RPG als Networking
RPG als Networking
Südfrankreich, genauer gesagt die Provence. Es ist Ende Oktober, die Sonne scheint warm wie üblicherweise im germanischen Juli und eine sanfte Brise lässt die Blätter der dicken Palme im Hotelgarten leise rascheln. Salzgeruch liegt in der Luft. Der Blick auf das Mittelmeer ist atemberaubend. Die Mittagssonne bricht sich in der leichten Dünung und lockt die Seminarteilnehmer hinaus in den Garten. Unweigerlich bilden sich kleine Grüppchen. Deutsche und französische Kollegen, die sich üblicherweise nur vom Telefon kennen, tauschen ein paar Worte aus, um sich besser kennenzulernen oder besprechen die letzte Vorlesungseinheit des Seminars.
Ich bin der Neue. Habe gerade meine erste Arbeitswoche in der Firma angetreten und komme schon in den Genuss einer Dienstreise in die Sonne, raus aus dem deutschen Nebel-Oktober. Ich finde mich in einer kleinen Gruppe wieder und komme mit einem Kollegen aus der Nachbarabteilung ins Gespräch: unsere Studienorte lagen nahe beieinander. Dann die Frage nach den Hobbies. Ich antworte (nach der Nennung von einigen anderen Hobbies) zuerst vorsichtig: „Gesellschaftsspiele und Erzählspiele“, man weiß ja nie, ob der Gegenüber bei ‚Rollenspiel‘ nicht gleich an Ponies, Lackbodysuits und Peitschen denkt. Dann die fast schon freudige Antwort: „Erzählspiele? Rollenspiele? Was denn? D.S.A., Shadowrun? Kennst Du die Wheel of Time – Romane? (…) “ Zwei Nerds haben sich gefunden und es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch über verschiedene Runden, Systeme und Settings, lustige Momente und Anekdoten, Fantasyliteratur und viele, viele (verdammt viele!) Filmzitate. Von ein paar belustigten Blicken der Kollegen abgesehen scheinen die sich davon auch ganz gut unterhalten zu fühlen, zumindest von dem was sie mitbekommen oder verstehen können. Die Gesprächsthemen wandern vom Nerdigen übers Beruflichen ins Familiäre. Gemütliche, ehrliche, halb oberflächlich-kollegiale, halb private Konversation.
Warum ich hier davon schreibe? Nun, eine der nicht enden wollenden oder zumindest immer erneut wiederkehrenden Diskussionen in der Rollenspielgemeinde ist die Frage „Muss man sich für’s Rollenspiel schämen?“, die Diskussion über die gesellschaftliche Anerkennung des Hobbies und die Bereitschaft, sich zu einer gewissen Nerdigkeit zu bekennen, für die das Hobby (teils zurecht) verschrien ist. Zugegeben, in der Rollenspiel-Community gibt es sehr wenige neue Themen und letztendlich dreht sich das Themenkarussel gemütlich und bringt periodisch immer wieder ähnliche Diskussionen zu Tage wie es sie bereits zuvor gegeben hatte. Trotzdem möchte ich mich in diesem Artikel erneut dem Thema widmen. Nicht zuletzt deswegen, weil die ganze Geschichte für mich selbst durchaus positive Auswirkungen hatte (dazu später) und ich diese Erfahrung mit Euch teilen möchte.
Sicherlich gibt es verschiedene Ansätze mit dem ganzen Thema umzugehen, und sicherlich sind diese Ansätze auch vom Umfeld abhängig, in dem man damit auftritt. So verschweigen beispielsweise nicht nur Rollenspieler Bekannten oder Kollegen (wenn es die denn überhaupt etwas angeht) ihr Hobby. Auch Autoren, die im ‚zivilen‘ Leben noch einem anderen Beruf nachgehen, veröffentlichen unter Pseudonymen um nicht von Menschen, mit denen sie in ihrem Broterwerb zu tun haben, mental in die Vorurteilsschublade ‚Rollenspiele und Fantastisches‘ gesteckt zu werden. Das ist alles legitim und angesichts manchmal grenzenloser menschlicher Dummheit gar nicht mal ungeschickt.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass es auf Dauer ungesund ist, nicht zu dem zu stehen, was man gerne tut oder mit dem man sich beschäftigt. Meiner Meinung nach führt eine Tabuisierung und eine damit einhergehende Heimlichkeit immer zu einem Aufbau von Schuldgefühlen. Und die hat nun wirklich niemand verdient, der sich einem Hobby widmet, das nicht nur niemandem schadet, sondern noch dazu so kommunikativ, kreativ, innovativ und sozial förderlich ist, wie das Rollenspiel.
Nicht nur kann man damit seine sogenannten „Softskills“ schärfen, man hebt sich auch ein klein wenig von der breiten Masse ab. Versteht mich nicht falsch, ich möchte hier nicht von einer ‚gesellschaftlichen Elite‘ der Rollenspieler sprechen. Aber gerade in unserer so auf Individualität und Individualisierungsmöglichkeiten bedachten Gesellschaft sollte man auch bezüglich seiner Hobbies die Geisteshaltung „dare to be different!“ vertreten dürfen.
Am sinnvollsten finde ich persönlich einen Ansatz, den unser User Shadom bei der letztenDiskussion zu diesem Thema zur Sprache brachte: Entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz einer Person sowie eines Hobbies, dass diese betreibt ist weniger das Hobby an und für sich, sondern wie damit umgegangen und wie dieses vorgestellt wird. Jemanden, der sich mir als „Ich heiße XY und mein Hobby ist übrigens Diesunddas“ vorstellt, gefolgt, von einer ausführlichen Beschreibung des Hobbies bis ins tiefste Detail, den stemple ich nicht nur als Nerd ab, sondern auch als sozial aufdringlich und ein wenig seicht. Und zwar völlig egal, ob es sich bei dem Hobby um Rollenspiel, Fußball, eine ehrenamtliche, caritative Tätigkeit oder Kunstflug mit ferngesteuerten Hubschraubern handelt.
Sicherlich ist auch das abhängig von den Umgebungsbedingungen: Auf einer Rollenspielmesse ist es vielleicht noch halbwegs hinnehmbar und auch begrenzt zu erwarten, dass einem der Gegenüber direkt unterbreitet welche Systeme er gerne spielt. Im ‚zivilen‘ Leben ist es da schon unerheblich, was überhaupt das Hobby ist. Jemand, der sich selbst nur über dieses Hobby definiert und das auch so kommuniziert, der wird eben zwanghaft als Person mit weniger Tiefgang wahrgenommen. Wohingegen es schon fast unerheblich ist, welchem Hobby eine Person frönt, die sich entsprechend vorstellen und sozial einbinden kann. Naja, zumindest solange es kein geltendes Recht verletzt. Ausschlaggebend ist eben der Inhalt, nicht das Etikett.
Unter diesem Aspekt kann man dann auch ein Hobby wie Rollenspiel durchaus für Networking nutzen. Für mich persönlich hatte es nämlich durchaus erfreuliche Nebenwirkungen, den Begriff Rollenspiel zu erwähnen: Durch das Thema als Gesprächsaufhänger hat sich mit betroffenem Kollegen eine lange, angeregte Unterhaltung ergeben und wir haben auch nach dem Seminar noch Kontakt gehalten. Und es war der Tip dieses Kollegen, der mir letztendlich nun nach einem anstehenden Abteilungswechsel einen äußerst interessanten Job und eine Festanstellung eingebracht hat. Manchmal lächeln einem eben die Würfel zu.
In diesem Sinne: Danke, oh ihr Würfelgötter.
Und auch Danke Dir, Michael.
Euer Durro
Erschienen auf www.aktion-abenteuer.de am 15.03.2013
Schöner Artikel :D Danke fürs indirekte Zitat.
Na, aber immer doch! :)