Das Reich des Krieges
Legenden von Harkuna Band I
Der Mantikore Verlag hat sich neben der Einsamen Wolf Spielbuchreihe auch historischen Spielbüchern und nun auch der Neuauflage und Neuübersetzung der Sagalandbücher (Fabled Lands) gewidmet. Sie erscheinen unter dem Namen “Legenden von Harkuna”, wovon momentan nur der erste Band “Das Reich des Krieges” erhältlich ist.
Äußerlich handelt es sich wie beim Mantikoreverlag gewohnt um ein hochwertiges A5-Buch für knappe 15€, das mit vielen schwarz/weiss-Illustrationen (den Originalzeichnungen), sowie zwei ebenso farblosen Karten und einem gelungenen Cover daherkommt. Das Buch kommt dabei auf 375 Seiten auf kolossale 680 Abschnitte.
Im Gegensatz zu den meisten Spielbüchern erzählen die Legenden in diesem Umfang nicht eine leitende Geschichte nach, sondern versuchen eine frei begehbare und lebendige Welt zu bieten. Das hebt Harkuna deutlich von anderen Spielbuchreihen ab und gelingt erstaunlich gut. Aber beginnen wir von vorne:
Anschaulich und ohne Verständnishürden wird der Leser in die Regeln des Spieles geführt. Im wesentlichen ist das ein Probensystem, bei dem 2W6 (eine Zufallszahlentabelle fehlt diesmal) auf einen Fertigkeitswert addiert werden und eine Schwierigkeit (meist 10) übertroffen werden muss. Ähnlich läuft auch der Kampf, bei dem die Differenz zum gegnerischen Verteidigungswert unmittelbar den Schaden angibt. Außerdem gibt es gleich sechs spielbereite Beispielcharaktere und die simplen Charaktererstellungsregeln. Abgerundet mit ein paar Worten zum Tod, Besitztümern und ein paar FAQs, kann der Spieler sogleich loslegen.
Das Spiel selber ist, wie bereits erwähnt, eine frei begehbare Welt. Konkret wurde dies – im Kern wenig überraschend – durch Wegpunkte mit möglichen Abgabelungen und Handlungsoptionen realisiert. Ein Extremfall sind dabei die Städte, die meist ein gutes Dutzend Möglichkeiten bieten. Es wollen Tempel besucht, Bierrunden in Kneipen ausgegeben und kleine und große Questen angenommen werden. Der wesentliche Unterschied zu anderen Spielbüchern ist dabei, dass sich die Handlung sich nicht wie ein Tunnel vollzieht, sondern jederzeit ein Rückkehren ermöglicht – selbst Reisen zwischen den Büchern sind möglich. Die damit einhergehende Problematik von Redundanz oder Endlosschleifen wurde dabei durch einige gute Ideen gelöst. Zuerst und am auffälligsten arbeitet das Buch mit sogenannten Codewörtern. Diese werden im Spiel gewonnen und sie leiten den Spieler an bestimmten Abschnitten um. So gibt es kleine Respektbekundungen wenn das Codewort für die gelöste Quest erlangt wurde, eröffnen sich Wege zum Lösen von Questen, ergeben sich neue Gesprächsoptionen oder werden einmal gelöste Aufgaben versperrt. Das funktioniert erstaunlich gut, wenngleich es zu manchem Extrablättern führt.
Als weitere Option wurden Ankreuzkästchen eingeführt. Diese werden markiert, wenn ein Abschnitt betreten wird und führen dazu, dass nach einer gewissen Zeit (meist dem zweiten, manchmal aber auch dem 4ten Besuch eines Abschnittes) eine neue Option freigeschaltet wird. Dies führt zu mehr Interaktion mit der Spielwelt und wird in Kombination mit den Codewörtern genutzt um Ereignisse zu ‘merken’. Dank einer – gegenüber vom Charakterbogen liegenden – Codewortliste und der Möglichkeit die Kästchen im Buch zu markieren, hält sich der Aufwand dabei auch in Grenzen. Zuletzt kommen Zufallstabellen hinzu, die Zwischenkämpfe oder Belohnungen ergeben können.
Was aber erlebt der tapfere Recke nun? Zu aller Erst natürlich zahlreiche Abenteuer. Es ist keine Übertreibung, wenn der ganzen Reihe verlagsseitig hunderte von Abenteuern attestiert werden. Es ist schwer möglich, alle Abenteuer auf Anhieb zu finden, da sich immer wieder neue Quests ergeben. Diese sind zwar häufig kurz gehalten und nach wenigen Abschnitten mittels eines Kampfes oder einer Probe zu lösen, können aber auch längere Sequenzen umfassen. Dies gibt der Welt stellenweise einen etwas überbordenden Charakter (so passiert es gleich mehrmals, dass der Charakter je nach Probe für eine lange Zeit bewusstlos verschwindet und an einem anderen Fleck der Welt auftaucht und Phantasiewesen lauern an fast jedem Abschnitt), führt aber zu wenig Langeweile. Dennochsollte man Entdeckerlust mitbringen um nicht doch irgendwann in der Welt zu versumpfen.
Um auch neben den Abenteuern Möglichkeiten zu bieten, kann der Charakter in Handel investieren, sich Schiffe oder Häuser zulegen und auf den Märkten eine umfangreiche Liste an Gegenständen erwerben und verkaufen. Kurzum: Das was sich beim Einsamen Wolf am Wegesrand findet, wurde in den Legenden von Harkuna zum Prinzip erhoben: Viele kleine Interaktionen, Belohnungen und das Entdecken der Welt. Dabei kann man sich im Gegensatz zu den meisten Spielbüchern wirklich sicher sein, dass man die Welt auf seine eigene Weise erkunden wird. Die verschiedenen Optionen, Orte, Questen und Zufallsereignisse sind so umfangreich, dass man – angenehmer Weise – selten das Gefühl hat, die Welt zu durchblicken. Sie bleibt ein Rätsel.
Der Fokus auf die Entdeckung der Welt hat dabei noch den angenehmen Nebeneffekt, dass sich das Buch erlauben kann, kleine Partien bei misslungenen Proben oder fehlenden Voraussetzungen zu verbergen und nicht häufig auf den Charaktertod zurückgreift. Sogar Wiederbelebungspunkte sind für ein paar Shards (die Währung) fest eingebaut. Auch tote Enden lassen sich nur selten – wenn überhaupt – finden Das führt zu wenig Frust.
Alles in allem, sind die Legenden von Harkuna ein wirklich umwerfender und erstaunlich gelungener Versuch einer frei bespielbaren Welt. Man kann lange Freude mit dem Buch haben und seinen Charakter durch alle 6 geplanten (vielleicht werden es einmal 12) Bände geleiten.
Was sich hier außerdem zeigt ist, wie die Idee der Spielbücher sich weiterentwickelt hat. Das Benutzen von Spielgrammatik (Codewörter, Kästchen oder auch die kursiv hervorgehobenen Gegenstände) ist ein plausibler Schritt, führt aber auch dazu, dass der Spieler etwas mehr – wenn auch möglichst komfortable – Notierarbeit machen muss. So ist es kein Wunder, dass über einen webbasierten Aufbau der Bücher nachgedacht wird und mit viel Glück einmal alle 12 geplanten Bände digital und komfortabel für den Rechner oder das Mobiltelefon zur Verfügung stehen.
Dies ist schließlich auch das spürbarste ‘Manko’ des Bandes. Er zeigt durch seinen innovativen Aufbau wie das Medium Spielbuch an seine Grenzen kommt und weist über sich hinaus. Dennoch und vielleicht gerade auch deshalb, ist ein Blick in diese wirklich epische Spielbuchreihe allemal lohnenswert. Das Ziel eine Fantasywelt frei betreten zu können wurde wohl in keiner Spielbuchreihe besser umgesetzt…
Kommentar hinterlassen