Der Eine Ring – Abenteuer am Rande der Wildnis
Ein Herr der Ringe Rollenspiel
EIN RING SIE ZU KNECHTEN. Was kann sich ein Spielleiter mehr wünschen, um seine Spieler zu quälen? Das scheinen sich auch in der Vergangenheit schon einige Autoren gedacht zu haben, denn mit „Der eine Ring – Abenteuer in der Wildnis“ von Cubicle7 (in Deutschland erschienen beim Uhrwerk Verlag) liegt nun das mittlerweile schon dritte Rollenspielsystem vor, das sich der Thematik von J.R.R. Tolkiens Mittelerde widmet: So gibt es bereits das relativ erfolgreiche, auf dem Rolemaster-System basierende „Mittelerde Rollenspiel“ (MERS) von ICE bzw. Laurin, während die Umsetzung eines HdR-Rollenspielsystem von Decipher eher scheiterte.
Dabei stellt „Der Eine Ring – Abenteuer am Rande der Wildnis“ lediglich den ersten Teil von drei miteinander kompatiblen Rollenspielen von Cubicle7 zum Setting Mittelerde dar. Jedes dieser Grundbücher soll sich dabei auf einen Handlungsrahmen von etwa drei Jahrzehnten und eine andere Region Mittelerdes und die dort lebenden Völker konzentrieren. Die folgenden beiden Grundbücher und eventuelle Nebenprodukte sollen sowohl den Handlungsrahmen als auch die vorgestellten Völker entsprechend erweitern. Der hier vorliegende Band spielt im Jahre 2946, während des dritten Zeitalters, also zwischen den Handlungen der beiden Bücher „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“. Seit der Schlacht der Fünf Heere sind 5 Jahre vergangen und die freien Völker Mittelerdes beginnen wieder Hoffnung zu schöpfen, jetzt doch gegen die Dunkelheit bestehen zu können…
DIE OPTIK
Der Uhrwerk-Verlag hatte bereits mit den Produkten des „Legend of the Five Rings“ Rollenspiels gezeigt, was für hochwertige Produkte er tatsächlich anbieten kann: Der Eine Ring (im Folgenden auch D1R) liegt in einem soliden Hardcover und in exzellenter Qualität vor. Die Bindung ist sehr sauber und ordentlich, ich konnte bei meinem Rezensionsexemplar keinerlei Mängel feststellen. Das gesamte Regelwerk ist in Farbe auf Hochglanzpapier gedruckt, das durchaus griffig und recht stark ist. Die Übersetzung und das Layout sind ebenfalls sehr ordentlich gelungen.
Das Buch ist mit einem goldenen Lesebändchen versehen, das gibt bei mir ebenfalls einen kleines Pluspünktchen (jaha… nicht nur iTeddy steht auf die Dinger!)
Der Punkt, mit dem D1R bei mir bezüglich Optik am stärksten punktet, sind die wunderschönen Illustrationen: So gelang es Cubicle7 die Rechte für einige Werke von John Howe – einem der bedeutensten Illustratoren der Tolkien-Werke – für das Regelwerk zu sichern. Desweiteren zeichnen sich Jon Hodgson und Tomas Jedruszek für die Bebilderung verantwortlich. Zusammen schufen sie für D1R eine authentische Kulisse, die das Rollenspiel nicht vor der beeidruckenden Romanvorlage der gewaltigen Welt Tolkiens zurückschrecken lassen muss.
Ein weiterer schöner Aspekt des Layouts ist die Optik des Charakterbogens. Auch dieser ist sehr stimmig gelungen, mit einem zu Mittelerde durchaus passenden Schriftsatz. Näheres zu den Charatkerwerten und dem System folgt später.
Die teure Übersetzung…Â
Fielen mir bei L5R als größter Kritikpunkt schon einige hanebüchene Kommasetzungen auf, so wirken auf mich auch einige Passagen von D1R recht holperig und stolperig übersetzt. Leider. Man versteht aus dem Zusammenhang größtenteils sehr gut, was gemeint ist, störend ist dies beim Leseerlebnis aber trotzdem. Nach meiner Kenntnis sind die Beschwerden über einige Übersetzungsfehler vor allem im Regelwerkbereich so stark, dass der Uhrwerkverlag kostenlos eine gedrucktes Errata herausbringen will. Soweit ich informiert bin, liegt der Fehler hierbei allerdings nicht beim Uhrwerk-Verlag, vielmehr lag dem Verlag eine nicht aktuelle englische Version vor, so dass es nun Regelunstimmigkeiten zwischen englischer und deutscher Version gibt.
Außerdem weichen wohl Bezeichnungen von Regelmechaniken im Regelwerk und auf dem Charakterbogen voneinander ab… Schade!
Die oben erwähnte Errata-Liste sollte vorläufig diese Mängel allerdings beheben können. Diese Errata-Liste soll laut Aussage des Uhrwerks-Verlages in dessen Forum sowohl als kostenloser Download als auch als kostenlose Druckversion verfügbar sein.
Die Englische Originalversion bestand aus zwei Softcoverbüchern im Schuber, jeweils ein Abenteuer-Buch mit den Regeln und der Charaktererschaffung und einem Spielleiterbuch für – ihr erratet es sicher – den Spielleiter. Leider hat das beispielsweise im Inhaltsverzeichnis für einige Druckfehler gesorgt. So sind zwar die Kapitelüberschriften der beiden Bücher dort aufgeführt, nicht jedoch die Tatsache, dass es sich um zwei Bücher handelt. So folgt auf Teil 6 gleich der Teil 1… nun, kein übermächtiger Fehler, aber eine weitere Unstimmigkeit, die den Gesamteindruck trübt.
DIE WELT UND DIE DUNKELHEIT
In diesem ersten Teil von „Der Eine Ring“ werden sechs verschiedene Völker bzw. Archetypen vorgestellt, die den Spielern für die Wahl ihrer Charaktere zur Verfügung stehen.
- Bardinger (Nordmenschen aus der Stadt Thal, Nachfahren des Bard)
- Beorninger (menschliche Nachfahren des Beorn, die sich an einem strategisch wichtigen Flusslauf niedergelassen haben)
- Die Zwerge vom Einsamen Berg (klein, bärtig, kampfstark, dickschädelig)
- Elben des Düsterwaldes (baumkuscheln, naturverbunden)
- Hobbits des Auenlandes (klein, große haarige Füße und meistens neugierig wie der Teufel)
- Waldmenschen Wilderlands (Aragorn-Style)
Wie oben schon erwähnt sollen weitere Bände die restlichen Völker Mittelerdes vorstellen. Da die Charaktererschaffung aber nicht all zu kompliziert ist, steht es jedem Spielleiter frei, weitere Völker einzubauen. Meiner Meinung nach sind die einzelnen Völker untereinander nicht allzu gründlich gebalanced (was für mich persönlich nicht so schlimm ist, mir ist Stimmung viel wichtiger, und die kommt hier ganz gut rüber), daher ist es durchaus möglich, eigene Völker „nach Gefühl“ zu entwerfen. Aber wie gesagt, das bleibt ja jedem Spielleiter selbst überlassen.
Tolkien schrieb den Herrn der Ringe deutlich beeinflusst von seinen Erfahrungen der beiden Weltkriege, und das ist dem Werk auch anzumerken: Ein übermächtiger, böser Gegner, die allesbedrohende Gefahr und Korruption, eine bunte Allianz vieler Völker stellt sich gegen ein Dunkles Reich, das Ringen Gut gegen Böse… Die Macher von „Der Eine Ring“ haben diesen Aspekt sehr schön umgesetzt. So wurde nicht nur die Welt entsprechend Tolkiens Werken beschrieben, dieser Konflikt schlägt sich auch auf jedem Charakterbogen nieder: Jeder Spielercharakter verfügt nämlich außer den üblichen Attributen (siehe dazu unten) über einen Wert für „Hoffnung“ und für „Schatten“. Während Hoffnungspunkte – so ähnlich wie Glaubenspunkte in der Alptraum Edition von „Kleine Ängste“ – als Boost bei bestimmten Proben eingesetzt werden können, so steht der Schattenwert für die fortschreitende, schleichende Korruption des Charakters. Allerdings sind die Spielerfiguren nicht ganz machtlos gegen den Schatten: Die Gemeinschaft der Spieler kann sich gegenseitig stärken und helfen, gegen den Schatten zu kämpfen.
Nun… da wir jetzt schon mal bei den Charakteren angelangt sind, können wir uns auch gleich einmal das Charaktersystem und die Regeln dazu ansehen:
DAS REGELWERK
a) Charakterwerte
Spielercharaktere verfügen bei „Der Eine Ring“ über drei grundlegende Attribute: „Körper“, „Seele“ und „Verstand“. Diese Dreiteilung ist zwar ein klein wenig gröber, als in anderen Rollenspielen, reicht meiner Meinung nach aber durchaus aus und macht das System relativ schlank.
Zusätzlich verfügt jeder Charakter über eine Reihe von Fertigkeiten. Diese gliedern sich in allgemeine Fertigkeiten (wie beispielsweise Athletik, Musizieren, Anführen, Ãœberreden und Jagen) und Waffenfertigkeiten.
Je nach Ausgewählter Kultur (siehe zu den Kulturen obige Liste) verfügt jeder Charakter über eine sog. „Kulturelle Gabe“, die seiner Herkunft eigen ist. So verfügen etwa die Bardinger über die Gabe „Standhaft“, die ihm besondere Furchtlosigkeit bescheinigt, während Zwerge sprichwörtlich Stur wie ein Felsbrocken sind.
Zusätzlich bietet jede Kultur eine Reihe verschiedener Hintergründe für die Spielercharaktere an. Diese Hintergründe repräsentieren die Berufe und Neigungen eines Charakers. So könnte man beispielsweise bei einem Schmied in die Lehre gegangen sein oder ein geduldiger Jäger sein. Ein Hintergrund für die Hobbits des Auenlandes ist übrigens „Tukblut“, so dass auch in Spielerrunden der Spruch „Närrischer Tuk!“ durchaus angebracht sein kann!
Eine weitere Personalisierung des Charakters stellt die jeweilige „Dunkle Schwäche“ dar, die jeder besitzt: Sie stellen die Anfälligkeiten eines Charakters dar. Jede Dunkle Schwäche enthält eine Reihe von negativen Eigenschaften oder Sünden. Bei schwerwiegenden Verfehlungen kann der Spielleiter eine dieser Eigenschaften (wie etwa „Gehässigkeit“ oder „Brutalität“) auswählen, und einem Charakter zuweisen.
Die Charaktererschaffung läuft relativ flott ab, da man im Grunde genommen nur entscheiden muss, welcher Kultur der Charakter angehört und welchen Hintergrund er besitzt. Dadurch hat der einzelne Spieler zwar nicht so viel Freiheiten wie in anderen Systemen, aber der Aufwand zur Erschaffung ist äußerst gering. Nicht jedermanns Sache, aber sehr einsteigerfreundlich!
b) Das Würfelsystem
Das Würfelsystem von D1R ist eine Kombination aus einem W6-Pool (den sogenannten Erfolgswürfeln) und einem einzelnen W12 (dem Heldenwürfel).
Alle gewürfelten Zahlen (sowohl des einzelnen W12 als auch des W6-Pools) werden addiert. Diese Summe muss einen vorher vom SL festgelegten Schwierigkeitsgrad erreichen, oder die Probe scheitert.
Dabei gilt es einige Kleinigkeiten zu beachten: Der Heldenwürfel hat statt der Felder 12 und 11 Sondersymbole, nämlich für die 12 die Rune Gandalfs und statt der 11 das Auge Saurons. Wird die Rune Gandalfs gewürfelt, so stellt dies einen automatischen Erfolg des Würfels für Spielercharaktere dar, das Auge Saurons repräsentiert einen automatischen Fehlschlag. Für Diener Saurons kann hierbei übrigens vom Gegenteil ausgegangen werden. Bei einem automatischen Erfolg oder Misserfolg ist übrigens die Gesamtsumme des Wurfes unerheblich.
Aber auch die W6 weisen zusätzliche Symbole auf: Die Zahlen 1, 2 und 3 sind nur im Umriss aufgedruckt, die Zahlen 4, 5 und 6 in normalem Druck. Zusätzlich ist neben der Zahl 6 eine weitere Rune (eine sog. Tengwa Rune) aufgedruckt.
Diese Tengwa Runen bestimmen das Ausmaß eines Erfolges: Wurde der Schwierigkeitsgrad erreicht, aber es wurde keine Tengwa-Rune gewürfelt, so gilt die Handlung als knapp geschafft. Eine einzelne Tengwa-Rune im Ergebnis stellt bei Erreichen oder Ãœbertreffen des Schwierigkeitsgrades eine beachtliche Leistung des Charakters dar, während zwei oder mehr Tengwarune einen außergewöhnlichen Erfolg repräsentieren.
Ãœbliche, zu erreichende Schwierigkeitsgrade werden im Buch im Bereich von 10 (sehr leicht) über 14 (mittelschwer) bis 20 (Extrem Schwer) angegeben.
Dieses Würfelsystem mag nun beim ersten Durchlesen relativ verwirrend klingen. Allerdings muss ich sagen, dass es mit ein wenig Ãœbung sehr intuitiv funktioniert und zu schnell deutbaren Ergebnissen führt. Von mir ein Thumbsup für dieses innovative und gut zur Thematik des Hintergrundes passende System!
Cubicle7 bzw. der Uhrwerkverlag bieten speziell designte Würfel für das System an, die das schnelle Einschätzen eines Würfelwurfes ermöglichen. Mit ein wenig Ãœbung kann man aber auch darauf verzichten und mit handelsüblichen W6 und W12 spielen.
Was geboten wird
D1R bietet ein gut gelungenes Kampfsystem, das auch gut anwendbar auf Gruppenkämpfe oder mittelgroße Scharmützel ist, mit Sonderregeln für mehr Gegner als Helden und umgekehrt. Das Spielleiterbuch geht näher auf das Gestalten von Abenteuern und die Konstruktion einer Kampagne ein.
Zu guter letzt ist mit „Die Glocke im Sumpf“ noch ein vollständiges Einführungsabenteuer enthalten, das sehr schön und sauber ausgearbeitet ist und auch unerfahreneren Spielleitern die Möglichkeit verschafft, eine stimmungsvolle Spielrunde aufzuziehen.
DAS SPIELGEFÜHL
D1R gelingt meiner Meinung nach ein schwieriger Spagat: Es ist auf der einen Seite sehr Regelarm und schlank gehalten, da mit wenigen Mechanismen einfache Handlungen erledigt werden können. Zum anderen bietet es sogar eine Regelung für eine Zweiteilung eines Abenteuers: In die Abenteuer- und die Gefährtenphase. Während ersterer wird üblicherweise das Abenteuer erlebt, während letzterer verarbeiten die Helden ihre Erfahrungen, reisen an andere Orte oder rasten und erholen sich. Außerdem weist D1R vor allem für Einsteigerspieler sehr nützliche Tips und Erläuterungen auf. Insgesamt macht das D1R sowohl für blutige Einsteiger, als auch für „alte Hasen“ sehr gut spielbar und attraktiv. Es werden teilweise sogar explizite Tips zum „Player Empowerment“ gegeben, die auch für Rollenspiel-Veteranen noch nützlich sein können.
Das intuitive Würfelsystem, die einfache Charaktererschaffung und die ohnehin schon extrem umfangreiche Welt Tolkiens tun ihr übriges, um die Spieler in den Bann von Mittelerde zu schlagen.
MEIN FAZIT
Ich bin gerade ziemlich sauer. Ich würde nämlich D1R sehr gerne eine glänzende Bewertung geben. Leider ist aber dem Uhrwerkverlag – bzw. Cubicle7 – dieses bescheuerte Missgeschick mit der Übersetzung passiert. (Die anderen Kleinigkeiten lasse ich mal außen vor.) Wäre das nicht der Fall, hätte dieses Rollenspiel von mir nämlich ein paar mehr Punkte bekommen.
Denn das Spiel macht Spaß! Zwar wird hier im Regelwerk ein expliziter Zeitrahmen und eine spezifische Hintergrundgeschichte erwähnt, der Spielleiter ist aber beileibe nicht auf den präsentierten Zeitrahmen festgelegt. Dazu bietet Tolkiens Welt viel zu viele Möglichkeiten, dazu liegt sie viel zu gut ausgearbeitet vor! Die beiliegenden Karten sind zwar schön, aber leider natürlich auf das vorgestellte Gebiet beschränkt. Mir wäre hier eine Karte von Gesamt-Mittelerde lieber gewesen. Da den meisten Publikationen des „Herrn der Ringe“ aber diverse Karten beiliegen, dürfte das kein größere Problem für Fans darstellen.
Kleiner Wermutstropfen: Die zugehörigen Würfel sind nicht – wie etwa bei der englischen Ausgabe – mit enthalten. Man kann sie aber für unter 10 € im Fachhandel bzw. online erwerben. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, mich zwischen der Softcoverversion im Schuber mit dem kompletten Würfelset oder dem sehr schönen Hardcover zu entscheiden, das mir hier vorliegt, hätte ich mich jedenfalls für das Hardcover entschieden.
Ich persönlich bin ja seit „Lord of the Weed“ etwas Mittelerde-geschädigt und habe mich seitdem immer etwas schwer getan, in einem Mittelerde-Setting zu spielen („Lass uns ma auf Wacken gehen…“). Das gebe ich ganz unumwunden zu. „Der Eine Ring – Abenteuer am Rande der Wildnis“ hat mir aber tatsächlich – trotz der enervierenden Fehler in den Regelübersetzungen – so viel Spaß gemacht, dass ich es ernsthaft in Erwägung ziehe, damit wieder einen geistigen Ausflug in Tolkiens Welt zu machen.
Wer also bereit ist mit einer Errata-Liste zu arbeiten und lieber ein deutsches, als ein englisches Regelwerk verwendet, dem kann ich trotz der Übersetzungsfehler dieses Buch nur wärmstens empfehlen. Und vielleicht werden ja in der nächsten Auflage von D1R die Ãœbersetzungsfehler ausgebessert…. Wem das zu stressig ist und wessen Fremdsprachenkenntnisse ausreichen, der ist vielleicht mit dem englischsprachigen Original besser bedient.
Alles in allem meiner Meinung nach das Beste Herr der Ringe Rollenspiel auf dem Markt! Vielleicht machen Cubicle7 und der Uhrwerkverlag aus den aufgetretenen Fehler Kapital und wenden bei den Nachfolgeprodukten ein wenig mehr Zeit und Mittel für ein ordentliches Lektorat auf!
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