Sudden, broken, and unexpected
Eine Kurzgeschichtenrezension von Infernal Teddy
Die natürliche Form der Science Fiction, so sagt man, ist die Kurzgeschichte. Ob das nun stimmt oder nicht muss jeder für sich entscheiden, aber ich bin seid Jahren ein großer Leser von Anthologien. Die interessanteste Anthologiereihe die mir in den letzten zehn Jahren oder so vor die Augen gekommen ist, sind die von Gardner Dozois zusammengestellten Mammoth books of best new SF. Ich bin über die Reihe gestolpert mit dem 24. Band, als ich Lektüre für meine erste Fahrt zu Caninus gesucht habe, und habe seid dem jedes Jahr den aktuellen Band erworben. Aber ich möchte heute nicht über die Reihe als Ganzes mit euch reden, oder über eines der Einzelbänder, sondern über eine ganz spezielle Geschichte aus Band 26, Sudden, broken, and unexpected, von Steven Popkes.
Die Geschichte lässt sich, wenn man es so möchte, sehr kurz zusammenfassen: Ein ehemaliger Rockstar wird von seiner Exfreundin angeheuert um mit einem Künstler zusammen ein neues Album mit einem neuen Sound zu entwickeln.Der Twist dabei ist, das diese Geschichte gefühlt 20 bis 50 Jahre in der Zukunft spielt, die Exfreundin eine Forscherin im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist, und die Künstlerin ein virtueller Popstar, welcher möglicherweise eine Turing-Grade AI ist.
Zu beginn der Geschichte möchte Jake eigentlich gar nichts mit dem Projekt zu tun haben – er hat das Ende seiner Band, seiner Beziehung und seiner Karriere vor zwölf Jahren immer noch nicht überwunden. Er lebt davon, Songs und Alben für andere Bands und Künstler zu überarbeiten, und hält sich damit mehr oder weniger über Wasser, aber sein Stolz lässt zunächst nicht zu das er Rosies Angebot annimmt. Und selbst als er einwilligt bleibt immer noch eine Spur von Ablehnung und Skepsis, schließlich ist Dots Musik bisher auf weibliche Teenager zwischen zwölf und vierzehn zugeschnitten, und selbst Dots Eigentümer wissen nicht, was sie vom neuen Projekt zu erwarten haben. Doch nach und nach ändert sich die Situation. Jake beginnt nach und nach, Dot als Person wahrzunehmen, nicht als Software, während Dot sich als Persönlichkeit entwickelt, und damit auch ihre Musik. Die Musik wird zu einem sehr innigen Gespräch zwischen den beiden Protagonisten, einem Gespräch aus dem sich Rosie – als Partnerin und als Forscherin – immer weiter ausgeschlossen sieht. Jake gelingt es, mit seiner Vergangenheit abzuschließen, und daraus eine neue Zukunft zu formen, während bei Dot die Genze zwischen künstlicher Intelligenz und echter Persönlichkeit endgültig verschwimmt. Die Geschichte schließt mit dem Konzert auf das die ganze Zeit hingearbeitet wurde, und auf dem die persönlichste Unterhaltung von allem stattfindet.
Warum ich diese Geschichte immer und immer wieder lese:
Musik und Computer sind zwei Dinge, die mich so lange ich zurückdenken kann faszinieren, und Steven Popkes verschmilzt hier diese beiden Elemente zu einem harmonischen Ganzen. Ich habe drei sehr, sehr gute Freunde mit denen ich mich seit Jahren über und durch Musik unterhalte, weswegen ich das Gespräch, dass die beiden Protagonisten durch ihre Musik führen, sehr gut nachvollziehen kann. Und es ist auch die hier angedeutete Schnittstelle zwischen echter und künstlicher Persönlichkeit, welche mich, seit ich zum ersten Mal Star Trek: the Next Generation gesehen habe, fasziniert, welche mich immer wieder zu dieser Geschichte zurücktreibt. Natürlich ist die Geschichte nicht perfekt – man merkt das Popkes mehr von Musik versteht als von Computern, alleine schon weil Rosie ihre Arbeit niemals würde alleine durchführen können, aber das ist nebensächlich. Wir haben es hier mit einer modernen Sicht auf Cyberpunk (richtigen Cyberpunk, nicht den „Chrome und Knarren“-Kram den Rollenspieler gerne für Cyberpunk halten) zu tun, die ich jedem nur aller-wärmstens empfehlen möchte, der gute Science Fiction mag.
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