Faye Hell – Das Zeitalter der Kröte
Sozialkritische Dystopie mit besonderer Note
Jacob Toad ist Schriftsteller. Und nicht irgendein Schriftsteller. Er ist der letzte seiner Art. Als Reichsautor genießt er das Privileg, das sein monumentales Werk das einzige ist das offiziell gelesen, studiert und diskutiert werden darf. Zumindest wenn da kein literarischer Widerstand wäre …
Fangen wir aber vorne an. Und das ist mitten in einer Orgie. Jacob Toad ist nämlich nicht nur Schriftsteller, sondern eine öffentliche Person die zum Sinnbild von Triebabfuhr und obszöner Freiheit geworden ist. Genauso sein Werk „Die Geschichte unserer Welt … ein Märchen?“: ein bis zur Ermüdung von Studierenden durchanalysiertes Werk das sich ohne große Analyse als über 3.000 Seiten aufgeblähter misogynistischer Groschenroman entpuppt. So fristet er ein lustlos-lustvolles Dasein, dass ganz der zahnlosen Kunst gewidmet ist.
Faye Hell präsentiert uns mit dem „Zeitalter der Kröte“ eine Dystopie die ohne großes Federlesen Anspielungen auf den Nationalsozialismus macht. In der kaum näher bestimmten Zukunft herrscht ein totalitäres Regime das sogar die Gedanken der „Anonymen“ über einen implantierten Chip kontrolliert. Und auch die „Priveligierten“ wissen beständig ein Damoklesschwert über sich schweben. Hell kümmert sich dabei weniger um subtile Anspielungen oder technische Details, als ihre schriftstellerischen Flakscheinwerfer auf ein Zerrbild von Terror und Diktatur zu richten. Dahinter verbirgt sich jedoch eine tiefe Liebe zur Literatur. Geschickt platzierte Anspielungen auf Größen der Weltliteratur und Science Fiction zeigen Hells Belesenheit und die Begeisterung für das geschriebe Wort, was sich auch in den deutlichen Parallelen zu Brave New World und 1984 zeigt. So findet hier wie bei Orwell eine Verkümmerung von Sprache statt und schwelt ein Kontrast zwischen Natur und Technik wie man ihn von Huxley kennen könnte.
Nichts für schwache Mägen
Diese schriftstellerische Tiefe braucht allerdings einige Seiten um in Fahrt zu kommen. Der Einstieg ist nachgerade brutal und abstoßend. Mit äußerst direkter Wortwahl und ohne Rücksicht auf Verluste konfrontiert uns die Autorin ab der ersten Zeile mit Pornographie und Gewaltexzessen die unangenehm sein können und sollen und für Betroffene (sexualisierer) Gewalt zweifelsohne nicht zu empfehlen sind. Selten war eine CN angebrachter als hier und findet sich folgerichtig auch auf der Eingangsseite. Gerade vor dem Hintergrund das Vergewaltigung in der Phantastik häufig zum unbedacht eingesetzten Spannungsmittel verkommt ist diese Schlagseite zweifelsohne problematisch. Und auch für mich war die Lektüre daher nicht immer ein Vergnügen. Bei aller Explizitheit und dem offensichtlichen Spaß an Exzess und Grenzüberschreitung sind (sexualisierte) Gewalt und Pornographie hier jedoch kein Selbstzweck für die Autorin. Sie sind integraler Bestandteil von Toads Schriftstellerdasein das vertraglich auf Ausschweifung und Rücksichtslosigkeit verpflichtet ist. Sein gänzlich öffentliches Leben ist die erlaubte Orgie der unterdrückten Triebabfuhr. Wer möchte kann hier eine treffende Allegorie auf die Triebstruktur des Faschismus erkennen.
Fazit
“Das Zeitalter der Kröte” ist eine „Fairy Tales Gone Bad“ und zusammen mit dem sprechenden Pseudonym Faye Hell ist der Ton schnell klar. Hier liegt ein Werk vor das keine Rücksicht auf Verluste nimmt und daher mit etwas Vorsicht genossen werden sollte. Hinter der Schicht an Gewalt und Pornographie versteckt sich jedoch eine tiefergehende Analyse totalitärer Machtsysteme und eine antifaschistische Liebeserklärung an die Literatur und das freie Denken. Vor diesem Hintergrund ist „Das Zeitalter der Kröte“ literarisch zu empfehlen. Das knappe und äußerst günstige Büchlein ist unterhaltsame und nachdenklich machende Kost zugleich. Wer mit direkter und heftiger (sexualisierter) Gewalt umgehen kann und will findet hier ein literarisch ernstzunehmendes Ausnahmewerk. Wer nicht, greift lieber zu einer harmloseren Dystopie.
Das mit etwa 150 Seiten vergleichsweise kurze Buch bekommt man für 8€ im Verlagsshop. E-Bookvarianten gibt es auf den bekannten Ebook-Plattformen zum Schnupperpreis.
Das klingt ja wirklich super spannend! Ich finde dystopische Szenarien absolut faszinierend, weshalb das Buch genau meinen Geschmack trifft. Kommt definitiv auf meine Leseliste für 2021!