Mythos Expeditions
Auf Cthulhus Fährten um die Welt
Mythos Expeditions ist der neueste Abenteuersammelband für Trail of Cthulhu. Wie der Titel unmissverständlich erwarten lässt, versammelt der Band Expeditionsabenteuer mit cthulhoidem Hintergrund. Das Thema ist oft bearbeitet und passt außerordentlich gut zum Mythos, behandelt doch eine Großzahl an Lovecraftgeschichten Expeditionen. Angefangen von „Dagon“ – der ersten Mythosgeschichte Lovecrafts – über die „namenlose Stadt“ bis hin zu den berüchtigten „Bergen des Wahnsinns“ führt Lovecraft die Leser immer wieder an ferne exotische Orte die sich allzu häufig als Hüter vorgeschichtlicher Geheimnisse entpuppen. Die Exotik solcher Schauplätze bietet eine abwechslungsreiche Folie für Horrorerlebnisse und die verdrängten Erzählungen abgeschiedener Bevölkerungsgruppen bieten sich perfekt an um hier ein tieferes verlorenes Wissen zu verorten. Zusätzlich zu diesen dramaturgischen Gründen kann man in den 20er- bis 40er Jahren auf zahlreiche reale Expeditionen zurückgreifen. Eine gute Wahl also für einen cthuloiden Abenteuersammelband…
Umfang und Aufbau
Der Band lässt sich vom Umfang her nicht lumpen. Ganze zehn extra für den Band verfasste Abenteuer von namenhaften ToCAutoren (z.B. Kenneth Hite und Robin D. Laws) versammeln sich auf über 240 Textseiten. Damit nicht genug ist das Buch mit einer kleinen Einführung versehen die den Band zusammenhält und eine kurze Übersicht über alle Abenteuer gibt. Zusätzlich gibt es ein ausführliches Regelkapitel für „GUMSHOE Expeditions“, die in den Abenteuern auch durchgehend Anwendung finden. Damit wird das Buch zu mehr als einer losen Abenteuersammlung wie noch „Out of Time“ sondern bietet hilfreiche Tipps um das Thema Expeditionen umzusetzen und eigene Expeditionsabenteuer zu gestalten.
Neben einem solchen Regelteil wurde außerdem ein eigenes Kapitel über die Armitage Inquiry beigesteuert. Hier wird das Institut der Miskatonic University vorgestellt das zahlreiche Expeditionen durchführt (inklusive Übersichtstabelle über vergangene Unternehmungen) und zahlreiche Spieler- und Nichtspielercharakterideen versammelt und als Grundlage für eine reine Expeditionskampagne dienen kann.
Etwas überraschend findet sich hier sogar ein ausführlicher Regel- und Hintergrundsteil zur Umsetzung akademischer Charaktere, der auch außerhalb einer Expeditionskampagne nützlich sein kann. Mit vielen Beispielen wird erläutert wie akademische Reputation dargestellt werden kann und was bestimmte Werte über Stil und Inhalt von Forschung und Lehre aussagen können.
Auch die Artdirektion hat ganze Arbeit geleistet. Zwar ist der Stil leicht Comichaft und vermag nicht ganz den Ernst der Illustrationen des Hauptbuchs vermitteln, der Stil wird aber in allen Abenteuern konsequent umgesetzt und schafft doch die ein oder andere spannende Szenerie. Ein weiteres liebevolles Detail sind die in jedem Abenteuer gleich gestalteten Übersichtspläne über den Expeditionsverlauf und insbesondere die stimmungsvollen Fußzeilenillustrationen die je Abenteuer neu gestaltet sind und den jeweiligen Abenteuerstil sowie die Architektur oder Landschaft der Expeditionsorte einfangen. Auch die in fast jedem Abenteuer ausführlich vorgestellten NPCs die die Unternehmungen begleiten sind – ebenso wie einzelne wichtige NPCS – in einheitlichem Zeichenstil präsentiert und können eine Wunderbare (N)PC-Bildersammlung ergeben. Auch außerhalb des Artworks hat man immer das Gefühl ein als Gesamtwerk konzipiertes Buch vor Augen zu haben. So folgen alle Abenteuer einem vergleichbaren Aufbau indem Sie Hook, Spine und die Horrible Truth voranstellen, also den Aufhänger, einen ganz groben Abenteuerhergang und schließlich den (Mythos) Hintergrund des Abenteuers. Das hilft Abenteuer schnell einzuschätzen und den Abenteuerverlauf im Blick zu halten.
Expeditionsregeln
Wie bereits erwähnt enthält der Band einen kleinen Regelteil zur Abwicklung von Expeditionen. Wie üblich für GUMSHOE Produkte sind die Regeln dabei mit wenig Aufwand auch für andere Reihen nutzbar und können ebenso in die fernen Universen von Ashen Stars teleportiert werden, wie mit Fear Itself für ein Gegenwartshorror im Blair-Witch-Stil Anwendung finden. Dies gelingt durch einen gewohnt abstrakten Ansatz.
Grundsätzlich werden Expeditionen in bestimmte Inkremente eingeteilte die zeitlich sehr dehnbar sind. Statt in Tagen und Monaten zu rechnen werden dramaturgisch passende Segmente bestimmt die jeweils mehrere Szenen umfassen können. Diese Inkremente helfen nicht nur den Abenteuerverlauf zu strukturieren, sondern sind wichtig um den Verbrauch von Ressourcen darzustellen. In Expeditionsabenteuern wird der Gruppe dazu ein höchst abstrakter Survivalpool zugewiesen der in unterschiedlichem Umfang je Inkrement verbraucht wird. Dieser Pool umfasst alles von Benzingallonen, Fahrzeugen, Nahrung und Kletterwerkzeug bis hin zu Begleitern. Der Verbrauch des Pools bleibt also enorm abstrakt, verschiedene Tabellen über mögliche Gefahren und jeweils passende Fertigkeiten um Verbrauche zu vermeiden oder den Pool aufzufrischen helfen aber dabei den Wert zu konkretisieren. Dies beherzigen auch die Abenteuer die die vorgestellten Regeln allesamt anwenden. Hier finden sich nicht nur in einigen Abenteuern Überblicke über einen möglichen (oder historischen) Umfang solcher Ausrüstung, sondern jeweils angepasste und auf die einzelnen Szenen bezogenen Gefahren. Dies mag wiederum etwas Skeletthaft wirken, da so manche Szenen auf wenige Probenanweisungen reduziert werden können, die Idee ist aber dadurch möglichst viel Freiheit für die Ausgestaltung der Szenen zu lassen, die auch immer wieder mit zahlreichen konkreten Ideen angereichert werden. Der Ansatz ermöglicht eine sehr flexible Spielzeit und eine hohe Anpassungsfähigkeit für die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen, setzt aber geübte Spielleiter voraus. Dies wird nicht nur dadurch nötig, dass immer wieder Entscheidungen über den gewünschten Spielstil getroffen werden müssen, sondern meist auch relativ viele NPCs mitbedacht werden müssen. Auch die Regeln sollten gut eingeübt werden. Die Mechaniken sind zwar jeweils recht simpel und einheitlich gehalten, haben dafür aber viel Gewicht, gerade wenn es um den Verschleiß von Tonnage und Begleitern geht.
Die Abenteuer
Die zehn Abenteuer führen die Investigatoren an die unterschiedlichsten Orte. Besucht werden beispielsweise Indien, das subsaharische Afrika, Süd- und Mesoamerika, die Antarktis und in einem Fall sogar das nicht ganz so exotische Irland. Die Abenteuer haben alle relativ starken Mythosbezug und zeichnen sich insbesondere durch eine sehr gelungene Struktur aus. Wie bereits erwähnt wird zuerst ein einheitlicher Überblick über das Abenteuer gegeben, der auch eine kleine Karte und eine Tabelle der Gefahren enthält. Danach folgt meist das begleitende Expeditionsteam und eine kleine Box die über den historischen Gehalt aufklärt. Die Abenteuer sind dabei plausibel in die reale Geschichte integrierbar, historische Genauigkeit ist aber weitaus weniger von Bedeutung als es beispielsweise vom deutschen Call of Cthulhu bekannt ist.
Die eigentlichen Szenen sind relativ knapp gehalten und bedürfen sicher einige Ausgestaltungs- oder Improvisationsarbeit. Dafür sind die wichtigen Hinweise und Wege sie zu erlangen gut vermerkt und sind die Szenen deutlich und klar verknüpft. Jede Szene nennt so beispielsweise potentielle In- und Outszenen die verschiedene Wege des Abenteuers beschreiben und auf die anderen Szenen verweisen. Dem Expeditionshintergrund ist aber leider auch eine Tendenz zum Railroading zu verdanken, was etwas durch die Beschreibungsfreiheit der Szenen abgemildert werden kann.
Das der recht knappe Stil, der es ermöglicht die Abenteuer auf je 15-20 Seiten unterzubringen, nicht heißt, dass es den Spielleitern schwer gemacht werden soll, zeigt sich an der Spieltischnähe der Abenteuer. Die Beschreibungen orientieren sich eng an den Bedürfnissen der Spielleitung und verzichtet dafür auf ausschweifende historische Beschreibungen. Auch die Nichtspielercharaktere kommen meist mit sehr kurzen Beschreibungen aus, enthalten aber dafür plausible und individuelle Wege wie sie von den Charakteren um Gefälligkeiten gebeten werden können. Während ein oft vernachlässigter Student begeistert auf Interesse an seinem Studium reagiert, möchte der rustikale Mechaniker auch einfach mal über simple Dinge reden und kann selbst einer kleinen Rauferei etwas freundschaftliches abgewinnen. Mit etwas Phantasie ergeben sich so problemlos spannende Szenen und lebhafte Charaktere. Wenn diese Beschreibungen nicht reichen um die Charaktere einzubinden kann außerdem ganz direkt auf eine kleinere neue Regel zur „Anwendung“ von NPC-Skills zurückgegriffen werden, die aber deutlich mehr Phantasie bedarf.
Viele der NPCs kommen darüber hinaus mit einer Porträtzeichnung daher, was auch am Spieltisch nutzbar ist. Was Handouts angeht ist der Band aber ansonsten etwas zwiespältig. Zwar sind die Handouts sinnvollerweise noch einmal am Ende des Buches als Kopiervorlage angefügt, wer aber Cthulhu mit umfangreichen Handouts wie Buchausschnitte, Fotos, Notizen, Speisekarten oder persönlichen Einladungen verbindet wird enttäuscht. Einige der Abenteuer warten neben der Expeditionsetappenübersicht nur mit einer oder zwei kleineren – dafür gut gemachten – Karten auf. Immersive Handouts die direkt an die Spieler gehen sind die Ausnahme, ToC ist in dieser Hinsicht also ganz anders angelegt als der deutsche Widerpart. Gliechzeitig kann und soll dies aber auch dafür sorgen das sich die Spieler wirklich mit leeren Händen auf Expedition fühlen und nicht in Ruhe auf Briefe, Folianten oder andere gewohnte Recherchehilfsmittel zurückgreifen können.
Fazit
Wer Cthulhu mag und darüber hinaus an Expeditionen interessiert ist sollte dem Buch dringend einen Blick gönnen – egal ob für eine CoC oder ToC Runde. Zwar sind die GUMSHOE-Regeln präsent, aber selbst der einführende Regelblock ist auch außerhalb von ToC nützlich, da er helfen kann eine Expedition gut zu strukturieren.
Das Buch kann ansonsten durch sein schönes Layout, das klare Design und den großen Umfang überzeugen. Im Gegensatz zu manchen anderen Abenteuersammelbänden hat man hier ein in sich abgeschlossenes, rundes Produkt in den Händen (oder auf dem Tablet) das sehr durchdacht und liebevoll gestaltet ist. Durch die Einleitung geht der Band etwas weiter als eine bloße Abenteuersammlung, statt eines umfangreichen Quellenteils über Expeditionen in den 20er-40ern erhält man aber eher kompakte Tipps um Expeditionen narrativ umzusetzen. Daher sollte man den Band nicht mit einem der bibliophilen und sorgsam recherchierten Quellenbüchern der deutschen CoC Konkurrenz verwechseln. Wer mehr nach historischen Hintergrundinformationen und Stoff zum Schmökern als nach Abenteuern sucht ist hier eindeutig falsch. Wer hingegen relativ schnell umsetzbare klar strukturierte Abenteuer sucht ist genau richtig – gerade natürlich wenn er oder sie mit GUMSHOE spielen möchte.
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