Reiter der Schwarzen Sonne

Ein Spielbuch von Swen Harder

Reiter der Schwarzen Sonne (2. Auflage)

Der Mantikore-Verlag hat sich neben klassischer Fantasy- und Science Fiction Literatur vor allen Dingen auf außerordentlich gut aufgemachte Spielbücher spezialisiert. Mit der Einsame Wolf– Reihe und den Legenden von Harkuna verlegt er erfolgreich zwei der umfangreichsten und bekanntesten Spielbuchreihen. Neben diesem Klassiker sorgt aber auch Reiter der Schwarzen Sonne von Swen Harder für aufsehen aufsehen – jüngst indem das Buch fast 2 Jahre nach Ersterscheinen den Deutschen Rollenspielpreis erhalten hat.

Die eigene Verlagsproduktion ist im Gegensatz zu den Klassikerreihen recht jung und hat es auf Grund der hohen Nachfrage trotzdem zu zwei ansehnlichen Deluxeversionen und drei Auflagen geschafft. All dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Reiter der Schwarzen Sonne ein mehr als ambitioniertes Projekt ist. Dies zeigt sich nicht nur an einer gut gemachten Produktwebseite mit allerlei nützlichen Materialien sondern bereits am schieren Umfang. Mit über 1350 Sektionen auf mehr als 750 Seiten wird es zurecht als umfangreichstes Spielbuch aller Zeiten beworben. Das stimmt zwar nur dann wenn man die großen Reihen nicht zusammenrechnet, aber die Stärken des Buches gehen eh weit über den Umfang hinaus…

Handlung

Die Handlung des Bandes kann nur schwer vorweggenommen werden. Der erste große Kniff besteht nämlich darin das wir – beziehungsweise unser Charakter – unter Gedächtnisverlust leiden und daher als Spieler ähnlich wenig wie unser Charakter über die Spielwelt wissen. In der ersten Edition wurde dies so streng umgesetzt, dass wir die Karte der Lande unpraktischerweise erst im ersten Drittel des Buches gefunden haben, aber auch wenn wir jetzt etwas klassischer von der Karte auf der ersten Seite begrüßt werden, setzt das Buch diesen Ansatz weiterhin konsequent um. Auch wenn Amnesien als Storyaufhänger nicht gerade selten sind ist eine so gelungene Umsetzung ungewöhnlich. Der Erinnerungsverlust hilft uns nämlich konsequent dabei die Welt genau so schnell zu entdecken wie unser Charakter und so immer wieder neue überraschende Wendungen zu erleben ohne das Gefühl zu haben das uns etwas vorenthalten wurde. Unser Charakter wird nämlich ebenso wie wir in ein filigranes Geflecht aus Politik und Mythen geworfen das wir erst stückweise entziffern können.

Natürlich sind wir nicht einfach irgendein dahergelaufener Abenteurer, sondern haben eine größere Aufgabe oder zumindest Befähigung die wir erst im Verlauf erfahren. Und als ob es damit nicht genug wäre sind wir auch noch zwischen die beiden Fronten eines gigantischen Krieges gestoßen und so entpuppt sich so mancher Freund als unerwarteter Feind.

Ohne viel vorwegzunehmen spielt das Abenteuer in der Fantasywelt Pakonia auf der das Empire in Konflikt mit den Ländern der Allianz steht. Die Fantasywelt Pakonia ist interessant gehalten und bedient genug Klischees um bekannt zu wirken und genug Überraschungen um entdeckt werden zu wollen. Statt mit Elfen, Zwergen und Orks haben wir es hauptsächlich mit Menschen, den fiesen, etwas Orkähnlichen Gartak und verschiedenen einzigartigen Monstren oder Phantasiegeschöpfen zu tun. Der Stil verbindet Mystik (Mondzeiten spielen eine Rolle), Epik (wir werden den Drachen Kyra reiten dürfen) und bodenständigere Alltagserlebnisse dank derer wir in die Welt eintauchen können. Kurz gesagt: Für fast jeden Geschmack ist etwas dabei und die Fantasywelt ist originell ohne zu überfordern.

Spielablauf

Dem Buch merkt man an jeder Stelle an, dass es von einem Spielbuchfan geschrieben wurde und zwar von einem der das Spielerlebnis klar im Blick hatte. Zu aller erst wäre da die sehr kluge Aufteilung des Buches in 11 per Seitenregister leicht auffindbare Kapitel. So müssen wir nur innerhalb der Kapitel und somit zwischen höchstens 300 Abschnitten manöverieren, was das Spielerlebnis deutlich komfortabler gestaltet. Da die Abschnitte allesamt angenehm kurz gehalten wurden fällt das Blättern leicht und ermöglicht einen schnellen Spielfluss – was man nicht unterschätzen sollte. Diese Aufteilung hat außerdem den vorgesehenen Nebeneffekt, dass wir bei einem Tod am Kapitelanfang neu beginnen dürfen. Das entspricht der Spielrealität deutlich eher als die Idee das man bei einem plötzlichen Tod nach mehreren durchgespielten Bänden Einsamer Wolf wirklich neu mit Band 1 beginnen würde…

Harders Buch empfiehlt uns aber nicht nur die Kapitel neu anzufangen sondern gibt auf dem Charakterbogen gleich noch Speicherpunkte an um Ausrüstungsveränderung festzuhalten und ermutigt uns mit einem Scoringsystem die Unterkapitel neu zu durchsuchen. Auch sonst haben wir es mit einem Spielbuch auf modernstem Niveau zu tun. Selbstverständlich finden kluge Zahlenrätsel und Abfragen statt. Bestimmte mitgeführte Gegenstände können belohnende neue Kapitel freischalten, kleine Rechenspiele hindern manchmal am Schummeln und Fertigkeitsabfragen geben Extrainformationen. Hinzu treten Zustzabschnitte die sich in den hinteren Bonus- und Kampfkapiteln verstecken und als kleine Achievements dienen. Außerdem vermeidet die Abschnittführung widersinnige Schleifen und unnötige Zwischenabschnitte. Stattdessen bringt fast jeder Abschnitt eine Vergabelung mit sich, die entweder eine Entscheidung, eine Probe oder Erinnerungsabfrage (wenn du Fertigkeit, Gegenstand, Hinweis xyz besitzt dann lies wieter bei…) mit sich bringt.

Regeln

Auch die Regeln sind durchdacht und modern. Ähnlich wie bei der Fighting-Fantasy Reihe enthält jede Seite in der Fußzeile ein Würfelergebnis, so dass man statt zu würfeln einfach eine Seite aufschlagen kann. Aber natürlich bleibt es nicht bei zwei einfachen gedruckten W6, sondern wir finden neben einem neutralen Probenwürfel, einen Stärke- und einen Geschickwürfel vor. Das mag überflüssig wirken, die Zuordnung wird aber auch für Kämpfe relevant die auf diese Weise mit einem “Wurf” pro Seite abgehandelt werden können.

Zusätzlich enthält jede Seite noch eine Mondphase, die entweder für atmosphärische Zufallsentscheidungen genutzt wird oder Sonderfertigkeiten abdeckt (z.B. ein automatischer Probenerfolg/Treffer bei jedem Vollmond) und nebenbei ein ansehnliches Daumenkino bietet.

Ähnlich komfortabel sind kleine Erinnerungsboxen die bei manchen Abschnitten abgehakt werden können um schleifen zu verhindern und direkt im Buch abstreichbare Lebenspunkte der Gegner (und selbstverständlich gibt es pdf Downloads damit man sein Buch unbeschrieben lassen kann). Die Gegner zeichnen sich grundlegend durch Lebenspunkte sowie einem Angriffs- und Verteidigungswert aus, gewinnen aber an Abwechslung indem sie ihr Kampfverhalten häufig je nach Kampfablauf verändern. Auch Gegnergruppen werden geschickt dargestellt, was auch außerhalb der detaillierten Kämpfe die im Kampfbonuskapitel abgewickelt werden zu taktischen und abwechslungsreichen Auseinandersetzungen führt.

Neben einfachen Kampfregeln und Fertigkeitsproben finden verschiedene – meist belohnende – weitere Werte und Fertigkeiten Anwendung. So können wir Schicksals- und Karmapunkte im Spiel ansammeln, die uns einen automatischen Erfolg bescheren oder abgefragt werden. Auch der bereits erwähnte Drache Kyra kommt mit eigenen Werten und insbesondere zusätzlichem Stauraum daher. Ein rascher Blick auf den Charakterbogen macht deutlich, dass fast alle Situationen praktisch vermerkt werden können. Der daraus resultierende etwas unübersichtliche Schein trügt jedoch. Um den Einstig zu erleichtern sind auch die Regeln in kleine überschaubare Kapitel eingeteilt die erst gelesen werden müssen wenn die Regeln wirklich Anwendung finden. Unterstützt durch dezente Regelhinweise in den Abschnitten und insgesamt einfach gehaltene Mechaniken entsteht ein übersichtliches und dem Spielbuch angepasstes Regelsystem. Zwar ist es letztlich Geschmacksache ob es nicht doch ein paar Mechaniken weniger sein dürften, rein handwerklich betrachtet gibt es jedoch nichts auszusetzen. Die Regeln erfüllen das was Sie sollen – ein dynamisches und nachvollziehbares Spielerlebnis stiften.

Mehr als nur ein Roman mit Abschnitten

Spielbücher stehen immer vor der Schwierigkeit das interaktive und intensive Erlebnis eines Rollenspiels in eine Buchform zu bringen. Reiter der Schwarzen Sonne gelingt dies durch fast permanente relevante und gut verknüpfte Entscheidungen, sowie ein sinnvoll umgesetztes Regelsystem. Da alle Kapitel zusammenhängen entsteht eine epische Handlung die tatsächlich immer wieder neu gespielt werden kann. Dies wird vor allen Dingen dadurch möglich, dass sich auch kleine Entscheidungen am Anfang tatsächlich auch noch hunderte Abschnitte später auswirken können, dabei aber nicht in Sackgassen führen. Um dies zu bewerkstelligen werden immer wieder Hinweise und Gegenstände abgefragt die dann Abkürzungen ermöglichen oder Zusatzinformationen liefern aber nie zum absolvieren eines Kapitels nötig sind.

Gerade diese kleinen Randaspekte machen das Spielerlebnis intensiv. Auch wenn der große Weg trotz alternativer Enden natürlich etwas vorgegeben ist können wir immer wieder besondere Handlungen durchführen die sich fast immer später auswirken. Oft greifen sogar verschiedene Nebensituationen ineinander und führen zu einem individuelleren Spielgefühl. So können wir beispielsweise mit etwas Glück heilende Pflanzen finden die unsere Lebenskraft wiederherstellen. aber auch in einer andere optionalen Situation genutzt werden können um genau mit dieser Arznei hilfreich zu sein. Beide Begegnungen können auch umgangen oder anders gelöst werden, aber wenn beide ineinander greifen bekommt man das Gefühl einen eigenen Weg gegangen zu sein. Ähnlich effektvoll sind manche indirekte Erinnerungen bei denen wir uns wundern wie sich das Buch unsere Entscheidungen merken konnte.

Aber auch sonst wird mit einer großen Liebe fürs Detail versucht uns in die Welt zu ziehen. Neben einer fast schon zum guten Ton gehörenden Karte die wir auch im Spiel finden können, liefert das Buch ein Glossar mit. Dies hilft uns die Welt besser zu verstehen und einen Überblick (wieder)herzustellen ohne uns mit langatmigen Vorworten zu belasten. Daneben lockern kleinere Spiele das Lesevergnügen auf. Neben größeren und komplexen Rätseln sind hier zwei Fertigkeitsproben eigener Art zu nennen. Bei der Ausbildung dürfen wir unser Geschick mit Schwert oder Bogen nämlich per Bleistift an einer Strohpuppe oder Zielscheibe ausprobieren und danach unsere Werte passend bestimmen.

Zur Atmosphäre trägt außerdem der einheitliche und wiedererkennbare Zeichenstil des Bandes bei. Der Illustrator Fufu Frauenwahl hat dem Buch zahlreiche ganzseitige Zeichnungen und kleinere graphische Auflockerungen verpasst die in einem liebevollen Tuschestil gehalten sind. Der Stil ist eine wunderbar zeitgenössische Umsetzung eines Oldschool-Flairs dem man die enge Absprache mit dem Autor anmerkt. Auch wenn es für mich gerade bei den eingestreuten Auflockerungen mehr Zeichnungen sein könnten ist der Stil treffsicher und versprüht den gleichen Elan wie der Rest des Buches. (Kleine Notiz am Rande: Fufu hat auch Illustrationen für Splittermond beigesteuert und damit Anteil an beiden Gewinnerprodukten des diesjährigen deutschen Rollenspielpreises…)

Wer all diese kleinen immersionsfördernden Details mag darf sogar auf eine Special-Version zurückgreifen die neben einigen Zusatzinformationen einen Schuber und eine passende musikalische Untermalung mitliefert. Diese nur verlagsseitig beziehbare Version kann sogar handsigniert bestellt werden und da der Preis für die 2. und 3. Edition gesenkt wurde bekommt man die Deluxeversion sogar fast zum Preis der Erstauflage.

Fazit

Reiter der Schwarzen Sonne beweist das Spielbücher auch heute noch aktuell sein können. Der Charme der Vorläufer die man vielleicht aus seiner Kindheit mag wird gekonnt aufgegriffen und gleichzeitig auf ein aktuelles Niveau gebracht. Das Buch ist in allen Bereichen durchdacht und passend. Es bietet ein Maximum an Komfort, Entscheidungsfreiheit und Innovation und muss sich daher auch vor den großen alten Vorgängern nicht verstecken. Im Gegenteil: Es bringt eine epische Kampagne in ein handhabbares Format und zehrt enorm von den Ideen früherer Spielbücher.

Wer sich irgendwie für Spielbücher interessiert und dem grundsätzlichen Flair der Fantasywelt nicht völlig abgeneigt ist sollte unbedingt zugreifen. Für unter 20€ erhält man eine umfangreiche abgeschlossene Kampagne mit hohem Wiederspielwert die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis kann man in dem Bereich zur Zeit (meines Wissens nach) in Buchform nicht bekommen. Die größeren Änderungen zur zweiten Edition und  die kleinen die mit der dritten Edition einhergehen bestätigen, dass es sich um ein Produkt mit Herzblut handelt das gut gepflegt wird und fast jede Schwäche ausgebügelt hat. Das Ergebnis ist ein rundum überzeugendes Produkt dem man eine 4. Edition nur wünschen kann.

1 Kommentar zu Reiter der Schwarzen Sonne

  1. Es ist mittlerweile tatsächlich eine 4. Auflage erschienen. In diese Version haben eine neue, dem restlichen Grafikstil angepasste Karte sowie zwei weitere Vignetten Einzug gehalten.

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