Königreich des Schreckens
Einsamer Wolf 6
Viele Rollenspieler und Fantasyleser werden sich an die Bücher der Einsamer Wolf Reihe erinnern, die Mitte der 80er das Licht der Welt erblickt haben. Seitdem hat die wohl längste Abenteuerspielbuchkampagne zahllose Rollenspieler gewonnen und begleitet.
Seit 2009 widmet sich der Mantikore-Verlag Nicolai Boncyk einer Neuauflage der Bücher von Joe Dever. Dabei ist von dem etwas angestaubten Flair der Goldmannauflage nicht mehr viel übrig geblieben. Allein der Ersteindruck zeigt, dass man die 80er weit hinter sich gelassen hat. Schöne, sich über den Buchrücken ziehende Coverarts haben den Comicstil der alten Cover ersetzt und das beißende schwarz-gelbe Logo deutlich modernisiert. Auch wenn sich im Inneren simplere schwarz-weiß Zeichnungen finden, die man so schon aus der Erstauflage kennen dürfte, zieht sich der gute Eindruck weiter. Das etwas großformatige Taschenbuchformat wurde mit einem losen und angenehm lesbaren Schriftsatz gefüllt. Eine gut gemachte und downloadbare Vollfarbkarte rundet das Bild positiv ab. Kurzum: Die dafür nicht gerade günstigen Bände in der Hand zu halten macht bereits Spaß und führt in die phantastische Welt der Kailords ein.
Wichtiger ist aber zweifelsohne der Inhalt. Locker und direkt anredend geschrieben wird der Spieler ab Seite 1 in die Welt eingeführt. Die kurzen, wenn auch teilweise etwas überflüssigen Regelerläuterungen (interessiert mich wirklich über anderthalb Seiten welchen Gegenstand mein Charakter potentiell wo trägt?) sind trotz mancher Redundanz angenehm geschrieben und lassen wenig Fragen offen. Auch im Spielverlauf erläutern kurze Einschübe die Interpretation gegebenenfalls unklarer Regeln. Diese sind davon abgesehen schnell erklärt. Ein W10 – ersetzt durch eine Zufallszahlen-Tabelle, auf die man im Sessel oder der Bahn blind tippen kann um eine Zahl zu ermitteln – wird ab und an für Proben zu rate gezogen, auf die es bei wenigen, dafür distinkten Fertigkeiten (Disziplinen) einen starken Bonus gibt. Erfolg und Misserfolg ergeben sich dann durch die jeweils zu lesenden Abschnitte von selbst. Als Spielressourcen gibt es im wesentlichen Kampfstärke, Ausdauerpunkte und Gold, wobei die Zufallszahlen die Startwerte festlegen. Nach ein paar Zufallszahlen und der Auswahl der Disziplinen ist die Charaktererschaffung also schnell abgeschlossen.
Die wichtigen Kämpfe sind ähnlich simpel gehalten. Im wesentlichen wird ein Kampfquotient bestimmt, der sich aus der Differenz der eigenen und feindlichen Kampfstärke ergibt. Mittels Zufallszahlen wird dann bestimmt, wie günstig eine Kampfrunde für den Kai Lord ausfällt und wie viele Ausdauerpunkte er und sein Kontrahent verlieren. Dies beschleunigt die Kämpfe und geht in sofern gut von der Hand, als dass man das Blättern eh gewöhnt ist. Einziges Manko ist hierbei, dass die Verlagswerbung an das Ende des Buches gesetzt wurde und der Zugriff auf Zufallszahlen- und Kampfresultattabelle so etwas schwieriger ist, da sie nicht einfach auf die letzten 3 Seiten gesetzt wurden. Auch hier kann ein Download jedoch Abhilfe schaffen.
Das Regelgerüst ist davon abgesehen bei Abenteuerspielbüchern selten das Problem, kommt es doch darauf an sie auch wirklich in die rudimentäre Programmiersprache der Bücher zu integrieren. Dies gelingt dem Einsamen Wolf erstaunlich gut. Dadurch dass es nur wenige und dafür sehr merkbare Disziplinen gibt, kommen diese deutlich zum tragen und konnten passend integriert werden. Ausrüstung und Disziplinen werden dabei entweder als Boni für ‚Proben‘ verwendet oder eröffnen Bonusabschnitte die Zusatzinformationen oder erleichternde Wege anbieten. So eröffnet der Besitz eines Bogens die Möglichkeit einen Kampf aus der Ferne zu lösen oder die Disziplin ‚Pfadmeisterschaft‘ das man nicht blind zwischen zwei Wegen wählen muss sondern die Information bekommt, was sich wohl etwa hinter den Wegen finden lässt. Dies ergibt tatsächlich, dass die Fertigkeiten des Spielers Einfluss auf das Spielgefühl haben und der Spieler immer wieder für seine passende Wahl belohnt wird.
Damit stellt sich jedoch die übliche Frage nach der Spielfreiheit. Selbstverständlich ist Joe Devers epische Kampagne alles andere als die freie D&D Kampagne die er mit seinen Freunden gespielt hat, um den Hintergrund zu erarbeiten. Wirkliche Spielfreiheit oder ernsthafte Alternativen die die Handlung verändern würden, finden sich nicht. Da wo sie sich finden, führen sie leider häufig in ein individuelles, aber totes Ende. Dennoch handelt es sich nicht um einen Roman der durch gelegentliche Pseudogabelungen unleserlich gemacht wurde. Vielmehr spielt sich das eigentliche Spiel durch die Ressourcen ab. Der Spieler kann durch gute Proben, „richtige“ Fertigkeitenwahl und kluge Entscheidungen Ressourcen schonen. Die Höhe der Kampfkunst, das Geld im Geldbeutel und natürlich die Höhe der Ausdauerpunkte sind die wesentlichen Konsequenzen der Spielentscheidungen. Dies führt dazu dass die Tunnelfahrt mit ein paar Bonusinformationen, kleinen Abzweigungen und mehr oder weniger Erfolg absolviert werden kann. Hinzu treten gelegentliche Erinnerungen an frühere Entscheidungen, wenn der passende Gegenstand einen Vorteil bringt, eine Information für einen schnelleren Durchgang fehlt oder die Beschreibungen der NPCs abgewandelt werden, je nachdem wie sich der Charakter vorher ihnen gegenüber verhalten hat.
Alles in allem ist der Aufbau der Abschnitte und die Integration von Gegenständen und Fertigkeiten erstaunlich gut gelungen, kennt aber nur da etwas wie Freiheit, wo kleine Interaktionen Goldgewinn, Gegenstände oder ähnliches bringen. Stellenweise sind die Fäden etwas künstlich aber geschickt zusammengestrickt um mehr Spielfreiheit zu suggerieren.
Schade ist dabei, dass gleich mehrere Stellen den Spieler mit Alternativentscheidungen konfrontieren, die er nur zufällig bzw. unqualifiziert beantworten kann. Resultieren daraus kleine Vor- und Nachteile ist das gut zu verschmerzen und erhöht den Wiederspielwert. Manchmal ist die Entscheidung nach links statt nach rechts zu gehen jedoch unwiderruflich tödlich, was mehr als frustrierend ist. Solche toten Enden halten sich zwar in Grenzen, schmälern den Gesamteindruck jedoch deutlich.
Die Handlung der Bücher ist im wesentlichen mit der alten Ausgabe identisch. Einige Zusatzabschnitte sollen aber für mehr Spielraum und bessere Integration der Regeln gesorgt haben. Diese zusätzlichen Abschnitte erklären die zusätzlichen 150 Textseiten jedoch nicht alleine. Vielmehr ist dem Band, wie jedem der neuen Bände, ein zweites Abenteuer beigefügt in dem ein Teil der Handlung aus einer anderen Perspektive beschrieben wird. Hier schlüpft der Spieler in die Rolle eines anderen Charakters. Die Charaktererstellung ist wie der Charakterbogen reduzierter und geht noch schneller von der Hand, als die des Hauptcharakters. Dieses kleinere Nebenabenteuer kann den Kauf auch für Kenner der alten Wolfbände lohnenswert machen, wobei das Layout und das angenehme Lesegefühl auch so schon für die Neuauflage sprechen.
Was allgemein für die Buchreihe gilt, gilt natürlich auch für den sechsten Band. Der Magnakai hat im Optimalfall bereits die ersten 5 Bände absolviert, oder darf einen etwa gleichwertigen Charakter erstellen. Eine kleine Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse macht so ein Spiel ab Band 6 möglich, ist aber nur bedingt befriedigend. Zwar beziehen sich nur wenige Stellen auf frühere Bände und sind dann auch nur nette Details, die Tiefe der Story – die Suche nach dem Weisheitsstein von Varetta – verliert dennoch viel an Bedeutung für den Spieler. Dies wird in sofern zusätzlich erschwert, als der Spieler sich in die bewusst fremd klingenden Namen eindenken muss und manche politischen und regionalen Beschreibungen nur schwer verständlich sind wenn der Spieler die Hintergründe nicht kennt. Insofern ist der Band zweifelsohne alleine spielbar, ein Start mit Band 6 empfehlt sich aber nur bedingt, zumal jüngst eine fehlerbereinigte Neuauflage des ersten Bandes erschienen ist.
Solche Vorkenntnis schadet auch nicht bei dem Zusatzabenteuer, das mit knappen 200 Abschnitten (das hauptabenteuer hat 350) einen guten Teil des Buches ausmacht. Es lässt den Spieler in die Rolle des Weisen Gwynian schlüpfen, der dem einsamen Wolf bei seinem Abenteuer helfen muss. Dadurch gibt es einige nette Überschneidungen mit der Handlung des ersten Abenteuers. Schön ist auch, dass mit Weisheitsfähigkeiten operiert wird und vieles in der akademischen Schicht spielt, was ein anderes Spielgefühl ergibt. Leider sind die Abzweigungen etwas spärlicher und die Abschnitte länger.
Alles in allem ist der Band also ein nicht nur optisch überdurchschnittlich gutes Spielbuch das zu entdecken Spaß macht und zum Wiederspielen einlädt, seinen vollen – und von ein paar Macken getrübten – Glanz erlangt es nur als Teil der epischen Kampagne. Dann führt für Freunde von Abenteuerspielbüchern kaum ein Weg um den Einsamen Wolf. Ein epischeres und besser umgesetztes Spielbuch lässt sich schwerlich finden.
Schlussendlich bleibt die Frage ob sich die knapp 15 Euro für ein doch kurzweiligeres Lesevergnügen wirklich lohnen. Allein von der Präsentation und der Umsetzung her ist es sicherlich ein angemessener Preis der sich für jeden lohnt, der Genuss an Spielbüchern hat.
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