Ist es Zeit für Cyberpunk?

Überlegungen eines teuflischen Bären

Im Juli werden 30 Jahre vergangen sein seid William Gibsons Neuromancer erschienen ist und damit den Startschuß für The Movement gab, das literarische Genre des Science Fiction das man heute als Cyberpunk bezeichnet. Als literarisches Genre hatte der Cyberpunk eine nur kurze Lebensdauer – Mitte der Neunziger Jahre war der ganze Spuk eigentlich schon vorbei – aber multimedia entwickelte sich der Cyberpunk noch eine Weile fort, vor allen in den visuellen Medien – hier sind besonders die verschiedenen Elemente des Ghost in the Shell-Franchise zu nennen, oder auch die Matrix-Quadrologie. Nur in einem Segment der westlichen Popkultur kam der Cyberpunk an und entwickelte sich nie weiter: im Rollenspiel.

Die drei „Erstlinge“ des rollenspielerischen Cyberpunk erschienen mit jeweils einem Jahr abstand: Cyberpunk (Heute meist als Cyberpunk 2013 bezeichnet; 1988), Shadowrun (Eines der ersten transgenre-RPGs; 1989) und GURPS Cyberpunk (Welches den beüchtigten Überfall des Secret Service auslöste; 1990). Diese Spiele waren es, die Cyberpunk als Rollenspielgenre definierten (Die ersten Beiden hatten dabei einen erheblich stärkeren Einfluss als das GURPS Quellenbuch, welches eher ein Werkzeugkasten war als ein kohärentes Setting) und auch dafür sorgten das Cyberpunk sich als viertes großes Rollenspielgenre etablieren konnte, neben Fantasy, Science Fiction und Horror. Natürlich half es, das diese Spiele zu einer Zeit erschienen, die Sean Patrick Fannon in The Fantasy Roleplaying Gamer’s Bible treffenderweise als „the rise of the attitude games“ tituliert, zusammen mit solchen heute noch populären Dauerbrennern wie die World of Darkness oder Rifts. Und während GURPS Cyberpunk völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist und Cyberpunk vielleicht bald dank des kommenden Computerspiels eine kleine Wiedergeburt erleben könnte ist Shadowrun jetzt auch in seiner fünften Ausgabe das, was es schon immer war: eines der beliebtesten Rollenspiele Deutschlands. Aber trotz der sich fortentwickelnden Geschichte der Sechsten Welt und der (sehr) langsamen Zuwendung zum Transhumanismus hin bleibt Shadowrun ein Spiel das sehr stark den Wurzeln des Cyberpunk verbunden ist, das sogar sehr stark mit Neuromancer verbunden ist. Die Frage die sich mir in letzter Zeit stellt ist: wird es nicht langsam Zeit für ein neues Cyberpunk-Rollenspiel?

Als literarisches Genre mag der Cyberpunk tot sein, aber insgesamt hat sich die Bewegung weiterentwickelt, neue Einflüsse aufgenommen und sich in neue Richtungen bewegt, aber davon ist in unserem Hobby kaum etwas zu bemerken. Dabei wäre es durchaus möglich sich hinzusetzen, sich alle Einflüsse vorzunehmen, und damit etwas ganz neues zu schaffen, ein modernes Cyberpunk-Setting das nicht wie Cyberpunk 2013/2020/V3 oder Shadowrun aneine Retro-Future gekoppelt ist. Ein gutes Beispiel dafür wäre im Tabletop-Bereich zu finden: Infinity, ein Spiel dessen Setting modernen GitS-artigen Cyberpunk mit Space Opera und dem Feeling moderner Shooter verbindet. Ein anderes Beispiel wäre Kuro, ein Rollesnspiel das auf Englisch von Cubicle 7 vertrieben wird, und in einem Japan spielt, das man am ehesten als „Cyberpunk meets Japanohorror“ bezeichnen könnte. Und davon will ich mehr sehen. Es ist Zeit sich vom Neuromancer und dessen Retro-80s-Zukunft zu lösen, und ein modernes Cyberpunk-Rollenspiel zu schaffen, ein Spiel das von Heute ausgeht und versucht eine Zukunft zu entwerfen die von heute aus „Twenty minutes in the Future“ ist. Ein Cyberpunk dessen Ästhetik nicht von häslichen IBM-Clones und Commodore geprägt ist, sondern von Apple und Samsung (Seien wir doch ehrlich: die Cyberpunk-Maxime von Style over Substance leben wir doch jetzt schon). Und uns da dann die Möglichkeit gibt, spannende Abenteuer zu erleben.

Ich freue mich schon drauf.

3 Kommentare zu Ist es Zeit für Cyberpunk?

  1. Das Problem ist dabei, dass es heutzutage verdammt schwierig bis unmöglich ist diesen kleinen Schritt in die Zukunft zu machen ohne in den Transhumanismus rein zu rutschen (und dazu gabs in letzter Zeit ja doch einiges an RP-Material).

    Die reinen gesellschaftlichen Fragen des Cyperpunk (Konzernherrschaft, starkes Arm-Reich-Gefälle) und ihre Konsequenzen (Aufstände, brutal niedergeschlagene Demos, rebellische Hacker-Gruppen, Kontrolle der Medien) erleben wir heute schon.
    Damit würde Cyberpunk zu einem Jetztzeit-Setting und die tiefere Probleme sind so aktuell, dass es kaum mehr Spaß macht sie zu spielen. Der Reiz der meisten Rollenspiele ist ja dann doch, in eine andere Welt zu flüchten.

    Die technologischen Aspekte (Cyberware, totale Vernetzung, Drohnen) sind inzwischen im Alltagsbewusstsein angekommen und greifbar (Wenn auch noch nicht in diesem Ausmaß verfügbar).
    Wenn aber Technologie diesen magischen Bereich verlässt und realistisch vorstellbar wird, tritt sie als Kernelement in den Hintergrund und es entwickeln sich zwangsläufig die Fragen, die früher angesichts der reinen „Coolness“ dieser Technologien nicht gestellt wurden: Was für Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft und auf die Menschen, die es benutzen? Und damit sind wir beim Transhumanismus.

    Die einzige Option „reinen Cyberpunk“ noch zu spielen, sehe ich eben in der Retro-Future. Ähnlich wie Steampunk eine „Was wäre wenn“ des 19. Jahrhunderst ist, könnte Cyberpunk ein „Was wäre wenn“ des beginnenden 21. Jahrhunderts sein. Aber dann sollten wir aufhören, technologische und gesellschaftliche Entwicklungen unserer tatsächlichen Welt und Geschichte in Cyberpunk-Settings projezieren zu wollen und müssen sie sie als eigenständige Welten mit eigenen Regeln begreifen.

    • Mit fiel es zeitweilig schwer, Shadowrun als Cyberpunk Spiel zu begreifen, weil sich so vieles um uns herum verändert hat und Cyberpunk wie ich es kenne eben eher in die 80er Jahre gehört – ich bin inzwischen fast 40 und eben nicht mehr in den 80ern. Daher finde ich Deinen letzten Absatz als gedanklich-stilistische Stütze klasse. Vielen Dank dafür.

  2. Meinen kleinen Liebling muss ich da natürlich noch hinzufügen: SLA. Das Ding hat ja auch deutliche Cyberpunkelemente die dann im wesentlichen noch einmal verdunkelt wurden. Aber auch SLA lässt sich unter Verwendung der alten Sourcebooks fast nur als Retrospiel spielen und die neuen Entwicklungen modernisieren das ganze zwar, gehen da aber eher in eine Mystery-Richtung statt wirklich zu erneuern…

    So wirklich aktualisiert kann ich mir Cyberpunk eh kaum vorstellen. ich habe mir mal metatropolis von Scalzi u.a. angesehen aber konnte dem wenig abgewinnen. Auch der Biopunkturn kickt mich kaum. Überhaupt habe ich das Gefühl das (near) Science-Fiction einfach seinen Zenit überschritten hat. Der Menschheit gehen die Ideen aus und daher verkommt das Genre – PC und Kino sei Dank – etwas zum Anlass für Specialeffects und Allmachtsphantasien. Manchmal faszinieren mich dabei immerhin die Bildwelten, den neuen „Total Recall“ fand ich da für sich betrachtet ziemlich cool.
    Aber ich lass mich gern etwas besseres belehren und lese solange Dick & Co…

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