S steht für Selbstbewußtsein – bei Verlagen
Buchstabensalat mit Infernal Teddy
Es sind bald vierzehn Jahre her, da ist ein Rollenspielverlag ein großes Wagnis eingegangen, und hat mit der Neuauflage seines Rollenspiels nicht nur das Regelsystem komplett ausgetauscht, sondern es auch noch mit einem System ersetzt, das ein Jahr vorher die Mehrheit der Spielerschaft lautstark abgelehnt hat. Diesen Monat hat der Verlag, welcher heute das Spiel betreut, eine beispiellose Rückrufaktion angekündigt, weil die Spielerschaft sich über eine Hintergrundänderung aufgeregt hat, welche keinerlei Einfluss auf das tatsächliche Spiel hat. Die erwähnten Verlage sind FanPro und Ulisses, das Spiel um das es geht ist DSA, und ich möchte euch an dieser Stelle zu einem neuen Rant begrüßen.
Worum geht es mir denn, wenn ich hier von Selbstbewusstsein in Bezug auf Verlagen spreche? Lasst mich mal ausführen. Einer der häufigsten Kritikpunkte die man – vor allem in Bezug auf deutsche Rollenspielverlagen – hört, ist das die Verlage nicht auf Wünsche und Kritik der Spielerschaft eingehen. Und diese Vorwürfe sind gerechtfertigt: Wir, die Kunden und Fans, sind es ja schließlich, die diese Verlage am Leben halten, und wenn wir aufhören, die Produkte zu kaufen, gibt es den Verlag bald nicht mehr. Aber ist es denn immer richtig und sinnvoll auf die Fans zu hören? Ich behaupte: nein, ist es nicht. Klar, manchmal ist es tatsächlich sinnvoll auf die Fans zu hören – niemand weiß besser was die Spieler für Material haben wollen als die Fans selbst. Dark Heresy ist da ein schönes Beispiel. Wie lange hat es gedauert bis wir da endlich die Regeln hatten um Inquisitoren spielen zu können? Anderseits hat man als Verlag bzw. als Autor ja auch eine Vision, eine Vorstellung davon wie das Spiel und die dazugehörige Welt auszusehen haben. Und dann stellt sich die Frage ob man an seiner Vision festhalten will, auch im Angesicht der Kritik seitens der Spielerschaft. Vor dieser Frage stand 2001 FanPro mit DSA4, und vor dieser Frage stand 2015 Ulisses.
Man mag es sich heute kaum noch vorstellen können, aber beim Erscheinen wurde die ursprüngliche Myranor-Box von den meisten DSA-Spielern entschieden abgelehnt, und zwar nicht so sehr wegen dem doch schon sehr neuen und sehr anderem Setting, sondern wegen dem Regelsystem, welches sich für den Geschmack der Spielerschaft viel zu radikal von dem bekannten System von DSA3 unterschied. Man wollte – wie man das heute auch im Angesichte von DSA5 zu hören bekommt – beim bekannten System bleiben, das neue System unterscheide sich zu sehr von dem was man gewohnt sei. Das „Myranor-System“ wurde regelrecht verdammt, egal mit wem man gesprochen hat. Ein Jahr später war es die Basis von DSA4, und heute bekommt die Spielerschaft Panikattacken wenn man davon spricht, DSA auf ein neues System aufzusetzen. Der Verlag hatte eine Vision davon, wie ein neues DSA auszusehen hätte, und hat es durchgezogen. Selbstbewusstsein bewiesen. Und heute? Heute hat Ulisses ein Quellenbuch, die Historia Aventurica, dessen erster Teil einige kontroverse Aussagen zum Setting hat, welche a.) erstmal aus der Sicht eines unzuverlässigen Erzählers stammen, und b.) die tatsächliche Spielpraxis von annähernd 100% der Gruppen in der Republik genau überhaupt nicht berühren. Das Geschrei ist groß, die Spieler maulen und meckern, und was macht Ulisses? Man beugt sich dem Gemeckere und dem Geheule der Fans, und schreibt das ach so anstößige Material um, bietet gar eine Rücknahme und einen Umtausch an. Wie groß ist da dann das Selbstbewusstsein, das Vertrauen ins eigenen Produkt?
Mich stört das, mich stört das zutiefst, und ich spiele nicht mal DSA. Ich habe, wie ihr wisst, eine tiefsitzende Abneigung gegen DSA. Aber es ärgert mich zutiefst, das der derzeit größte Hersteller von Rollenspielen in Deutschland, welcher das größte Rollenspiel in deutscher Sprache veröffentlicht und vertreibt, entweder nicht die Vision hat oder nicht das Selbstvertrauen um ein kontroverses Produkt nicht nur zu veröffentlichen, sondern auch am Markt zu lassen. Ich weiß, ich weiß, die DSA-Fans unter unseren Lesern heulen gerade auf, weil dieses Buch doch ach so böse sei, weil es einem Teil des Hintergrunds widerspricht, aber überlegt doch mal: wollt ihr denn, das der Verlag der euer Rollenspiel herstellt und vertreibt entweder keine Vision hat, oder nicht den Mumm dieser Vision treu zu bleiben?
Ich hacke gerade auf Ulisses und DSA herum, ich weiß, und das mag unfair wirken. Es IST auch unfair, ich weiß, aber es ist nun mal ein aktuelles Beispiel. Außerdem, das muss ich Ulisses fairerweise zugute halten, sind sie einer von sehr wenigen Verlagen, der seinen Kunden so viel Input und Einfluss gewährt, die so sehr auf die Meinung seiner Kunden achten, etwas, das ja gerade in Deutschland lange eingefordert wurde.
Ein gutes Beispiel für einen Verlag, der die Kommunikation mit den Fans abgelehnt hat – und deswegen viele Fans im Laufe der Jahre verloren hat – wäre Feder & Schwert, deren Forumsschließung heute noch für Unmut sorgt. Ein anderes, aktuelleres Beispiel findet sich bei Prometheus Games. Deren Savage Elyrion wurde vor einem Jahr per Crowdfunding finanziert, und ist nicht nur bis heute nicht erschienen, der Verlag zeigt auch noch seine aus der Vergangenheit bekannte Unfähigkeit mit den Fans zu kommunizieren. Wenn dann doch mal kommuniziert wird, dann nur in großspurigen „Wir machen doch alles Richtig!“-Reden, wie zuletzt von Christian Löwenthal, dem Geschäftsführer, auf diese Kritik von Arkanil. Man könnte sagen, es zeuge von Selbstbewusstsein, in solchen Situationen noch zu behaupten es laufe alles super, und dann noch neue Produkte per Crowdfunding finanzieren zu lassen, aber in meinen Augen ist das eher unbegründete Arroganz. Selbstbewusst wäre es, zuzugeben das man Fehler macht, und das man sich mit der Aufgabe vielleicht ein wenig übernommen hat.
Man kann es nicht allen Recht machen, erst recht nicht, wenn man der Inhaber einer großen Marke wie DSA ist, aber man sollte die Balance finden können zwischen dem Wunsch, es möglichst vielen Kunden recht machen zu können, und der eigenen Vision dessen, was man denn eigentlich erschafft. Diese Balance scheint im Moment bei Ulisses abhanden gekommen zu sein, und das ist schade. Wenn man es immer nur den Fans recht macht, die im Internet am lautesten schreien wird man nie dazu kommen, die eigene Vision durchzusetzen, und man wird es nie schaffen, etwas wirklich neues einzubringen in der Welt die man da produziert. Dieses neues schaffen ist im inzestuösem DSA wohl schon schwer genug, da muss man es sich noch schwerer machen, in dem man sich auch die letzten Möglichkeiten aus der Hand nehmen lässt.
Mit anderen Worten: Konsequenz heißt, auch Holzwege zuende zu gehen.
Ich finde da lernfähige Verlage irgendwie besser. Und dass bei einem Spiel, das ausschließlich in den Köpfen der Spieler abläuft, ein Buch, was den Hintergrund so massiv ändert, „keine Auswirkungen“ haben soll, ist auch eine eher fragwürdige Annahme.
Besonders, da die Zwölfgötter ja immer ein Identifikationskern von DSA waren.
Insgesamt hatte ich bei der Historia Aventuria vor allem den Eindruck, dass eine wie auch immer geartete Vision schlecht umgesetzt wurden. Ein erklärtes Ziel war ja z.B. den Übergang zwischen den Zwölfgöttern und den sonstigen Unsterblichen fließender zu gestalten. Das Buch erreichte aber genau das Gegenteil, es grenzte Zwölfgötter und sonstige Unsterbliche strikter voneinander ab als zuvor.
Gut, aber welche Auswirkung hat denn diese Änderung des Hintergrunds wirklich auf das normale, alltägliche Spiel?
Und lernfähig heißt nicht, das man sich jedem Sturm im Wasserglas ergeben muss.
Wenn man DSA nicht spielt und folglich auch nicht wirklich (tief (genug)) in der Materie drinsteckt, sich also nicht hinreichend auskennt, sollte man auch nicht versuchen, zu beurteilen, welche Produkte und darin enthaltene Setzungen sich in welchem Ausmaß auf Hintergrund und Setting dieses Spiels auswirken.
Ich habe fertig.
Es sei denn, man fragt die DSA Fans in seinem Umfeld ;)
„Gut, aber welche Auswirkung hat denn diese Änderung des Hintergrunds wirklich auf das normale, alltägliche Spiel?“
Findest du nicht, dass es für den Spieler eines Efferdgeweihten einen Unterschied macht, ob er einen ergebenen Diener eines unergründlichen Verteidigers der Schöpfung spielt oder einen Deppen, der einem drittklassigen intriganten Kommunalpolitiker, der eine der größeren Bedrohungen für die Schöpfung erst erschaffen hat, auf den Leim gegangen ist? Denn in meinem Kopf sind das zwei ziemlich unterschiedliche Konzepte…
„Und lernfähig heißt nicht, das man sich jedem Sturm im Wasserglas ergeben muss.“
Woher weißt du denn, wie groß das Wasserglas war? Im DSA4-Forum hat das Buch so viele und so schlechte Bewertungen unterschiedlicher Kritiker gesammelt wie kein anderes je zuvor. Und angesichts dessen, dass man trotz ebenfalls ausdauernder Kritik bei EG nicht so eine Aktion gestartet hat, würde ich vermuten, dass da auch noch ein bisschen was im Hintergrund lief – wer weiß, wieviele Emails da noch an die Feedbackadresse gegangen sind? Wer weiß, was sich Demoteams auf Cons und Beilunker Reiter in anderen Communities anhören durften? Ich denke, Ulisses hat ein recht realistisches Verständnis davon, was noch als Wasserglas zählt – und das hier war ein bisschen mehr.
1.) Nein, eigentlich nicht – schließlich hat der Charakter doch keine Ahnung von den Wahrheiten in Alveran, oder? Sondern nur das, was er als Geweihter gelernt hat.
2.) Ja, ich bin mir des Shitstorms durchaus bewußt. Mein verständnis mag da ein wenig anders sein, ich habe schon schlimmeres mitgemacht (Mage 2nd vs. Mage revised löst selbst heute noch apokalyptische Feuerstürme aus). Ich bleibe dabei, wenn ein Verlag ein Buch veröffentlicht mit einer solchen Änderung, dann erwarte ich das der Verlag eine Vision hat, und auch die Eier in der Hose hat an dieser Vision festzuhalten.
Dann sollte Ulisses (DSA-Sektion) auch eine Vision haben.
DAS wünsche ich den DSA-Fans auf jeden fall!
Zu Feder&Schwert kann ich auch noch was schreiben:
Die Forumen-Schließung habe ich nur noch am Rande mitbekommen. WFRP2 – das Spiel weswegen ich mich dort angemeldet hatte – war noch jung. Jedoch: Bei Aufziehen des WFRP-Ersatz-Forums „Die Alte Welt“, hat sich der Verlag äußerst kooperativ gezeigt. Nicht nur, dass Oliver Graute das Forenbanner gebastelt hat, nein auch die Tatsache, dass das Forum ohne Werbung auskommt war Feder & Schwert zu verdanken und ist heute dem Verlag + den Heidelbären geschuldet. Verlagsmitarbeiter von F&S waren regelmäßig im Forum anzutreffen (was bei den Bären nicht der Fall war/ist), überschüssige WFRP2-Landkarten (aus dem Inneneinband des Grundregelwerks) wurden an Nutzer des offiziellen Fan-Forums verschenkt, Fanwork (wie das Abenteuer „Der Mann ohne Gesicht“) war auf der alten Verlagshomepage zu finden. Die Errata für die WFRP2-Bücher wurden in „Die Alte Welt“ gesammelt und von Feder & Schwert – nach meinem Eindruck – vollumfänglich berücksichtigt. Ein ähnlich gutes Verhältnis zwischen Fandom und Verlag ist mit in der deutschsprachigen Rollenspielwelt (für ein Lizenzprodukt) weder vorher noch nachher begegnet.
Sicher: Das mag eine Ausnahme gewesen sein (bestimmt auch dadurch begründet, dass der Foreneigner über weite Strecken als Übersetzer an den WFRP2-Sachen beteiligt war). Dennoch gehört die Geschichte in dem Zusammenhang erzählt.
Gut, da sehe ich mich jetzt korrigiert – als das gerade passierte hatte ich gerade wieder das deutschsprachige Internet hinter mich gelassen.
Feder & Schwert und DnD-Gate ging ja lange Zeit auch ganz gut. Aber ich konnte dort nicht hinter die Kulissen schauen.
PS.: „Ich habe fertig.“ – Wieso DSA wie Flasche leer? ;)
Ich war ja damals von den Änderungen bei DSA4 begeistert. Die niedrigere LE und die bessere Charakter(aus)wahl und das Magiesystem waren echte Pfunde und haben mich begeistert. Leider stellte man mit der Zeit fest, dass die Charaktere teilweise zu sehr zerfasern und man schon sehr viel Mühe haben _kann_ eine gute Gruppe an Helden zusammenzubauen. Damals fand ich das Komplexe richtig cool!
Tja und so ändert sich alles… in den letzten 10+ Jahren ging mir dann das System immer mehr auf die Nerven. Mit sinkender Spieldichte verliert man dann irgendwie auch den Überblick und die Kämpfe wurden dann doch gefühlt wieder so lang wie zu DSA3-klopp-die-LE-runter-Zeiten. Das man dann auch den Kontinent nach 20+ Jahren irgendwie auswendig kennt, ist dann aber nicht dem System geschuldet ;) DSA kostet von der Regelseite momentan zu viel zeit bzw. es fressen Dinge Zeit, die mir heute keinen Spaß mehr machen – früher aber schon.
Wenn man sich was wünschen hätte können, dann wäre das für mich schon sowas wie die HA gewesen. Nur nicht so krass in die Vergangenheit sondern in die Zukunft. Ein Sprung um ca. 50 Jahre oder eine Generation in die Zukunft. Dann eben die Vergangenheit aufarbeitend und Neues für die Zukunft, damit man auch mal wieder eine Spielhilfe kaufen kann und nicht die DSA4 Version der DSA3 Box des DSA2 Heftes… Aber das ist alles nicht DSA. Denn bedenke immer DSA ist Deutschlands größtes Rollenspiel weil es gerade die Mentalität der Deutschen in einem großen Querschnitt abbildet. DSA ist also nichts anderes als das Rollenspiel was wir verdienen und lieben ;)