Aspirations – und warum sie nicht funktionieren
Eine Analyse von Caninus
Vermutlich wird der Begriff „Aspirations“ neben seiner üblichen Übersetzung nicht allen Lesern hier etwas sagen, daher erkläre ich ihn kurz. Es handelt sich dabei um ein Konzept aus der cod, also der zweiten Auflage der nwod (die vermutlich unter den Lesern am ehesten mit dem Vertreter Vampire: the Requiem bekannt ist). Diese zweite Auflage hat nicht nur einen anderen Namen bekommen (wegen gewisser Streitigkeiten über die Nutzung des Begriffs „world of darkness“), nein es gab auch in bestimmten Teilen des Regelwerks sehr starke Änderungen. Und zu den größten davon zählt die Art und Weise wie Spieler Erfahrungspunkte bekommen und einsetzen. Wo bislang das System der nwod ziemlich ähnlich zu jenem der owod war (man bekommt feste Punkte pro Abend), ist das der cod nun.. anders. Es wurde umgeändert in das sogenannte Beat-System. Ein Beat ist ein fünftel Erfahrungspunkt – man braucht also fünf von den Dingern um einen EP zu haben (die aber nun wertiger sind als die EP in der nwod). Soweit so gut, wie bekommt man denn nun diese Beats? Und hier sind wir bei dem Punkt der starken Änderungen. Beats gibt es nämlich primär nicht für ein Erscheinen am Spielabend, sondern für Tätigkeiten innerhalb des Spiels. Für bestimmte neue Erkenntnisse, für das Ablegen von negativen Zuständen und eben für das Erfüllen von Aspirations.
Bei diesen Aspirations handelt es sich um kurz/mittel und langfristige Ziele des (Achtung!) Spielers, in der Regel zwei bis drei für den Abend. Ziele, welche er mit seinem Charakter gerne erspielen möchte. Also etwa „ich möchte gerne an diesem Spielabend ein Autorennen fahren“. Sollte dann also das Autorennen stattfinden, gibt es einen Beat für den Spieler und danach darf er sogar direkt ein neues Ziel festlegen. Klingt ja erstmal ganz nett, oder?
Ist es nicht.
Wer nicht geschlafen hat beim Lesen bis hierhin, hat vermutlich gerade im Kopf überschlagen, dass der Spieler so pro Abend zwei bis drei Beats für Ziele bekommen kann. Und das das nicht langt um überhaupt auch nur einen EP zu bekommen. Die Gelegenheit an Beats aus anderen Quellen zu kommen ist eher sporadisch im Spiel, wenn man es nicht darauf anlegt und daher im Grunde zu vernachlässigen. Wozu aber führt dieses System?
Man kann es sich hoffentlich denken. Natürlich wird jeder halbwegs nachdenkende Spieler wohl jene Ziele wählen, welche die höchste Chance haben im Spiel auch gespielt zu werden. Und das möglichst schnell, damit man neue wiederum schnell spielbare Ziele wählen kann. Denn primär will man natürlich lieber mehr Punkte als weniger. Alles andere wäre schon ziemlich merkwürdig.
Das führt uns aber zu einem ganz anderen Problem und das heißt „Story adé“. Wo sich der Spielleiter zig-tausend Dinge für seinen Plot im Vorfeld überlegen kann und dann die absolut darauf ausgerichtete Fokussierung auf die Erfüllung der Ziele das komplett kaputt macht. Die Spieler haben nämlich plötzlich kein so großes Interesse mehr daran dem Plot zu folgen. Das kann man ja auch später noch. Erstmal geht es um die eigenen Ziele um überhaupt vorwärts zu kommen mit dem Charakter. Man will ja nicht monatelang für einen Punkt sparen. Und selbst wenn der Spieler das aktiv gar nicht so fördert, wird sein Unterbewusstsein so oder so darauf hinarbeiten – schlicht bedingt durch die Tatsache, dass der Spieler weiß, dass er sonst schlechter da steht als die anderen Spieler, welche dies aktiv verfolgen.
Ja, jetzt kann man einwerfen, dass es extra die Möglichkeit eines Gruppenpools für Beats gibt, aber das verschiebt das Problem auch nur marginal.
Ebenso kann man einwerfen, dass der Spielleiter ja aus den Zielen etwas tolles basteln könnte. Theoretisch ja, aber erstens auch nur bis zu dem Punkt an dem dann neue Ziele formuliert werden und auch nur, wenn die Ziele irgendwie miteinander vereinbar sind. Wenn der eine Spieler gerne in die Wüste möchte und der andere ein Unterwasserabenteuer erleben, wirds schon schwierig. Und irgendwo unfair.
Aspirations sind also schon wieder eines dieser hochmodernen neuen Rollenspielkonzepte, die auf den ersten Blick total toll aussehen und dann wenn man sie mal ausprobiert hat by the book absolut nicht funktionieren.
Das liest sich wie die Wünsche bei Sims. Die wirken genauso. Kann es sein, dass unsere RPG-Autoren immer mehr Systemkonzepte bei den Computerspielen klauen und versuchen in RPG-Regeln zu packen?
Ich kann mich deiner Meinung so gar nicht anschließen. In meiner regelmäßigen Requiem-Runde sind die Spieler tatsächlich nicht besonders hinter der Erfüllung der Aspirations her, nur wenn es sich gerade anbietet, Das liegt aber eher daran, dass sich schwer tun, welche zu formulieren. Und so wie eure Aspiration beschreibst, würde ich sagen, ihr benutzt sie falsch und auch nicht wie vorgesehen. Normalerweise würde ich das Wort „falsch“ nicht im Zusammenhang mit dem Spielstil anderer Leute benutzen, aber schließlich geht der Artikle darum, dass sie nicht funktionieren würden, also ist „falsch“ hier wohl angebracht.
Ich denke zunächst einmal sollten Aspirations im Kontext der Runde formuliert werden, und nicht so, dass sie den Kontext zerstören, sondern ihn bereichern. Wenn plötzlich jemand in die Wüste möchte und ein anderer in eine Unterwasserwelt (ist das eigentlich ein echtes Beispiel?), dann besteht scheinbar Unklarheit darüber, was man eigentlich gerade spielt. So steht es auch im GMC-Regelupdate (S. 150): „Aspirations are simple statements of intent; things that can be accomplished
within the scope of the game you’re playing.“
Mit dem Autorennen hast du angesprochen, dass Nebensächlichkeiten (im Sinne der Story) als Aspiration gewählt werden, um Beats zu generieren. Nun allerdings gibt es auch hier ein Statement (ebenfalls S. 150): „Aspirations are goals for your character. They’re also statements to your Storyteller
that show the types of stories you want to play through.“
Ein einzelnes Autorennen zu fahren ist würde ich nicht als Story bezeichnen (es sei denn, man zieht es entsprechen auf). Entsprechend der obigen Passage würde ich immer davon ausgehen, dass eine Aspiration so formuliert ist, dass sie entweder dem entspricht, was der Spieler erleben möchte, oder was der Charakter als Ziel (und eben nicht einfach als einfacher Wunsch) hat und das Ganze auch erspielt werden kann. Wenn die Aspiration lautet, dass man schauen möchte, ob übernatürliche Machenschaften in die Formel 1-Szene reichen, weil man gerade sowieso in einer Stadt mit berühmter Rennstrecke spielt, dann wäre das angebracht.
Ich hoffe mein Kommentar wir als die Anregung, wie es funktionieren könnte, verstanden, der er sein soll und nicht als Gemecker. Vielleicht schaut ihr euch auch noch mal die Beispiele im Abschnitt zu den Aspirations an, denn ich halte die fast alle für sehr gut.
Oh, das wird absolut nicht als Gemecker verstanden, keine Angst :)
Es ist nur ein wenig an meinem Punkt vorbei. Du beschreibst den Zustand wie es die Autoren gedacht haben. Das Problem ist aber nunmal, dass es so leider nicht in Regeln gefasst wurde. Natürlich ist es schön mit sowas das Spiel durch eigene Ideen und Anregungen der Spieler zu bereichern – aber dann darf ich halt als Regelwerk nicht hingehen und gleichzeitig Belohnungen für das Abschließen von Aspirations zusammen mit einer absolut unterirdisch geringen Menge an EP kombinieren. Schätze dich einfach glücklich mit Leuten zu spielen, denen die EP und das vorankommen im Sinne von neuen Fähigkeiten offensichtlich nicht sonderlich wichtig ist bzw eben nicht wichtiger als eine schicke Story. Das Glück hat kaum jemand.
Was wesentlich sinnvoller im Sinne des eigentlichen Gedankens gewesen wäre, wäre Aspirations von den EPs zu entkoppeln und ein eigenes System zu haben – was auch immer man sich dann mit den Punkten da kaufen können soll (oder ob das überhaupt nötig ist). Aber dieser Zwang welche abschließen zu müssen um überhaupt etwas zu schaffen bringt eben nur negative Anreize und je nach innerem Verhältnis im Spieler halt auch das Schlechteste direkt nach vorne.
Ahm… eine Frage (da ich mich bekannterweise nicht mit den cod-Regeln bislang auseinandergesetzt habe):
Gibt es Mechanismen, mit denen der Spieler selbst Erzählrechte erwerben kann? (Diese Konzept mit den Beats klingt an sich nur dann Problematisch, wenn man ein sehr klassisches Konzept von Regelgerüst und Gruppenkonstellation aufrecht erhalten würde.)
Also meines Wissens nach gibt es keine Regelungen zu Erzählrechten, sondern das klassische Spielleiter erzählt die Welt/Geschichte, Spieler handeln darin.