In die Ferne

Eine Rezension zu einem altmodischen Rollenspiel von Infernal Teddy

Es ist noch nicht mal ein halbes Jahr vergangen seit wir an dieser Stelle über Beyond the Wall gesprochen haben, dem wahrscheinlich einsteigerfreundlichsten Retroclone, welcher auf Deutsch aus dem Hause System Matters stammt, und mein persönliches Rollenspielhighlight des Jahres ist. Tja, und schon sprechen wir über die erste große Erweiterung für das Spiel, In die Ferne, welches die Kampagnentauglichkeit des Regelwerkes enorm erhöhen möchte. Wir schauen uns an dieser Stelle an, was diese Erweiterung den geneigten Gruppen bietet, und ob die Leute von System Matters den Standard, den sie mit Beyond the Wall vorgelegt haben, auch weiterhin halten können. Wir sind gespannt.

Wie auch schon das Grundregelwerk kommt In die Ferne in einer schicken Mappe daher, welche alle Spielmaterialien enthält. Diese sind das Kampagnenhandbuch, ein Softcover mit 78 Seiten; vier achtseitige Bedrohungsmappen; eine Kopiervorlage für das Kampagnenarbeitsblatt; eine Kopiervorlage für die eigentliche Kampagnenkarte; einen Mondkalender; und als letztes drei Kopiervorlagen für Charakterbögen, welche im Gegensatz zu denen aus dem ersten Set jetzt zweiseitig sind. Gestalterisch gilt für In die Ferne alles, was bereits schon für das Grundset gesagt wurde, nur das der dominierende Farbton dieses Mal ein Sepia-Braun ist statt Grün. Schauen wir mal, was wir damit anfangen können.

Kampagnenhandbuch
Inhaltlich kann man das Kampagnenhandbuch in zwei große Themenkomplexe aufteilen, Kampagne und zusätzliches Material. Das Kampagnenmaterial beginnt mit einer Besprechung dessen, was eine Sandbox überhaupt ist, wo die Stärken dieses Kampagnenmodells liegen, und wie man diese mit Beyond the Wall umsetzen kann. In die Ferne stellt hierbei eine Methode vor, welche die Spieler bei der Erschaffung dieser Sandbox einbezieht, ohne dass dadurch die Spannung zerstört wird, und hier kommt auch das Kampagnenarbeitsblatt zum Tragen. Dieses präsentiert ein Gebiet, welches einen Durchmesser von ca. 320 Kilometer hat, und grob in Hexfelder unterteilt ist, mit dem Dorf aus dem Grundspiel in der Mitte. Jeder Spieler darf innerhalb dieses Gebietes zwei “Hauptschauplätze” festlegen, Locations, welche innerhalb dieser Spielwelt von besonderer Wichtigkeit sind. Der Spieler entscheidet, ob die Location Nah ist, in mittlerer Entfernung ist, oder Fern, und würfelt dann auf einer Tabelle, welcher Art die Location ist. Das kann eine Großstadt sein, ein Monsterhort, oder etwas ganz Anderes. Nachdem der Spieler die Location definiert hat, darf jeder andere Spieler am Tisch ein Faktum zu dieser Location festlegen. Es wird dann entschieden ob der Charakter von der Location gelernt hat, ob er sie selbst gesehen hat, oder ob er nur davon gehört hat, und der Spielleiter legt dann eine verdeckte Probe ab, wie exakt die Informationen sind, welche die Spieler festgelegt hat. Sobald die Spieler ihre Locations definiert haben ist der Spielleiter an der Reihe – dieser darf dann mit Hilfe der Vorstellungen seiner Spieler eine Reihe von Nebenschauplätzen ausgestalten, und so der endgültigen Hexfeldkarte Form und Inhalt verleihen (Wer sie benötigt findet in der Mappe, wie eingangs schon erwähnt, ebenfalls eine Kopiervorlage). Damit aber die Kampagne nicht zwangsläufig zu einer Reihe von unzusammenhängenden Dungeoncrawls und Monsterbegegnungen verkommt gibt es die Möglichkeit, Bedrohungen einzuführen. Bedrohungen sind besonders mächtige Antagonisten, gefährliche Organisationen oder ähnliches, welche das Gefühl der Kampagne entscheidend beeinflussen können. Dabei hat jede Bedrohung eine “Unheilsrate”, welche zum Ausdruck bringt wie groß die Bedrohung derzeit ist, welche den Charakteren und ihrem Dorf droht. In die Ferne bringt vier Bedrohungen mit, welche als Heft in der Mappe enthalten sind, und auf die wir nachher nochmal eingehen. Im Anschluss an den Teil zum Kampagnenaufbau folgen Regeln zum Reisen und zum Erkunden der Landschaft, welche die als “Hexcrawl” bekannte Spielweise unterstützen und mit Optionen versehen.
Aber die Kampagne und der Aufbau der selbigen ist nicht das einzige, worum es in In die Ferne geht. Das Heft führt noch weitere Regeln ein, welche für eine Runde gedacht sind, die über eine Reihe von Einzelabenteuer hinausgeht. So gibt es einen ganzen Abschnitt über Charaktertod und wie man neue Charaktere einführt, ein alternatives Erfahrungssystem, neue Ausrüstung, und mit Talenten ein neues Regelsystem. Talente dürften den meisten Lesern bereits von neueren Dungeons & Dragons-Versionen bekannt sein, besondere Fähigkeiten welche dem Charakter erlauben, bestimmte Regeln zu umgehen oder zu brechen. Auch die Magieregeln werden erweitert, zum einen mit Regeln zum erschaffen von Magischen Gegenständen, zum anderen mit neuen magischen Ritualen, welche erlernt werden können. Abgerundet wird das Heft durch eine Reihe von Anhängen. Diese enthalten eine Reihe von alternativen Regeln, beispielhafte Tabellen für Zufallsbegegnungen, Tabellen um zufällig Nebenschauplätze zu generieren, und einige der in der Mappe enthaltenen Kopiervorlagen, so dass man auch nichts verlieren kann.

Bedrohungen
Die Mappe enthält wie schon besprochen vier dünne Hefte mit jeweils acht Seiten Umfang, welche die erwähnten Bedrohungen enthalten. Diese sind “Die Kaiserstadt”, “Der rachsüchtige Drache”, “Die verheerten Lande”, und “Der graue Prinz”. Diese Hefte beschreiben das Wesen der Bedrohung – “Die Kaiserstadt” beschreibt eine ehemalige Hauptstadt, welche ihren Einfluss vergrößern will, während “Die verheerten Lande” ein schrecklicher Fluch darstellt. Mindestens einer der Charaktere muss bei der Charaktererschaffung erwürfeln, welche Verbindung er zur Bedrohung hat, es werden Locations beschrieben die mit der Bedrohung zusammenhängen, und es werden Antagonisten präsentiert, welche zur Bedrohung gehören. Die letzten beiden Seiten sind jeweils eine Blanko-Hexkarte, und eine Zusammenfassung der wichtigsten Eckpunkte der Bedrohung, zusammen mit der jeweiligen Unheilstabelle, welche die Auswirkungen der Bedrohung auf die Spielumgebung beschreiben. Diese Hefte ähneln den Abenteuern im Grundset, benötigen aber naturgemäß mehr Arbeit und Vorbereitung seitens des Spielleiters.

Fazit:
Muss ich wirklich groß ausführen das ich In die Ferne für eine großartige Erweiterung halte? Dieses Set erweitert Beyond the Wall um so viele Facetten, das es fast zu einem neuen Spiel wird, ohne das eigentliche Spiel anzutasten. War das Grundspiel noch hauptsächlich darauf ausgerichtet, einzelne Abenteuer und One Shots zu spielen, so ist es in Verbindung mit dieser Ergänzung ein Spiel, welches auch sehr viel langfristiger noch Spielspaß und Raum zum entwickeln bietet. Ist In die Ferne perfekt? Nein, natürlich nicht. Mir fehlen zum Beispiel neue Monster, um das Arsenal des Spielleiters zu verstärken, oder eine Erweiterung der Steigerungstabellen. Die “Bärenklasse”, welche auf Englisch im Netz zu finden hätte ich gerne gesehen. Auch fehlt das klassische “Endspiel” alter D&D-Versionen, mit Gefolgsleuten, Festungen und eigenen Reichen fehlt mir noch zum Glück. Aber in Anbetracht dessen, das dem Symbol auf dem Rücken der Mappe noch ein Drittel fehlt um abgeschlossen zu sein darf man ja hoffen. Aber wer das beste Rollenspiel, das dieses Jahr auf Deutsch erschienen ist, noch besser machen möchte, sollte hier auf jeden Fall zugreifen.

Infernal Teddys Infinite Playlist: Over the Hills and far away – Gary Moore

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