Autonom

Biopunk 2144

„Inzwischen aber wissen wir, dass sich eine solch abrupte Katastrophe nie ereignet hat – nur eine langsame, schleichende Katastrophe, in der der Kapitalismus jedes Lebewesen und jede Idee in Eigentum verwandelt hatte.“ (Krish, Freeculture Aktivist)

Der Kampf Schatten gegen Konzerne wird nie alt. In ihrem Sci-Fi Erstlingswerk „Autonom“ greift die Wissenschaftsjournalistin Annalee Newitz neue technische Entwicklungen und Visionen auf, um eine Welt zu zeichnen, in der Drogen und Genmanipulation wichtiger sind als verchromte Cyberware.

Die Story

Die Handlung von „Autonom“ ist schnell umrissen. Auf der einen Seite ist Jack. Die heißt zwar nicht mit echtem Namen so, hat aber einen Faible für Piraterie, was sie nicht nur in politischen Aktionen durch Piratenästhetik untermauert, sondern auch in ihrer ganz praktischen Tätigkeit als Patentpiratin. Als hypermoderne Version von Robin Hood versucht sie sich dem Unrecht des Patentwesens entgegenzustellen, dass die Mehrheit der Menschheit von biochemischen Verbesserungen oder auch nur adäquater Gesundheitsversorgung abschneidet. Diese edle Praxis finanziert sich Jack unter anderem mit der illegalen Reproduktion von Drogen aller Art. Ein besonderer Fall ist Zacuity. Eine Arbeitssteigernde Droge, welche die Konsumenten mit dem unstillbaren Drang versorgt, zu arbeiten. Das macht das Schuften nicht nur erträglicher, sondern wird auf dem Arbeitsmarkt zum entscheidenden Vorteil. Solche Arbeitsdrogen sind im mittleren 22 Jahrhundert prinzipiell keine große Besonderheit.  Zacuity hat es aber etwas zu weit getrieben, so dass sich einige Konsumenten regelrecht zu Tode arbeiten und dabei teils mittelschwere Katastrophen auslösen. Von Gewissensbissen geplagt und in der Hoffnung, zeigen zu können, dass die Droge vom Großkonzern Zaxy mit genau diesen Gefahren intendiert war, macht sie sich auf den Schaden zu minimieren und auf dem Wege noch den Konzern zu Fall zu bringen.

Auf der anderen Seite haben wir es mit zwei Vertretern der IPC, der „International Property Coalition“ zu tun, die dicht auf den Fersen von Jack sind und alle Zacuityskandale auf ihr Konto schreiben wollen. Konkret sind das Eliasz und der Militärbot Paladin, die sich zwar teils brutaler Methoden bedienen, aber über die Zeit viel Tiefe entwickeln um einem am Ende doch ans Herz zu wachsen.

Was sich nun entspinnt, ist ein Katz-und-Maus-Spiel das im Endeffekt einen Trip durch verschiedene zukunftsmetropolen darstellt. Spannender als diese nicht allzu innovative Handlung, sind Genretypisch die moralischen Konflikte der Charaktere und der Weltenbau. Das Buch heißt schließlich nicht umsonst „Autonom“.

Die Welt

Altmeister Neal Stephenson lobt „Autonom“ als Neuromancer für das Zeitalter von Biotechnologie und künstliche Intelligenz. Ob dieser Anspruch realisiert wird, soll erst einmal offen bleiben. Immerhin sind damit die Kernthemen von Buch und Welt umrissen. Die Cyber- bzw. besser Biopunkwelt von ‚Autonom‘ spielt auf der Klaviatur organischer Verbesserungen. Genmodifizierungen gehen so weit, dass Reperaturviren, alterungsstoppende Drogen und natürlich wachsende Stühle zur Selbstverständlichkeit gehören. Fast alles ist aus wenigen Substanzen einfach auszudrucken und die Frage nach der richtigen Printvorlage ist wichtiger als die Jagd nach materiellen Dingen. Hier ist „Autonom“ konsequent und wartet mit vielen kleinen interessanten Innovationen auf, revolutioniert das Genre aber nicht. Statt auf WiFi, setzt Datenvermittlung auf Informationspartikel und statt Metallimplantaten lässt man sich Flügel wachsen.

Das heißt nicht, dass die metallene Seite der Zukunft ganz ignoriert würde. Einer der Opponenten ist schließlich ein Militärbot. Der verfügt jedoch über ein menschliches Gehirn, daß seiner KI als Arbeitsspeicher und Gesichtserkennungshardware (oder doch mehr?) dient. Die zentrale Frage des Cyberpunk, also zu wie viel Prozent ein Mensch ein Mensch sein muss um Mensch zu bleiben, bzw. das Kantische „Was ist der Mensch?“ wird jedoch nicht nur biologisch diskutiert. Im Kern geht es um die Selbstbestimmung, eben die αὐτονομία am Beispiel der Entscheidungsfreiheit, Emotionalität und Privatsphäre. Dazu wird auch versucht ein plausibles Bild von künstlicher Intelligenz zu zeichnen. zwar nimmt newitz diese Frage ernst, schafft es aber nicht immer ein überzeugendes Bild der Robotik zu zeichnen. Das Denken und Handeln der unterschiedlichen Bots wirkt häufig doch allzu menschlich, was sich deutlich an der Denk- bzw. Rechengeschwindigkeit zeigt. So muss der Bot Paladin beispielsweise immer wieder „Zeit finden“ um eine einfache Suchanfrage im Netz durchzuführen, obwohl diese plausibler Weise kaum eine Sekunde brauchen dürfte oder gar in Parallelprozesse ausgelagert werden könnte.

Überzeugen können dementsprechend eher Fragen nach robotischer Emotionalität, Sexualität und Würde. Besonders entscheidend ist hier eine Gesetzesentscheidung, welche Robotern grundlegende Rechte zuspricht, aber auf Grund der investierten Arbeitszeit des Konzerns eine umfassende Kontraktarbeitszeit erlaubt. Dieses Prinzip – letztlich legalisierte Sklaverei – hat sich natürlich auch auf Menschen übertragen, so dass Menschenhandel in all seinen Facetten vorkommt. Auch diese Unfreiheit wird anhand eines Menschenbots durchgängig thematisiert und mit der Freiheit der piratischen Subkulturen und allgemeiner Enttabuisierung kontrastiert. Möglichkeiten der Selbstgestaltung und -ausbeutung sind durch medizinische Eingriffe auf ein extremes Maß gesteigert. Dem Konzernkapitalismus sind die persönlichen Vorlieben ebenso egal, wie das Wohlergehen seiner Objekte. Offener Umgang mit Sexualität und eine drogenaffine, exzessive Partyszene sind ein Selbstverständlichkeit, wenngleich das Bild durch den Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft gefärbt ist.

Insgesamt gibt uns der Roman so eine mehr oder minder plausible Zukunftsvision die durch das Prinzip der Kontraktarbeit und das präsente Patentrecht auch um ökonomische Fragen ergänzt wird. Dennoch bleibt vieles durch den Cyber-Bio-Whatever-Punk-Blick gefärbt. Die Konzernmacht wirkt nicht up-to-date und wird von gegenwärtigen Überwachungsmechanismen problemlos in den Schatten gestellt. Auch ökonomishc kann die Welt nicht ganz überzeugen. So wird auch die Notwendigkeit menschlicher Arbeitskraft nicht ernsthaft thematisiert. Vielleicht soll die Kontraktbeschränkung die Antwort sein, warum noch immer menschliche Arbeitskraft benötigt wird. Die Idee einer arbeitsfreien Zukunft, also dem aristotelischen Traum einer Welt, in der Sklaven durch Maschinen ersetzt und der Mensch vom Joch der Arbeit befreit wäre, scheint Newitz aber insgesamt nicht geheuer zu sein. Sympathieträger sind die permanent überarbeiteten „idealistischen“ Wissenschaftsgenies, die aus Leidenschaft durcharbeiten und sich – fast wie auf Zacuity – nichts Schöneres vorstellen können, als Bioexperimente zu analysieren. So schimmert im Roman zwar auf zwei Seiten durch, dass Menschen ohne Arbeitsgenussdroge nicht ohne sich zu übergeben zur Arbeit gehen könnten, aber ein Kontraktarbeiter merkt bloß an, dass man dann immerhin wieder wüsste, wie sich echte Arbeit  anfühle. Damit wird die Chance auf einen wirklich radikalen Gedanken aufgegeben und Utopie durch gerechteren Liberalismus ersetzt.

Fazit

Nicht nur Stephenson lobt „Autonom“ mit seinem Neuromancer-Vergleich in höchsten Tönen. Auch  der Schöpfer Neuromancers, Gibson höchstpersönlich, nennt das Buch laut Klappentext „originell und aufregend neu“. Das ist zwar nur Werbung, die passt hier aber noch weniger als üblich. Newitz‘ Roman ist eine gut gemachte Biopunkerzählung. Die Welt ist weitgehend plausibel und gerade wenn es um Gentechnik und Patentfragen geht, erreicht der Roman ein hohes Niveau. Auch die Auseinandersetzung mit Robotorautonomie ist durchdacht und interessant zu lesen. Dennoch ist wenig wirklich „aufregend neu“. Wer einen unterhaltsamen, teils actionreichen Biopunkroman sucht, wird nicht enttäuscht werden, Genredefinierend wie ‚Neuromancer‘ oder revolutionär neu ist „Autonom“ jedoch nicht. Unterhaltsam, zum Nachdenken anregend, aber an vielen Stellen doch primär ‚cool‘ und biopunkig, wozu nicht zuletzt das Klischee der Patentpiratin beiträgt.

Die deutschsprachige Übersetzung von Birgit Herden ist bei Fischer: TOR erschienen. Englische Begriffe wurden behutsam übersetzt, aber für Produktnamen und Szenecodes passend beibehalten. Ein paar Fehler sind dem Lektorat durchgegangen, ansonsten liest sich Autonom in der Übersetzung gelungen und modern.

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