Re: O steht für online

Eine Reaktion auf den Buchstabensalat von Caninus

Dieser Artikel ist Ursprünglich als direkte Reaktion  auf den entsprechenden Artikel von Caninus hier auf meinem Blog erschienen. Mein ursprünglicher Gedanke dabei war, dass ich im Grunde so etwas wie eine weit gefächerte Diskussion, oder ähnliches, los stoße, die vielleicht auf den Blogs der anderen weiter geführt wird. Offenbar hat der Artikel dann aber Infernal Teddy dermaßen zugesagt, dass ich jetzt auch hier nochmal meine Gedankengänge über das „Wie“ in unserem Hobby verbreiten darf.

Hi, hier Teddy nochmal ganz kurz. Das Orakel war so freundlich, uns seine Reaktion auf Caninus‘ „O steht für Online“ zur Verfügung zu stellen. Der ursprüngliche Artikel ist bei euch, unseren Lesern, gut angekommen, also wollten wir euch nicht die Antwort unseres geheimnisvollen Sehers vorenthalten. Außerdem fiel mir nicht rechtzeitig etwas zu „T“ ein, also erkaufe ich mir hiermit auch nochmal eine Woche Zeit zum Nachdenken…

Da hat mich Madame Caninus doch tatsächlich dazu gebracht auf den Buchstabensalat zu reagieren.

Wie sicherlich ein paar Leute sich mittlerweile denken können, sind das Blog-Projekt „Neue Abenteuer“ und meiner einer freundschaftlich Verbunden. Dennoch gibt es, wie man sich denken kann, ein paar Grundsätzlich philosophische Unterschiede, die man ja gerade auch hier in meinem Blog daran erkennen kann, dass ich beinahe jeden öffentlichen Hangout, an dem ich teilnehme, verlinke. (Ebenso, wie ich Youtube mit meinen Beiträgen zum Vlogtaculum verseuche, die bis jetzt den einzigen Anteil des Vreitag-Formats darstellen.) Ich will damit jetzt natürlich nicht sagen, dass ausgerechnet ich die Avant Garde des rollenspielenden Onlinesoziologen darstellen würde. Viel mehr bin ich – den Umständen verschuldet – ein kleiner Opportunist, der via der Geekpläusche der Zeitzeugin und Chaosmacherin auf den Kanal von Frank Voigt aufmerksam geworden ist, der ja vor seinem großen Verschwinden aus dem rollenspielaffinem Internet diese wunderschönen Wechselbalg-Streams gelitten hat. (Und das war dann letzten Endes die Verbindung, die mich in den Nerdpol spülte… mit den abertausenden komischen Kommentaren, die seitdem diverse Streams von mir erleiden mussten.) Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe eine sich etablierende Szene vorgefunden, die ich innerhalb kürzester Zeit in ihrer Präsentation analysieren konnte und habe die Möglichkeiten und Potentiale erkannt, die das Medium „Hangout“ bot. (Das der Nerdpol mit dem Nerdvana jetzt auch schon seine eigene Fork produziert hat, steht da auf einem anderen Blatt.)

Warum aber jetzt dieser Artikel hier? Caninus hat natürlich prinzipiell mit ihrer Kritik recht, aber dafür muss man sich auch noch etwas anderes vor Augen führen: Jedes Medium wechselt den Fokus an Möglichkeiten auf eine sehr speziellen Weise, die eben medientypisch ist. Da der Kern die Basisidee des Rollenspieles ist, muss man sich dabei ein paar zusätzliche Aspekte vor Augen führen: Allein im Bereich des klassischen Pen&Papers gibt es prinzipiell zwei Varianten der Spielweise, die ich jetzt natürlich in ihren entsprechenden Extremen aufzeigen muss, um den entsprechenden Unterschied klar zu machen: Das eine ist eine sehr brettspielige Version. Spricht: Es existiert eine Battlemap auf dem Tisch und die Interaktion der Spieler findet fest verwurzelt am Stuhl klebend über diese Map eben statt, da man Figuren auf dem Spielfeld bewegt. Das ist eine sehr klassisch ausgelegte Version, welche den Wurzeln von D&D geschuldet ist. (Diese Version lässt sich übrigens tatsächlich letzten Endes 1:1 mit Hilfe von Tools wie Roll20 ins Hangout-Spiel übertragen, weil hier eben nicht der Spieler, sondern der Token des Spielers – auf der analogen Bildfläche am Tisch also die Miniatur – im Vordergrund steht.)

Die andere Form des Extrems ist das performative Spiel, das mMn gerade von Live-Rollenspiel-affinen Individuen genutzt wird. Hierbei wird gerade die räumliche Wahrnehmung mit einem Mal wieder ein Bezugspunkt, in dem man agieren kann. Sprich: Es ist gar nicht mal so selten, dass für die bessere Immersion gerade aufgestanden wird, es zu Körperkontakten kommen kann. (Und ja: Auch das verlassen des Raumes – wenn auch nur für kürzere Zeit um keine zu große Gruppenaufspaltung und Spielunterbrechung herbeizuführen – würde ich vom Selbstverständnis her ebenfalls hier unterbringen. Es gibt einfach manchmal entsprechende IT-Geheimnisse, die vom Rest der Gruppe aus den unterschiedlichsten Gründen vorerst getrennt werden müssen, um einen entsprechenden Überraschungseffekt zu generieren. Der brettspielende Ansatz kennt das in Form von Zettelverteilung und des allgemeinen Hin- und Herschiebens.) Diese Strategie kann man natürlich in sofern überhöhen, dass man der performative Spielvorgehen nochmal selbst in den Spielmechanismus mit einfließen lässt, wie es bei Sea Dracula geschehen ist. (Ob dieses Spiel jetzt allerdings aus der sarkastischen Kritik am performativem Spielgeschehen entstanden ist, ist mir bis Heute nicht klar.)

Jetzt ist der Hangout für sich betrachtet noch einmal ein gänzlich neuer Wechsel des Mediums. Sprich: Sowohl das klassische Pen&Paper als auch das bekannte Live-Rollenspiel hat in seiner Basis bestimmte Aspekte, die für die jeweiligen Spieler bestimmte charakteristische Merkmale ausmachen, die jeweils nicht wegzudenken sind. [Sprich: Pen&Paper lebt von einem besonderen Minimalismus, der sehr viel über beschreibende Aspekte voraussetzt, während Live-Rollenspiel von der Opulenz des Vorhandenen überzeugt. Zwar ist ein Dogville-Artiges Szenario natürlich auch jederzeit denkbar, allerdings ist es das
nicht, was die meisten Live-Spieler sich wünschen. Gerade Live Spieler haben (vor allem im Vampire-Bereich) einen ziemlich ausgeprägten Hang zur Requisite. Ein Haufen Fahrräder, die in dem Raum aus Lagerungsgründen stehen müssen, werden eher Plotrelevant eingebaut, um Vorhanden zu sein, als das sie mit einem Schild versehen würden, auf dem steht „Diese Fahrräder sind IT nicht vorhanden bitte ignoriert sie.“ (Ja, das ist ein Erfahrungswert, der so Konkret tatsächlich einmal vorgefallen ist.)]
Durch den Hangout verändert sich der Fokus jetzt durch zwei Dinge: Tendenziell ist man auf seinem jeweils individuellem Bildschirm dazu in der Lage genau das Gesicht in den Fokus zu setzten, das man gerade zur eigenen Beobachtung braucht. (Was allerdings entsprechende Handlungsbereitschaft in diesem Zusammenhang in den Vordergrund setzt.) Von den Basiseinstellungen her springt nämlich immer die Person ins große Bild, die als letzte ein Geräusch erzeugt hat. (Wodurch der Hangout für sich betrachtet in seinem Naturzustand einen Fokus in der Brillage der Audio-Wahrnehmung hat, so das die Reaktion der Software eine Annahme des interessantesten Bildes im Geräusch setzt.) In sofern ist einiges am Spiel im Hangout (jenseits irgendwelcher Hilfsmittel wie Dicestream) erst einmal sehr Einstellungs- und Haltungsgetragen.
Dann und das ist dabei auch noch direkt das tragende Problem an der ganzen Angelegenheit: Dadurch, dass man nicht den ganzen Körper physisch an einem Ort hat, sondern der Fokus auf den Kamera-Ausschnitt begrenzt ist, wird mit einem mal das performative Vorgehen innerhalb dieses Rahmens unglaublich zentral. Die Haltung vor der Kamera und die damit zur Schau gestellten Mimiken werden durch die Reduktion der ganzen Angelegenheit zu einem – für den Beobachter und Spieler – sehr zentralem Element des Spieles. Man arbeitet also reduzierter, was die Hilfsmittel angeht, nutzt aber diese reduzierten Hilfsmittel konzentrierter, im besten Falle „Bilddarstellender“. (Ich will nicht schauspielernder schreiben, weil das nochmal einen anderen Eindruck mit sich bringt, der hier gerade nicht gemeint ist. Darum der Neologismus. Ich meine damit einfach, dass die entsprechende spielende Person durchaus schauspielende Mittel einsetzt, aber eben selbst reflektiert mit dem eigenen Bildschirmfeld dabei spielt.)

Das Hauptproblem, dass dabei bestehen bleibt ist natürlich die Nebenkommunikation. Caninus Kritikpunkt war dabei ja in gewisser Weise der Punkt, dass nur noch die Chatfunktion übrig bliebe (ob jetzt Hangoutchat oder Instantmessage via Skype, ICQ, oder was auch immer sein mal dahingestellt) und aufgrund der Länge bestimmter abklärender Momente eben nichts anderes übrig bliebe. Dieser Kritikpunkt stimmt im eingeschränkten Feld, das man am Tisch mit solcher Kommunikation anders verfahren könnte, aber es gibt immer noch mindestens zwei weitere Ansätze, das Ganze zu sehen: Der Erste ist, das man vorübergehend einen aktiven „Klärungskanal“ schafft, über den man sich unterhält. Das setzt dann allerdings die Nutzung eines zweiten Voice-Chat-Programmes sowie die Option des Stummschalten des Hauptkanals voraus.
Der andere Punkt ist halt eben die irrige Annahme, dass man die schriftliche Variante überhaupt nicht ergreift, weil sie länger dauern würde. Eher sieht es meiner Erfahrung nach so aus, dass man reduzierter und aufs wesentliche fokussierter dabei vorgeht. (Das Ganze setzt natürlich ein schnelles Verständnis der jeweils tippenden Parteien voraus, aber prinzipiell wird damit gearbeitet.)

Mein Punkt für diesen Artikel hier ist Gewiss nicht, dass Hangout-Rollenspiele vollständige 1:1-Übertragungen des Tischgefühls sind. Sie sind aber auch nicht schlechter als das Erlebnis des Tischrollenspiels. Sie sind derzeit noch neu in unserem Kosmos und beginnen (zumindest hier in Deutschland) erst einmal an Bedeutung zu erlangen, weswegen sie Zeitgleich auch noch ein Ausloten der jeweiligen ästhetischen Möglichkeiten verlangen.

Daher ist auch eine konsequent negative Sicht auf das Ganze nicht unbedingt angebracht, da wir ja schließlich alle noch in der Phase des Erforschens hierbei sind.

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