Joe Haldeman: Camouflage
Eine Rezension von Orakel
Und nochmal werfe ich einen Blick auf einen Roman von Haldeman, der hierzulande vom Mantikore-Verlag veröffentlicht wurde. Diesmal „Camouflage“ von 2012. Und bevor jemand fragt: Die Geschichte hier zusammenzufassen wird ein wenig wirr werden. Aber warum?
Wie der Klappentext einem Aufklärt geht es um zwei Außerirdische Wesen – den Wechselbalg und das Chamäleon – die beide seid Millionen von Jahren auf unserem Planeten herumstreifen und sich dabei unterschiedlicher Strategien bedienten, um zu überleben.
Der Protagonist dieser Geschichte, der Wechselbalg bediente sich dabei stets des Weges der Anpassung, indem er die ihm zugänglichen Lebewesen bis ins letzte Detail nachahmte und auf diesem Weg Erfahrungen in sein Wesen einfließen lies, die ihm Einblicke in alle Möglichen Gegebenheiten der sich um ihn veränderten Umwelt gab.
Als Antagonist steht das Chamäleon, welcher in kriegerischer Weise die Menschheit immer dort verfolgte, wo es durch gewalttätige, kriegerische Konflikte Möglichkeiten gab, größtmögliches Leid in Form von Gewallt zu verursachen. Beide Wesen sind unverwundbar, beide sind aufgrund ihrer jeweils einmaligen Art – für unseren Planeten gesehen – unsterblich. Und der zentrale Faktor bei der Geschichte ist, dass sie beide keinerlei Erinnerungen an ihre Herkunft haben. Aber sie wissen auch nichts voneinander. Bis schließlich im Jahr 2020 der Meeresbiologe Russel Sutton den Auftrag erhält ein Artefakt außerirdischer Herkunft vom Meeresgrund zu bergen. Durch dieses Projekt wird eine Kette von Ereignissen ausgelöst, die zwangsweise ein Zusammentreffen dieser beiden stummen Beobachter unserer Welt auslösen wird. Und der Folge daraus, dass Einer dem Anderen nach dem Leben trachtet.
Das mag jetzt vielleicht alles sehr einfach klingen und als würde es sich dabei um einen unglaubliches Aktion-Spekatakel im Sinne eines Pradator vs. Aliens und Consorten drehen. Aber genau das ist nicht der Fall. Stattdessen geht es viel mehr um das alltägliche Leben im Tauziehen um Kompetenzen und willkürlichen Besitzansprüchen einer modernen Welt, wie sie moderne Großnationen gerne für sich beanspruchen oder auch nicht beanspruchen wollen. (Aktuell sind wir da ja ein wenig seltsam vorbelastet, was die politische Riege angeht.)
Der Punkt, der diese Geschichte der Assoziation nach zur Sciencefiction macht, sind die beiden Aliens und ihr jahrtausendelanges Wirken auf dem blauen Planeten Erde. Und da beginnt ein wenig, auf sehr seltsame Art nämlich, die Geschichte ihren Schwerpunkt mit einem Mal zu verlieren und zu wandeln. Denn im Grunde geht es bei dieser Erzählung eher um eine Geschichte des Verlusts der naiven Unschuld und des Wachsens über die eigenen Grenzen hinaus. Es wird dargestellt, wie man Erfahrungen sammelt und wie man am Ende aus allen diesen Erfahrungen in letzter Konsequenz zu einem Individuum wird, das für Sich und Andere Verantwortung übernehmen muss und gerade für das eigene Handeln gerade steht. Im aglikanischen Sprachraum existiert der Begriff „Coming of Age“ für eine Literaturgattung, in der es sich um jugendliche Charaktere innerhalb der Geschichten dreht, die ihre persönlichen Konflikte meistern müssen, und dabei heranwachsen und als Personen reifen. Und in gewisser Weise spielt das Wirken des Wechselbalges tatsächlich wie das Spiel mit der Frage, ob es einen Moment im „Leben“ von einem ewigen Wesen gibt, wo dieses genau diesen zentralen Konflikt des Überganges durchleiden muss. (Und vor allen Dingen: Wie dieser Übergang aussehen mag. Das hierbei dann natürlich mal wieder Menschen eine sehr zentrale Rollen spielen, ist zwar geradezu antropozentrisches Egomaniedenken, aber vermutlich unter den geschaffenen Bedingungen nicht anders zu bewerkstelligen.) Das geht soweit, dass am Ende auch noch bestimmte Geschlechtsstereotipe benutzt werden, wie dem kriegerischen Männlichen und dem emotionalen Weiblichen. Ob man das jetzt als gut oder schlecht wertet, bleibt letzten Endes jedem überlassen.
Fazit
Man hat sicherlich in meinen Ausführungen bis hierhin bemerkt, dass ich mich mit dem Buch sehr schwer tue, was eine finale Beurteilung anbelangt. Das Problem dabei ist, dass ich es schwierig finde, genau festzumachen, welche speziellen Konventionen hier anzuwenden sind, um ein abschließende Urteil zu treffen. Prinzipiell ist die Geschichte nämlich aufgrund ihrer fantastischen Elemente, welche sich in den ziemlichen einzigartigen Fertigkeiten von Wechselbalg und Chamäleon finden und den daraus entspringenden, seltsamen Erfahrungshorizonten, die diese in ihrem finalen Prinzipien durchlaufen, ist das deutlich tragender Element nämlich eine direkte Frage nach den Prinzipien von Identität, die hier zum alles verbindenden Thema werden, aus denen der Rest entspringt, der oben von mir geäußert wurde. Haldeman betreibt hier eine ziemlich feine Klaviatur, in der er eventuell den Hintergedanken betreibt, ob und inwiefern bestimmte Themen auch in anderen, als den „normalen“ Genres betrieben werden können. (Wir erinnern uns: Dem kompletten phantastischem Genre haftet immer noch ein gewisser Makel an, dass diese Form Geschichten zu erzählen doch Maximal billige, schlechte und Aussagelose Trivialliteratur hervorbringt, die keinen weiteren Gedanken Wert sein solle, außer dem offensichtlich äußeren Erscheinungsbild. (Das, was Andy Warhol über die Popart ausgesagt hatte und dass Heutzutage dann so um gedeutet wird, dass nur noch die figurative Darstellungsform als Figuration in irgendeiner Weise von Bedeutung sei.)
Betrachten wir Camouflage unter diesen Bedingungen als Experiment, ist die Geschichte zwar immer noch in gewisser Weise leicht Enttäuschend und/oder verwirrend, bekommt aber ein paar schönere Aspekte, die durchaus zu würdigen sind. Insofern spreche ich zwar keine Empfehlung für diesen speziellen Roman aus, behaupte aber auch nicht, dass sie in irgendeiner Weise misslungen sei.
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