Rolemaster – Grundregelwerk
Ich weiß, ich bin hier im Forum verschrien als Diener der Apokalypse und Apologet des Erzählspiels, aber vor langer Zeit, im letzten Jahrhundert war ich begeisterter Spieler in einer recht intensiven [I]Rolemaster[/I]-Runde. Ich war damals der Jüngste in der Runde und spielte einen Hochmenschen, einen Waldläufer. Die Regeln waren [I]RM2[/I], wir haben tapfer gegen die Legionen des Mondes gekämpft, und haben es geschafft, das Breenland und auch Rivenfell aus ihren Händen zu befreien. Aaaaah, gute Zeiten. Die Gruppe ging nach meinem Abi dann auseinandern, und ich verlor mein Interesse an Rolemaster, zumal ich mir nie die Regeln gekauft hatte. Iron Crown Enterprises ging unter, das bekam man am Rande mit, als selbsternannter RPG-Historiker bekam man auch das Wiederauftachen des verlages mit, das Leben ging weiter. Bis dann ein Päckchen von Skar auf dem Schreibtisch auftauchte. Rolemaster, das Grundregelwerk vom 13Mann Verlag und der Sonnenfeste. Also gut, legen wir EA 80 und Fliehende Stürme auf, werfen eine billige Pizza in den Ofen, suchen ein oder zwei Dosen Guniness, und schauen wir mal, was die neuste deutsche Auflage dieses Fantasyrollenspiels zu bieten hat…
Sleepthief beschreibt das Buch mit „Hübsch!“ – aber ich vermute, ich muß da etwas mehr ins detail gehen. Das Grundregelwerk präsentiert sich als mattes Hardcoverbuch, mit guter Bindung. Der Stil des Künstlers, der das Coverbild gemalt hat (und den größten Teil der Innenillustration), ist weniger meines, aber es sieht gut aus, ohne Zweifel. Innen ist das Buch komplett in Farbe bis auf den Charakterbogen alle 288 Seiten, mit einem sehr ansprechenden und eleganten Layout, trotz farbigen Hintergrund sehr angenehm zum lesen. Auch sehr schön – dem Hardcover wurde eines dieser Lesezeichenbändchen gespendet, ein definitiver Bonus, und etwas, das meiner Meinung nach Schule machen sollte. Sehr geehrte Verlage: Ich will in Zukunft in jedem Hardcover ein solches Bändchen, verdammt! Das einzige, was mich ein wenig stört ist das Papier: es ist relativ dünn. Nicht „bibelpergament-dünn“, aber ob es harten Dauereinsatz aushält kann ich nicht sagen.
Schlägt man das Buch auf und schaut sich das Inhaltsverzeichnis an kommt jemanden, der Rolemaster nicht kennt, etwas komisch vor: Die Regeln umfassen die ersten 100 Seiten des Buches, der Rest besteht aus Anhängen, aber das ist schnell erklärt: die regelsektion besteht wirklich nur aus den reinen Regeln, während alle Klassenbeschreibungen, alles Rassendetails, Fertigkeitsbeschreibungen, Zaubersprüche und so weiter im Anhang zu finden sind. Aufgeteilt ist der Regelteil in vier Kapitel, die jeweils in Untersektionen aufgeteilt werden. Das erste Kapitel ist die Einleitung, die zwar einen Abschnitt zum Thema „Was sind Rollenspiele“ gespendet bekommen hat, aber direkt sagt, Rolemaster sei nix für Anfänger. Das kann ich eigentlich nur bestätigen – an dieses Spiel sollte man sich erst heranwagen, wenn man mit anderen Spielen ein wenig Erfahrung gesammelt hat, denn hier fehlen die „Stützräder“ für die Neulinge. Ansonsten erklärt die Einleitung die Grundkonzepte des Systems. Rolemaster ist ein Prozentsystem, das allerdings auch „Nach oben offene“ und „Nach unten offene“ Würfe kennt. Zum Schluß wird noch auf ergänzende Produkte hingewiesen, also Erweiterungsbücher, Settings, und ähnliches. Schön ist, das hier nicht nur die eigenen Produkte Erwähnung finden, sondern auch die von ICE.
Als nächstes folgt die Charaktererschaffung, und ich empfehle euch – besorgt euch Schmierpapier! Die Erschaffungsregeln sind nicht unbedingt kompliziert, aber definitiv zeitaufwendig und detailiert. Der erste Schrittist das Auswählen von Volk und Beruf – hier im Grundregelwerk stehen an Völker zur Auswahl: Menschen, Hochmenschen (Die kann man sich vorstellen wie die Númenorer aus Mittelerde), Waldelfen, Zwerge und Halblinge, und als Berufe liegen hier Krieger, Schurke, Dieb, Kleriker, Magier, Mentalist, Waldläufer, Trickster und Barde, wobei in späteren Publikationen weitere Rassen und Berufe zu finden sein sollen. Rolemaster unterscheidet Klassen in „Nichtzaubernde“, „Vollmagier“ und „Halbmagier“, aber theoretisch kann jeder Charakter Magie erlernen. Als nächstes werden die zehn Attribute festgelegt – zweimal. Man verteilt 660 Punkte auf die Attribute, wobei zwei davon, die Primärattribute der gewählten Klasse, über 90 liegen müssen, und danach leitet man davon die „Potentiellen Attribute“ ab, also das Maximum, auf das die Attribute gesteigert werden können. Anschließend werden die Fertigkeiten der Jugend festgelegt, mit einem Punktekonto Fertigkeiten und Ausbildung gekauft, eine Reihe von weiteren Werten abgeleitet, und schon ist der Charakter aus mechanischer Sicht fertig. Zwei sachen, die Spieler vielleicht ein wenig verwirren könnten: Zum einen kann man sich entscheiden ob man Fertigkeitsränge in einzelnen Fertigkeiten kaufen möchte, oder ob man gleich ganze Fertigkeitsgruppen steigern möchte. Das andere, zugegebenermaßen geringere verwirrniss ist die Tatsache, daß man zu Spielbeginn, auf Stufe 1, schon 10.000 EP hat.
Im dritten Kapitel beschäftigen wir uns mit den Kampfregeln, und da wird es Hardcore. Jede Aktion verbraucht einen gewissen Prozentsatz der pro Runde zur Verfügung stehenden Handlung, wobei jede Runde 10 Sekunden lang ist. Für jede erdenkliche art von Aktion gibt das Regelwerk an, welchen Prozentsatz der Handlung verbraucht wird. Eine kampfrunde hat drei verschiedene Aktionsphasen, je nachdem ob der Charakter, schnell, normal oder überlegt handelt. Eigentlich ist das Angreifen recht einfach: Angriffsfertigkeit + Wurfergebnis + weitere boni gegen Verteidigungswert. Danach wird es allerdings komplexer: Gelingt der Angriff, so sucht man die Tabelle der Waffenklasse (Also einhändig, zweihändig, stangenwaffe, usw.) und vergleicht Angriffsergebnis mit der Rüstungsklasse des Gegners, um zu bestimmen, wie viele trefferpunkte der Angreifer erleidet. Ist das Angriffsergebnis hoch genug würfelt man zuästzlich noch auf die passende tabelle für Kritische Treffer. Liebe Leser, Rolemastercharaktere sterben NIE an Trefferpunktverlust, sondern IMMER an den Kritischen Treffern. Ich nehme hier mal als Beispiel die Tabelle für Schnittschafden, und zwar das humanste Ergebnis (01-05 A) und das Schlimmste (100 E): „Schlacher Schlag (-0 Trefferpunkte)“ und „Treffer in der Leistengegend! Alle lebenswichtigen Organe werden sofort zerstört. Gegner verscheidet nach 24 Runden Todeskampf voller Höllenqualen (+ 10 Trefferpunkte Schaden, 24 Runden lang benommen und keine Parade möglich)“. Da sind doch die 12 Punkte Schaden die ich vorher gemacht habe relativ egal, oder? Die Patzertabelle ist übrigens ähnlich fies. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen – das System ist realistisch, es ist einfach , jeder Kampf ist gefährlich, nur eines ist es nicht unbedingt: Schnell.
Das vierte Kapitel ist dem Spieleleiter gewitmet, und behandelt so verschiedene themen wie NSCs, Handlungsaufbau, Reisen, Heilung, und und und. Interessant ist auch die Vergabe von Erfahungspunkte: Hier gibt es EP für Angriffe (Unterschiedlich je nachdem ob getroffen wird oder nicht), Fertigkeitsanwendung, Magie, Kritische Treffer, und vieles vieles mehr. Man bekommt sogar EP für das Sterben – für den Fall das man wiederbelebt wird.Außerdem gibt es multiplikatoren, je nachdem ob man etwas zum ersten Mal macht, oder ob es zur Routine geworden ist. Dieses Kapitel ist das einzige, das auf mich einen unvollständigen Eindruck macht. 13Mann hat zwar einen Spieleleiterband angekündigt, aber das gilt auch für jedes andere thema in diesem Buch, deshalb finde ich es hier etwas Schade – etwas mehr hätte es sein können.
Bei jedem anderen RPG würde dieser Abschnitt beginnen mit „Jetzt folgen nur noch die Anhänge“, aber von [I]nur[/I] kann hier nicht die Rede sein, schließlich machen diese den Großteil des Buches aus. Die ersten fünf Anhänge müssen hier nicht groß ausgeführt werden – wie oben schon erwähnt finden sich hier die Details der Völker, Klassen, Fertigkeiten, Ausbildungspakete und Attribute. Diese Trennung in „Regeln“ und „Details“ ist zwar im ersten Moment sehr ungewohnt, macht aber durchaus Sinn, und wenn man sich eine zeitlang mit dem System beschäftigt wird es zur zweiten Natur. Der sechste Anhang, Charaktereigenschaften, gehört auch noch zur Charaktererschaffung, und richtet sich an Spieler, die Probleme damit haben, ihren Charakter als Persönlichkeit darzustellen. Darauf folgt eine [I]sehr, sehr[/I] knappe Ausrüstungsliste und Liste von Monstern und Kreaturen. Diese Listen sollen der Spielergruppe helfen, bis die entsprechenden Bücher erscheinen, aber sie sind fast zu knapp dafür, so fehlen bei den Monstern jede Form der Beschreibung. Magie ist das Thema des nächsten Anhangs, alle Spruchlsiten für die in diesem Buch vorkommenden Klassen, wobei diese nur bis Stufe 10 gehen. Im Magieband sollen diese Listen bis Stufe 50 erweitert werden, und um eine ganze Reihe von Listen ergänzt werden, dennoch bietet dieser Anhang genug Material, so das der Magieband einem nicht wirklich fehlt. Der letzte große Anhang besteht aus allen relevanten Tabellen zum Kampfsystem, von Angriffsarten bis zu den Waffentabellen und Kritischen Treffern. Abegrundet wird das Buch wurch den Charakterbogen und einem hervorragenden Index.
[B][U]Fazit:[/U][/B]
Was soll ich sagen? Als ich dieses neue Rolemaster zum ersten mal in den Händen hielt war ich skeptisch. Rolemaster gilt als eines der kompliziertesten und tabellenverliebtesten Rollenspiele, die je erschienen sind, quasi das andere Ende des Spektrums zu Spielen wie [I]Savage Worlds[/I]. Aber je weiter ich mich reingelesen habe, je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir, wei elegant das System eigentlich ist. Klar, ich würde es niemanden empfehlen, für den die derzeitige Inkarnation (oder auch nur die letzte) von D&D oder Das Schwarze Auge zu komplex war, aber für Spielergruppen, die früher schon gefallen an Rolemaster fanden, oder die ein RPG suchen das eine ungelaubliche Bandbreite an Optionen bietet, und das sowohl im Spiel selbst als auch in der Konfiguration der Regeln (Rolemaster ist vollständig modular aufgebaut, und erlaubt es, „Pick and choose“ bei den Regeln zu machen). Die Übersetzung ist hervorragend, und von der Optik her schlägt das deutsche Rolemaster nicht nur das englische original, sondern auch eine ganze Reihe andere Produkte, die derzeit auf dem Markt sind. Ich hätte es mir von mir aus nicht gekauft, aber wenn ich auf der Suche nach ein solches Spiel gewesen wäre hätte ich sofort zu diesem Spiel in dieser Version gegriffen. Ich kann Rolemaster von 13Mann nur wärmstens empfehlen. Beide Daumen ganz weit nach oben!
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