mir stand eine Welle des Schmerzes in alle Richtungen und konnte, jetzt halb aufgerichtet, mit Freude die Todeskrämpfe der Egel beobachten. Greifwin hatte es inzwischen ebenfalls erwischt und er schrie Leowulf um Hilfe an, der auch prompt zu ihm hinüber rannte. Ich hingegen erhob mich vollständig und steckte zwei der
Egel ein um sie später näher zu untersuchen.
Gegen die zweite Stunde, endlich außerhalb dieses Sumpfes und vermutlich nicht mal grob noch auf dem Weg, den wir hatten laufen sollen, entdeckte ich einen Hochstand am Waldrand in dem jemand saß. Ich trat näher und rief hinauf und ein Gesicht gefolgt von einem Mann begannen die Leiter herunter zu klettern. Leider kam er nicht sehr weit, denn er verfing sich irgendwie ungeschickt in einer Liane und blieb auf halbem Weg auf der Leiter hängen. Tot, wie ich kurz darauf feststellen musste. Sehr ärgerlich. Er sah aus, als käme er aus dem Mittelreich und hätte uns bestimmt einige Informationen geben können.
Ich versuchte noch oben auf dem Hochstand irgendetwas Interessantes zu entdecken, aber dort war außer Essensresten nicht viel aufzufinden. Aber ich konnte ein Fort in einiger Entfernung erkennen, in dem bestimmt noch mehr von diesen Soldaten hausen würden und da wir eh unseren Weg verloren hatten…
Wir liefen also in Richtung Fort und nach etwa zwei Stunden lag des Tor des Forts vor uns. Halb zerstört, halb überwuchert, so dass ich zunächst zweifelte ob hier noch irgendwer leben würde. Im Hof jedoch lümmelten sich einige Soldaten, schrecklich ungewaschen und ungepflegt, so dass ich dankbar war nicht besonders gut zu riechen. Ein Käfig mit einem Soldaten hing etwa in der Mitte des Platzes und dann tauchte auch schon der Anführer dieser dreckigen Bande auf und lud uns
zum Essen ein. Das ganze hier wirkte seltsam entrückt, so als wären alle irgendwie zu lange in der Sonne gewesen, oder hätte zu viel an ihrem Selbstgebranntem geschnüffelt, der in einem deutlich als dieses erkennbaren Gebäude weiter hinten hergestellt wurde.
Greifwin blieb zunächst draußen und trat erst später in die Halle als schon fast alle Soldaten um den Tisch versammelt waren. Auf dem Tisch lag ein ziemlich angebratener Affe, der laut Aussage des Korporals gar vorzüglich schmecken sollte, sich nach einem Test meinerseits aber als ungenießbar herausstellte. Greifwin hatte die Frechheit nichts essen zu wollen, was unseren Gastgeber sehr zu ärgern schien und Greifwin in die Flucht nach draußen trieb.
Darauf ließ der Korporal seine aufgestaute Energie an dem Soldaten im Käfig aus, der aber deutlich sichtbar schon seit einiger Zeit tot war, und ich konnte es mir nicht nehmen ihn darauf anzusprechen, ob er ihm das ganze nicht noch mal sagen wollte, wenn er aufrecht vor ihm stand. Ihm schien der Gedanke zu gefallen und ich erweckte den Toten für die nächste halbe Stunde zum Leben. Womit ich nicht gerechnet hätte war, dass Leowulf direkt versuchte, dieses Leben wieder
hinaus zu prügeln und der Anführer es ihm gleich tat. Dafür hatte ich mir also diese Mühe gemacht… zumindest schienen sie Spaß an der Sache zu haben und er reichte mir dann sogar einen Finger seiner Kameraden, den ich mit einem Lächeln einsteckte.
Nach der ganzen Vorstellung verabschiedeten wir uns von ihm und wünschten ihm noch viel Erfolg im Kampf mit den Rebellen, den dazu war er wohl in den Dschungel gekommen.
Als wir das Fort verlassen wollten, bat uns kurz vor dem Tor einer der Soldaten, uns begleiten zu dürfen, welches ihm Leowulf gewährte. Er war erst seit einem halben Jahr hier und wollte nicht so enden wie die anderen Soldaten. Später auf dem Weg stieß Greifwin zu uns, der ein Flugblatt gefunden hatte auf dem unsere Gesichter abgedruckt waren. Sehr merkwürdig… immerhin waren wir erst seit etwa vier Tagen auf dieser Insel, wie hätte man da so schnell Flugblätter verteilen
können?
Gegen Abend erreichten wir ein kleines Dorf und ich quartierte uns für billiges Geld in der größten Hütte des Dorfes ein. Ich musste dafür einige Frauen und Kinder aus dem Raum werfen die, als ich – mal wieder – nachts geweckt wurde, zurückgekehrt waren.
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