Out of Time
Ein Abenteuersammelband für Trail of Cthulhu
Out of Time ist ein Abenteuersammelband für Trail of Cthulhu. Der Band versammelt auf 160 Seiten vier voneinander und bereits einzeln publizierte unabhängige Abenteuer welche allesamt etwas aus dem Rahmen des herkömmlichen 20er/30er Jahre Cthulhuhintergrundes fallen. Während drei der vier Abenteuer im Wortsinne „Out of Time“ angesiedelt sind, sticht eines durch seinen außergewöhnlichen Spielort heraus.
Neben den außergewöhnlichen Spielorten und Zeiten eint alle Abenteuer, dass sie auf ein oder zwei Spielabende angelegt sind und allesamt relativ schwer in eine laufende Kampagne eingebettet werden können. Dafür enthalten alle Abenteuer ausreichend vorbereitete Spielcharaktere die mal mehr und mal weniger obligatorisch für die Abenteuer sind.
Aufbau
Der Band versammelt die Abenteuer relativ unspektakulär, die Abenteuer sind jeweils für sich abgeschlossen und die Darstellung des Inhaltes variiert von Autor zu Autor und Abenteuer zu Abenteuer. Während ein zusammenführender Einleitungstext leider fehlt wird jedes Abenteuer mit einer kleinen Titelseite (leider nicht dem Farbcover der Einzelabenteuer) eingeführt und hat einen Einleitungstext vom Autor verpasst bekommen. Diese Texte bieten meist einen ersten Eindruck vom Abenteuer, erklären die Motivation des Autors oder geben gleich nützliche Tipps zur Spielweise, möglichen Motivationen oder zur prinzipiellen Grundstimmung an. Daran anschließend folgt ein Überblick über das jeweilige Abenteuer, dass den Verlauf und insbesondere die Auflösung vorwegnimmt um einen besseren Überblick zu gewähren.
Das eigentliche Abenteuer nimmt logischer Weise den größten Raum ein und wird relativ geordnet präsentiert, wenngleich der Aufbau von Autor zu Autor variiert. Grundsätzlich folgen aber alle einem von Gumshoe bekannten Schema, bei dem das Abenteuer in verschiedene Szenen aufgeteilt wird. Die einzelnen Szenen sind recht vage beschrieben und bedürfen einige Interpretationsarbeit durch die Spielleitung, was gleichzeitig viel Ausgestaltungsfreiheit bietet. Um dies zu unterstützen werden meist alternative Handlungsabläufe angerissen und verschiedene Einleitungen gegeben. Der Fokus der Szenen liegt auf den Clues. Sehr geordnet werden die möglichen und nötigen Hinweise genannt und passende Fertigkeiten oder Wege zum herausfinden und präsentieren der Informationen genannt. Der Aufbau ist etwas gewöhnungsbedürftig aber relativ komfortabel und hilft dabei den Investigationsstrang zu fokussieren. Während die Ausgestaltung des Abenteuers, die konkreten Interaktionen und Details weitgehend der Runde überlassen werden, ist der Hauptstrang sehr klar dargestellt, was die Arbeit erfahrener SLs sehr erleichtern dürfte, aber nicht ganz voraussetzungslos ist.
Prinzipiell wird dieser Ansatz konsequent umgesetzt. Fettdruck hebt Fertigkeitsproben hervor, Bulletpoints organisieren die zentralen Hinweise, Sideboxes stellen Hintergrundinformationen zusammen und Szenen werden manchmal sogar in Typen aufgeteilt. Dies gelingt auch weitgehend, manchmal werden die NPCs jedoch erst nach ihrem ersten Auftreten dargestellt oder wird das Design überladen. Auch wenn die Abenteuer alle einem groben Designfaden folgen wäre hier eine einheitliche Überarbeitung schön gewesen und ein paar Umstrukturierungen schön gewesen. Auch wenn mir der Aufbau insgesamt noch deutlich besser zusagt als die meisten anderen Abenteuerstrukturen fehlt eine Konsequenz die man bei anderen Gumshoeprodukten vorbildlicher umgesetzt sehen kann.
Gumshoe ist natürlich nicht nur beim Aufbau und der Abenteuerstruktur präsent sondern auch als Regelsystem. Stellenweise ist das System dabei ziemlich präsent. Auch wenn Gumshoe würfelarm ist und prinzipiell einfach aufgebaut ist, wird doch relativ viel mit Proben und Punkteaufwand (Poolspending) gearbeitet, was zwar selten den Plotablauf radikal verändert aber die Ressourcen der Charaktere beträchtlich angreift. Dies ist m.E. die Aufgabe eines Regelsystems, aber wer sich daran gewöhnt hat Cthulhu weitgehend regelfrei zu spielen wird hier einen anderen Spielstil präsentiert bekommen. Die Spielleiterin wird die ToC nicht umsonst als Keeper bezeichnet. Die Spieler spielen zumindest teilweise gegen den durch die Keeperin präsentierten Plot und können gerade in den Schlussszenen auch regelkonform scheitern.
das erste Abenteuer ist im 1. Weltkrieg bzw. dem großen Krieg verortet. Dies gilt nicht nur zeitlich, sondern die Spieler sind als Soldaten, Botenjungen oder Arzthelfer unmittelbar am Kriegsgeschehen beteiligt. Der hauptsächliche Spielort ist dabei ein Feldlazarett in Belgien wobei die Spieler entweder Teil des Personals (posted) oder verwundete (injured) sind. Die vorgefertigten Charaktere lassen einige Twists zu und der Lazaretthintergrund bietet ein ungewöhnliches Setting, wobei auf genug Aktionsmöglichkeiten geachtet wurde.
Die Hintergrundinformationen sind gut aufbereitet, wenn auch manchmal etwas trocken (so besteht der Infokasten über „moderne“ Medizin größtenteils aus Zutaten die für Salben und ähnliches verwendet wurden). Die erste Einleitung versucht sogar den ersten Weltkrieg in seiner neuartigen Bedeutung für die Soldaten zu umreißen und so ein Gefühl für das Abenteuer zu liefern, wenngleich hier manche Kritik von beflissenen Geschichtsstudentinnen angebracht sein dürfte…
Das Abenteuer selber ist relativ klassisch. Ohne viel vorwegzunehmen spielt ein Kult eine Rolle. Die Ursache für die Gründung des Kultes ist gewöhnungsbedürftig und sicherlich nicht für jede Gruppe geeignet das sie sensible Bereiche behandelt, es wird aber insgesamt passen zum Weltkrieg mit dem Thema Verlust und Schmerz gearbeitet. Die genutzte Symbolik ist etwas banal, so dass das Abenteuer im wesentlichen durch den spannenden Handlungsort glänzt. Leider ist es auch das einzige Abenteuer ohne Handouts, was es vielleicht zum unspektakulärsten Abenteuer des Bandes macht.
The Black Drop (Jason Morningstar)
Das zweite Abenteuer spielt als einziges in der klassischen Lovecraftzeit, ist dafür auf der abgeschiedenen Inselgruppe Kerguelen. Die kaum besiedelte Inselgruppe hat eine bewegte Geschichte von (ausnahmsweise friedlichen) Kolonialisten und war während des Venustransits ein ausgezeichneter Beobachtungspunkt für Astronomen, weshalb die Insel kurzzeitig in den Fokus von Wissenschaftlern der verschiedenen Kolonialmächte kam. Was der Venustransit ist vergisst das Abenteuer leider zu erklären, Wikipedia kann aber natürlich weiterhelden.
Das Abenteuer verbindet beide Elemente mit dem Cthulhu Mythos und kann so ein liebevoller Hintergrund für ein spannendes Abenteuer anbieten. Getrieben wird der Plot durch den Konflikt der Spielergruppe mit verschiedenen Interessensgruppen die relativ ambivalent bleiben. Das Abenteuer enthält eine radikale und tödliche Entscheidung sowie die Möglichkeit sich verschieden zu positionieren, was das Abenteuer fast nur als One-Shot spielbar macht, es werden aber zahlreiche möglichkeiten geboten um bestehende oder frei erstellte Charaktere einzubinden. Indem für jede Berufsgruppe mindestens ein Aufhänger geboten wird.
Der Mythos ist ziemlich präsent und das eine der beteiligten Gruppen von einem SS Offizier geleitet wird dürfte die Angelegenheit nicht einfacher machen. Der Abenteueraufbau ist vorbildlich. Die informationen sind sehr übersichtlich dargestellt und der Ablauf ist flexibel. Hinzu kommen viele (manchmal sehr textlastige) Handouts und Hinweise wie jeder NPC ausgestaltet werden. Kann. Auch wenn der etwas starke Mythoseinschlag und die Präsenz von einem (ambivalenten) SS-Offizier etwas Gewöhnungssache ist, verspricht das Abenteuer ein außergewöhnliches Spielerlebnis und ist mein stiller Favorit.
Mit fast 60 Seiten Umfang ist The Big Hoodoo mehr oder weniger das zentrale Abenteuer des Bandes. Es ist darüber hinaus aber vielleicht auch das außergewöhnlichste. Grundlegend ist es im L.A. Der 50er Jahre angesiedelt und kommt somit am nächsten an unserer Alltagserfahrung, die von den Spielern verkörperte Gruppe ist jedoch sehr außergewöhnlich. Die Spieler schlüpfen nämlich in die Rolle von Personen der frühen Science-Fiction Szene, namentlich Großmeister Philip K. Dick, dessen Publisher Tony Boucher, sowie Virginia Heinlein und deren Mann und Starship-Troopers Autor Robert A. Heinlein. Als einziges Abenteuer sind hier die Charakterbögen direkt mit Foto und Hintergrundinformationen mitgeliefert. Zusätzliche Charaktermöglichkeiten werden zwar diskutiert, müssen aber selber umgesetzt werden.
Der Einleitungstext gibt umfangreiche Informationen wie das Abenteuer gespielt werden kann. So soll es auch für eine Con-Runde von 4 Stunden umsetzbar sein, der Umfang ist aber relativ groß, so dass das Abenteuer eher auf zwei Sitzungen ausgelegt ist.
Der Plot konzentriert sich um den mysteriösen Tod von Jack Parsons, der ein hoch spannender (realer) Charakter war und involviert viel Interaktion innerhalb der Sci-Fi Szene und einige unmittelbare Konfrontationen mit Mythos und Okkultismus. Dabei wird sich umfangreich aus dem Fundus von okkulten Theorien der 50er bedient und dies mit einer verschwommenen Version von Scientology vermischt. Spannend sind kleine Kopierfertig mitgelieferte Coderätsel und ein pseudowissenschaftlicher Erklärungsansatz. Auch ausreichend Handouts sind beigefügt.
Wer mit den etwas eigenen Spielcharakteren umgehen kann und/oder Science Fiction Fan ist erhält ein sehr detailliert ausgearbeitetes Szenario das zahlreiche Spieltipps versammelt und einen wirklich eigenen Charakter hat. Das Abenteuer richtet sich aber stärker noch als die anderen Abenteuer an erfahrene Spielleiter da es enorm viele Informationen versammelt und einige Charakterbeziehungen verwaltet werden müssen.
Castle Bravo ist das letzte der vier Abenteuer und vom gleichen Autor wie The Big Hoodoo. Ebenso wie dieses ist es in den 50ern angesiedelt, legt aber einen stärkeren Fokus auf dem „Atomic Horror“. Dies meint nicht dass das etwas pulpige Filmgenre aufgenommen wird, sondern vielmehr dass die Motive des Atomic Horrors mit dem für Lovecraft zentralen Nihilismus verknüpft wird. Die Charaktere sind Seeleute und Wissenschaftler der USS Bairoko und haben etwas mit Waffentests im Süd Pazifik zu tun. Der Hintergrund ist höchst Mythoslastig und involviert zumindest indirekt verschiedene Mythoswesen. Ein Großteil der Handlung spielt auf dem Schiff und… -nunja, das müssen die Spieler wirklich selber herausfinden. Es ist jedenfalls eine hoch cthuloide Erfahrung die noch offensiver ist als im vorhergehenden Abenteuer.
Castle Bravo ist gut strukturiert und kommt mit wenigen Handouts und Informationen zu militärischen Charakteren daher, sowie mit vorgefertigten Charakteren die nur noch übertragen werden müssen.
Fazit
Die vier versammelten Abenteuer sind allesamt gut strukturiert und folgen konsequent dem von ToC nahegelegten Ansatz. Alle Abenteuer können für sich überzeugen, haben aber jeweils eine eigene Zielgruppe. Für etwas weniger als 14€ (PDF) ist das Produkt kein Schnäppchen aber auch nicht überteuert. Da alle Einzelabenteuer etwa 5€ kosten lohnt sich der Sammelband leider nur wenn man vorhat zumindest 3 der Abenteuer zu nutzen. Das die Abenteuer nicht miteinander zu kombinieren sind dürfte hier kein begünstigender Faktor sein. Thematische Abenteuerbände mit einer übergeordneten Einleitung, zusätzlichen Hintergrundinformationen und einem stärker vereinheitlichten Aufbau sind meines Erachtens ein gelungeneres Konzept. Wer aber einen Überblick über verschiedene Abenteuertypen und Ansätze sucht hat hier vier unterschiedliche und für sich gute Abenteuer zur Verfügung, so dass man dem „bundle“ durchaus einen Blick spendieren kann.
PS. In wie weit die bei den Teilzeithelden angemerkte Zusatzinformationen gegenüber den Einzelpdfs existieren kann ich nicht vergleichen. Vermutlich sind es Unterschiede zwischen leicht veränderten Auflagen, wobei der Sammelband jeweils die neuere erhält. Die Einzelpdfs müssten jedoch auch up-to-date sein. Auch sonst lohnt sich für Spielleiter natürlich ein Blick in die Rezension, aber Achtung: Spoiler.
Pictures used with permission by Pelgrane Press
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