Der Weg der Wachtel
Fabelhafte Abenteuer im feudalen Japan
Es gibt Projekte, die müssen einem einfach sympathisch sein. „Der Weg der Wachtel“ von Simon Wiese und Illustrator* David Staege ist genau so eines. Da ist der Oberstufenschüler Simon, den nach Lektüre von Jackson’s Fighting Fantasy und Fabled Lands der Elan packt sein eigenes Spielbuch zu schreiben und das nicht nur – anders als der Autor dieser Zeilen – zu Ende bringt, sondern auch noch ein äußerst eigenes Format findet. Wie der Titel des Buches nahelegt, haben wir es beim Weg der Wachtel nämlich nicht mit der generischen (Dark) Fantasy zu tun wie wir sie aus Spielbüchern gewohnt sind, sondern mit einer im wahrsten Sinne fabelhaften Geschichte, angesiedelt in einem tierischen feudalen Japan. Diese Mischung scheint dann auch dem älteren Simon noch so gut gefallen zu haben, dass er seinen Jugendtraum wieder aus dem Archiv geholt und einer professionellen Revision unterzogen hat. Mittlerweile hat es die chinesische Wachtel auf ihrem Weg durch Japan zu zwei Auflagen eines ansehnlichen 440 Seiten und 850 Abschnitte umfassenden Spielbuch geschafft und ist umsonst als pdf oder im Eigenverlag als Druckversion zu erwerben.
Was Wachteln nun einmal so tun
Was machen wir aber nun als chinesische Wachtel im fabelhaften Japan? Nun, zuerst einmal landen wir ganz klassisch ohne Hab und Gut an der Küste und sorgen uns um unser Überleben. Die Welt erweist sich dabei als äußerst freundlich und obwohl uns das ein oder andere Insekt bedroht, treffen wir es gut an. Denn offenkundig sind die meisten gefiederten Japaner äußerst aufgeschlossen einer fremden Wachtel zu helfen, beziehungsweise um unsere Hilfe zu bitten. So dauert es nicht lange bis wir kleinere Quests finden und uns zu beschäftigen wissen. Dem Weg der Wachtel gelingt es dabei sehr gut eine freundliche und offene Welt zu erzeugen, die verschiedene Wege ermöglicht. Ähnlich wie im schon genannten Fabled Lands (wo wir übrigens auch üblicherweise ohne Hab und Gut stranden) haben wir keine offensichtliche Hauptqueste, sondern können uns ganz in die Spielwelt fallen lassen. Wollen wir mit einem Freund jagen gehen? Handel treiben? Oder gar für Recht und Ordnung sorgen?
Etwas Struktur und großen Reiz entwickelt unsere Reise dadurch, dass wir uns im laufe des Spiels für verschiedene Klassen -Mönch, Ninja, Samurai – entscheiden können. Die bringen jeweils ihren eigenen umfangreicheren Plot mit sich.
So schafft es die Geschichte zwischen offener Erkundung und Hauptgeschichte zu pendeln. Das funktioniert größtenteils sehr gut, man muss sich jedoch immer mal wieder bereitwillig selber auf die Suche nach Quests machen und kann auch ab und an etwas planlos durch die Wiesen, Felder und vor allen Dinge Städte reisen. Wie bei einer solchen Art Spielbuch unvermeidbar kann das große Angebot an Möglichkeiten nämlich auch ein kleines bisschen in Arbeit umschlagen, die man jedoch durch die vielen kleinen Details und Erfolgsmomente gerne auf sich nimmt. Nicht unterschlagen werden Darf dabei der große umfange. Vier große Städte und eine reihe an Nebenschauplätzen stehen uns frei zur Verfügung.
Die Regeln
Die offene Struktur des Buches drückt sich auch in den Regeln aus. Die sind nämlich sehr simpel aber vielseitig. Zumeist schaltet uns eine Fertigkeit neue Optionen in Abschnitten frei. Auch Ausrüstungen oder Zauber werden meist einfach abgefragt und ergeben neue Optionen.
Ein richtiges Probensystem braucht die Wachtel nicht. Lediglich der Kampf wird nach festen Regeln ausgefochten. Hier würfeln wir einen sechseitigen Würfel, addieren Kampfkraft und Waffenwert und vergleichen mit der gegnerischen Verteidigung. Die (positive) Differenz stellt dann den Schaden dar, bevor der Gegner das gleiche macht. Wie elegant das Regeldesign stellenweise ist, zeigt sich gut am Fernkampf. Je nach Situation finden wir beim Gegner angegeben, wie viele Fernkampfversuche wir haben bevor wir in den Nahkampf gebunden werden. Dann testen wir gegen einen Trefferwert der Waffe und verursachen (meist fixen) Schaden. Besonders schick ist, dass uns viele Situationen belohnen wenn wir heimlich sind – also die passende Fähigkeit besitzen. Dann nämlich haben wir eine angegebene Anzahl von zusätzlichen Fernkampfversuchen. Das ist simpel und schön integriert.
Die Regeln verstehen sich fast von selber und gerade die Kampfprofile sind angenehm entschlackt und werden übersichtlich präsentiert. Eine kleine Schwäche stellt allerdings die Regelpräsentation dar. Zum einen ist der Schreibstil hier nicht so präzise wie man es von manch anderen Regeln kennt, zum anderen werden wir etwas vorschnell motiviert doch direkt ins Spiel zu springen. Dort fehlt uns aber eine Referenz wann wir neue Regeln konsultieren sollen. Man muss also quasi selber entdecken wann etwas neues hinzutritt und dann durch den (kurzen) Regelteil blättern – oder eben die Geduld haben die Regeln ganz zu lesen. Da wäre also mehr möglich gewesen, ist aber schnell zu verkraften, insbesondere da die Regeln im Endeffekt eindeutig sind.
Mehr als ein Freizeitprojekt
Das der Weg der Wachtel letztlich ein Freizeitprojekt ist, schimmert auch in der zweiten Auflage noch durch. Das zeigt sich insbesondere in ein paar ungewohnten Details. So liegen die Abschnitte beispielsweise eng beieinander, also etwa so wie man sie selber schreiben würde. Hat ein Abschnitt mehrere Optionen ist es so nicht unüblich das diese dann auf 4 aufeinanderfolgende Abschnitte verweisen. Das ist kein großes Problem aber doch ungewohnt und verleitet zu dem ein oder anderen unerwünschten Blick auf den Tellerrand. Auch die Bedingungsabfrage hätte noch ein bisschen eleganter gelöst werden können. Grundsätzlich arbeitet das Buch mit Ankreuzkästchen um sich Vorbedingungen zu merken. Habe ich beispielsweise einen Auftrag angenommen, wird ein Abschnitt angekreuzt der nun umleitet. Das macht auch Fabled Lands so und vermeidet viel Schreibaufwand auf dem Charakterbogen, es ist aber nicht immer elegant, da man meist einen anderen Abschnitt markiert als den in dem man sich gerade befindet. Das führt ein ums andere mal dazu, dass man nach einem Abschnitt zwei Abschnitte suchen muss. Einen zu markierenden und einen wo es weiter geht. Hier hilft die Ankreuzliste im Anhang und das Prinzip funktioniert recht reibungslos, es fühlt sich aber nicht immer ganz rund an.
Auch das Layout ist etwas abgespeckt. So sind Regeltermini, Ankreuzanweisungen oder Abschnittsverweise nicht gesondert hervorgehoben. Insbesondere eine Verlinkung der Abschnitte wäre für die pdf das i-tüpfelchen gewesen.
Solch eine Detailkritik darf aber die andere Seite nicht vergessen. Das solche Details überhaupt auffallen hängt damit zusammen, dass das Buch insgesamt ein enorm hohes Niveau hält. Die Regeln sind simpel und funktionsfähig und das Lektorat ist für ein Fanprojekt sogar ausgezeichnet. Weder gibt es Fehlumleitungen (na gut, eine habe ich gefunden, die war aber ohne Umstände richtig zu verstehen) noch – und das ist beeindruckend – ist mir ein einziger Tipp- oder Rechtschreibfehler auf der Reise untergekommen. Das schafft manch professioneller Verlag nicht. Dafür nehme ich dann auch gerne ein etwas schlichteres Layout und gewöhnungsbedürftige Nummerierungen in Kauf…
Fazit
Der Weg der Wachtel ist im besten Sinn ein einzigartiges Erlebnis. Das Setting ist ohne Vergleich und auch die Mischung aus Haupthandlung(en) und offener Welt findet man in der Form nur selten. Nimmt man hinzu, dass die pdf umsonst bereit steht, gibt es eigentlich keinen Grund sich das Buch nicht anzusehen. Bis auf ein paar kleinere Spuren vergisst man dabei schnell, dass es sich hier um ein (ambitioniertes) Freizeitprojekt handelt. Manch einem Plot merkt man den Elan oder auch die Naivität des damals jungen Autors an und manche Regel ist nicht perfekt geschliffen geschrieben – aber dafür kann man sich sicher sein das jeder Abschnitt sorgfältig durchgearbeitet und durchdacht wurde. Das einzige was den Spielfluss etwas gehemmt hat sind die Phasen ohne klare Aufgabe und die Tatsache, dass in der pdf keine Hyperlinks vorliegen. Die hätten das Spiel auch am Tablet zum wirklichen Spielgenuss gemacht.
*David Staege hat in der zweiten Auflage die ursprünglichen Zeichnungen von Simon Wiese aufgegriffen und mit härterem Kontrast und mehr Details versehen. Das Ergebnis ist ein ansehnlicher Zeichenstil, der gut ins Szenario passt und teilweise (z.B. bei den von Staege neu angefertigten Vignetten) mit professionellen Illustrationen mithalten kann.
Hi, ich habe gestern einen Podcast entdeckt, der ein Audio-Let´s Play dieses Buches macht. Das Spiel ist super; ich habe es selbst schon gespielt und der Podcast gefällt mir auch gut; hat schon beinahe Hörbuch / Hörspiel Qualitäten und ist es durchaus wert, mal reinzuhören.
Bei Spotify nennt sich das „Reisetagebuch eines Stubenhockers“, aber hier gibt´s das auch :-)
https://podcast66f662.podigee.io/