Das Leben eines Gezeichneten – Teil 73

Winter des Wolfes - Teil 2

Es war Nacht. Die Praiosscheibe war schon vor Stunden hinter dem Horizont verschwunden. Vereinzelt waren Singvögel wahrzunehmen, doch wirkte ihr Singspiel eher etwas wirr und verdreht, als wolle das Land, das sich ohnehin schon vor Schmerzen zu winden schien dies auch noch akustisch mitteilen. Die anderen lagen zusammengerollt in ihren Schlafsäcken während ich die Nachwache hielt.
Plötzlich tauchte vor mir in der Dunkelheit ein verwaistes Glühwürmchen auf, das began vor meiner Nase umherzuschwirren. Nichts ungewöhnliches, wäre da nicht diese seltsam bekannte Hintergrundmusik, welche ich schon bei der Irribaarslilie vernommen hatte. Langsam glitt das Glühwürchen in das nahe Waldstück.
Ich grummelte ein wenig, “Fein”, und erhob mich, “Du möchtest das ich dir hinterherlaufe… und wage es ja nicht eine Nickbewegung auszuführen!” und lief ihm hinterher.
Das Glühwürmchen führte mich tief in den Wald und blieb über einer Wasserfläche, einem kleinem Weiler stehen, über dem es auf und ab tanzte, nur um kurz darauf im Wasser zu verschwinden. Langsam breiteten sich Wellen bis zum Ufer aus. Dann erhob sich vom Zentrum aus eine Lilie in bunten Regenbogenfarben.
“Schön ist sie nicht wahr? Ich habe sie aus einer anderen Spähre. Aber vermutlich interessiert dich dies nur peripher. Vermutlich fragst du dich eher was ich von dir will.”
Die Stimme kam von hinter mir. Als ich mich umdrehte, saß dort …. Latu?
“Tu mir den Gefallen und zeig dich nicht als jemand den ich kannte, sonst geh ich wieder,” antwortete ich und schaute ihn böse an.
Für einen Moment schien die Person zu überlegen. Dann antwortete sie.
” Wortwörtlich könnte dieser Ausdruck schwierig werden, schließlich kennst du mich ja. Du solltest lernen dich dort klarer zu fassen. Andere würden dies als Schwäche auslegen, aber deswegen bin ich nicht hier, sondern weil du nach mir gerufen hast.”
Die Gestalt began zu wabern und veränderte sich, bis sie zu einem kleinem Jungen mit 2 kleinen Mädchen geworden war, jeweils eine rechts und eine links im Arm.
“Richtig, du suchst nach Mitteln und Wegen wie du freier, uneingeschränkter reagieren und agieren kannst. Dein Innerstes sehnt sich geradezu nach alten Zeiten, und hat nach mir gerufen, vermutlich sogar unterbewusst.”
“Zuerst einmal kann wohl niemand behaupten dich zu kennen, das wäre doch zu viel Anmaßung. Und zum zweiten, sagte ich bewusst ‘kannte’ und nicht kenne, womit deine Aussage a Priori inkorrekt ist.” Ich lief auf und ab.
“Nun zu deiner zweiten Aussage… Ich möchte nicht abstreiten, dass eine solche Botschaft aufgetaucht ist, wie käme ich auch dazu. Aber meine Frage ist: Wie kommst du dazu hier einfach aufzutauen?”
Einige Momente der Stille folgten.
“Aber gut. Es kann mir auch egal sein. Ich gehe davon aus, du weißt was passiert ist vor einem Tag?” Ohne eine Antwort abzuwarten redete ich einfach weiter. “Fein. Das interessiert mich nämlich kein Stück. Aber es interessiert mich, das ich nichts ausrichten kann, obwohl ich alle Waffen in den Händen halte, die mir nutzen könnten! Ich fühle mich wie ein Hund, dem man die Zähne gezogen hat!”
Er nickte.
“Ich verstehe. Und ich habe die Lösung für das Problem, nein, eigentlich nicht. DU hast die Lösung.”
“Ich hab die Lösung? Ich habe die Möglichkeiten, aber ich lasse mich nicht zu einem seiner Sklaven machen wie Tar!” Ich blieb stehen und blickte ihn direkt an, ein kleines Funkeln in beiden Augen.
“Genau, das war einfach nur…. unklug. Aber du bist klüger. Du weißt wie man so etwas richtig macht.”
Die beiden Mädchen lösten sich in kleine Glühwürmchen und Rauch auf, so dass er wieder beide Arme frei hat, und begannen um ihn herumzuschwirren.
“So, weiß ich das? Ich bin mir nicht sicher. Aber das spielt keine Rolle mehr.” Ich trat auf ihn zu.
“Du weißt dass ich hier bin um dir meine Unterstützung zu gewähren. Du musst sie nur wollen.”
Eines der Glühwürmchen began um meinen Kopf herumzutanzen während das andere aus meinem Sichtfeld verschwand.
“Ja, ich weiß.” Ich nickte passend.
“Und ich bin gewillt dich um diese Möglichkeit zu bitten.”
“Dann gib mir deine Hand und lass es uns besiegeln. Nach heute Nacht wirst du wieder frei in der Lage sein, deiner ersten Berufung nachzugehen, ohne eine borbaradianische Herrschaftsvariante die dich droht zu übernehmen um in Borbarads Willen zu kämpfen.”
Er hiel mir seine ausgestreckte Hand hin und die beiden Glühwürmchen umschwirrten diese, wie stumme Zeugen.
Ich streckte meine rechte Hand aus und ließ sie in seine gleiten.
Die Glühwürmchen schwirrten immer wirrer um meine Hand, und für einen Moment schien es als würde das Kind mir gegenüber Lächeln, dann löste es sich in einem Schwarm aus Glühwürmchen auf und verschwand in der Nacht. Ich war alleine, in einem Waldstück in der Nähe eines Weilers über dem Glühwürmchen ihr Paarungsritual betrieben.
Glühwürmchen? Im Rondra??? Ich ging zurück zum Lager.
Ich versuchte immer noch alle Eindrücke der letzten Schlacht zu ordnen. Es schien als hätte die Heerführerin des Feindes weit mehr Dämonen und Paktierer in ihren Reihen gehabt als je zuvor. Sie gebot über solche Macht… die Macht ein ganzes Heer zu zerschmettern, die Toten zu erheben und gar das ganze Land zu beflecken.
Sie haben mehr Macht als ich…!
Hier ist soviel davon… du musst sie nur wollen.
Oder willst du wieder gefesselt und geknebelt auf deine Rettung warten?
Das war dieser dämliche Galotta! Dem werd ich es noch zeigen. Irgendwann wird er einen Fehler machen!
Ich wand mich vom Blick auf das weiter hinten liegende Schlachtfeld über dem düstere Nebelschwanden aufgezogen waren, ab und ballte die Hände zu Fäusten.
Bestrafe ihn! Unterwirf ihn! Mache dich zu seinem Meister.
Die beiden Mädchen schlichen sich in mein Blickfeld und standen halbdurchsichtig und von innen erleuchtet im Nebel.
Eine von ihnen hatte ihren eigenen Arm wie einen Knebel im Mund und gab Geräusche von sich als versuche sie erstickt zu schreien… natürlich war es das Biest mit den dunklen Haaren.
Das hellhaarige Mädchen erschien einen Sekundenbruchteil später direkt vor mir schwebend. “Hör nicht auf meine Schwester.”
Bitte? Was willst du mir damit jetzt sagen, hmm? Dann drehte ich mich halb um und fixierte die Dunkelhaarige. Und du sei bloß still mit deinen Anmaßungen hier! Das werde ich noch früh genug erledigen!
“Dazu bräuchtest du schon seine Macht… ist es nicht so?” Sie nahm den Arm aus ihrem Mund, nachdem sie sprach und erschien ebenfalls direkt vor mir. Langsam folgte ihr der grau wabernde Nebel.
“… möglich. Möglicherweise hast du recht.” Ich lief ein wenig von rechts nach links und wieder zurück.
“Was habt ihr anzubieten?”
“Blindheit…”
“…und Kontrollverlust!”
“Blindheit? Wie hab ich bitte das zu verstehen?”
“Er kann sehen was du tust…”
“…und dann siehst du nur noch was er tut.
Die beiden reichten mir, eine links und eine rechts, die Hände.
“Willst du?”
Ich schüttelte nur rätselnd den Kopf. “So wird das nichts… was soll ich damit schon anfangen, hmm?”
“Mutter kann ihn blenden…so dass du seine Macht gegen sein Gefolge wenden kannst.
Das Gesicht der Dunkelhaarigen lachte mich an. “Als ob er sie bestrafen würde.”
“Wenn ihr nichts sinnvolles zu sagen habt, dann verschwindet wieder.”
“Dummkopf! Willst du nicht schon seit einer Ewigkeit deine Zauber benutzen können… Magier?”
“Ah.. man muss ein bisschen drohen und bekommt dann doch eine sinnvolle Antwort, hmm?”
Ich ließ mich auf den Boden fallen und legte mein Kinn auf die vorne gefalteten Hände.
Die beiden geisterhaften Mädchen senkten sich zu mir herab, berührten mich sanft an den Armen und rißen mich durch ein graues Nichts. Ich war im Limbus, oder? Aber hier und da erkannte ich Konturen und Formen. Ich war in einem gewaltigen kantigen Turm… Und überall wo ich hinsah, standen Regale mit Büchern und Rollen. Schreibtische mit beschriebenem und leerem Pergament. Sogar einige detaillierte Bilder konnte ich an den Wänden erkennen… das eine war diese Drachenchimäre. Wie aufgeregte Kinder liefen die beiden Mädchen durch die Gänge und Hallen, Treppen hinauf und über Quergänge auf andere Seiten.
Ich wußte nicht wo ich mich zuerst umschauen sollte und began wahllos eines der Bücher links von mir aus dem Regal zu ziehen und einen Blick hineinzuwerfen ohne weiter auf meine ständige Begleiter zu achten.
Ich erblickte Texte die den Alltag an einer Magierakademie beschrieben, teils bebildert und manchmal auch nur in Schemen. Ich entrollte Schriftrollen und erkannte bekannte Gesichter. Auf einem Bild sah ich Latu kurz bevor wir in das Charyptoroth-Unheiligtum eindrangen.
Mit einem Mal wurde mir klar… ich war in meinen Erinnerungen. In meinem eigenen Verstand. Dort wo alle meine Träume, Wünsche und Hoffnungen abgelegt waren… meine Geheimnisse! Und dort wo gerade zwei Dämonen frei und ungestört herumtollten.
Verdammt! Das heißt ich kann nichts mitnehmen! Und dann ging ich doch lieber mal nachsehen was die beiden da trieben.
Die Geräusche kamen von unten, beinahe intuitiv nahm ich die kompliziert angeordneten Treppen und eine Abkürzung über Adaque. Dort gab es hinten links einen Bereich über gemeinsame Kinder. Durch die eckige Öffnung im Boden erkannte ich wie die beiden sich in meinen Kindheitserinnerungen umsahen und gerade die Zettelsammlungen über meine Familie durchwühlten und auf dem Boden verteilten.
“Was soll das denn!” brüllte ich ihnen entgegen.
“Uns war langweilig.”
“Hast du dich endlich umgesehen, ja?” Dreist steckte sie einige Pergamente in eine Umhängetasche die bis eben noch garnicht da war. “Gefällt mir… nehm ich mit.”
“Das sind meine! Die gehören dir nicht!” Und ich versuchte sie ihr wieder wegzunehmen.
Ich konnte ihr noch einige Zettel aus der Hand reißen, als ich merkte dass die Tasche nach der ich anschließend greifen wollte nicht mehr da war.
Verdammt! “Verschwindet hier! Sofort.”
Ruckartig und ohne den Gesetzen der Physik zu gehorchen bewegten die beiden sich Richtung Ausgang, als hätte sie mein bloßer Befehl schon zum Handeln gezwungen. Einen Moment später hörte ich aus dem Flur ein Poltern, als wäre jemand oder etwas mit Schwung gegen eine Wand geschleudert worden.
Ich seufzte lautstark und ging langsam den Gang zurück den ich gekommen war. Sollten sie doch Unruhe stiften.
Zurück bei den Treppen angekommen sah ich aus einem der höheren Stockwerke ein vertrautes rötliches Leuchten.
Warum muss das so riesig sein hier? Ich machte mich auf den Weg dorthin.
Ich ging einige Etagen hinauf und betrat einen Bereich der einem Studierzimmer glich, links und rechts zweigten Gänge in Räume ab die Bücher und Zeichnungen von Zaubermatrizen enthielten. Und über mir… wie eine gigantische Kuppel die falsch herum angebracht worden war, wacht das almadiner Auge über jede meiner Bewegungen.
Ich legte meinen Kopf nach hinten und starrte das Auge an. “Möchtest du auch etwas Chaos stifften?”
Das gigantische Auge fixierte mich und verengte sich als würde es mich abschätzen.
“Geh es ist alles vorbereitet.” Erklangt seine tiefe Stimme.
Vor mir erschien ein waberndes rotes Band in der Luft, dass bis in den linken angrenzenden Flur reichte.
“Fein. Ich wollte ja immer schon mal austesten ob man auf durchscheinenenden grünen Bändern laufen kann” bemerkte ich sarkastisch, lief aber trotzdem los.
Ich folgte dem roten Faden durch den gut ausgebauten Flügel dieser magischen Bibliothek. An jeder Seite waren mindestens ein Dutzend Räume. Hörsääle, Laboratorien, Hallen in denen sich illusionäre Bilder bewegten und auch ganz am Ende des Flurs ein Raum mit über kreuz vernagelten Brettern vor der Tür. Hier hin führte auch das rote Band.
He, ich wusste ja ich bin gut, aber so gut? Man hab ich viel Zeugs in mir… Ich lief weiter auf die Tür zu. Und offensichtlich auch Zeugs, dass gefährlich ist.
Hinter mir vernahm ich Geräusche. Die beiden Unruhestifter waren wieder da. Sie blieben ruhig, etwa eineinhalb Schritt hinter mir, stehen.
“Na… sollen wir deine verbotenen Pforten öffnen?”
“Was?! Bist du verrückt geworden? Willst du mich umbringen?” Ich blickte sie entsetzt an. “Da muss man sehr, sehr vorsichtig mit umgehen!”
Sie lächelte entschuldigend und schwenkte unschuldig ein großes Brecheisen neben ihrem Bein hin und her.
“Wir wollten dir doch aber etwas zeigen.” Sagte die andere und machte einen Schritt auf mich zu.
“Was bitte soll denn da wichtiges hinter sein?” fragte ich zurück.
“Oh, deine eigenen Ängste…”
“…und Höllenpein!”
Sie ließen das Gesagte für einen Moment lang wirken. “Und die ganzen anderen Zauber vor denen du dich gefürchtet hast.”
“Ah… ja… es ist also eine verbotene Pforte und nicht meine verbotene Pforte, ja?” versuchte ich mich zu vergewissern bevor hier ein Unheil passierte.
“Ja genau, diese hier ist total harmlos.”
Ich wand mich wieder der Tür zu. Unter einer dicken Staubschicht fand ich in die Tür eingraviert ein großes in Zayhad gehaltenes B.
Ich deutete mit dem Finger auf das Symbol. “Harmlos?” und schaute dann ob ich noch mehr eingeritzte Symbole in der Tür eindecken konnte.
Ich untersuchste penibel die gesamte Oberfläche der Tür und legte einige weitere Symbole frei. Zeichen die keinen Sinn ergaben aber wohl durchaus einen Zweck erfüllten, ähnlich wie die vielen Glyphen auf den Monolithen die Bastrabun einst benutzte.
Während meiner Grübelei und Suche hatte sich das blonde Mädchen an meine Seite geschlichen und heimlich einen der Nägel berührt die die Bretter hielten. Langsam, wie zähes Quecksilber rann dieser nun das Holz herab.
“He! Ich bin hier noch nicht fertig!” Ich schaute sie verärgert an und seufzte dann. “Aber jetzt ist es auch egal… dann macht es mal auf.”
Das dunkelhaarige Mädchen machte drei große Schritte nach vorne und schubste ihr blondes Ebenbild unsanft zur Seite, was diese mit einem aufgebrachten “Hey du Trampel!” quitierte. Mit wenigen kräftigen Bewegungen zog sie die Bretter samt Nägeln aus dem Türrahmen und legte die Tür zu lange verloren geglauber Macht frei. Ungeduldig wartete sie dass ich weiter ging.

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