Malmsturm – Die Regeln
Für mich war die RPC 2011 eine Entdeckungsfahrt. War meine erste große Messe, habe viele tolle Sachen gesehen, mehr nette Leute kennengelernt als ich mir überhaupt merken konnte, und habe den größten Teil meiner Mitmoderatoren endlich mal persönlich gesprochen. Aber die für mich zweitwichtigste Entdeckung in Köln war eindeutig Malmsturm. Ich hatte zwar im Vorfeld vom Projekt gelesen, hauptsächlich auf meinen seltenen Streifzüge durch das Tanelorn, aber irgendwie alles wieder aus den Augen verloren, bis es kurz vor der RPC sogar zu mir durchsickerte, dass dieses „Deutsche Fantasy FATE“ als Printerzeugnis zu kaufen sein würde. Tja, und da ich seit Starblazer Adventures doch schon ziemlich von FATE begeistert bin, wanderte Malmsturm für mich damit in die oberste Priorität für Anschaffungen. War es das wert? Ich denke schon – aber lasst mich mal weitererzählen.
Optisch ist Malmsturm ein wunderschönes Buch – es wirkt zwar durch das schlichte, graumarmorierte Cover ohne Artwork etwas unscheinbar, aber spätestens wenn man das Buch in die Hand nimmt um es sich anzuschauen wird man geblendet (Je nach Beleuchtung im wahrsten Sinne des Wortes) vom Goldschnitt der Seiten. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht von einer limitierten Fassung des Buches, sondern der Regulären. Das einzige, was mich an der Gestaltung des Covers stört, ist das Logo, welches eher an ein Black Metal Album erinnert, als an ein Rollenspiel, und auch das Parental Advisory hätte man sich schenken können. Apropos Metal – illustriert wurde das Buch vollständig von Björn Lensig, dessen Arbeiten auch schon die deutsche Ausgabe von Barbarians of Lemuria schmückten. Angenehmerweise wurde hier kein Hochglanzpapier verwendet, sondern ein mattes, eher raues und schweres Papier. Das Layout dieses Buches, welches das handliche Format der Savage Worlds Gentleman’s Edition teilt, ist recht einfach aber elegant, mit nur einer Spalte und einem relativ breiten Seitenrand in dem die Autoren bzw. Übersetzer wichtige Anmerkungen, Tipps und Beispiele gepackt haben. Und, was ich natürlich ganz toll finde, es hat ein Lesebändchen!
Der Inhalt des Buches verteilt sich auf sieben Kapitel, leider ohne Index. Allerdings ist das Inhaltsverzeichnis gut aufgebaut, und zu Beginn eines jeden Kapitels findet sich nochmals ein Inhaltsverzeichnis dessen, was im Kapitel vorkommt. FATE-Kenner finden so mühelos die Themen die sie suchen, aber für Neulinge wäre ein Index hilfreich gewesen. Das erste Kapitel, die Einführung, erklärt die Grundlagen des FATE-Systems, und was man zum Spielen braucht. Für diejenigen, die unsere Rezension von Starblazer Adventures nicht im Kopf haben, hier eine grobe Zusammenfassung des Würfelmechanismus: In FATE wird alles anhand der sogenannten „Stufenleiter“ ausgedrückt, sowohl Werte als auch Schwierigkeiten. Diese Leiter besteht aus einfachen Worten und Zahlenwerten, und geht von Grauenhaft (-2) bis zuPerfekt (+12). In den meisten Fällen gilt als Mindestschwierigkeit Mäßig (+-0), wenn also das Würfelergebnis zum jeweiligen Wert addiert oder subtrahiert worden ist die Summe Null oder besser sein muss damit die Probe erfolgreich ist. Malmsturm geht hierbei davon aus das die Spieler Fudge-Würfel verwenden, also Würfel die zweimal mit einem „+“, zweimal mit einem „-“, und zwei mal Blank markiert wurden, und bei denen sich die Zeichen gegenseitig aufheben (4wF-Methode). Allerdings bietet das Regelwerk zwei Alternativen mit handelsüblichen W6 an: Zum einen die Möglichkeit einfach 1 und 2 als „-“ zu definieren, 3 und 4 als Blank, und 5 und 6 als „+“ (4w6-Methode). Zum anderen die Methode, die schon in Starblazer Adventures anwendung fand. Hier werden zwei unterschiedlich farbige W6 gewürfelt, wobei einer als der „positive“ und der andere als „negativer“ Würfel definiert wird. Der negative Würfel wird dann vom vom Positiven abgezogen, was aber zu etwas extremeren Spannen führen kann (w6-w6-Methode). Hier werden außerdem die Fertigkeitspyramide, Aspekte, Talente und Gaben kurz angerissen, und Schicksalspunkte erklärt. Jeder Charakter hat zu Spielbeginn so viele Schicksalspunkte wie er Aspekte hat, und kann diese verwenden um verschiedene Dinge auszulösen: zum einen kann er einen Bonus von +1 auf einen Wurf erhalten, was allerdings nicht sehr Effektiv ist; er kann Aspekte aufrufen (Sprich einen Aspekt des Charakters zu seinem Vorteil aktivieren); er kann Aspekte auslösen (Also Aspekte anderer Charaktere oder seiner Umgebung auslösen); er kann eine Behauptung aufstellen (Dadurch definiert in diesem Moment einen bisher unbeschriebenen Teil der Spielwelt, wobei der Spielleiter da ein Vetorecht hat); und zuletzt werden Schicksalspunkte verwendet um besonders starke Talente oder Gaben zu aktivieren.
Damit ein Charakter allerdings etwas mit seinen Schicksalspunkten anfangen kann muss er erst einmal erschaffen werden, was auch das Thema des zweiten Kapitels ist. Die Charaktererschaffung läuft dabei in sechs relativ einfachen Schritten ab, wobei die ersten beiden eigentlich zusammen gehören und noch die einfachsten sind: Sich ein Charakterkonzept und einen Namen einfallen lassen. Danach durchläuft der Charakter fünf Phasen, die ihn als Charakter definieren, wobei der Spieler in jeder Phase kurz beschreibt was seinem Charakter in dieser Phase erlebt hat, sich dazu passend einen Aspekt ausdenkt, und etwas zu seinem Hintergrund ausdenkt. Die ersten beiden Phasen sind Kindheit und Jugend, danach kommt sein erstes Abenteuer. Bei den letzten beiden Phasen werden zufällig bestimmt, in wessen Abenteuern der Charakter eine Nebenrolle gespielt hat, so das automatisch zwischen den Charakteren Beziehungen entstehen und die Gruppe bereits einen Grund hat, zusammen auf Abenteuer zu ziehen. Der nächste Schritt ist die Wahl der Fertigkeiten und ihre Verteilung auf der Fertigkeitspyramide. Hier sucht sich der Spieler fünfzehn Fertigkeiten aus, und verteilt sie auf die Stufen Durchschnittlich (+1) bis Großartig (+5), wobei auf der höchsten Stufe nur eine Fertigkeit stehen kann, und auf jeder Stufe unter ihr jeweils eine mehr, bis auf der untersten Stufe fünf Stück verteilt werden. Danach sind noch fünf Talente und/oder Gaben zu verteilen, Belastungspunkte zu berechnen, und schon steht der Charakter. Zu diesem Kapitel gehören aber auch sinnvolle Ratschläge zur Wahl von Aspekten, ein optionales System zur schnelleren Charaktererschaffung, und die Regeln zur Verteilung von Erfahrungspunkte.
Aspekte sind sozusagen das Herzstück, sowohl der Charaktere als auch des ganzen Systems, weswegen es auch nicht verwundert, dass sie ein eigenes Kapitel bekommen. Aspekte sind Schlagworte oder Begriffe die den Charakter definieren und Charakter verleihen, und können sowohl Positiv als auch Negativ sein, und die besten sind je nach Situation sogar beides. Dabei ist es wichtig darauf zu achten was man für Aspekte wählt, da man damit auch seinen Mitspielern signalisiert, was man mit diesem Charakter erleben möchte. Im Spiel selbst können Aspekte auf verschiedene Arten und Weisen zum Einsatz kommen: Wenn der Aspekt in einer Situation positiv sein könnte („Der größte Schläger von Shazar“ in einer Kneipenschlägerei zum Beispiel) kann man einen Schicksalspunkt ausgeben um daraus einen positiven Effekt zu erzielen. Ebenso kann man einen Aspekt nutzen um eine Behauptung aufzustellen, sprich der Spielwelt in dem Moment etwas aufzuzwingen (Der Aspekt oben könnte genutzt werden um zu behaupten „Ich bin der Saufkumpan von Morlock dem Barbaren, der gerade reinkommt“). Man kann auch die Aspekte anderer Auslösen, was ein zweischneidiges Schwert werden kann (Wenn einer der Mitspieler zum Beispiel dir lächelnd einen Schicksalspunkt anbietet und meint „Nur schade das die Wachen gerade den Schläger von Shazar suchen, oder?“). Aspekte sollten so gewählt werden das sie a.) Interessant sind, b.) nicht einseitig, und c.) auch immer wieder im Spiel zum Einsatz kommen können.
Im vierten Kapitel wird dann das eigentliche Regelsystem erklärt. Dabei funktionieren alle Proben wie bereits erklärt: als Basis gilt die Stufe des Handelnden, modifiziert um das Würfelergebnis, entweder gegen eine vom Spielleiter erklärte Stufe oder die Stufe, die der Gegner erreicht hat. Hier wird aber auch die Auswirkung von Schaden erklärt, egal ob körperlich oder geistig. Wenn die Belastungspunkte des Charakters aufgebraucht werden, wird der erlittene Schaden entfernt, und der Charakter erhält dafür eine Konsequenz. Konsequenzen sind im Prinzip temporäre Aspekte, die allerdings für den Charakter negativ sind, zum Beispiel „Glatter Durchschuss“, „Aufgeschürfte Beine“, oder „Nervenzusammenbruch“. Dabei gibt es leichte Konsequenzen, mittlere und schwere – wenn ein Charakter seine zweite schwere Konsequenz hinnehmen muss scheidet er aus dem Konflikt aus. Dieses Kapitel besteht zum großen Teil aus Sonderumständen und -regeln um Situationen abzudecken, die von den einfachen, allgemeinen Regeln nicht abgedeckt werden. Da es sich bei Malmsturm um ein generisches Fantasyregelwerk handelt dürfen auch Magieregeln nicht fehlen. Hier bietet das Spiel allerdings eher einen Baukasten um ein eigenes Magiesystem aufzubauen, zusammen mit einer sehr knappen Beschreibung wie Magie in der Welt von Malmsturm funktioniert- hier wäre es besser gewesen, Spielgruppen mehr Material an der Hand zu geben.
Wer bei der Charaktererschaffung eine Beschreibung aller enthaltenen Fertigkeiten vermisst hat wird im fünften Kapitel fündig, zusammen mit eine Übersicht über Talente und Gaben. Talente und Gaben liegen irgendwo zwischen Fertigkeiten und Aspekte, und werden benutzt um besondere Aktionen oder Situationen „freizuschalten“, die ansonsten dem Charakter nicht oder nur schwer zur Verfügung stehen würden. Jede Fertigkeitsbeschreibung enthält eine kleine Liste an Vorschlägen zu Talenten, außerdem ist eine Art Werkzeugkasten für Talente enthalten um sinnvoll selbst welche zu schaffen. Das daran anschließende Kapitel enthält grundlegende Spielleitertipps, die sich primär mit dem leiten von FATE beschäftigen – hier merkt man das dieses Buch sich eher an den erfahrenen Spielleiter richtet – sowie ein kleines Beispielabenteuer. Ich bin bekanntlich kein Fan von Beispielabenteuern in Grundregelwerken, aber in diesem Fall finde ich es sehr Hilfreich um dem Spielleiter zu demonstrieren wie dieses Spiel im direkten Einsatz funktionieren kann.
Das siebte und letzte Kapitel ist das kürzeste im Buch, und bietet einen sehr, sehr groben Überblick über die Welt von Malmsturm, quasi als Vorschau auf das kommende Settingbuch. Hier merkt man mehr als sonst im ganzen Buch das die Autoren große Metal- und Barbarian Fantasy – Fans sind, wer also ein „Conan ohne die Seriennummern“ sucht wird hier fündig. Man sollte aber an dieser Stelle deutlich darauf hinweisen das Malmsturm als Regelwerk unabhängig von der Spielwelt steht. Nach diesem „Preview“ folgen nur noch die OGL (Das FATE-Regelwerk steht unter der Open Gaming Licence, ist aber – bevor jemand nach Blut heult – KEIN d20-System. Ihr wollt gar nicht wissen wie oft ich das schon erklären musste…) und der Charakterbogen.
Fazit:
Ich bin seit ich Starblazer Adventures rezensierte ein Fan des FATE-Systems geworden, und verfolge seine Entwicklung in den verscheidenen Inkarnationen, weswegen ich schwer begeistert war als es hieß, eine deutsche Übersetzung stehe in den Startlöchern.Das Endprodukt braucht sich nicht vor den englischsprachigen versionen verstecken – die Übersetzung ist topp (Natürlich gibt es ein paar Sachen die ich anders gemacht hätte, aber die gibt es immer…), die Aufmachung ist… wunderschön ist vielleicht nicht das richtige Wort… umwerfend, ja. Umwerfend. Die gewählte Implementierung der FATE-Regeln orientiert sich deutlich an Heroic Fantasy, ohne eine Gruppe unbedingt darauf festzulegen – überall finden sich im Regelwerk „Stellschrauben“ und Optionen um das Spiel relativ frei an seine Bedürfnisse anzupassen. Warhammer Fantasy oder die Geschichten von Fritz Leiber lassen sich ebenso umsetzen wie Conan, Elric und viele mehr. Und wer weniger Lust auf Fantasy hat müsste eigentlich nur an ein paar Stellen nachbessern und Dinge umbenennen, und hätte schon ein brauchbares SF-Regelwerk.
Das klingt fast, als hätte ich keine Beschwerden, oder? Naja, nicht ganz. Ich hätte zum Beispiel auf das „Preview-Kapitel“ verzichten können, wenn ich dafür ein Beispiel-Bestarium bekommen hätte, und ich hätte auch mit einer Aufmachung leben können, die etwas weniger METAL! ist. Aber das sind Details – alles in allem ist Malmsturm eine tolle Präsentation eines tollen Systems. Wer aber nicht die katze im Sack kaufen will, den verweise ich auf die Website des Malmsturm-Projekts, wo man sich das ganze Regelwerk als PDF herunterladen kann, und wer sich sonst anschauen will wie es mit FATE in Deutschland aussieht, den verweise ich hiermit an die Website von FATE Deutschland.
Alles in allem eine deutliche Empfehlung meinerseits.
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