Das Reich Goldes
Die Legenden von Harkuna Band 2
Das Reich des Goldes ist der zweite Band der epischen Spielbuchreihe die in Harkuna angesiedelt ist. Wie die Reihe verspricht, knüpft der zweite Band nahtlos an den Ersten an, ist aber auch für sich alleine spielbar. Wer das Reich des Krieges gespielt hat, kann direkt aus Sokara ins Goldreich wechseln. Per Teleport, oder den Weg an die “Grenzen” des vorigen Buches wird der Charakter direkt Mitten in das Herz von Band II geschickt. Das ganze läuft sehr nahtlos ab, da der Charakter von verschiedenen Stellen auch an verschiedene Orte geleitet wird und die Autoren die Bände aufeinander abgestimmt haben. So nimmt man nicht nur Ausrüstung, Geld und Erfahrung mit, sondern manche Aufgaben sind so angelegt, dass sie beide Bände verbinden. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist eine Karte die man in Band 1 finden kann und auf die man in Band 2 zurückgreifen soll, wo man sie mit einer abweichenden Karte vergleichen soll. Beide Bände harmonieren also wie versprochen exzellent und machen das gigantische Erlebnis des ersten Bandes noch einmal größer.
Dabei reicht der Umfang eines Bandes schon für viele, viele Stunden Spielspaß alleine aus. So ist es nur folgerichtig das man auch direkt in Band 2 starten kann, was bedeutet, das man wie schon im Band zuvor an Land gespült wird. Für den Quereinsteiger hat der Band damit aber leider eine seiner schlechtesten Partien als Willkommensgeschenk parat. So führt der Weg über 3 kurze Einbahnstraßenabschnitte direkt in eine Tür a, b oder c Situation die ohne jegliche Ahnung entschieden werden soll. Damit nicht genug – so viel Spoiler darf sein – lauern gleich noch dauerhafte(!) Attributsverluste. So will man nicht begrüßt werden und wäre ich fast geneigt gewesen das Buch trotz aller Vorfreude wieder beiseite zu legen. Dadurch kommen die Schwächen der Reihe gleich am Anfang deutlich zu Tage. Das Konzept einer offenen Welt auf das ich in meiner ersten Rezi bereits näher eingegangen bin, wird leider über eine (oft notwendig) umständliche Wegführung erkauft. So passiert man Abschnitte mehrmals, müssen Wiederholungen über Ankreuzkästchen und ‘wenn-dann’ Angaben gelöst werden, die natürlich wiederum zu zusätzlichem Blättern führen.
Überhaupt hat das offene Spielkonzept seine zwei Seiten. Auf der negativen Seite liegt die Wegführung und häufige Orientierungslosigkeit. Teilweise ist es garnicht so einfach – und so oder so blätteraufwändig – bestimmte Reiseziele zu erreichen. Auch bestehen viele Aufgaben eben in gerade dieser Laufarbeit, wobei interessantes am Wegesrand liegen gelassen werden muss oder ablenkt. Was etwas mehr Arbeit ist führt jedoch gleichzeitig zu einer wirklich langen Spielzeit und dem Auslösen des Entdeckerinstinkts. Es gibt sprichwörtlich überall etwas zu entdecken. Fast alle Städte sind wirklich betretbar und durch Zufallsbegegnungen und viele kleine Nebenplots hat man immer was zu tun. Aber auch das wird durch viel Modularität erkauft. So haben die Städte primär Werteökonomischen Charakter. Sie bestehen zum Großteil aus einem Markt, ggf. einer Bank (mit Geldinvestitionsmöglichkeit!), 1-2 Regenerationsmöglichkeiten und Tempeln verschiedener Götter die wiederum eine handvoll Standardoptionen geben (Segnungen die Fertigkeiten verbessern, Wiederbelebungsverträge und Religions zu- bzw. austritt). Auch wenn Märkte individuelle Angebote haben und sich immer nur ein paar der verschiedenen Tempel finden, spielt sich die Tiefe hier nicht auf einer Handlunngsebene, sondern eben auf reiner Werteebene ab. Dennoch ist die Tiefe nicht nur eine Farce. Entscheidungen führen über Codewörter zu neuen Orten, Ereignissen etc. und es gibt fast in jeder Stadt doch etwas mehr als bloße Wertveränderungen. Was dennoch fehlt ist das Gefühl die Welt geplant zu bereisen. Die Ereignisse stürzen auf den Charakter zu und es gibt wenige Quests die den Charakter wirklich lange beschäftigen. Auch wenn es in beiden Bänden mindestens einen großen Plot gibt, der auch zu einer klaren Entscheidung führt, dient dieser nicht als leitender ‘Schlauch’ wie man es vom einsamen Wolf her kennt. Das ganze führt dazu, dass die Welt fast zu ‘voll’ und eben auch etwas zusammenhangslos wirkt. Letzteres wird zusätzlich durch den sehr klassischen Fantasyhintergrund begünstigt. Auch wenn man selber nur (magiebegabte) Menschen spielt, lauern Monster, Magie, Weltentore, Flüche etc. an allen Ecken und Enden, und hängen inhaltlich kaum zusammen. Es ist nicht ein Mythos oder Twist der das Setting bestimmt, sondern ein Sammelsurium an Fantasyelementen die einer sonst durchaus gut zusammenhängenden Menschenwelt hinzugefügt wurden.
Das Ganze ist aber auch psoitiv zu formulieren. In Harkuna gibt es wirklich was zu Entdecken und zu verändern und fixen einen die vielen Möglichkeiten, Entscheidungen aber auch Illustrationen an, die Welt auf verschiedenen Wegen zu begehen. Eine Tiefe, Vielfalt und einfach Menge an Möglichkeiten wie in Harkuna leistet keine andere Spielbuchreihe. Dass die Bewegungsfreiheit auf Kosten des Services (viel umblättern) und die Menge der Quests auf Kosten der gradlinigen Handlung geht ist unvermeidbar. Auch das der Fokus auf Veränderbarkeit der Welt und ‘Minispiele’ (Schiffhandel, Geldinvestition, kaufbare Stadthäuser etc.) nicht gerade sein zeitgemäßes Medium im Spielbuch hat ist allzu offensichtlich. Man muss also durchaus etwas nostalgisch sein um sich durch das Buch zu spielen und die etwas trockene Fantasy zu genießen, kriegt dann aber ein Werk das in seinem Umfang erschlagend ist und eine Seite von Abenteuerspielen: Die Entdeckerlust und Wertemanagement in seiner Perfektion verkörpert. Neben dem Einsamen Wolf ist Harkuna DIE Spielbuchreihe schlechthin, die jeder der an Spielbüchern interessiert ist zur Kenntnis nehmen sollte. Gerade das sehr gute Preis/Leistungsverhältnis spricht dabei für Harkuna. Der Umfang jedes einzelnen Bandes ist enorm hoch (allein 786 Abschnitte im vorliegenden Band) und die Charakterfreiheit sowie die Minispiele erhöhen den Wiederspielwert ungemein. Während man die Einsame Wolf Bände wirklich durchspielt bleibt in Harkuna immer etwas offen und kann man – aber muss man sich eben auch – die Spielweise selber aussuchen. Auch wenn man die Handlungstiefe vom Einsamen Wolf in Harkuna vergeblich sucht, bietet es in anderer Hinsicht ungleich mehr. Hinzu kommt, dass die Harkunaübersetzung eine junge Reihe ist in die man verhältnismäßig günstig einsteigen kann und die zwar über die Jahre wahrhaft epischen Umfang erreichen soll, aber nicht nur jederzeit problemlso abbrechbar ist, sondern auch tröpfchenweise erscheint. Wer Spielbücher und Entdeckungen am Wegesrand mag und dafür auf ein festes Ziel und dichten Hintergrund verzichten kann, sollte sich Harkuna dringend zulegen.
PS. Das wunderbare Cover, das angenehm zu blätternde Papier, die zahlreichen (manchmal wiederholenden) retro-Illustrationen und überhaupt die gute Buchqualität machen das 370-Seiten Buch seine knappen 15€ wirklich wert…
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