Sternenbrand 2: Blau

Ein Roman von Annette Juretzki

​Es lässt sich leicht sagen, dass ein Buch da anfängt, wo das vorherige aufgehört hat. Selten ist es aber so treffsicher wie bei Blau. Der zweite und abschließende Band der Sternenbrand Duologie ist die nahtlose Fortführung von Blind, das gewissermaßen mit einem Cliffhanger beendet wurde.

Auch im zweiten Band begleiten wir die uns lieb gewonnen Charaktere. Im Mittelpunkt steht der sympathisch-naive Xenen, der aus seiner beschränkten dörflichen Idylle des Planeten Vissar auf das gigantische Sternenschiff ‚Keora‘ verschleppt wurde. Auch im zweiten Band verfolgen wir die Geschehnisse über weite Strecken durch seine Augen, sind aber mit den anderen Kernfiguren bereits vertraut. Insbesondere der Anführer Jonas Brand und der Ghitaner Zeyn sind tragende Figuren, deren Motivationen sich dennoch an Xenen als Fixstern ausrichten.

Ausgangspunkt von Blau ist – um es spoilerfrei zu sagen – eine politische Machtverschiebung auf der besagten Keora. Wir geraten in einen actionreich ausgetragenen Konflikt um die Deutungshoheit auf dem Schiff, welche die Handlung weitgehend trägt. Hatten wir es im ersten Band mit einem Mordversuch und dessen Aufklärung zu tun, geht es nun um Verrat, Machtansprüche und eine ordentliche Prise Politik.

Ob Politik oder Mordfall, die charaktergetriebene Handlung ist letztlich das Vehikel um den von der Autorin entworfenen Kosmos zu erkunden. Die Plotstruktur funktioniert zwar überzeugend und weiß zu überraschen, die größte Stärke des Buches liegt aber wohl im Weltenbau. Obwohl die Handlung fast ausschließlich auf dem Raumkreuzer spielt und kaum mehr als ein gutes Dutzend Kernbesatzungsmitglieder tragend vorkommen, schaffen es die Bücher, den Kosmos langsam zu erschließen. Das gelingt durch Zweierlei. Zum ersten wäre da die detaillierte Darstellung der Alienvölker und neuen Technologien. Die Keora ist zwar nur von vergleichsweise wenigen Charakteren besiedelt, die enthalten aber einen Querschnitt aus den unterschiedlichen Alienvölkern der Allianz. Anstatt uns hier mit ungezählten Formen bunt angemalter Menschen zu konfrontieren, hat sich die Autorin auch hier auf wenige und dafür detailliert entworfene Alienarten konzentriert. Obwohl wir beispielsweise die Ghitanter schon ausführlich im ersten Band kennen lernen durften, sind sie uns auch im zweiten noch etwas fremd und offenbaren immer wieder neue Details. Wie tief diese Arten entworfen sind zeigt sich dabei insbesondere am Alltäglichen. Redewendungen, Alltagshandlungen, Bewertungen von Situationen sind auf die jeweiligen Alienarten zugeschnitten. Kurze, fast schon beiläufige Erwähnungen erinnern uns immer wieder daran, dass wir es hier wirklich mit anderen Lebensformen zu tun haben. Gleiches gilt auch für die Technik. Die ist logischerweise voran geschritten, bleibt aber durchaus im Rahmen der Vorstellbarkeit. Dafür wird die Omnipräsenz von Technologie, WiFi, automatisierten Zugangscodes, biotechnischen Implantaten und zahlreichen anderen Fortschritten durchgängig in die Geschichte eingeflochten. Sowohl was Völker als auch Technik angeht, erfindet Sternenbrand die Science Fiction nicht neu, präsentiert aber einen plausiblen, interessanten und einzigartigen Kosmos.

Damit dieser nicht langweilig wird, steht im Hintergrund der Welt zweitens ein globalpolitischer Umbruch. Der große Blackout und der verheerende Angriff der sogenannten Phantome stehen permanent im Hintergrund des Romans und werden langsam aufgehellt. Auch hier ist die bunt gemischte Crew der Keora entscheidend, deren Mitglieder allesamt ihre eigene Interpretation des intergalaktischen Konflikts habe und teilweise sogar (indirekt) in den großen Geschehnissen involviert waren. So gelingt es auch dem zweiten Band neben Action und Liebschaften ein Interesse an der Welt und den Gründen für den Zentralkonflikt der Allianz aufrecht zu erhalten.

Liebe und Politik

Auf der Handlungsebene ist der zweite Band noch politischer als der Vorgänger. Wie bereits erwähnt, geht es viel um Interessenkonflikte, Intrigen und Machtspiele. Das ist aber letztlich nur die oberflächliche politische Ebene. Eigentlich politisch werden die beiden Bände durch eine reflektiert entworfene Sozialstruktur. Die politischen Ordnungen, Autoritätsgefüge und Selbstverständlichkeiten der Welt und ihrer unterschiedlichen Alienarten ist immer auch eine Auseinandersetzung mit unserer eigenen Welt: ohne dabei schlecht belehrend zu sein. Neben den politischen Diskussionen der Besatzungsmitglieder – zum Beispiel zwischen den autoritären Stormcoast Mitgliedern und von diesen verachteten ‚Aliens‘ – ist bereits die Liebe zum Detail der unterschiedlichen Arten ein Statement. Der Roman plädiert implizit für ein Verständnis von Andersheit ohne gleich jede kulturelle Eigenheit für unantastbar zu erklären. Trotz unterschiedlichster Weltansichten müssen die Mitglieder der Keora eben zusammenarbeiten und so ihre jeweiligen Weltsichten miteinander austragen. Rückkehr in die Borniertheit ist keine Option.

Auch die Ebene der Sexualität ist ähnlich progressiv ausgerichtet. Die spielt im zweiten Band zwar eine deutlich geringere Rolle als im ersten, (geschlechtliche) Identität, unterschiedliche Zusammenlebensentwürfe und schlicht und ergreifend emotionale Charaktere heben auch den zweiten Band von der Alte-Weisse-Männer-Science-Fiction ab. Dadurch gelingt es dem Buch im besten Sinne politisch zu sein ohne in Koreferate um zuschlagen. Sternenbrand missioniert nicht, sondern nimmt in bester Science-Fiction Tradition einen Blick in die mögliche Zukunft vor, der nicht auf Nanochips beschränkt bleibt, sondern auch die sozialen Implikationen von Technik und dem Kontakt mit ‚Aliens’ thematisiert.

Fazit

Es wäre unsinnig den zweiten Band eigenständig zu empfehlen. Sternenbrand Ist nur im Doppelpack sinnvoll zu lesen. Das Doppelpack weiß zu überzeugen. Handwerklich ist wenig – oder gar nichts – auszusetzen. Der Plot ist ebenso wie die Charaktere plausibel entworfen. Stilistisch ist das Niveau hoch und locker zu lesen. Der charakterzentrierte Ansatz mag Geschmacksache sein und manches Geheimnis wird dann doch unerwartet offen von den Charakteren preisgegeben, das macht der überzeugende Weltenbau jedoch allemal wett.

Die Ghitaner im Porzellanladen sind sicher der Sex und die mitschwingende politische Botschaft, welche die Reihe von vielen anderen Science-Fiction Erzählungen abhebt. Sternenbrand gelingt es beide Themen plausibel einzubetten und nicht aufzukleben. Wer es sich zutraut über den eigenen Schatten zu springen und gut entworfene SciFi-Universen zu schätzen weiß, der sollte bei Sternenbrand näher hinschauen.

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